Die Methode Omri Boehm (Teil 6): Die Erfindung eines Vertreibungsplans

An ihm konnte Omri Boehm bei seiner Umschreibung der Geschichte nicht vorbei: Israels Staatsgründer David Ben-Gurion. (© imago imags/Sven Simon)
An ihm konnte Omri Boehm bei seiner Umschreibung der Geschichte nicht vorbei: Israels Staatsgründer David Ben-Gurion. (© imago imags/Sven Simon)

Der rote Faden in Omri Boehms Buch Israel – eine Utopie ist die Behauptung, dass die Zionisten immer schon die Araber aus Palästina vertreiben hätten wollen.

Um das zu „belegen“, verfälscht Boehm einen Tagebucheintrag Theodor Herzls und unterstellt dem Historiker Benzion Netanjahu (1910-2012) wahrheitswidrig, ein „begeisterter Verfechter einer palästinensischen Umsiedlung“ gewesen zu sein. Zudem behauptet Boehm entgegen allen historischen Quellen, die Araber Haifas seien im April 1948 von den Juden aus der Stadt vertrieben worden.

Auftritt Ben-Gurion

Jemand, der noch in der Geschichte Israels nach Boehm vorkommen muss, ist David Ben-Gurion (1886-1973), der ab 1935 Vorsitzender der Jewish Agency war und später erster Ministerpräsident des Staates Israel wurde. Ben-Gurion sei für eine „Zwangsumsiedlung“ der Araber gewesen, an der er „nichts Unmoralisches“ gefunden habe, behauptet Boehm. Ben-Gurions Politik sei es angeblich gewesen, eine „Vertreibung der Palästinenser“ „einzukalkulieren“, „aber genügend Spielraum [zu] lassen, damit Israelis, Europäer und Amerikaner sie abstreiten können“. „Umsiedlungsfantasien“ hätten „in der zionistischen Geschichte“ „lange latent“ existiert, so Boehm:

„Ben-Gurion schrieb während des Ersten Weltkriegs, wahrscheinlich aufrichtig, es sei nicht ‚unsere Absicht, die Araber zu verjagen, zu enteignen und ihr Land zu übernehmen’. Der Ton änderte sich fast augenblicklich, als die Peel-Kommission vorschlug, dass sich Großbritannien von Palästina trennen und die Palästinenser aus einigen für Juden bestimmten Gegenden umsiedeln sollte. Von diesem Moment an wird Ben-Gurions Position in der Frage der – erzwungenen, nicht freiwilligen – Umsiedlung unzweideutig.“

Die Peel Commission war eine von der britischen Regierung im August 1936 eingesetzte Kommission, die die Ursachen der antijüdischen Pogrome in Palästina („Arabischer Volksaufstand“) untersuchen und Vorschläge zur Verbesserung des arabisch-jüdischen Verhältnisses machen sollte. Sie schlug eine Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat vor. Da gemäß ihrem Teilungsplan 225.000 Araber in dem vorgeschlagenen jüdischen Staat und 1,250 Juden in dem vorgeschlagenen arabischen Staat leben würden, schlug die Kommission außerdem vor, dass es „früher oder später einen Transfer von Land und, soweit möglich, einen Transfer von Bevölkerung geben“ solle.

Der ausdrückliche Zweck dieser Idee war, jene Spannungen zu vermeiden, die bei einem Zusammenleben von Arabern und Juden unausweichlich sein würden, wie die Geschichte in Palästina seit 1920 gezeigt hatte. Es war ja eben diese vom Mufti Amin el-Husseini geschürte Gewalt gewesen, die Welle von Pogromen in Städten wie Jaffa, Jerusalem, Hebron, Safed und Tiberias, die überhaupt zur Einsetzung von immer neuen königlichen Kommissionen geführt hatte, von denen die Peel-Kommission nur eine war.

