Bei all den technischen Fragen, die angesichts des Angriffs auf die saudischen Ölanlagen aufkommen, ist doch eines unumstritten: Hinter den Attacken steht der Iran.
Es ist die Stunde der Waffenexperten und Raketennerds, der Angriff auf die saudische Ölraffinerie hat scheinbar nur offene Fragen hinterlassen: War es eine „Schwarmattacke“ aus Raketen und Drohnen und aus welcher Himmelsrichtung kam der Angriff? Können es die jemenitischen Houthis gewesen sein, die sich sofort stolz zu dem Angriff bekannten, oder kamen die Flugkörper aus dem Irak? Haben die Raketen der Houthis mittlerweile eine Reichweite von über 1000 Kilometern? Und diese Treffgenauigkeit? Und inwieweit unterscheidet sich nun der angeblich aus jemenitischer Eigenproduktion stammende Marschflugkörper „Quds 1“ von der iranischen „Soumar“? Und wer könnte für die technischen Modifikationen verantwortlich sein?
Iranische Stellvertreterorganisationen
Bei allen Fragen ist aber doch eines bei ernstzunehmender Betrachtung unumstritten: Der Iran steht hinter dem Angriff auf die saudischen Ölanlagen. Dass die Iraner dabei von eigenem Boden aus agiert haben, ist wie bei allen anderen vorangegangenen Vorkommnissen sehr unwahrscheinlich. Für ein Szenario, wie es sich nun am Golf entfaltet, hat die islamische Republik schließlich ihre Filialmilizen aufgebaut.
Nach dem Vorbild der libanesischen Hisbollah ist die „Ansar Allah“ der Houthis entstanden, und im Irak führt der wesentliche Teil der Haschd-al-Schaabi-Milizen ein vom Iran kontrolliertes Eigenleben. Ein wesentlicher Bestandteil dieses iranischen Systems von Stellvertreterorganisationen ist ihre lokale und regionale Eingebundenheit. Das dürfte der wesentliche Grund für ihren Erfolg sein, es sind Organisationen mit einer durchaus eigenständigen Agenda vor Ort, nicht bloße Befehlsempfänger.
Über diese Stellvertreterorganisationen kann der iranische Machtapparat in Form der Revolutionsgarden mit großer Reichweite und gut gedeckt in der ganzen Region operieren. Der Ablauf der Vorfälle und Angriffe, mit denen die Islamische Republik ihre Machtpolitik betreibt, bleibt sich dabei gleich: Die Urheberschaft wird seitens Teherans abgestritten, gleichzeitig droht man, es könne noch schlimmer kommen. Die Intensität der iranischen Vorstöße wird dabei genau kalkuliert und erhöht – es ist ein ständiges Austesten, wie weit man gehen kann, ohne letztlich den einen großen Krieg auszulösen. So apokalyptisch gestimmt ist die Riege der alten, dreitagebärtigen Männer in den Führungsetagen der Islamischen Republik bei allem Warten auf den Mahdi nun auch wieder nicht; sonst gäbe man sich kaum so viel Mühe beim Pokern.
Wie aus dem Lehrbuch
Die Vorfälle am Golf in diesem Sommer sind wie ein Lehrbuchbeispiel dafür: Nach ominösen Minenangriffen auf Tanker, die mit geringer Beschädigung davonkommen, gehen beim nächsten Angriff Tanker in Flammen auf, dazwischen wird eine saudische Ölpipeline angeblich von den Houthis mit Drohnen angegriffen, mit dem Angriff auf die Ölanlagen in Abaqaiq ist nun die Eskalationsstufe erreicht, die sich sofort auf den Ölpreis und damit weltweit auswirkt. Und ein Kommandeur der Revolutionsgarden poltert dazu, man habe nicht nur alle US-Basen in der Region ständig im Rakatenvisier, sondern auch alle US-Schiffe. Die Hisbollah hat sowieso gerade ihre neue Anti-Schiffs-Rakete präsentiert. Die Botschaft ist klar: Wenn wir wollen, geht die Region in Flammen auf, und das wird man auf der ganzen Welt merken.
Das Spiel um Gewalt und Macht muss in zwei Kontexten gelesen werden, dem internationalen und einem regionalen: Einmal sind es natürlich die Sanktionen und der Vertrag um das iranische Atomprogramm, die hier verhandelt werden, zweitens geht es um die iranische Machtpolitik und ihre zwei Hauptgegner, Israel und Saudi Arabien.
