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Die Methode Omri Boehm (Teil 3): Unsichtbarmachen arabischer Akteure

Gedenktafel für die jüdischen Opfer des Mount-Scopus-Massakers im April 1948. Für Omri Boehm scheint es blutigen arabischen Terror nicht zu geben. (© imago images/ZUMA Wire)
Gedenktafel für die jüdischen Opfer des Mount-Scopus-Massakers im April 1948. Für Omri Boehm scheint es blutigen arabischen Terror nicht zu geben. (© imago images/ZUMA Wire)

In Omri Boehms Welt kommen Araber nicht als handelnde Akteure, sondern nur als Opfer angeblicher jüdischer Verbrechen vor. Damit stellt der die reale Geschichte auf den Kopf.

Man stelle sich Folgendes vor: Ein Autor veröffentlicht ein Buch über den Zweiten Weltkrieg und verschweigt darin, dass Deutschland den Krieg begonnen hat. Er verschweigt die erklärten deutschen Kriegsziele, die Offensiven der Wehrmacht, die deutschen Luftangriffe auf Warschau, Rotterdam und England, die massenhafte Ermordung von Juden durch Wehrmacht und SS. Er verschweigt die Massaker von Oradour, Lidice, Sant’Anna di Stazzema oder Kalavryta ebenso wie die endlos lange Liste sonstiger von den Deutschen begangenen Kriegsverbrechen, einschließlich der Versklavung und Ermordung von Kriegsgefangenen und Zivilisten.

Stattdessen redet er ausschließlich von den Taten der Alliierten: wie sie deutsche Städte bombardierten und anzündeten, Kriegsverbrechen an deutschen Gefangenen verübten, deutsche Wohnungen plünderten, Millionen Deutsche aus Ostpreußen, Schlesien, Hinterpommern und dem Sudetenland vertrieben und in Deutschland eine Besatzung errichteten. Diese Besatzung stellt der Autor dann womöglich noch als völkerrechtswidrig dar. Derartige Bücher existieren, sie werden seit Jahrzehnten in rechtsradikalen Verlagen verlegt und haben viele Leser, die dies für die wahre Geschichte des Zweiten Weltkriegs halten.

Eine ähnliche Form der Geschichtsklitterung und Schuldumkehr wird von Israelhassern seit Jahrzehnten im Hinblick auf den arabisch-israelischen Krieg von 1948 betrieben. Das Ziel: die Rollen von Angegriffenen und Angreifern zu vertauschen. Die Juden sollen als Täter erscheinen, der jüdische Staat als ein von Anfang an verbrecherisches, illegitimes Projekt. Die Entscheidung der arabischen Führer, den UN-Teilungsplan für Palästina abzulehnen und stattdessen einen Krieg gegen den neu gegründeten Staat Israel zu führen, um diesen zu vernichten, soll vergessen gemacht werden. Die Geschichtsschreibung wird in den Dienst der Anti-Israel-Ideologie gestellt, die Geschichte so umgeschrieben, dass sie zu einem Werkzeug für gegenwärtige Zwecke wird. Mit der Geschichte, wie sie sich wirklich ereignet hat, ginge das nicht, weil Israel in ihr das Opfer war, nicht der Aggressor. „Während der ersten vierzehn Tage im Leben des neugeborenen Staates“ Israel, schrieb der Augenzeuge Arthur Koestler 1949,

„sah es so aus, als müsste er das Schicksal der kleinen Kinder unter Herodes teilen, deren zarte Körper dem Schwert zum Opfer fielen. Der 15. Mai, das Datum der offiziellen Beendigung des britischen Mandats, war der verabredete Tag X, an dem die Armeen von fünf souveränen arabischen Staaten von Norden, Osten und Süden in Palästina einmarschierten. Es schien, als wären die Tage des neuen Staates gezählt und eine schnelle Kapitulation die einzige Chance der Juden, einem großen Blutvergießen zu entgehen. Entgegen allen Erwartungen behaupteten sich die Männer der Haganah.“