Historiker: „Es war eine britische Kommission, die den Rahmen vorgab“

„Sie dachten daran, arabische Bürger des jüdischen Staates zu nehmen und sie in den arabischen Staat umzusiedeln und umgekehrt“, erklärt Adi Portughies, der Leiter des Ben-Gurion-Archivs an der Ben-Gurion-Universität des Negev, im Zoom-Gespräch mit Mena-Watch. „Das, worüber Ben-Gurion also sprach, war nicht außerhalb eines Zusammenhangs, es war etwas, womit sich die Kommission und die jüdische Führung befassten.“ Die Araber hätten weder etwas von einem Bevölkerungstausch noch von einem jüdischen Staat hören wollen, doch habe es eine Debatte um die Frage gegeben, ob das machbar sei, so der Historiker:

„Nicht in dem Zusammenhang: ‚Lasst uns sie loswerden!’, sondern in dem Zusammenhang von: ‚Wir sind nun an dem Punkt angelangt, wo wir einen jüdischen und einen arabischen Staat gründen können, lasst uns darüber nachdenken, Bevölkerungen zu tauschen.’“

Dies sei der Zusammenhang. „Man muss sich daran erinnern, dass die Frage der Teilung eine war, mit der der Vorstand [der Jewish Agency; S.F.] konfrontiert war: Das Land in zwei Staaten aufzuteilen, jeder Staat wird einer Nation zugeteilt, einem jüdischen Staat und einem arabischen Staat.“ Teil des Plans war es, Menschen von einem Ort zum anderen zu bringen. „Es war eine britische Kommission, die den Rahmen vorgab, und es war an den [jüdischen] Führern, darüber zu diskutieren“, so Portughies.

Boehm verweist in seinem Buch auf einen Eintrag aus Ben-Gurions Tagebuch von Juli 1938, der, so Boehm, „unzweideutig“ sei. Boehm zitiert Ben-Gurion:

„Die Zwangsumsiedlung der Araber aus den Tälern des vorgeschlagenen jüdischen Staates könnte uns zu etwas verhelfen, was wir nie hatten […] Uns wird eine Gelegenheit geboten, von der wir in unseren kühnsten Fantasien nicht zu träumen wagten. Wir müssen diese Schlussfolgerung [also die Empfehlung der Peel-Kommission] beim Schopf packen, wie wir die Balfour-Deklaration beim Schopf gepackt haben, ja mehr noch – wie wir den Zionismus beim Schopf gepackt haben.“

Das Zitat geht bei Boehm noch über eine halbe Buchseite weiter – aber mit sinnverändernden Auslassungen. Ein Satz, den Boehm beim Zitieren weglässt, ist der, der sich unmittelbar an das obige Zitat anschließt. Er lautet:

„Wir sollten auf diesem Schluss mit aller unser Kraft, unserem Willen und unserem Glauben bestehen, weil unter allen Schlussfolgerungen der Kommission diese diejenige ist, die etwas Entschädigung für das Wegreißen des restlichen Lands bietet.“

Es ist nicht schwer zu sehen, warum Boehm diesen Satz lieber nicht zitiert: ist er doch eine Erinnerung daran, dass die Juden sich gemäß dem Peel-Plan mit einem winzigen Teil des Mandatsgebiets Palästinas hätten abfinden müssen. Großbritannien hatte 1921 bereits den größten Teil des Mandatsgebiets Palästina – nämlich den östlich des Jordan gelegenen – abgespalten. Das waren 90.000 Quadratkilometer, die für jüdische Besiedlung nicht mehr in Frage kamen.

Der Vorschlag der Peel-Kommission sah vor, dass der jüdische Staat weniger als 20 Prozent der Fläche des verbleibenden Restpalästina westlich des Jordan bekommen sollte. 5.000 Quadratkilometer – etwa 4,5 Prozent des ursprünglichen Mandatsgebiets von 1920. Eine Fläche doppelt so groß wie Luxemburg sollte als nationale Heimstätte für die damals weltweit rund 19 Millionen Juden ausreichen. Ein Sechstel des westlich des Jordan gelegenen Mandatsgebiets Palästina – aus Sicht von Ben-Gurion war das besser als nichts. Darin, dass Ben-Gurion bereit war, über dieses Angebot nachzudenken, sieht Boehm keinen Beleg für dessen Kompromissbereitschaft, sondern attestiert ihm „Umsiedlungsfantasien“.

