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Was der Terror-Angriff der Hamas auf Israel für den Westen bedeutet

Eines der von der Hamas in Gazastreifen entführten israelischen Babys
Eines der von der Hamas in Gazastreifen entführten israelischen Babys (© Imago Images / ZUMA Wire)

Endlich werden in den USA und in Europa die finanziellen Hilfen an die Palästinensische Autonomiebehörde infrage gestellt, mit denen zum Teil wohl auch jene Waffen erworben wurden, die seit dem Überfall der Hamas auf Israel Hunderte Opfer gefordert haben.

Gerhard Werner Schlicke

Fast auf den Tag genau fünfzig Jahre waren seit dem Jom-Kippur-Krieg vergangen, da brach die Hamas einen neuen Krieg gegen Israel vom Zaun. Vermutlich war der Bezug auf dieses Datum, als die Armeen Syriens und Ägyptens eine bittere Niederlage einstecken mussten, die eigentliche, revisionistische Motivation der Hamas im Gazastreifen. Dieses Mal zwar unter anderen Vorzeichen, allerdings auch wieder an einem hohen israelischen Feiertag und damit dann doch wieder analog zu Jom Kippur am 6. Oktober 1973, wurde Israel diesmal an Simchat Torah auf brutale Weise überfallen, dem letzten der jüdischen Feiertage, der mit Sukkot, dem Laubhüttenfest beginnt.

Offizielle Stellen in Israel berichten von 2.500 Raketen aus dem Gazastreifen, die Hamas nennt doppelt so viele todbringende Geschosse. Die bisherige Schreckensbilanz weniger Stunden: über 1.200 Tote und fast 2.700 Verletzte in Israel und bis zu 170 in den Gazastreifen verschleppte Geiseln sowie zahlreiche zerstörte Gebäude und Infrastruktur. Die entführten Frauen und Kinder werden als Schutzschilde für israelische Vergeltungsaktionen gefangen gehalten; nicht wenige davon, wie Hamas-Videos belegen, wurden vergewaltigt und gedemütigt.

Die neue Qualität dieser Verbrechen gegen die Menschheit: Terroristen durchbrechen die Grenzbefestigungsanlagen, dringen auf israelisches Territorium vor, ermorden bestialisch und wahllos unbewaffnete Zivilisten und ebenso die völlig überraschten Soldaten der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) in den grenznahen Gebieten, stellen ihre Opfer medial zur Schau und suggerieren ihren Geldgebern und Unterstützern: Seht her, wir können das.

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat unmittelbar nach dem Terrorangriff drei primäre Ziele genannt: Die Geiseln befreien und wohlbehalten zurückbringen, die Einsatzfähigkeit der zerstörten Grenzanlagen wiederherstellen und zugleich die Außengrenzen zu den Anrainerstaaten gegen jeden Angriff sichern. Der am Sonntag erfolgte kurze Überfall der Hisbollah aus Syrien beweist die Richtigkeit dieser Maßnahmen.

Als ehemaliges Mitglied der israelischen Spezialeinheit Sajeret Matkal und aufgrund seiner Kriegs- und Kampferfahrungen kann Benjamin Netanjahu die aktuellen Gefahren sehr genau einschätzen, hat das Sicherheitskabinett zusammengerufen und den Kriegszustand erklärt. Also keine begrenzte Militäroperation zur Ausschaltung von Hamas-Militärbasen und Raketenstellungen, keine Abwehrreaktion auf die seit dem Rückzug Israels aus Gaza im Jahr 2005 in immer kürzerer Zeit stattfindenden Raketenangriffe auf israelisches Territorium.

Internationale Gelder für Terroristen

Im Jahr 2018 musste die interessierte Öffentlichkeit ansehen, wie Hamas-Terroristen und Islamisten aller Couleur unter der Hakenkreuzflagge die israelischen Grenzanlagen stürmten und mit Brandballons und -drachen die Ernten jüdischer Bauern vernichteten. Damals waren die Reaktionen aus Deutschland, aus der EU und den USA, milde ausgedrückt, verhalten und gefährlich abwartend. Jetzt haben sich endlich der deutsche Bundespräsident, der Bundeskanzler, der Verteidigungsminister und die Außenministerin zu Wort gemeldet und Israel ihre Solidarität versichert. Es gilt abzuwarten, wie dies in den nächsten Stunden und Tagen umgesetzt wird.

Zunächst wird endlich auch in der deutschen Regierung, in Brüssel und Paris sowie in den USA diskutiert, dass die finanziellen Hilfen in Millionenhöhe an die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) sicherlich auch dazu beigetragen haben, dass die Hamas, der Palästinensische Dschihad und weitere Terrorgruppen damit, zumindest indirekt, jene Waffen finanziert bekommen haben, die heute in Israel Tausende an Opfer fordern.

