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Iranische Bedrohung: Atomwaffen am Arabischen Golf

Atomare Bedrohung: Irans Außenminister Amir-Abdollahian zu Besuch beim saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman
Atomare Bedrohung: Irans Außenminister Amir-Abdollahian zu Besuch beim saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (© Imago Images / ZUMA Wire)

Derzeit wird viel darüber spekuliert, ob sich Saudi-Arabien in absehbarer Zeit atomar bewaffnen will und noch viel mehr darüber, ob die USA dies zulassen werden.

Gerhard Werner Schlicke

Es steht außer Frage, dass Atomwaffen generell und am Arabischen Golf insbesondere erhebliche militärische und damit auch globale wirtschaftliche Risiken bergen. Stimmten die USA einer dortigen Stationierung zu, würde sofort NATO-Partner Türkei dieselben Forderungen erheben. Angesichts der neo-osmanischen Träume Erdogans eine grausige Vorstellung, vor allem mit einem dann nicht mehr kalkulierbarem Erpressungspotenzial gegenüber Allen und Jedem.

Nicht zu vergessen auch, dass Russland nach wie vor die Schutzmacht Syriens ist und innerhalb kürzester Zeit seine hundertfach einsatzbereiten Atomwaffen einschließlich Trägermittel aller Couleur nach Syrien verlagern könnte. Die Tatsache, dass Russland die vollständige Durchdringung der syrischen Armee durch die Hisbollah nicht verhindern konnte, macht die Vorstellung von Atomwaffen in diesem völlig destabilisierten Land zum sicherheitspolitischen Supergau, nicht nur für Israel. Von ähnlichem Verlangen nach Atomwaffen könnte dann auch Ägypten beseelt sein.

Die unmittelbar bevorstehende atomare Bewaffnung des Irans wird das fragile Gleichgewicht am Persischen Golf massiv zugunsten des Irans verschieben und die Straße von Hormus de facto unter die Kontrolle der Revolutionsgarden bringen. Ölexporte von der arabischen Halbinsel, insbesondere von Saudi-Arabien, sind dann nur noch mit Wohlwollen durch eben diese möglich, wenn überhaupt. Ein Schreckensszenario von unfassbarer Größe und Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Das müsste auch die US-Administration von Präsident Joe Biden erkennen und endlich mehr für die Sicherheit Saudi-Arabiens tun.

Saudische Zukunftssorgen

Die Zukunftssorgen von Kronprinz Mohammed bin Salman sind also mehr als verständlich, ebenso sein Bestreben, auch in Zukunft ein militärisches Gleichgewicht mit seinen Partnern gegenüber dem Iran zu schaffen. Gelänge es dem Iran, den Jemen als Bindeglied in seinen »schiitischen Halbmond« einzufügen, wäre Saudi-Arabien faktisch von einer schiitischen Militärmacht in die Zange genommen. Die daraus resultierenden militärischen Gefahren für das Königreich wären unkalkulierbar. Das militärische Ungleichgewicht Iran zu Saudi-Arabien birgt jetzt schon erhebliche Risiken für die Region und die Weltwirtschaft.

Es klingt wie ein Paradoxon: Saudi-Arabien wird Milliarden für die Rüstung und den Aufbau einer eigenen Rüstungsindustrie bis 2030 als Investitionen für die Zukunft bereitstellen. Betrachtet man die Situation am Golf nüchtern, stellt man fest, dass das Königshaus, insbesondere seit Kronprinz Mohammed bin Salman mehr und mehr in das politische Geschehen eingreift, die Weichenstellungen für die nationale Zukunft mit großer Weitsicht betreibt. In seinen Funktionen als Premierminister und Vorsitzender der wichtigsten Räte hat Mohammed bin Salman auch alle notwendigen Instrumente für den Umbau des Landes zur Verfügung. Was aber haben die massiven Investitionen in eine nationale Rüstungsindustrie mit Zukunft zu tun?

Bisher hat Saudi-Arabien faktisch alle Rüstungsgüter hauptsächlich aus den USA importiert. »Nach eigenen Angaben werden aber lediglich zwei Prozent der Militärgüter selbst im Land produziert. Das soll sich bis 2030 grundlegend ändern. … Zukünftig wird der neue staatliche saudische Rüstungskonzern SAMI (Saudi Arabian Military Industries) in der Branche mitmischen. … Der neue Rüstungskonzern soll dann 40.000 Beschäftigte zählen und sogar exportieren. … SAMI soll bis 2030 zu den fünfundzwanzig größten Rüstungskonzernen aufsteigen und auf vier Säulen stehen, und zwar von der Wartung von Flugzeugen bis zur Produktion von Drohnen, Landfahrzeugen, Munition, Lenkwaffen und Raketen sowie Rüstungselektronik.«