Suche mit dem Mikroskop

Man muss Boehm zugutehalten, dass er erwähnt, dass der Vorschlag eines Bevölkerungstauschs von der britischen Peel-Kommission kam. Dann aber wiederum stellt er es so dar, als hätte Ben-Gurion ja bloß auf eine solche Gelegenheit gewartet:

„Unabhängig von der strategischen Zielsetzung wusste Ben-Gurion sehr wohl, dass ein jüdischer Staat inmitten einer arabischen Mehrheit keinen Bestand haben konnte […]“

Das Mittel, eine jüdische Mehrheit herzustellen, war aber für Ben-Gurion jüdische Einwanderung – und nicht eine Vertreibung der Araber. Ben-Gurion war mehr als ein halbes Jahrhundert lang politisch aktiv und hat Tausende von Seiten mit Reden, Tagebüchern, Briefen und Notizen hinterlassen. Aus diesen zitiert Boehm ausschließlich jene wenigen Sätze, in denen es um Bevölkerungstransfer geht, um den falschen Eindruck zu erzeugen, diese Idee habe Ben-Gurions politisches Denken und Wirken geprägt. Die vielen Verlautbarungen, in denen sich Ben-Gurion für Koexistenz und Zusammenarbeit aussprach, zitiert Boehm nicht. Etwa die folgende Ansprache an eine Versammlung seiner Arbeiterpartei (Mapai), die Ben-Gurion Ende 1947 hielt, als sich die Gründung eines jüdischen Staates abzeichnete:

„In unserem Staat wird es auch Nichtjuden geben – und alle werden gleichgestellte Bürger sein; gleichgestellt in allem, ohne Ausnahme. Das heißt: Der Staat wird auch ihr Staat sein. … Die Haltung des jüdischen Staates zu seinen arabischen Bürgern wird ein wichtiger Faktor sein – wenn auch nicht der einzige –, beim Bau gutnachbarschaftlicher Beziehungen zu den arabischen Staaten.

Wenn der arabische Bürger sich in unserem Staat heimisch fühlt und sein Status sich nicht im geringsten von dem des Juden unterscheidet und vielleicht besser ist als der Status, den der Araber in einem arabischen Staat hat, und wenn der Staat ihm auf wahrhaftige und hingebungsvolle Weise hilft, den ökonomischen, sozialen und kulturellen Stand der jüdischen Gemeinschaft zu erreichen, dann wird das Misstrauen der Araber in der Folge nachlassen, und eine Brücke zu einer semitischen, jüdisch-arabischen Allianz wird gebaut. …

Das Streben nach einer jüdisch-arabischen Allianz erfordert von uns die Erfüllung mehrerer Verpflichtungen, denen wir in jedem Fall verpflichtet sind: volle und tatsächliche Gleichberechtigung aller Staatsbürger, de jure und de facto; allmähliche Angleichung des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebensstandards der arabischen Gemeinschaft; Anerkennung der arabischen Sprache als Sprache der arabischen Bürger in der Verwaltung, den Gerichten und vor allem in den Schulen; kommunale Autonomie in Dörfern und Städten etc.“

Boehm ignoriert solche Äußerungen, sucht lieber mit dem Mikroskop nach Zitaten, die seine Thesen zu belegen scheinen. Mehrere von Boehm angeführte Zitate zum Thema Umsiedlung stammen aus dem Jahr 1944. In einem davon spricht Ben-Gurion während einer Sitzung des Exekutivkomitees der Jewish Agency:

