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Klimawandel und Misswirtschaft: Syrien vertrocknet

Klimawandel und Misswirtschaft führen zu Wassermangel und Dürre in Syrien
Klimawandel und Misswirtschaft führen zu Wassermangel und Dürre in Syrien (© Imago Images / Pond5 Images)

Seit Jahren sind in Syrien die Auswirkungen einer anhaltenden Dürre zu spüren. Der chronische Wassermangel entwickelt sich zu einem weiteren Konflikttreiber im Nahen Osten.

Die Auswirkungen des Klimawandels machen sich in Syrien zusehends bemerkbar. Seit 2020 leidet das Land unter geringen Niederschlägen und außergewöhnlich hohen Temperaturen. Die versiegenden Wasserreserven wirken sich negativ auf die Landwirtschaft aus, Trinkwasser wird knapp. Die durch Mangel und Wirtschaftskrise bereits in die Höhe getriebenen Preise für Lebensmittel steigen durch die ausbleibenden Ernten weiter an.

Hunger und Cholera

Eine Dürre entsteht, wenn geringe Niederschläge und eine erhöhte Verdunstung zusammentreffen. Während sich in Syrien die Niederschlagsmenge und -intensität in den vergangenen Jahren nur leicht verändert hat, ist ein deutlicher Temperaturanstieg zu verzeichnen. Dieser beschleunigt die Wasserverdunstung. Diese hohe Verdunstung führt zu Bodentrockenheit und einem Rückgang des Grundwasserspiegels; der Wasserstand in Flüssen, Seen und Staubecken sinkt. Wie eine Studie von 2022 zeigt, verloren in der östlichen Provinz Hasakah – dem Brotkorb Syriens – die Bauern durch die Dürre neunzig Prozent ihres Ackerlands. Weil die Weideflächen knapp sind und viele sich die explodierenden Preise für Viehfutter nicht leisten können, sind die Landwirte zusätzlich gezwungen, ihr Vieh zu verkaufen.

Auch der Ausbruch einer Choleraepidemie in Syrien im Jahr 2022 ist auf Wassermangel zurückzuführen. Ein Großteil der Wasser-Infrastruktur wurde seit 2011 durch gewaltsame Angriffe, Energiemangel oder Sabotage außer Betrieb gesetzt. Das zwang viele Syrer, auf unsichere Alternativen zurückzugreifen, wie verschmutzte Flüsse, illegal gebohrte Brunnen und private Wasserverkäufer. Unsauberes Wasser kombiniert mit einem maroden Gesundheitssektor und Millionen von Menschen, die in überfüllten Lagern leben, waren der perfekte Nährboden für die Cholera.

Die Dürre führt zu einer Landflucht, tausende Bauern wandern in die Städte ab, wo sie sich in den Slums von Damaskus, Aleppo und Deir ez-Zour niederlassen – ein Treiber für gesellschaftliche Spannungen und Unruhen, wie sie bereits 2011 für den Ausbruch des Bürgerkriegs mitverantwortlich waren. Schätzungen zufolge dürften im Jahr 2022 in Syrien mehr als zwölf Millionen Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen gewesen sein – das ist mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung.

Auch im Irak verschärfen sich die Wasserkonflikte, Seen und Flüsse trocknen aus. Al-Ahwar, ein Sumpfgebiet im Süden des Iraks, ist mit rund 5.400 km² etwa doppelt so groß wie Vorarlberg und ein wichtiger Wasserspeicher für die Region. Durch die anhaltende Trockenheit und die erhöhte Verdunstung ist das gesamte Ökosystem des Feuchtgebiets bedroht und könnte bereits in naher Zukunft nicht mehr existieren. Auch weiter östlich, im Iran, haben die Wasserknappheit und schlechte Ernten die Lebensmittelpreise in die Höhe schnellen lassen.