Allein die Millionenzahlungen aus Deutschland und den USA haben die Kriegskasse der Terroristen bestens gefüllt: »Anstatt die Terroristen öffentlich anzuprangern, belohnt Abbas sie weiterhin mit monatlichen Stipendien im Rahmen des sogenannten Pay-for-Slay-Programms. Im Jahr 2021 gab die Palästinensische Autonomiebehörde nicht weniger als 271 Mio. Dollar für die Auszahlung von Belohnungen an Terroristen aus. 193 Millionen wurden an inhaftierte und freigelassene Terroristen gezahlt, weitere achtundsiebzig an verwundete Terroristen und die Familien toter Terroristen. Das beläuft sich in nur einem Jahr auf eine Gesamtsumme von 543 Millionen Dollar.«

Die deutsche Außenministerin will aber weiterhin hohe Millionenbeträge an die PA senden, um die Versorgung der Palästinenser mit Trinkwasser und Lebensmitteln sicherzustellen. Wie sie kontrollieren will, dass von diesem Geld nichts an Terroristen fließt, diese Antwort bleibt sie Israel schuldig.

Die UNO spricht von einem gefährlichen Abgrund, in den die Region zu stürzen drohe. Die Türkei und Russland, denen man diesbezüglich jegliche moralische Kompetenz ob ihrer Kriege gegen die Kurden und die Ukraine absprechen muss, mahnen zur Zurückhaltung. Niemand sollte sich wundern, dass Israel diesen wohlfeilen Ratschlägen momentan keine Beachtung schenkt, denn es geht vordringlich um nichts Geringeres als um das Überleben des Landes. »Die Ägypter könnten nach Ägypten gehen, die Syrer nach Syrien. Der einzige Ort, an den wir gehen könnten, ist ins Meer, und bevor wir das tun, können wir genauso gut kämpfen«, brachte schon Golda Meir die Situation des jüdischen Staates auf den Punkt.

Perfide Reaktion

Besonders perfide ist die freudige Reaktion aus dem Iran zu diesem feigen Angriff auf Israel. Nicht etwa, weil die Mullahs in Qom und Teheran die Situation nun propagandistisch ausschlachten wollen, sondern weil die Vernichtung Israels ihr erklärtes politisches und militärisches Ziel seit der Machtübernahme von Ajatollah Khomeini ist. Es gibt eine lange Tradition der verbalen Drohungen der Islamischen Republik gegenüber Israel ohne jede Scheu und Zurückhaltung oder gar diplomatisch verklausulierte Formulierungen.

Erinnern wir uns an die Aussagen des ehemaligen iranische Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, die bis heute gelten. Er hatte den Staat Israel in einer Rede auf der Konferenz Die Welt ohne Zionismus als »Tumor« bezeichnet, der »von der Landkarte radiert« und »aus den Seiten der Geschichte getilgt« werden müsse.

Noch deutlicher wurde er in einer weiteren Rede im Februar 2008: »Sie haben eine schwarze und dreckige Mikrobe mit Namen ›zionistisches Regime‹ geschaffen, um sie wie ein wildes Tier auf die Völker der Nation loszulassen.« Kurz zuvor hatte einer der höchsten Funktionäre des Irans, General Dschaafari, vom »krebsartigen Gewächs Israel« gesprochen und dessen »Verschwinden in naher Zukunft« prophezeit.

Es ist dieses einzigartige ideologische Gebräu – Antisemitismus, schiitische Revolutionsideologie, Messianismus –, das die iranische Nuklearentwicklung so gefährlich macht. Heute kommt hinzu, dass der Iran nahe vor der Fertigstellung der Atombombe steht, womit die bisherigen, verbalen Drohungen jetzt eine militärische Grundlage erhalten.

Prioritäten

Viele fragen jetzt: Wie konnte das passieren und Israel so überrascht werden? Eine der vielen Antworten ist, dass der erbitterte Streit zwischen Regierung und Opposition zur Justizreform und die tiefe Spaltung der Gesellschaft ausschlaggebend ist, aber das wird wohl der Situation nicht gerecht.

Alle, angefangen von den Geheimdiensten in den USA, der EU und Großbritannien – und damit zumindest zum Teil sicherlich auch in Israel – haben sich auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine, auf den neu auszubrechenden Balkan-Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo und auf den Konflikt zwischen Armenien und Aserbeidschan konzentriert. Dabei sind alle anderen Brennpunkte wie jene im Jemen, im Sudan, in der Sahel-Zone, in Libyen, im Irak, in Syrien und Afghanistan nicht beigelegt, und auch der Islamische Staat und Al-Qaida sind weder besiegt noch nachhaltig handlungsunfähig gemacht.

Der Chef des israelischen Geheimdiensts Mossad, Jossi Cohen, sowie der Generalstabschef der Verteidigungsstreitkräfte IDF, Herzi Halevi, werden sich sehr unangenehmen Fragen stellen müssen, denn Israel wurde im fünfzigsten Jahr nach dem Jom-Kippur-Krieg ebenso völlig unvorbereitet überfallen wie damals. Vorerst aber gilt es als oberstes Ziel, die territoriale Integrität Israels und seine Abschreckungskraft in vollem Umfang wieder herzustellen und die Verantwortlichen in Gaza, in Ramallah, in Syrien und der Bekaa-Ebene im Libanon und womöglich auch bei den Islamischen Revolutionsgarden im Iran zur Verantwortung zu ziehen.

Der von der Hamas vom Zaun gebrochenen Krieg zeigt aber auch, dass der Friede und die Demokratie in ständiger Gefahr sind, dass Wachsamkeit keine alleinige Aufgabe Israels ist und auch der Westen im Allgemeinen Konsequenzen zu ziehen haben wird.

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