Diese historische Tatsache wollen die Israelhasser auslöschen und an ihre Stelle ihre eigene, fiktionale Geschichte rücken, ein stets gleiches Propagandanarrativ, das der israelische Historiker Benny Morris vor einigen Jahren prägnant zusammenfasste:

„Die Juden vertrieben die Araber aus ihren Orten und fuhren damit auch in den Nachkriegsjahren fort. Was stattfand, war nicht ein Konflikt zwischen zwei nationalen Bewegungen, die beide legitime Ansprüche hatten. Genau genommen war es nicht wirklich ein Krieg. Es gab lediglich Vertreibungen und sonst nichts.“

In seinem Buch Israel – eine Utopie bietet Omri Boehm den x-ten Aufguss dieser Geschichtsklitterung. In seiner Version des israelischen Unabhängigkeitskriegs gibt es keine Konfliktparteien, keine arabischen Armeen, keine Massaker an Juden, keine Gefechte. Stattdessen ist der Krieg einfach „ausgebrochen“ – man weiß nicht, wie und warum – und er bestand nur in einer Abfolge von Verbrechen, die die Juden angeblich an den Arabern verübt hätten, inklusive der „Nakba“, die Boehm als die „Vertreibung von Palästinensern im Zuge der israelischen Staatsgründung“ definiert. Die israelische Staatsgründung ist also für ihn die Ursache der Malaise – und nicht das schlechte Urteilsvermögen der arabischen Führer, die statt des UN-Teilungsplans den Krieg wählten, weil sie hofften, auf diese Weise das ganze Palästina für sich selbst zu bekommen.

Boehm, das sollte man an dieser Stelle vielleicht erwähnen, lebt in einem Paralleluniversum, wo man Israel als einen „der Kritik enthobenen Staat behandel[t]“, ja: wo „der jüdische Staat der Sphäre rationaler, universalistischer Kritik enthoben“ ist. „Deutsche Intellektuelle“ spüren dort, wann immer sie „zu Israel Stellung beziehen sollen“, nicht etwa einen Endorphinrausch, sondern vielmehr ein „Unbehagen“. Diese Unpässlichkeit hat mittlerweile sogar zu einer „Weigerung“ geführt, „offen über Israel zu sprechen“, und es gibt dort Deutsche, die „Israel aus Verantwortung für die deutsche Vergangenheit nicht kritisieren“ wollen. Unglaubliche, fantastische Zustände.

Krieg mit nur einer Kriegspartei?

Zu einem Krieg gehören mindestens zwei Kriegsparteien, doch bei Boehm gibt es nur eine, die Juden. Die palästinensischen Araber sind für ihn ausschließlich Opfer, und die angreifenden arabischen Armeen kommen praktischerweise gar nicht erst vor. Wenn jemand nicht weiß, dass Ägypten, Syrien, Transjordanien, der Libanon und der Irak gleich nach der israelischen Unabhängigkeitserklärung den neugegründeten Staat Israel angegriffen haben, mit dem erklärten Ziel, ihn zu vernichten, wird er es von Boehm nicht erfahren. Über die zahlreichen von arabischen Armeen und Milizen verübten Gräueltaten an Juden – etwa das Krankenwagenkonvoymassaker am Mount Scopus in Jerusalem am 13. April 1948, das Massaker von Kfar Etzion am 13. Mai 1948 oder das Massaker in der Ölraffinerie von Haifa, hüllt Boehm den Mantel des Schweigens.

