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Steht Israel vor einem Mehrfrontenkrieg?

Bei der Parade zum iranischen Tag der Armee, drohte Präsident Raisi Israel unlängst mal wieder mit Vernichtung
Bei der Parade zum iranischen Tag der Armee, drohte Präsident Raisi Israel unlängst mal wieder mit Vernichtung (© Imago Images / NurPhoto)

In 75 Jahren überstand Israel schon etliche Krisen und Kriege. Doch blickt Israel in Richtung Iran, ist das, was sich gegenwärtig zusammenbraut, zweifelsfrei von neuer Qualität.

Egal, wo Israelis den Blick hinrichten, dunkle Wolken scheinen den Horizont zu säumen. Tatsächlich ist das Wetter in Israel für die Jahreszeit ungewöhnlich regnerisch und kühl. Doch während sich das ganze Land über jeden Regentropfen freut, machen die Wolken, die sich am politischen und militärischen Horizont in jeder Himmelsrichtung verdichten, größte Sorgen.

Schon seit Jahren rechnet Israel damit, dass es während einer Eskalation gegenüber dem Gazastreifen auch zum Beschuss des israelischen Nordens kommen könnte. Die im Libanon agierende Hisbollah gilt als ein sehr viel stärkerer und noch besser gerüsteter Kontrahent als die im Gazastreifen herrschende Hamas. Eine militärische Konfrontation nicht nur an zwei Fronten, sondern zudem an einer Heimatfront mit Hunderttausenden Zivilisten, die wegen des völkerrechtswidrigen Raketenbeschusses durch die Hisbollah in das Geschehen involviert wären, brächte neue Szenarien und Herausforderungen.

Dass Israel nach Jahren der relativen Ruhe (seit dem Ende des zweiten Libanonkriegs 2006) Anfang April um die Zeit des Pessach-Fests nach Raketenangriffen aus dem Gazastreifen zudem aus dem Libanon unter Beschuss genommen wurde und wenig später auch auf dem israelischen Teil der Golanhöhen wegen Geschossen aus Syrien Alarm gegeben werden musste, ließ Israelis rund um die Festtagstische schlussfolgern: Da wittern nicht nur einige Feinde eine vermeintliche Schwäche Israels. Dahinter steckt ein Drahtzieher, der diese Kräfte koordiniert, nämlich das radikal-islamische Ayatollah-Regime im iranischen Teheran.

Inzwischen sind weitere Hintergründe der Ereignisse ans Tageslicht gekommen, die diese intuitive Annahme bestätigen und klar machen, dass neue Zeiten angebrochen scheinen.

Krieg zwischen den Kriegen

Seit rund einem Jahrzehnt führt Israel Luftangriffe auf syrischem Hoheitsgebiet aus. Verfolgt man die ausländische Medienberichterstattung, so wird selten deutlich, dass Israel versucht, punktuell militärische Einrichtungen unter Beschuss zu nehmen und dabei nicht nur syrische Stützpunkte, sondern vor allem iranische Einrichtungen ins Visier nimmt, die das Ayatollah-Regime seit 2011 in dem bürgerkriegsgeschüttelten Land etabliert hat und immer weiter ausbaut. 

Bereits 2022, aber erst recht seit Beginn dieses Jahres flog Israel immer mehr Angriffe. Dafür gibt es gute Gründe, welche die ausländische Berichterstattung zumeist ebenfalls nicht anführt. Der Iran, der seit einigen Monaten für alle Welt sichtbar auf dem diplomatischen Parkett aktiv ist und durch die Annäherung an sunnitisch-arabische Staaten den Eindruck erweckt, auf friedvollen Pfaden zu wandeln, setzt zugleich nicht weniger aktiv auf die Kriegskarte. 

Das zweifelsohne selbstbewusster gewordene iranische Regime ist vor diesem Hintergrund nicht nur auf syrischem Territorium immer emsiger tätig, sondern hat den seit Jahren über Syrien abgewickelten Waffenschmuggel an die Hisbollah im Libanon verstärkt. Nach dem Erdbeben, das sich Anfang Februar 2023 im türkisch-syrischen Grenzgebiet ereignet hatte, nutzte der Iran die humanitären Hilfsmaßnahmen als Deckmantel, um vermehrt Waffen in dieses Gebiet direkt vor der Haustür Israels zu schmuggeln.