„Würde ich gefragt, was unser Plan ist, würde ich im Traum nicht sagen ‚Umsiedlung’ … Dieses Gerede kann uns auf zweierlei Weise zum Nachteil gereichen. (a) Es kann uns in der öffentlichen Meinung schaden, weil es den Eindruck erwecken kann, es gebe keinen Platz [für mehr Juden] in Eretz Israel, ohne die Araber loszuwerden […] Der zweite Schaden besteht darin, dass eine solche Ankündigung die Araber dazu bringen wird, sich auf die Hinterfüße zu stellen.“

Boehm interpretiert dies so, als sei Ben-Gurion insgeheim für eine „Zwangsumsiedlung“ gewesen, habe das aber nicht öffentlich zugeben wollen. Boehm nennt dies „strategische Zweideutigkeit“. Boehm besitzt leider nicht die Freundlichkeit, dem Leser mitzuteilen, dass Ben-Gurions Äußerung eine Reaktion (!) auf einen britischen Vorschlag war. Der Vorstand der britischen Labour-Partei hatte im April 1944 eine Resolution angenommen, die im Rahmen einer Nahostfriedenslösung eine massenhafte Einwanderung von Juden nach Palästina und eine Umsiedlung der Araber aus Palästina forderte. Aus „humanitären Gründen“ und um eine „stabile Einigung“ zu erzielen, solle es einen „Bevölkerungstransfer“ geben. Der Labour-Vorschlag:

„Ermuntert die Araber, auszuziehen, während die Juden einziehen. Entschädigt sie hübsch für ihr Land, organisiert ihre Siedlungen anderswo sorgfältig und finanziert sie großzügig.“

Auf diesen sicherlich naiven Vorschlag musste die Jewish Agency reagieren. Sie hätte ihn nicht einfach ignorieren können, selbst wenn sie gewollt hätte. Ben-Gurion diskutierte also mit anderen darüber, was man antworten sollte und in welchem Wortlaut. Boehm erwähnt die Labour-Resolution mit keinem Wort. So erweckt er beim Leser den völlig falschen Eindruck, Ben-Gurion habe sich – mal wieder! – seinen angeblichen „Umsiedlungsfantasien“ hingegeben. Boehms Darstellung, dass Bevölkerungstransfer ein Thema gewesen sei, das Ben-Gurion umgetrieben habe, ist irreführend. Er tat es, wenn er musste, weil eine politische Instanz in Großbritannien – im einen Fall die königliche Kommission, im anderen die Führung der Labour Party – das Thema auf den Tisch gebracht hatte. In seinem Standardwerk über die Geschichte der Teilungspläne schreibt der israelische Historiker Itzhak Galnoor:

„Transfer als eine konkrete politische Möglichkeit ging nie über die Grenzen des Berichts der königlichen [Peel-]Kommission von 1937 hinaus – dort wurde er geboren und beerdigt. Im Teilungsplan der Vereinten Nationen von 1947 wurde er nicht einmal erwähnt. Wäre ein Transfer nicht im Bericht der Peel-Kommission enthalten gewesen, wäre er nie auf die politische Agenda der zionistischen Bewegung gelangt, auch, wenn die Idee selbst in der Vergangenheit erwähnt worden war. Als die Kommission die Möglichkeit eines Transfers vorschlug, wurde die Angelegenheit eine Minidebatte innerhalb der größeren Debatte über Teilung.“

Eine Minidebatte also – nicht das, was Boehm seine Leser glauben machen will.

Plan D: Masterplan zur Vertreibung?

Boehm verbindet diese Debatten aus dem Sommer 1938 und dem Sommer 1944 mit einem angeblichen Plan zur Vertreibung der Araber, dessen Umsetzung Ben-Gurion im April 1948 – also während des palästinensischen Bürgerkriegs, kurz vor der arabischen Invasion – befohlen haben soll. Die Rede ist von „Plan D“. Boehm schreibt:

„Die Haganah, jene paramilitärische Truppe, aus der die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) hervorgingen, setzte … ihren berüchtigten ‚Plan Dalet’ um, der den Befehl einschloss, nach Ermessen der Kommandeure vor Ort arabische Dörfer zu ‚erobern’, zu säubern oder zu ‚zerstören’.“