Zu viel verdunstetes Wasser

Die Wasserkrise in Syrien ist aber nicht ausschließlich dem Klimawandel geschuldet. Ineffiziente Bewässerungstechniken und illegale Brunnenbohrungen tragen ihren Teil dazu bei. Hinzu kommt die Verunreinigung des Wassers durch Quecksilber und Blei. Problematisch sind auch die drei riesigen Stauseen Tabqa, Tishreen und Baath, die zusammen eine Fläche von rund 870 Quadratkilometern ausmachen. Die hohen Verdunstungsraten führen zu jährlichen Verlusten von geschätzten 2,2 Milliarden Kubikmeter Wasser. Da Syrien einen Großteil seines Stroms aus Wasserkraft erzeugt, führt die Dürre auch zu Stromausfällen.

Doch auch der hohe Wasserverbrauch in Nachbarländern wirkt sich auf Syrien aus. Im Jahr 1974 startete die Türkei das Große Anatolische Projekt, das den Bau von insgesamt 22 Dämmen und 19 Wasserkraftwerken entlang der Flüsse Euphrat und Tigris umfasst. 4,2 Millionen Hektar Land in der türkischen Region Harran sollen dadurch bewässert werden. Das im Oberlauf der Flüsse verbrauchte Wasser fehlt dem südlichen Nachbar Syrien. Die Kombination aus türkischer Wasserpolitik und Klimawandel führte dazu, dass der Wasserfluss nach Syrien um etwa vierzig Prozent zurückging.

Flucht statt Rückkehr

Gemeinsam mit den anhaltenden Kämpfen im Norden Syriens, der miserablen wirtschaftlichen Lage und der politischen Instabilität treibt die Dürre zusätzlich Syrer aus dem Land bzw. verhindert, dass sie zurückkommen wollen.

In den Aufnahmeländern der Region – allen voran die Türkei und der Libanon – führt das zusehends zu Spannungen. Nach offiziellen Angaben befinden sich 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge im Libanon. Das ist viel für ein Land, das vor Ausbruch des Kriegs und dem Zustrom von Syrern vier Millionen Einwohner hatte. Hinzu kommt, dass der Libanon sich seit 2019 in einer nie dagewesenen politischen, sozialen, finanziellen und wirtschaftlichen Krise befindet.

Nach zwei Morden, für die Syrer verantwortlich gemacht werden, kocht die Flüchtlingsdebatte im Libanon erneut hoch. Politiker aller Couleur fordern eine verstärkte Rückführung. Die UN und etliche Menschenrechtsorganisationen halten dem entgegen, dass die Lage in Syrien eine Rückführung nicht zulasse. Das gesellschaftliche Klima im Land verschlechtert sich.

Das Ergebnis ist, dass immer mehr Syrer mit dem Boot aus dem Libanon nach Zypern fliehen. Der EU-Staat verzeichnet rasant steigende Flüchtlingszahlen. Wie die österreichische Tageszeitung Der Standard berichtete, sind seit Jahresbeginn nach zypriotischen Angaben viertausend Flüchtlinge verzeichnet worden im Vergleich zu achtundsiebzig im ersten Quartal des Vorjahrs. Nikosia habe deshalb die Asylanträge für Syrer ausgesetzt. NGOs berichten, dass Zypern Schiffe losgeschickt hat, um Flüchtlingsboote in den Libanon zurückzudrängen.

Dürre als Konflikttreiber

Mit dem durch den Klimawandel verursachten Temperaturanstieg wird die Zahl der Dürren in der Region zunehmen. Bisher trat eine schwere Dürre im Schnitt alle 250 Jahre einmal auf. Eine Studie zeigt, dass bei einem Temperaturanstieg von 1,2 Grad Celsius Dürren alle zehn Jahren eintreten werden. Steigen die Temperaturen weiter auf zwei Grad Celsius an, kann es alle fünf Jahre zu einer schweren Dürre kommen.

Der Klimawandel und der dadurch ausgelöste Wassermangel ist ein weiterer potenzieller Konflikttreiber im Nahen Osten, der bereits durch Kriege verwüstet ist. Europa wird von den Auswirkungen nicht unberührt bleiben.

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