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Der Kalte Krieg kehrt in den Nahen Osten zurück 

US-Außenminister Blinken im Nahen Osten: Konferenz der Anti-IS-Koalition im saudischen Dschidda
US-Außenminister Blinken im Nahen Osten: Konferenz der Anti-IS-Koalition im saudischen Dschidda (© Imago Images APAimages)

Saudi-Arabien spielt im Nahen Osten seine erneuerten Beziehungen zu Iran, China und Russland gegen die der Vereinigten Staaten aus. 

Sarah N. Stern

Vergangene Woche befand sich US-Außenminister Antony Blinken in Dschidda und traf dort mit dem saudischen Kronprinzen Mohammad bin Salman zusammen. Ein amerikanisches Angebot in der Höhe von 150 Millionen Dollar für die Gebiete im Irak und in Syrien, die gegen den Islamischen Staat gekämpft haben, hatte Blinken ebenfalls im Gepäck. Seine Reise nach Saudi-Arabien kann also als versöhnliche Geste der USA an jene Verbündeten betrachtet werden, die sie im gemeinsamen Kampf gegen den IS zusehends im Stich gelassen haben.

Jetzt, da andere Akteure die Saudis umwerben, haben die Amerikaner – etwas spät – erkannt, dass sie den Nahen Osten nicht völlig umgehen können, wenn sie sich internationalen Sicherheitsbedrohungen in anderen Regionen zuwenden, und dass alle die regionalen Feinde eng miteinander verflochten sind.

Saudi-Arabien dazu zu bringen, seine Beziehungen zu Israel zu normalisieren und dem Abraham-Abkommen beizutreten, ist keine einfache Aufgabe. Die Saudis sind ein stolzes Volk und waren zweifellos äußerst beleidigt, als Joe Biden unter Bezug auf die Ermordung des Washington Post-Journalisten Jamal Khashoggi auf seiner Wahlkampftour erklärte: »Wir werden ihnen nicht noch mehr Waffen verkaufen. Wir werden die Saudis zu dem Paria-Staat machen, der zu sein, sie verdienen«. Seitdem hat die US-Regierung diese Aussage deutlich zurückgenommen und Bin Salman Immunität vor Strafverfolgung gewährt.

Bereits vergangenen August reiste US-Präsident Biden nach einem besonders verheerenden Sommer, in dem die Gaspreise in den USA in die Höhe geschossen waren, in die Region, begrüßte Bin Salman herzlich und forderte die Saudis auf, ihre Gasproduktion zu erhöhen, damit der Preis auf dem Weltmarkt fällt. Die Saudis hingegen wollten nicht länger als Tankwarte der Golfregion angesehen werden und reagierten mit einer sofortigen Drosselung des Angebots.

Und aktuell kommt es zu einem Déjà-vu-Erlebnis: während die USA die Saudis gerade aufgefordert hat, mehr Öl zu fördern, und senken diese ihre Produktivität um eine Million Barrel pro Tag.

Kritik an Saudis, Schweigen zum Iran

Im September 2022 gab die Regierung Biden einen insbesondere für die Familien der Opfer der Anschläge vom 11. September 2001 lang erwarteten Bericht frei, aus dem hervorging, dass der saudische Diplomat Fahad al Thumairy »beauftragt« worden war, mit einem Kollegen, Omar al-Bayoumi, zusammenzuarbeiten, um die Flugzeugentführer zu unterstützen.

Saudi-Arabien, der Hüter der beiden Moscheen in Mekka und Medina, ist eine streng regierte, paternalistische Theokratie, gilt seit Langem als wichtigstes religiöses Zentrum für Muslime und ist die entscheidende Stimme in der OPEC. 

Die Saudis schätzen es nicht, wenn schmutzige Wäsche öffentlich gewaschen wird. Sie fühlen sich durch den Iran bedroht und haben den leichtfertigen Rückzug der USA aus Afghanistan, deren drastische Truppenreduzierung in Syrien, sowie die grundsätzliche Abkehr vom Nahen Osten und Hinwendung zu Asien ebenso zur Kenntnis genommen wie das vorsätzliche Ignorieren der ungeheuerlichen Menschenrechtssituation im Iran – wo abgesehen von einigen wenigen rhetorischen Bemerkungen Schweigen vonseiten der USA herrscht, was auf die (dennoch bislang vergeblich bleibenden) Bemühungen der USA zurückzuführen ist, das Atomabkommen von 2015 wiederzubeleben.