Ich bitte Adi Portughies darum, den Plan D („Dalet“ ist das „D“ im Hebräischen Alphabet) zu erklären. „Es ging überhaupt nicht um einen Bevölkerungstransfer“, sagt er. Die Lage der jüdischen Gemeinde in Palästina habe sich im Frühjahr 1948 so dargestellt:

„Bis März 1948 war sie belagert, passiv, in der Defensive und unternahm keine offensiven oder militärischen Schritte für einen Staat. Im März 1948 war die Lage so düster, dass US-Außenminister George Marshall an Präsident Truman schrieb, der Plan eines jüdischen Staates müsse aufgegeben werden.“

Zudem wurde Jerusalem belagert.

„Das bedeutete: Hunger, Unterernährung. Die humanitäre Lage der Juden in Jerusalem war schrecklich. Es gab keine Möglichkeit, Lebensmittel in die Stadt zu bringen, geschweige denn in den nördlichen Teil von Galiläa oder in den Kibbuz Kabri im westlichen Teil Galiläas. Oder nach Gush Etzion, der jüdischen Siedlung südöstlich von Jerusalem.“

Alle abgelegenen Orte wurden von arabischen Milizen belagert. Dann kam die dritte Märzwoche. „Das war die Woche, an die wir uns in der israelischen Geschichte als ‚Woche der Konvois’ erinnern“, so Portughies. Der Plan der jüdischen Gemeinde war, gepanzerte Konvois mit Nachschub in die Gemeinden zu schicken.

„Es wurden drei Konvois geschickt: Zum Kibbuz Yehi’am, im westlichen Teil von Galiläa, wo sich heute die Stadt Naharya befindet; ein weiterer Konvoi wurde nach Gush Etzion geschickt und ein weiterer nach Jerusalem. Diese drei Konvois wurden völlig vernichtet. Die meisten, wenn nicht alle Soldaten dieser Konvois wurden getötet. Unnötig zu erwähnen, dass die Konvois ihr Ziel nie erreichten.“

Zu dieser Zeit herrschten noch die Briten in Palästina, betont Portughies:

„Britische Soldaten waren auf den Straßen, und sie konnten das Geschehene nicht verhindern. Es war ganz klar, dass wir einer Tragödie gegenüberstanden, und sie taten nichts, um sie zu verhindern.“

Nicht nur die humanitäre Situation der Juden war extrem schlecht, auch die politische. Ein Staat Israel schien angesichts der militärischen Übermacht der Araber in Palästina kaum mehr möglich, sagt Portughies:

„Die Konvois waren ein großer Flop gewesen. Die USA und die Vereinten Nationen distanzierten sich vom Teilungsplan. Es musste etwas getan werden. Das war die dritte Märzwoche. Anfang April wurde der Plan D verabschiedet, der die Schlussfolgerungen aus dem katastrophalen Konvoi-Experiment zog: Wir müssen jetzt in den offensiven Teil des Krieges gehen. Wir müssen aktiv werden, wir müssen die Straßen öffnen, nach Jerusalem, in den westlichen Teil von Galiläa und in Gebiete südlich von Jerusalem.“

Dies geschah, und darum sei es in Plan D gegangen: die Straßen zu öffnen. „Angesichts der Tatsache, dass die Araber alles in ihrer Macht Stehende taten, um die Juden loszuwerden und die Idee eines jüdischen Staates zu zerschlagen, war Plan D das Gegenteil: die Straßen öffnen und den jüdischen Staat gründen“, erklärt der Historiker.