Bis es soweit ist, wird Saudi-Arabien noch Waffen aus den USA mit einem Volumen von zwanzig bis dreißig Milliarden Dollar einkaufen. Deutschland spielt bei den Waffenexporten keine wesentliche Rolle, obwohl es deutlich mehr leisten könnte. Das diesbezügliche Handelsvolumen im Vergleich zu den USA ist aber vernachlässigbar. Wegen des Jemen-Konflikts werden Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien als Lieferungen in Krisengebiete eingestuft und befinden sich damit in einem ständigen On-off-Betrieb. Kein Land, das sich wie Saudi-Arabien um seine Sicherheit sorgen muss, kann eine solch unzuverlässige Lieferpolitik hinnehmen.

Der trotz aller Sanktionen hochgerüstete Iran legt Parallelen zu Nord-Korea nahe, das die Weltgemeinschaft mit taktischen und strategischen Raketen und Atomwaffen überraschte. Mit einem ebensolchen Schachzug wäre der Iran eine viel größere militärische Bedrohung für Saudi-Arabien, als er es ohnehin schon ist.

Die kurz vor Vollendung stehenden Bestrebungen des Irans zu einer atomaren Bewaffnung lösen nicht nur in Jerusalem und Washington größte Sorgen aus, sie provozieren auch klare militärische Strategien am Golf selbst. »Saudi-Arabien behält sich eine atomare Bewaffnung für den Fall vor, dass eine iranische Atombombe nicht verhindert werden kann. Der saudische Staatsminister für Auswärtiges, Adel al-Dschubair, sagte der Deutschen Presse-Agentur: Das ist definitiv eine Option.‹ Werde der Iran zur Nuklearmacht, würden andere Länder folgen, so der Minister. Saudi-Arabien habe ›sehr klar gemacht, dass es alles tun wird, was möglich ist, um seine Bevölkerung und sein Staatsgebiet zu schützen‹.«

Irans Machtstreben

Das regionale Hegemoniestreben der Mullahs von Qum und Teheran nimmt immer konkretere und für den jüdischen Staat immer beängstigendere Formen an, nicht nur bei der Etablierung des »schiitischen Halbmonds« vom Hindukusch bis zum Mittelmeer, also von Pakistan über den Sudan bis zum Libanon, sondern eben auch mit der immer konkreteren Bedrohung Israels durch den Iran selbst sowie durch seine Stellvertreter wie die Hisbollah oder den Palästinensischen Islamischen Dschihad oder seine Verbündeten wie die Hamas.

Ein asymmetrisch geführter Krieg gegen Israel soll das klar und offen geäußerte Ziel der Machthaber im Iran endlich in die Tat umsetzen und alle Juden westlich des Jordans ins Meer jagen, also Israel für alle Zeiten ausradieren.

Ein atomar bewaffneter Iran und ein drohender Mehrfrontenkrieg mit ca. 120.000 vom Iran direkt importierten oder der finanzierten Eigenproduktion von Kurz-und Mittelstreckenraketen im Libanon, den iranischen Kräften in Syrien, einem mittlerweile unter schiitischer Vorherrschaft stehenden Irak und den proiranischen Terrorgruppen in Gaza und der Westbank, drängt Israel immer mehr zu einem prophylaktischen Schlag statt zu diplomatischen Lösungen, auch wenn diese bisher noch so fragil waren.

Genau genommen ist der Iran das wirkliche Hindernis zwischen einer Lösung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern und der Hemmschuh für eine nachhaltige Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien.

Die derzeit stattfindende Annäherung von Saudi-Arabien und dem Iran, eigentlich der historisch gewachsene Erzfeind der arabischen Golfstaaten, findet nicht aus der Position der Stärke statt, sondern eher aus einem militärstrategischen Nachteil, also aus der Position der Schwäche. Seit dem Drohnen-Angriff der Huthi-Rebellen – also faktisch durch den Iran, denn die Huthis verfügen weder über das militärische Knowhow geschweige denn über die technischen Mittel – auf die saudische Ölraffinerie am 16. September 2019 musste das Königreich schmerzlich zur Kenntnis nehmen, dass es mit diesem Präzisionsangriff auf das wirtschaftliche Herzstück des Landes die Lufthoheit verloren und dem faktisch nichts entgegenzusetzen hat. Schlimmer noch: Das Land wurde trotz gegenteiliger Beteuerungen von seinem wichtigsten Verbündeten, den USA, nach dem Terrorakt im Regen stehen gelassen.

