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Sadats Friedensangebot: Hätte der Jom-Kippur-Krieg vermieden werden können? 

Ägyptens Präsident Gamal Abdel Nasser mit dem damaligen Parlamentssprecher und seinem späteren Nachfolger Anwar Sadat im August 1968
Ägyptens Präsident Gamal Abdel Nasser mit dem damaligen Parlamentssprecher und seinem späteren Nachfolger Anwar Sadat im August 1968 (Quelle: JNS)

Der ägyptische Staatschef Sadat musste aus einer Position der Stärke heraus verhandeln. Dazu musste er den Verlust des Landes im Jahr 1967 überwinden.

Mitchell Bard 

Unter den umfangreichen Kommentaren zum Jahrestag des Jom-Kippur-Kriegs finden sich Behauptungen, Israel habe eine historische Chance verpasst, den Konflikt durch die Annahme des Friedensangebots von Anwar Sadat aus dem Jahr 1971 zu verhindern. In Wahrheit bot der ägyptische Präsident jedoch keinen Frieden an, sondern verlangte Israels Kapitulation, obwohl er dem jüdischen Staat im Sechstagekrieg vom Juni 1967 unterlegen war.

Nur wenige Wochen nach dem Ende dieses Konflikts begann Ägypten den Zermürbungs- bzw. Abnutzungskrieg, indem es israelische Stellungen in der Nähe des Suezkanals beschoss. Am 21. Oktober 1967 versenkte Ägypten den israelischen Zerstörer Eilat, wobei 47 Menschen ums Leben kamen. Einige Monate später begann die ägyptische Artillerie, israelische Stellungen entlang des Suezkanals zu beschießen und israelische Militärpatrouillen aus dem Hinterhalt anzugreifen.

Im Sommer 1970 überredeten die Vereinigten Staaten Israel und Ägypten, einen Waffenstillstand zu akzeptieren, der zu Verhandlungen unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen führen sollte.

Ägyptischer Bruch des Waffenstillstands

Am 7. August jedoch stationierten die Sowjets und die Ägypter hochentwickelte Boden-Luft-Raketen in der 32-Meilen-Sperrzone entlang des Westufers des Suezkanals. Dies verstieß gegen das Waffenstillstandsabkommen, das den Bau militärischer Anlagen oder die Errichtung militärischer Infrastruktur in diesem Gebiet untersagte. Das »massivste Flugabwehrsystem, das je geschaffen wurde«, wie Kairo prahlte, sollte später den an Jom Kippur gestarteten ägyptischen Überraschungsangriff aus der Luft decken.

Trotz der ägyptischen Verstöße wurden die von der UNO geförderten Verhandlungen wieder aufgenommen, was nicht zuletzt als Beweis dafür zu gelten hat, dass Israel bestrebt war, Fortschritte auf dem Weg zum Frieden zu machen. Die Gespräche wurden bald vom UN-Sondergesandten Gunnar Jarring unterlaufen, als er die ägyptische Fehlinterpretation der Resolution 242 rückhaltlos akzeptierte und Israels vollständigen Rückzug auf die Demarkationslinien vor dem 5. Juni 1967 forderte [während in der Resolution explizit von einem Rückzug »aus Gebieten, die während des jüngsten Konflikts besetzt wurden« die Rede ist und nicht von einem Rückzug aus »allen« Gebieten; Anm. Mena-Watch].

Auf dieser Grundlage erklärte Ägyptens neuer Präsident Anwar Sadat, (Gamal Abdel Nasser war am 28. September 1970 verstorben), in einem Brief an Jarring vom 20. Februar 1971 seine Bereitschaft, »ein Friedensabkommen mit Israel zu schließen«. Hinter dieser scheinbaren Mäßigung verbarg sich jedoch ein unveränderter ägyptischer Irredentismus, wie die weitreichenden Vorbehalte und Vorbedingungen in dem Brief zeigten. 

Sadat stellte Israel ein Ultimatum: Rückzug aus allen eroberten Gebieten und, wie es hieß, Anerkennung der Rechte der Palästinenser. Die entscheidende Formulierung, dass Sadat ein »Friedensabkommen mit Israel« anstrebe, wurde in Ägypten nicht publik gemacht.

Nicht zum Frieden bereit

Nicht nur waren die maximalen Forderungen Sadats für Israel inakzeptabel, sondern Jerusalem zweifelte darüber hinaus auch an der Aufrichtigkeit Sadats, nachdem der ägyptische Präsident auf der Tagung des Palästinensischen Nationalrats in Kairo 1971 versprochen hatte, die PLO »bis zum Sieg« unterstützen zu wollen. Außerdem verweigerte sich Ägypten der Aufnahme direkte Verhandlungen aufzunehmen: Während Israel versuchte, die Jarring-Mission in bilaterale Gespräche beider Staaten umzuwandeln, indem es alle Briefe nicht an den UNO-Gesandten Jarring, sondern an die ägyptische Regierung richtete, weigerte sich diese, die Briefe anzunehmen.