Die Angriffe am Golf waren in dieser Hinsicht mit Liebe zum Detail gestaltet: Die Angriffe auf die Tanker fanden in den Gewässern der Emirate statt, denen so ihre Verwundbarkeit demonstriert wurde. Dies zu einer Zeit, in der zwischen den Emiraten und den Saudis bei ihrem gemeinsamen Krieg im Jemen die unterschiedliche Interessenlage offen eskaliert ist. Die Emirate haben seitdem so etwas wie versöhnliche Töne gegenüber Teheran ausgesendet und haben im Gegensatz zu den Saudis den Iran wegen der Tankerangriffe auf ihrem Territorium nicht explitzit angeklagt. Das iranische Machtspiel ist auch erfolgreich, weil es auf solche Nuancen in der Region achtet.
Gleichzeitig ist Saudi Arabien das Hauptziel der Angriffe – es kann aber nicht zurückschlagen. Nimmt man eine Interviewäußerung des saudischen Kornprinzen von 2017 zum Maßstab, dann wird deutlich, wie sehr die Saudis ins Hintertreffen geraten sind – und gedemütigt werden: Damals versprach der Kronprinz vollmundig, man werde nicht abwarten, bis Saudi Arabien selbst zum Schlachtfeld werde, der Kampf werde im Iran geführt werden. Nein, Saudi Arabien selbst ist längst zum Ziel geworden, und dass auch noch ohne Konsequenzen für Teheran.
Machtspiel in der Region
Solange jedenfalls der Bogen nicht überspannt wird, und die Amerikaner wirklich reagieren. Die Optionen der US-Administration sind allerdings beschränkt, den großen Krieg will man nicht, zumal der Befürworter eines harten Iran-Kurses, John Bolton, gerade als Sicherheitsberater entlassen worden ist. Der Tweet des amerikanischen Präsidenten, man stehe mit „geladener Waffe“ bereit, ist bei genauerem Hinsehen so verschlungen formuliert, dass er im Grunde das genaue Gegenteil bedeutet. Die offene Frage ist, ob es diesmal zu ernsthaften militärischen Konsequenzen für Teheran kommen wird. Wenn nicht, dann wird der nächste ominöse Angriff folgen, schließlich steht der Iran wiederum unter dem Druck der Sanktionen. Leere Drohungen sind hier eine direkte Ermunterung für weitere gefährliche Aktionen.
Ein weiterer Aspekt des Über-Bande-Spielens in der Region sind die offen ausgeweiteten israelischen Angriffe auf die iranische Militärinfrastruktur in Syrien und im Irak in den letzten Wochen. Der üblichen Machtlogik zufolge hätte Teheran beziehungsweise die Hisbollah wie mehrfach angekündigt entsprechend aufsehenerregend zurückschlagen müssen, das ist aber bis jetzt unterblieben. Die israelische Militärführung beherrscht das Machtspiel mit der Islamischen Republik auf ihre Art auch sehr erfolgreich.
Hier kann nun Teheran nicht so zurückschlagen, wie man es wohl gerne hätte. Die Eskalationsstufe in Saudi Arabien zu zünden, ist wohl auch eine Antwort hierauf. Wobei – wenn alles so läuft, wie es bisher gelaufen ist – die Jemeniten den direkten Preis zahlen werden, denn hier wiederum kann Saudi Arabien zuschlagen und die Houthis haben ja auch schon für das Zielfoto gewunken. Die irakischen PMF-Milizen von Teherans Gnaden haben übrigens gerade verkündet, eine eigene Luftwaffe aufbauen zu wollen. Dass sie demnächst mit eigenen Kampfflugzeugen den Himmel unsicher machen ist allerdings nicht anzunehmen – ein paar Drohnen und Raketen werden sich mit Hilfe der Revolutionsgarden aber schon finden.
Amazing — in a summit with two of Saudi Arabia’s archrivals in the region, Putin says Riyadh should buy Russia air defense to protect its infrastructure against any attacks. All while the Iranian foreign minister & president are giggling. pic.twitter.com/s2nP0HHeYr
— Hassan Hassan (@hxhassan) September 16, 2019