Der türkische Präsident ist ein islamistischer Ideologe, der zusehends als Führer der Achse der Muslimbruderschaft auftritt.
Israel Kasnett
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat große Ambitionen. Er will sein Land zu dem zurückführen, was er als die glorreichen Tage des Osmanischen Reiches ansieht. Aber der als „kämpferisch“ beschriebene Führer, der seit 2002 an der Spitze der Macht steht, scheint das Land auf den falschen Weg zu führen, indem er den Säkularismus unterdrückt, den radikalen Islam unterstützt, demokratische Reformen unterdrückt und einen aggressiven außenpolitischen Ansatz verfolgt, der darauf abzielt, die türkische Hegemonie in der Region durchzusetzen.
Während seine Popularität wegen des wirtschaftlichen Abschwungs sinkt, hat Erdoğan kürzlich mit Blick auf die konservative und religiöse Basis seiner Partei zwei Istanbuler Wahrzeichen, die als Museen fungierten – die Hagia Sophia und die Kirche des Heiligen Erlösers in Chora – in Moscheen umgewandelt, um seine islamistischen Muskeln spielen zu lassen. Und jetzt, wo sich seine Aufmerksamkeit auf Griechenland und Libyen richtet, scheint Erdoğan nach regionaler Dominanz zu streben. Die Frage ist, was das alles für Israel bedeutet.
Türkei als Führer der Muslimbruderschaft
Gallia Lindenstrauss, eine leitende Forschungsstipendiatin am Institute for National Security Studies (INSS), die sich auf die türkische Außenpolitik spezialisiert hat, sagte gegenüber JNS, dass Erdoğans Handeln von der „Transformation des internationalen Systems von einem unipolaren zu einem multipolaren System“ beeinflusst wird.
Die Erkenntnis, dass die Vereinigten Staaten planen, ihre Militärpräsenz im Nahen Osten deutlich zu reduzieren – diese Woche von US-Präsident Donald Trump angekündigt – und die Machtvakuen, die als eine der Folgen der arabischen Umwälzungen entstanden sind, „veranlassen mehrere Akteure, darunter die Türkei, in einer offensiveren Weise zu aufzutreten“, sagte sie. Lindenstrauss merkte an, dass das kriegerische Verhalten der Türkei auf der Wahrnehmung beruht, dass „im gegenwärtigen internationalen Kontext aggressives Handeln nicht notwendigerweise große Kosten gegenüber den Weltmächten verursacht, und daher wächst die Versuchung, das auch in die Tat umzusetzen.“
Angesichts der islamistischen Ausrichtung von Erdoğan und seiner engen Verbindungen zur Muslimbruderschaft, zu Katar und zur Hamas scheint diese Allianz für Israel gefährlich zu sein. Ist sie auch eine echte Bedrohung? „Nach dem Sturz von Mohammed Morsi [dem früheren ägyptischen Präsidenten] wurde die Türkei zum Führer der Achse der Muslimbruderschaft im Nahen Osten“, sagte Lindenstrauss. „Dies ist ein Grund zur Besorgnis in Israel, und es gibt jetzt ein größeres Bewusstsein für die militärischen Aktivitäten der Hamas auf türkischem Boden.“
„Ebenso besteht mittlerweile ein größeres Misstrauen gegenüber den türkischen Regierungsstellen und NGO-Aktivitäten in Israel und in den palästinensischen Gebieten, und Israel ist weniger offen für türkische Initiativen zur Unterstützung der Palästinenser“, erklärte Lindenstrauss und fuhr fort: „Die Tatsache, dass die Türkei als Führer der Achse der Muslimbruderschaft angesehen wird, ist in den Augen der pragmatischen sunnitischen Staaten, mit denen Israel kooperiert, ein noch größeres Problem.“
Lindenstrauss vermutet, dass einer der Gründe, warum Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate ein Normalisierungsabkommen ausgearbeitet haben, mit „den wachsenden Bedenken über die größere Rolle der Türkei in der Region“ zusammenhängt.
Verschmelzung von Nationalismus und Islamismus
Efraim Inbar, Präsident des Jerusalem Institute for Strategy and Security (JISS), sagte gegenüber JNS, dass der Islamist Erdoğan „keine große Liebe für Juden und für Israel hat“. Laut Inbar „glaubt Erdoğan, dass die Türkei ein großes Schicksal vor sich hat und eine Weltmacht sein sollte. Die Tatsache, dass die USA ihre Präsenz im Nahen Osten langsam verringern, trägt zu einer noch größeren Handlungsfreiheit der Türkei in regionalen Angelegenheiten bei”.
Er merkte an, dass Erdoğan nicht nur ein Führer mit islamistischer Ideologie ist, sondern auch ein realpolitischer Akteur. Die Türkei ist nun im Irak und in Syrien präsent und hat Militärbasen in Katar und in Somalia. Erdoğan versuchte auch, eine Basis im Sudan aufzubauen, und jetzt ist er in Libyen aktiv. Als Teil dieses neuen, offensiven türkischen Nationalismus stellt er die Grenze zu Griechenland in Frage und versucht im Wesentlichen, den Vertrag von Lausanne von 1923, der das Osmanische Reich offiziell beendete, rückgängig zu machen.
„Es gibt hier eine Verschmelzung von Nationalismus und Islamismus, eine Verschmelzung zwischen dem türkischen Nationalismus mit seinen Wurzeln im Islam, dem Kalifat und dem Osmanischen Reich“, führte Inbar aus. „Und es existiert ein klares Bündnis zwischen der Türkei und Katar, die beide die Muslimbruderschaft unterstützen.“ Darüber hinaus, so merkte er an, stellt die Türkei Hamas-Mitgliedern Pässe zur Verfügung, die ihnen eine größere Bewegungsfreiheit ermöglichen.
„Erdoğan ist ein sehr erfolgreicher Politiker, ein guter Redner und sehr charismatisch“, sagte Inbar. „Gegen Israel vorzugehen, verschafft ihm Stimmen und macht ihn in der muslimischen Welt, die er anführen will, beliebt, weswegen Israel eine so beliebte Zielscheibe für ihn ist. Bei all dem Säbelrasseln gegenüber Israel gehen die Geschäfte jedoch ganz normal weiter, da die meisten türkischen Exporte in die arabische Welt über den Hafen von Haifa verschifft werden.
„Erdoğan hat eine pragmatische Ader”, sagte Inbar, „weswegen er die diplomatischen Beziehungen zu Israel nicht völlig abgebrochen hat.“ Dennoch so mahnte er, müsse Israel müsse vorsichtig sein.