Fünf Tage nachdem Sadat angedeutet hatte, dass er bereit sei, mit Israel Frieden zu schließen, schrieb der Al-Ahram-Herausgeber und Vertraute Sadats, Mohammed Heikal:

»Die arabische Politik hat in diesem Stadium nur zwei Ziele. Das erste ist die Beseitigung der Spuren der Aggression von 1967 durch einen israelischen Rückzug aus allen Gebieten, die es in jenem Jahr besetzt hatte. Das zweite Ziel ist die Beseitigung der Spuren der Aggression von 1948, und zwar durch die Beseitigung des Staates Israel selbst. Dies ist jedoch noch ein abstraktes, unbestimmtes Ziel, und einige von uns haben den Fehler begangen, den zweiten Schritt vor dem ersten tun zu wollen.«

Im Gegensatz zu revisionistischen Geschichtsschreibern, die behaupten, Israel habe die Chance verpasst, Frieden zu schließen und den Jom-Kippur-Krieg von 1973 zu vermeiden, weil die israelische Premierministerin Golda Meir auf Sadats Initiativen negativ reagierte, klangen Sadat und sein Umfeld nicht wie Akteure, die an einer Koexistenz mit dem jüdischen Staat interessiert waren. 

Sadat drohte offen mit Krieg, sollte keine politische Lösung erreicht werden, und forderte den vollständigen Rückzug Israels aus dem Sinai sowie eine Lösung des palästinensischen Flüchtlingsproblems im Sinne des angeblichen »Rückkehrrechts«, während er gleichzeitig erklärte, niemals diplomatische Beziehungen zu Israel aufzunehmen.

Gefühl der Scham

Der ägyptische Präsident befürchtete, ein echter Frieden mit dem jüdischen Staat würde seine finanziellen Gönner in Libyen und Saudi-Arabien verärgern – wie es seine Entscheidung von 1977, wirklich Frieden zu schließen, dann ja tatsächlich auch tat –, und er könnte möglicherweise seine Macht verlieren. Der wichtigere Grund für seine unbeugsame Haltung war jedoch, dass er aus einer Position der Schwäche und Unehre heraus keine Kompromisse eingehen konnte. 

Scham ist ein starkes Gefühl in der arabischen Gesellschaft, und Ägypten war im Sechstagekrieg von 1967 gedemütigt worden. Sadat konnte es sich nicht leisten, so zu erscheinen, als bettelte er bei den Siegern um Frieden. Er musste aus einer Position der Stärke heraus verhandeln, und um das zu tun, die Schande überwinden, wie Sadats Frau Jihan in einem Interview mit Yediot Achronot am 11. Juni 1987 erklärte:

»Ich stimme nicht mit denen unter uns [den Ägyptern und Arabern] und unter Ihnen [den Israelis] überein, die heute behaupten, Sadat habe vor 1973 versucht, einen echten Frieden zu erreichen. Ich glaube, dass er einen Waffenstillstand erreichen wollte, mehr nicht. Es bedurfte also eines weiteren Kriegs, um zu gewinnen und dann aus einer gleichberechtigten Position heraus in Verhandlungen einzutreten. Mein Mann war ein Mann des Friedens, aber als arabischer Führer war er nicht bereit, sich Israel gegenüber unterlegen zu fühlen.«

Daher war es nicht überraschend, dass Sadat, nachdem Israel 1972 sein Angebot abgelehnt hatte, erklärte, ein Krieg sei unvermeidlich und er bereit, in der Auseinandersetzung mit Israel eine Million Soldaten zu opfern. »Die Demütigung, die wir seit der Niederlage von 1967 erlitten hatten, würde als erstes verschwinden«, sagte er und fügte hinzu: »In den Sinai vorzudringen und jedes zurückeroberte Gebiet zu halten, würde unser Selbstvertrauen wiederherstellen.« Ein Jahr später machte er seine Drohung wahr.

Das Gesicht wiedergewonnen

Israel gewann den Krieg von 1973, indem es die Invasoren zurückschlug und die Kämpfe mithilfe seiner Truppen beendete, die bereit waren, auf Kairo zu marschieren und die eingekesselte ägyptische Dritte Armee zu vernichten. Dennoch konnte Sadat den Sieg für sich beanspruchen, weil er die Israelis überrascht und ihnen schreckliche Verluste zugefügt hatte. Er konnte auch argumentieren, nur die US-Luftbrücke habe Israel gerettet.

Erst nachdem er sein Gesicht wiedergewonnen hatte, konnte der ägyptische Präsident einen »ehrenhaften Frieden« anstreben. Auch die Erschütterung des israelischen Gefühls der Unbesiegbarkeit spielte eine Rolle. Schließlich brachte Israel alle möglichen Opfer – Rückzug aus dem Sinai und damit aus 91 Prozent seines im Sechstagekrieg gewonnenen Gebiets, Aufgabe der Ölfelder, Evakuierung der Siedler aus Jamit – für Sadats Friedensversprechen. Und auch damals noch gab es reichlich Grund, an diesem Versprechen zu zweifeln und zu befürchten, dass seine Nachfolger sich nicht verpflichtet fühlen würden, es einzuhalten.

Dennoch unterstützten die meisten Israelis den Friedensvertrag, der das größte und mächtigste arabische Land aus dem Konflikt herausnahm, das regionale Machtgleichgewicht dramatisch veränderte und den arabisch-israelischen Konflikt praktisch beendete. Vor dem Jom-Kippur-Krieg hätte dies nie geschehen können.

Mitchell Bard ist außenpolitischer Analyst und Experte auf dem Gebiet amerikanisch-israelischer Beziehungen, der 22 Bücher geschrieben und herausgegeben hat, darunter The Arab LobbyDeath to the Infidels: Radical Islam’s War Against the Jews und After Anatevka: Tevye in Palestine. (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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