Gehörte zu dem Plan die Vertreibung von Arabern? „Nicht absichtlich“, so Portughies. „Es gibt das Ereignis von Deir Yassin, über das viel gesprochen wird. Etzel verübte ein Massaker, Frauen und Kinder wurden ermordet.“ Seitdem seien die Mitglieder dieser Gruppe in der jüdischen Gemeinde als „Aussätzige“ behandelt worden. „Als der Plan D in Kraft trat, hat das offensichtlich Menschen verängstigt“, fügt er hinzu. „Viele haben ihre Dörfer verlassen, Dörfer wurden aufgegeben, aber niemand wurde aus Palästina abgeschoben.“

Der israelische Historiker Benny Morris schreibt in seinem Buch 1948 über den Plan D:

„Über Jahrzehnte war Plan D Anlass für kleinere Kontroversen unter Historikern, bei denen palästinensische und propalästinensische Historiker die Anschuldigung vorbrachten, er sei der Masterplan der Haganah für die Vertreibung der Araber des Landes gewesen.“

Aber ein Blick auf den Text zeige, dass dies nicht der Fall sei, so Morris. Es gehe um Sicherung des Territoriums des entstehenden jüdischen Staates sowie seiner wichtigsten Straßen und um den Aufbau einer Verteidigung gegen die erwartete Invasion der arabischen Armeen. „Nirgendwo in dem Dokument“, schreibt Morris, „ist von einer Politik oder dem Wunsch die Rede, ‚die arabischen Einwohner’ von Palästina oder irgendeiner seiner Regionen zu vertreiben. Nirgendwo wurde irgendeine Brigade dazu angewiesen, ‚die Araber’ zu vertreiben.“

Wie Ben-Gurion wirklich über jüdisch-arabische Koexistenz dachte

„Was waren Ben-Gurions Ansichten über die zukünftigen jüdisch-arabischen Beziehungen?“, frage ich Portughies. Diese hätten sich im Laufe der Geschichte immer wieder geändert, antwortet er.

„In den 1910er Jahren, als er zum ersten Mal nach Palästina kam, war Ben-Gurion Arbeitersozialist. Er glaubte, dass es ein Bündnis von Arbeitern geben könnte, weil sie das gleiche Interesse hätten: Lebensbedingungen und Löhne verbessern. Nach den Unruhen von 1929 erkannte Ben-Gurion, dass die Idee eines gemeinsamen jüdisch-arabischen Lebens in Palästina eher eine Utopie war. Er dachte nun, dass zunächst die jüdische Gemeinde in Palästina gestärkt werden müsse. Er nannte das Tochnit Bitzaron, den Plan der Widerstandsfähigkeit.“

In den 1930er Jahren, während der arabischen Rebellion von 1936 bis 1939, sei ihm klar geworden, dass die Araber in Palästina niemals zustimmen werden, mit den Juden zusammenzuleben, egal was die Juden täten, um die Infrastruktur und das Leben in Palästina zum Vorteil von Juden und Arabern zu verbessern, da es für sie ein arabisches Land sei und sie die Juden als Eindringlinge betrachteten, erklärt Portughies.

„Sein arabischer Freund Musa Alami sagte zu Ben-Gurion: ‚Ich würde das Land lieber für hundert Jahre unbewohnt lassen, als es aus jüdischen Händen in Empfang zu nehmen.’“

An diesem Punkt, so Portughies, „erkannte Ben-Gurion, dass die Araber uns nur akzeptieren werden, wenn sie begreifen, dass die jüdische Entität, der jüdische Staat in Palästina da ist, um zu bleiben, und wir niemals weggehen werden. Das wäre der einzige Wendepunkt, wenn sie erkennen, dass sie friedlich mit uns zusammenleben sollten.“ Von 1930 bis Mitte der 1930er habe Ben-Gurion dann zweierlei unternommen: Mit arabischen Führern gesprochen, um das Verhältnis zwischen Juden und Arabern zu verbessern, und gleichzeitig an der Stärkung der jüdischen Gemeinde in Palästina. „Er wusste, dass es keinen Frieden geben wird, wenn wir nicht einen dauerhaften jüdischen Staat in Palästina errichten.“ Nach der Staatsgründung war Ben-Gurion Ministerpräsident des Staates Israel.