Immer wieder wird die Causa Khashoggi als Vorwand genommen, um Saudi-Arabien die nötige Hilfe zu verweigern, sie hinauszuzögern oder nur schleppend umzusetzen; die Haftbefehle gegen Kronprinz Mohammed bin Salman in den USA und auch in Deutschland zeugen davon. US-Präsident Joe Biden drohte gar, Saudi-Arabien und seinen Kronprinzen wegen der Ermordung Jamal Khashoggis im Jahr 2018 und des Kriegs im Jemen zum Paria zu machen.

Spätestens seit Beginn des Ukraine-Kriegs hat sich die Haltung der USA gegenüber Saudi-Arabien jedoch wieder gedreht. Nicht etwa aus plötzlich geänderter moralischer Haltung im Weißen Haus und dem State Department, sondern wegen des Ölpreises und seinen Auswirkungen auf die amerikanische Wirtschaft und der Angst vor einem neuen Kalten Krieg im Nahen Osten. Möglicherweise werden diese Paradigmenwechsel zum Jahresende noch deutlicher werden, wenn Präsident Biden in Riad gezwungenermaßen seine Aufwartung machen wird.

Aus Deutschland und der Europäischen Union ist noch weniger Hilfe gegenüber Saudi-Arabien zu erwarten. Möglicherweise hofft die westliche Welt auf zukünftige, gigantische Geschäfte mit dem durch die Sanktionen ausgebluteten Iran: In diesem Fall können die Sicherheitsinteressen der arabischen Golfstaaten schon einmal als vernachlässigbare Größe betrachtet werden.

Normalisierung Israel-Saudi-Arabien

Die Sicherheitsinteressen Saudi-Arabiens sind letztlich nicht nur deckungsgleich mit jenen Israels, sondern berühren auch direkt die vitalen Interessen Europas und der gesamten Region. Kritiker befürchten, dass mit einer möglichen atomaren Bewaffnung Saudi-Arabiens die Büchse der Pandora geöffnet wird, es könnte aber auch das Gegenteil der Fall sein.

Der Kalte Krieg hat gelehrt, dass trotz erheblicher Risiken ein Gleichgewicht des Schreckens oft mehr hilft, als devot zu kuschen und nur von Abrüstung zu parlieren. Ein politisch und wirtschaftlich stabiles und auf hohem Niveau wehrhaftes Saudi-Arabien liegt deswegen im Interesse derer, die an der Eindämmung der iranischen Hegemoniebestrebungen im Nahen Osten interessiert sind.

Die noch ausstehende offizielle Annäherung von Israel und Saudi-Arabien ist absehbar. Als letztes Hemmnis steht das Verhältnis Israels zu den Palästinensern im Weg. »Wir glauben, dass die Normalisierung im Interesse der Region liegt und allen erhebliche Vorteile bringen würde«, die jedoch, »ohne einen Weg zum Frieden für das palästinensische Volk zu finden«, limitiert blieben, sagte der saudische Außenminister Prinz Faisal bin Farhan im April.

Dass es diesbezügliche Lösungsansätze seitens Israel gibt, steht außer Frage, was aber fehlt, sind der politische Wille der Palästinensischen Autonomiebehörde, der Hisbollah und der Hamas. Ebenso fehlt eine klarere Positionierung der EU zu diesem Thema, die stets nur das Dogma einer Zweistaatenlösung propagiert, ohne nachhaltige Lösungsansätze dafür präsentieren zu können.

Zahlungen in Millionenhöhe an die Palästinensische Autonomiebehörde halten letztlich nur den Terrorismus gegenüber Israel am Laufen.

Kein Euro oder US-Dollar sollte in den Märtyrerfonds oder in Waffen und Prunkbauten der palästinensischen Eliten fließen, sondern in Infrastruktur, Bildung, Gesundheitswesen und Trinkwasser investiert werden. Das könnten die Geldgeber kontrollieren, sie tun es aber nicht.

Israel und Saudi-Arabien werden eine politische Lösung finden, auch wenn sich derzeit die Palästinensische Autonomiebehörde einschließlich aller militärischer Akteure noch querstellt. Die Vorschläge aus Israel zur endgültigen Lösung des Dauerkonflikts werden derzeit noch als visionär und unrealistisch abqualifiziert. Das ewige »Nein« durch die Palästinensische Autonomiebehörde muss aufhören, um einen wirklichen Konsens schaffen zu können.

Es ist an der Zeit, dass Deutschland und die EU ihr Verhältnis gegenüber Saudi-Arabien neu bewerten und die viel zu lange währende totale Ablehnung beenden, während sie den Iran hofieren und glauben, das Mullah-Regime könnte mit Verträgen pazifiziert werden. Mit der bevorstehenden Aufnahme Saudi-Arabiens in den Verband der BRICS-Staaten stehen die EU und die USA unter erheblichem Handlungsdruck. Wir sehen hier eine tektonische Verschiebung von Wirtschafts- und Finanzmacht und Einfluss von West nach Ost.

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