Inzwischen haben Israels Nachrichtendienste die Bestätigung, dass ein Wandel eingesetzt hat: Die von der Hisbollah im israelischen Norden verursachten Terroraktivitäten gehen nicht ausschließlich auf das Konto dieser schiitisch-libanesischen Vereinigung, sondern sie und die sunnitisch-palästinensische Hamas ziehen inzwischen gemeinsam an einem Strang. Als Israel aus dem Libanon mit einigen Dutzend Raketen beschossen wurde, weiltegerade Hamas-Anführer Ismail Haniyeh im Zedernstaat. Nur wenig wurde in Folge des Besuchs bekannt, wie dass die beiden radikal-islamischen Vereinigungen nicht nur gemeinsame Sache machen, sondern ihre Pläne auch noch während eines Iftar-Mahls zum Ramadan-Fastenbrechen in der iranischen Botschaft in Beirut geschmiedet hatten.

Nicht außer Acht lassen darf man zudem, dass die Hamas-Führung eigentlich in Katar sitzt und dieses Land, selbst wenn es sich gerne anders darstellt, keine gemäßigte Linie verfolgt. Und auch hier vollzog der Iran nach einer fast zehnjährigen Phase der Distanzwahrung bereits 2022 eine Annäherung.

Zu dieser Verbrüderung, die an mehreren Fronten neue Konstellationen schafft, kommt die erfolgreich von der Hamas geschürte Propagandalüge hinzu, die Al-Aqsa-Moschee sei in Gefahr. Das führte während des Ramadans nicht nur zu Unruhen auf dem Jerusalemer Tempelberg, sondern brachte Israel zudem einen palästinensischen Terroranschlag nach dem anderen wie beispielsweise am Morgen des 18. April, auf den in diesem Jahr der israelische Gedenktag für Shoa-Opfer fiel. In Ost-Jerusalem feuerte ein 14-jähriger Palästinenser mit einer automatischen Waffe auf zwei Israelis, die verletzt davonkamen. 

Inzwischen ließ der israelische Inlandsgeheimdienst Shabak durchsickern, dass keineswegs nur die Hamas versuche, die Palästinenser des Westjordanlands durch die Verbreitung von vermeintlichen »zionistischen Verbrechen gegen Al-Aqsa« zu Terrorakten gegen Israel aufzuwiegeln, sondern auch hier der Iran die Finger im Spiel hat. Die nachrichtendienstliche Arbeit Israels in der Westbank zeigte, dass die Hisbollah Waffen dorthin zu schmuggeln versucht und sowohl die Hisbollah als auch der Iran Gelder an Personen transferieren, die zu Terrorakten bereit sind. 

Das erfolgt natürlich direkt unter der Nase der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), doch PA-Präsident Mahmoud Abbas, der zwar die Sicherheitskooperation mit Israel wiederaufgenommen hat, hat vor Ort nur noch sehr wenig zu vermelden, sodass die palästinensische Terrorgruppe »Höhle der Löwen« inzwischen Exekutionen von »Kollaborateuren« eigenhändig übernimmt (der erste derartige Zwischenfall seit 2005). Trotz dieser durchaus dramatischen Entwicklung trat Abbas kürzlich wie geplant eine Reise nach Saudi-Arabien an, um sich mit Kronprinz Mohammed bin Salman gutzustellen.

Warnung des Verteidigungsministers

Erst vor wenigen Tagen sprach Israels Verteidigungsminister Yoav Galant (Likud) aus, was vielen Menschen in Israel seit Wochen durch den Kopf geht: Das Land ist einem Krieg näher als dem Frieden. Solch ein Krieg wird in der nächsten Runde bedeuten, dass Raketen aus fast allen Himmelsrichtungen auf das Land abgeschossen und am Boden nicht nur an den Grenzen Truppenbewegungen stattfinden werden, sondern Israel zudem mit sehr viel mehr Terrorakten dies- und jenseits der Grünen Grenze zu rechnen hat.

Das Statement des Ende März von Premier Benjamin Netanjahu kurzzeitig gefeuerten und eine Weile später dann doch im Amt belassenen Galant war kurz und bündig: »Das Zeitalter der begrenzten Konflikte ist vorbei.« Er führte überdies aus, dass der Iran die treibende Kraft hinter dem neuen Phänomen der Zusammenführung von Kräften ist, die gegen Israel agieren. »Der Iran transferiert Ressourcen, Ideologie, Wissen und trainiert seine Handlanger.« 

Galants Feststellung bezieht sich auf den Gazastreifen, die Westbank, die libanesische Hisbollah und andere Milizen in der Region, die in einer bestens koordinierten Art und Weise vom Iran unterstützt werden und als dessen Stellvertreter agieren. Allein im vergangenen Jahr überwies der Iran rund 700 Millionen Euro an die Hisbollah; die Hamas im Gazastreifen erhielt laut Angaben der israelischen Geheimdienste 100 Millionen Euro, während an den im Gazastreifen agierenden Islamischen Dschihad weitere Dutzende von Millionen gingen. 