„Jetzt tat er sein Bestes, um ein gemeinsames Leben von Juden und Arabern in Israel zu erreichen. Bis 1966 allerdings gab es ein militärisches Regime über die arabischen Bürger. Das müssen wir anerkennen.“

Dabei sei zu bedenken, dass die Araber bis zum 14. Mai 1948 Feinde waren. „Ab dem 15. Mai waren sie Bürger. Nichts hatte sich wirklich in der Denkweise der Juden und Araber geändert. Und man muss den Staat Schritt für Schritt aufbauen.“

Conclusio

Wieder können wir die Hauptelemente der Methode Omri Boehm ausmachen. Da ist das Unsichtbarmachen arabischer Akteure: Boehm verschweigt wie stets alle arabischen Militäraktionen – darunter die von den Arabern verhängten Belagerungen zum Aushungern Jerusalems und der jüdischen Dörfer. Er verschweigt ferner alle Äußerungen, die nicht in das Bild passen, das er vermitteln möchte – wie etwa Ben-Gurions erklärten Wunsch, dass Araber und Juden in Israel völlig gleichgestellt sein sollen. Er verzerrt die Geschichte, indem er relevante Zusammenhänge ausblendet, wie etwa die Labour-Resolution zum Bevölkerungstransfer, auf die Ben-Gurion 1944 Bezug nahm.

Gleichzeitig befrachtet er einzelne, aus dem Zusammenhang gerissene Äußerungen mit einer Bedeutung, die sie nicht haben: Ben-Gurions wenige Kommentare zu den – britischen! – Umsiedlungsplänen können nicht als Beleg für „Umsiedlungsfantasien“ genommen werden oder für die These, dass „der Gedanke einer Umsiedlung“ „das zionistische Denken von Anfang anbegleitet habe.

Hinzukommt das Herstellen von Zusammenhängen, die es in Wirklichkeit gar nicht gab. Der Plan D zum Aufbrechen der Belagerungsringe, mit denen Jerusalem und die jüdischen Gemeinden im März 1948 eingekesselt waren, hatte nichts mit den Vorschlägen der Peel-Kommission von 1937 oder einem etwaigen Plan zur Vertreibung von Arabern aus Palästina zu tun. Das sind Boehms eigene „Umsiedlungsfantasien“. Man könnte sagen: Boehmische Dörfer.

Literatur:

Boehm, Omri: Israel – eine Utopie, Berlin 2020.
Galnoor, Itzhak: The Partition of Palestine. Decision Crossroads in the Zionist Movement, New York 1995.
Karsh, Efraim: Fabricating Israeli History: „The New Historians“, London 2000.
Morris, Benny: 1948 – A History of the First Arab-Israeli War, New Haven und London 2009.

In der Reihe erschienen:

Die Methode Omri Boehm (Teil 1): Juden als Täter
Die Methode Omri Boehm (Teil 2): Geschichtsklitterung
Die Methode Omri Boehm (Teil 3): Unsichtbarmachen arabischer Akteure
Die Methode Omri Boehm (Teil 4): Haifa 1948 und die Vertreibung der Araber, die es nicht gab

Die Methode Omri Boehm (Teil 5): Auslassen von Zusammenhängen, am Beispiel der Schlacht von Lydda 1948
Die Methode Omri Boehm (Teil 6): Die Erfindung eines Vertreibungsplans
Die Methode Omri Boehm (Teil 7): Feldzug gegen das Holocaust-Gedenken
Die Methode Omri Boehm (Teil 8): Yad Vashem als Schaltzentrale des Bösen
Die Methode Omri Boehm (Teil 9): Das Holocaust-Gedenken »mit der Wurzel ausreißen«
Die Methode Omri Boehm (Teil 10): Boehms »Weimar-Moment«
Die Methode Omri Boehm (Teil 11): Pappkameraden aufbauen
Die Methode Omri Boehm (Teil 12): Gegen das »sakralisierte Holocaust-Gedenken«
Die Methode Omri Boehm (Teil 13): Des Großmuftis neue Kleider
Die Methode Ullstein: Nachtrag zu unserer Reihe »Die Methode Omri Boehm«

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