Den UN-Teilungsplan von 1947 erwähnt Boehm einmal im Vorbeigehen, an einer Stelle, wo es darum geht, dass der spätere israelische Ministerpräsident Menachem Begin damals noch „jeden territorialen Kompromiss“ „abgelehnt“ habe, während Ben-Gurion „bekanntlich den Teilungsplan der UN für Palästina feierte“. Dass dieser nicht umgesetzt wurde, weil die arabischen Staaten und das von Amin el-Husseini geführte Arab Higher Committee (AHC) – das eine arabische Regierung für ganz Palästina sein sollte – jegliche Koexistenz mit den Juden ablehnten, sagt Boehm nicht. Nirgendwo erwähnt er, dass der Krieg von 1948 von der Arabischen Liga jahrelang geplant worden war:

  • Am 9. Juni 1946 beriet sie bei ihrer Konferenz in Bludan, Syrien, über eine bewaffnete Intervention in Palästina.
  • Am 16. September 1947 sprach sich das Politische Komitee der Arabischen Liga bei einer Konferenz in Sofar, Libanon, dafür aus, die Araber in Palästina mit Geld und Waffen zu unterstützen.
  • Am 12. Dezember 1947 beschloss die Arabische Liga bei ihrem Treffen in Kairo die Bewaffnung von 3.000 arabischen „Freiwilligen“ und deren Transfer über Syrien nach Palästina. Dabei handelte es sich zum großen Teil um syrische Söldner, die für das Vichy-Regime gekämpft hatten, dazu einige frühere SS-Soldaten aus Europa und spanische Falangisten. Diese „Arabische Befreiungsarmee“ wuchs bis zum Frühjahr 1948 auf 7.000 Kämpfer an. Ihr Emblem: ein arabischer Krummdolch (Handschar), der einen Davidstern ersticht.

Azzam Pasha, der Generalsekretär der Arabischen Liga, kündigte 1947 an, der Krieg der arabischen Staaten gegen die Juden Palästinas werdeein Vernichtungskrieg und ein folgenschweres Massaker“, über das nachfolgende Generationen „wie über die Massaker der Mongolen und die Kreuzzüge sprechen“ würden.

Noch vor der arabischen Invasion verübte die Arabische Befreiungsarmee ab Januar 1948 zahlreiche Überfälle auf jüdische Ortschaften und Kibbuzim. Es gelang ihnen zudem, die wichtigen Straßen des Landes unter ihre Kontrolle zu bringen. Jerusalem und die jüdischen Ortschaften waren Anfang 1948 von der Außenwelt abgeschnitten. Innerhalb Jerusalems war wiederum das jüdische Viertel völlig isoliert. Nachdem die jordanische Armee (Arabische Legion) das jüdische Viertel am 27. Mai erobert hatte, wurden alle Juden vertrieben und die Synagogen gesprengt, unter ihnen die berühmte Hurva-Synagoge. Der jüdische Friedhof auf dem Ölberg wurde geschändet, Grabsteine weggeschafft und als Baumaterial missbraucht.

Wie die jordanische Armee das jüdische Viertel Jerusalems und Kfar-Etzion auslöschte, lieferte eine böse Vorahnung auf das, was die Arabische Liga im Rest Palästinas geplant hatte und in die Tat umgesetzt hätte, wäre sie siegreich gewesen.

Omri Boehm erzählt eine völlig andere Geschichte. „Obwohl während des israelischen Unabhängigkeitskriegs rund siebenhunderttausend Palästinenser gewaltsam vertrieben“ worden seien, behauptet er etwa, habe „die israelische Gesellschaft die Bedeutung ihrer eigenen Geschichte erfolgreich verdrängt.“ Boehm spricht von der „gewaltsame[n] massenhafte[n] Vertreibung von Palästinensern im israelischen Unabhängigkeitskrieg“ und davon, dass „in der Vorstellung der israelischen Bevölkerung“ „Hunderttausende Palästinenser auf wundersame Weise einfach aus ihren Häusern [verschwanden], nachdem der Unabhängigkeitskrieg ausgebrochen war.“ Der Unabhängigkeitskrieg ist also ausgebrochen, und die Opfer waren „Hunderttausende Palästinenser“. So, wie Boehm arabische Akteure verschwinden lässt, so auch jüdische Opfer. Zur jüdischen Opferbilanz des arabischen Angriffs gehören über sechstausend Tote, Tausende Schwerverletzte und Verstümmelte, die Zerstörung von Kfar Etzion, die Vertreibung der Juden aus der Jerusalemer Altstadt, aus Judäa und Samaria sowie die gleichzeitige Vertreibung Hunderttausender Juden aus arabischen Ländern und die Beschlagnahmung von deren Häusern und Besitztümern. Nichts davon erfährt der Leser in der Version der Geschichte des Krieges, die Boehm erzählt.