Nach Angaben des in Oslo ansässigen Zentrums für Menschenrechte im Iran (CHRI) wurden im Iran mehr als 20.000 Demonstranten verhaftet, über 200 Menschen wurden allein im Jahr 2023 gehängt und 500 Menschen auf offener Straße erschossen. Die Zahl der Hinrichtungen im Iran gehört zu den höchsten der Welt: im Jahr 2022 wurden 583 Menschen gehängt. In einem CHRI-Bericht vom 1. Juni heißt es, 720 Studenten und Professoren seien willkürlich festgenommen worden und iranische Universitäten spielten eine Vorreiterrolle bei der Verfolgung von Oppositionellen.

Natürlich sehen die Saudis all dies und fragen sich, warum es gegenüber dem Iran auf der einen und ihnen auf der anderen Seite eine selektive Ethik zu geben scheint. Sie waren auch zutiefst enttäuscht, als es im Mai 2019 einen Angriff der Huthis auf die saudischen Ölfelder gab und Amerika nichts unternahm.

Die Saudis blicken auch über den Persischen Golf in Richtung Iran und können dort ein im Entstehen begriffenes schiitisches Atomwaffenarsenal direkt vor ihrer Haustür sehen. Sie wissen, dass der Iran hochangereichertes Uran im Umfang von 60 Prozent hortet und dass es etwa zwölf Tage dauert, um auf den gefährlichen, weil waffentauglichen Wert von 90 Prozent zu kommen. Abgesehen von der im März von Peking ausgehandelten Vereinbarung zur Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen blicken sie auf sieben Jahrhunderte erbitterter Feindschaft mit ihrem schiitischen Rivalen zurück, und die jetzt wiederhergestellten Beziehungen sind immer noch etwas unsicher. Dennoch sind sich die Saudis im Klaren darüber, dass sie eine aufstrebende Regionalmacht sind.

Hoher Preis für USA

Amerika hat eine lange, solide Beziehung zu Saudi-Arabien, die auf den 14. Februar 1945 zurückgeht, als der alternde Präsident Franklin D. Roosevelt auf dem Zerstörer USS Quincy im Persischen Golf mit dem saudischen König Ibn Azziz al Saud zusammentraf, ging nicht zuletzt auf die US-Bedürfnisse nach einer Versorgung mit billigem Öl zurückging. Aktuelle aber wird diese langjährige Beziehung infrage gestellt.

Die USA sprechen zwar über eine »Normalisierung« mit Saudi-Arabien und die Einbeziehung des Landes in das Abraham-Abkommen, und solch ein Schritt wäre natürlich ideal. Die Saudis stellen jedoch drei ziemlich kostspielige Bedingungen:

  1. Eine förmliche Sicherheitszusage der Vereinigten Staaten, die eine Ratifizierung durch den Senat beinhalten könnte.
  2. Zugang zu den modernsten Waffensystemen der USA, einschließlich den F-35-Kampfflugzeugen.
  3. Amerikanische Unterstützung beim Bau von Kernkraftwerken.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Saudi-Arabien diese drei Bedingungen erfüllt werden, ist nicht sehr hoch. Auch deswegen spielen sie ihre erneuerten Beziehungen zum Iran, zu China und zu Russland gegen die der Vereinigten Staaten aus, um den Preis in die Höhe zu treiben. Zugleich erkennen sie, dass sie es nicht mehr mit einer unipolaren, sondern mit einer multipolaren Welt zu tun haben, in der zusehends Peking, Moskau und Teheran das Sagen haben, während die USA noch immer ihre Wunden aus den Kriegen im Irak und in Afghanistan lecken und sich auf dem Rückzug befinden. 

Wie Osama bin Laden schon sagte: »Wenn ich ein starkes und ein schwaches Pferd sehe, setze ich auf das starke Pferd.« Leider ist dieses starke Pferd nicht mehr Amerika. In der Wahrnehmung eines Großteils der Welt werden den USA ihre »Situationsethik« und Hybris, ihre scheinbar eklatante Doppelmoral und die mangelnde Zuverlässigkeit als Verbündete angekreidet.

Die Saudis fürchten sich noch immer vor der aufstrebenden schiitischen Macht auf der anderen Seite des Golfs und haben ihr »Portfolio diversifiziert«, was die Kraft des Irans, Chinas und Russlands gestärkt und eine neue Art von Kaltem Krieg in den Nahen Osten gebracht hat. Die USA scheinen – wenn vielleicht auch zu spät – aus all dem gelernt zu haben, dass sie dem Nahen Osten nicht den Rücken kehren können: denn damit stärken sie nur den kollektiven Rücken ihrer Feinde.

Sarah N. Stern ist Gründerin und Präsidentin des Endowment for Middle East Truth (EMET), einem Thinktank, das sich auf den Nahen Osten spezialisiert hat. Sie ist die Autorin des Buches »Saudi Arabia and the Global Islamic Terrorist Network: America and the West’s Fatal Embrace«. (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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