Auf diese Weise schafft der Iran, so führte Galant aus, Abhängigkeiten und letztlich die Möglichkeit, von Dritten verübte Angriffe auf Israel anzuordnen, ohne selbst allzu offen als Aggressor in Erscheinung treten zu müssen. Galant betonte, dass unter seiner Amtsführung die Zahl der israelischen Angriffe in Syrien verdoppelt wurde, Israel ein verstärktes Augenmerk auf die Fortschritte des iranischen Atomprogramms gerichtet hat und an jeder längst bestehenden Schattenkriegsfront »großformatig« gegensteuert.

Nicht nur Anti-Israel-Mission

Immer wieder hört man, dass der Iran eigentlich ganz gemäßigt mit den wenigen tausend noch im Land lebenden Juden umgehe, denn offiziell wird betont, dass man etwas gegen die »zionistische Entität«, aber nichts gegen Juden habe. Tatsächlich hält sich die jüdische Gemeinschaft im Iran irgendwie, aber dennoch ergeht es den geschätzten 8.500 bis 9.000 Angehörigen dieser als zweitgrößte jüdische Gemeinde des Nahen Ostens geltenden Gemeinschaft nicht gut.

Am Tag des Pessach-Fests zog der Iran nicht nur die Fäden bei dem Unternehmen, Israel mit Raketen zu bedenken, sondern setzte auch die jüdische Gemeinschaft des Landes, nunmehr vollkommen unverhohlen, unter Druck. Das Regime ließ die Gemeinschaft, deren Angehörige mehrheitlich in Teheran leben, wissen, lieber keine traditionellen Festlichkeiten zum Ausgang des Pessach-Fests auszurichten. Stattdessen seien alle iranischen Juden aufgerufen, an den jährlichen Anti-Israel-Demonstrationen zum Al-Quds-Tag teilzunehmen. Der in Teheran geborene Beni Sabti, der als Iran-Experte am Jerusalemer Institut für Strategie und Sicherheit arbeitet, meinte dazu: »Hier wird immer massiverer Druck ausgeübt. Wer sich den Demonstrationen anschließt, der weiß, dass er glimpflich davonkommt. Wer das nicht tut, lebt mit der Gewissheit, dass er in Gefahr schwebt.«

Doch nicht nur das Pessach-Fest 2023 veranschaulichte, dass das Ayatollah-Regime ungeniert nun auch immer aggressiver gegen die jüdische Gemeinschaft im eigenen Land vorgeht. Eingeschüchtert ist auch die Leitung der jüdischen Gemeinschaft. Sie war darauf bedacht, in Erinnerung zu rufen, an den Festtagen nicht wie sonst üblich mit der Familie in Parks zu gehen. Schon gar nicht solle man ein Picknick auspacken, denn damit würde man »muslimische Ramadan-Feinfühligkeit verletzen«. Nicht gesagt wurde, was jeder ohnehin weiß: Sich in einem Park Teherans oder anderswo im Land um diese Jahreszeit mit etwas Essbaren niederzulassen läuft darauf hinaus, festgenommen und ins Gefängnis gesteckt zu werden.

Sabti berichtete zudem, dass die Überraschungsvisiten der Revolutionsgarden in Synagogen immer häufiger werden. Längst gehe es nicht mehr darum zu kontrollieren, ob Juden in ihrem Gotteshaus über Israel reden, sondern vielmehr darum, sie weit darüber hinaus einzuschüchtern, weswegen sich auch viele Juden im Iran immer mehr in die Privatsphäre zurückziehen.

In Israel kursierten in letzter Zeit wieder einmal Vermutungen, das iranische Regime könnte die jüdische Gemeinschaft im Kriegsfall als »Trumpfkarte« ausspielen. Ein kürzlich in Israel weilender Gast, der auf dieses Thema angesprochen wurde, zog es vor, sich nicht dazu zu äußern. Das hinderte das Ayatollah-Regime allerdings nicht daran, gegen den in Rede stehenden Gast Reza Pahlavi, den Sohn des 1979 exilierten Schahs Mohammed Reza und somit letzten Kronprinzen des Irans, Gift und Galle zu spucken. 

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