Araber sind für Boehm keine Akteure

Seine Geschichtsklitterung besteht indessen nicht nur darin, dass er den arabischen Überfall auf Israel und die von arabischen Armeen und Milizen verübten Massaker verschweigt – er geht noch viel weiter: Von jeglichem Handeln arabischer Regierungen und der Arabischen Liga erfährt der Leser nichts, ebenso wenig wie von der Existenz der arabischen Armeen und Milizen und dem von Amin el-Husseini geführten Arabischen Hochkomitee. Araber als Handelnde, als Akteure, die Absichten verfolgen und dazu Mittel wählen, kommen bei Boehm schlicht nicht vor. Sie handeln bei ihm nicht, sie erleiden nur und werden, kaum dass der Staat Israel ausgerufen ist, aus heiterem Himmel zu Flüchtlingen. Wann immer Boehm Araber erwähnt, sind sie passive, wehrlose und unschuldige Opfer. Arabische Soldaten und Milizionäre scheint es gar nicht gegeben zu haben, und damit eigentlich auch keinen wirklichen Krieg.

Dadurch, dass Boehm arabische Akteure verschwinden lässt, braucht er sich mit ihren Taten nicht auseinanderzusetzen, und die Verantwortung für alles, was während des Krieges und danach passiert ist, liegt automatisch bei den Juden. Deren Handeln muss dem Leser als eine irrationale und unprovozierte Aggression erscheinen. Warum haben sie sich eigentlich bewaffnet und Milizen gebildet? Da Boehm von keinem arabischen Angriff berichtet, kann es ja keine Selbstverteidigung gewesen sein. Boehm liefert folglich eine andere Erklärung: Das „düstere Geheimnis“ des Zionismus sei, dass die Juden schon vor dem Krieg „gewaltsame Massenvertreibungen von Palästinensern“ geplant gehabt hätten, diese seien „Teil des Kriegsgrunds“ gewesen. Boehm ist also mit dem Umschreiben der Geschichte schon so weit vorangekommen, dass Israel seiner Meinung nach den Krieg begonnen hat, denn einen Kriegsgrund macht ja nur ein Angreifer geltend, nicht der Angegriffene. Wie die Juden es geschafft haben, die arabischen Regierungen davon zu überzeugen, sie doch bitte in der Nacht zum 15. Mai 1948 anzugreifen, damit es für die Welt so aussieht, als wären sie die Angreifer, das wird wohl für immer ein düsteres Geheimnis des Zionismus bleiben.

Literatur:

Omri Boehm: Israel – eine Utopie, Berlin 2020.
Arthur Koestler: Mit dem Rücken zur Wand. Israel im Sommer 1948. Ein Augenzeugenbericht, Coesfeld 2020.

In der Reihe erschienen:

Die Methode Omri Boehm (Teil 1): Juden als Täter
Die Methode Omri Boehm (Teil 2): Geschichtsklitterung
Die Methode Omri Boehm (Teil 3): Unsichtbarmachen arabischer Akteure
Die Methode Omri Boehm (Teil 4): Haifa 1948 und die Vertreibung der Araber, die es nicht gab
Die Methode Omri Boehm (Teil 5): Auslassen von Zusammenhängen, am Beispiel der Schlacht von Lydda 1948
Die Methode Omri Boehm (Teil 6): Die Erfindung eines Vertreibungsplans
Die Methode Omri Boehm (Teil 7): Feldzug gegen das Holocaust-Gedenken
Die Methode Omri Boehm (Teil 8): Yad Vashem als Schaltzentrale des Bösen
Die Methode Omri Boehm (Teil 9): Das Holocaust-Gedenken »mit der Wurzel ausreißen«
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