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Die Methode Omri Boehm (Teil 10): Boehms »Weimar-Moment«

Das Szenario, das laut Omi Boehm in Israel unmittelbar bevorstehe
Das Szenario, das laut Omi Boehm in Israel unmittelbar bevorstehe (© Imago Images / teutopress)

»Die Juden sind schuldig« – diese freudige Nachricht überliefert Omri Boehm den Deutschen nicht verklausuliert. Er fällt immer mit der Tür ins Haus: Juden seien Täter!

Die letzte Folge unserer Reihe, in der wir die Ziele und die Arbeitsweise des Zeit Online-Kolumnisten Omri Boehm vorgestellt haben, der in Deutschland dafür wirbt, den Staat Israel abzuschaffen, liegt eine Weile zurück. Wer die bisherigen Teile nicht kennt, der kann trotzdem hier weiterlesen; wir werden demnächst an geeigneter Stelle den Inhalt der ersten neun Folgen rekapitulieren. Diese hier ist einem aktuellen Anlass gewidmet. 

In Israel wurde am 1. November bekanntlich ein neues Parlament gewählt, und die Bemühungen einer Regierungsbildung sind im Gange. Für Omri Boehm, so informiert er auf Zeit Online seine Leser, war die Wahl nicht weniger als das Ende der Demokratie: »Israel: Die Demokratie wählt sich ab«. »Israel steht vor einem Abgrund«, hat er einmal mehr herausgefunden. »Zu viele« aber scheuten »noch davor zurück, in diesen Abgrund zu blicken». Nicht so Omri Boehm. Er ist der In-den-Abgrund-Blicker par excellence. Schon in seinem Buch Israel – eine Utopie hatte er gewarnt:

»Die schiere politische Verzweiflung nach dem Niedergang der Zweistaatenlösung wird in Verbindung mit einem gewaltsamen ethnischen Konflikt unweigerlich zu einer Katastrophe führen.«

Katastrophe! »Unweigerlich« heißt: Hoffnung gibt es keine, Israel ist verdammt. Für jene, die naiv glauben, die israelische Opposition biete vielleicht eine Alternative, fügte er sicherheitshalber hinzu:»Die Opposition in Israel bietet keine Alternative.« Katastrophe ohne Alternative, und nun also der Abgrund. »Israel erlebt seinen Weimar-Moment«, erfahren die Leser auf Zeit Online.

Omri Boehm hat Konjunktur

Wer hat den nicht schon mal erlebt. Das heißt auch: Die Boehm-Konjunktur ist nicht vorbei. Es gibt in Deutschland eine stetige Nachfrage nach dem, was Boehm anbietet: 

Das alles sind seit langem Basiswerkzeuge der Anti-Israel-Bewegung, von rechts und links. Aber es entsteht ein gewisser Mehrwert, wenn der gleiche Quark aus dem Spritzbeutel eines jüdisch-israelischen Autors kommt. Der vermeintliche israelische Kronzeuge gibt deutschen Antisemiten Brief und Siegel auf das, was sie ohnehin denken. Omri Boehm erfüllt somit eine ähnliche Funktion wie einst der Arafat-Freund Uri Avnery – oder Gerard Menuhin mit seinen Kolumnen in der National-Zeitung

Keine große deutsche Zeitung käme auf die Idee, regelmäßig Meinungsbeiträge zu veröffentlichen, in denen die palästinensische Gesellschaft oder die Palästinensische Autonomiebehörde alias PLO kritisiert wird. Pamphlete gegen Israel und seine wechselnden Regierungen gehören hingegen zu den journalistischen Formaten, die offenbar nie langweilig werden. 

Theodor Lessing beschrieb vor über 90 Jahren in seinem Buch Der jüdische Selbsthass die Bedrohung, der die Juden durch antisemitische Juden – wie etwa Otto Weiniger – ausgesetzt seien:»weil die anderen Völker auf die Frage: Warum ist der Jude unbeliebt?‹ nun gleichfalls antworten konnten: Er sagt es selber. – Er ist schuldig.«

»Die Juden sind schuldig« – diese freudige Nachricht überliefert Omri Boehm den Deutschen nicht verklausuliert. Er fällt immer mit der Tür ins Haus: Juden seien Täter! Die jüdischen Israelis dürften sich nicht »der Geschichte ihrer Opferschaft« – gemeint ist die Auslöschung der europäischen Juden – erinnern, »ohne sich ihrer Rolle als Täter zu erinnern«, dekretiert er. Besonders perfide: Die meisten Juden zeigten nicht einmal Reue. Sie verweigerten das Nakba-Gedenken. Mit verhängnisvollen Konsequenzen:

»Wenn wir Israelis nicht die Verantwortung für das Verbrechen der ethnischen Säuberung übernehmen, dann werden … wir es wiederholen.«

In Israel ist immer wieder Nakba, es ist wie mit dem Murmeltiertag in Punxsutawney. In Israel habe die »Ultrarechte« gewonnen, behauptet Boehm, nun werde unweigerlich ein, so wörtlich: »totaler Krieg« gegen die Palästinenser einsetzen. »Die Gebiete sollen ethnisch gesäubert werden.« Logisch.

Antiisraelisches Seemannsgarn

Boehm liefert das, was man einst als Seemansgarn bezeichnete. Von weiten Seereisen heimgekehrte Matrosen berichteten etwa von riesigen Kraken, die Schiffe angriffen und in die Tiefe rissen. Die Leser von Zeit Online – die meisten von ihnen kennen, statistisch betrachtet, Israel nur aus Erzählungen –, gruselt am meisten, wenn Boehm ihnen Schauergeschichten von jüdischen Rechtsextremisten erzählt. Die seien viel, viel schlimmer als ordinäre Rechtsextremisten, wie man sie in Deutschland und Österreich kennt. »Es wäre eine Farce, diese Leute nach unseren liberalen Kategorien zu beurteilen. «

Glaubt man Boehm, dann verhalten sich deutsche und europäische Rechtsextremisten zu israelischen Politikern wie Kapuzineräffchen zu King-Kong. Die beiden israelischen Mitte-Links-Politiker Yair Lapid und Benny Gantz? Laut Boehm vermischen sie »Militarismus und Populismus zu einem besonders (sic!) giftigen Cocktail«. Ihre politischen Grundsätze seien »deutlich (sic!) rechts von einer Partei wie der AfD angesiedelt«. Der ehemalige Ministerpräsident Naftali Bennet, den Boehm im Sommer 2021 als Begleiter des deutschen Bundespräsidenten Steinmeier besuchte? Ein »Rechtsextremist« sei der, so Boehm, »deutlich (sic!) gewaltbereiter und rassistischer als ein Orbán oder Salvini«.

Was kann jetzt noch kommen? Welche deutliche Steigerung ist möglich? Auch in seinem jüngsten auf Zeit Onlineerschienenen Beitrag, in dem er die aktuellen Versuche einer Regierungsbildung kommentiert, benutzt Boehm seine bekannten Griffe: Kein europäischer Rechtsextremist könne je in seinem Leben so schlimm sein wie ein jüdisch-israelischer.

»Der Hauptunterschied zwischen den israelischen Ultrarechten und den bekannten europäischen Populisten besteht darin, dass Erstere ein bewusstes Verhältnis zur Geschichte und zur Gewalt haben. Im Unterschied zu Nationalpopulisten verstehen die revolutionären ultrarechten Aktivisten in Israel die Bedeutung entscheidender historischer Momente und sind bereit, am illegalen Rand zu bleiben, wenn nötig Opfer zu bringen und zu handeln.«

Wie Henry Ford und andere, die die Protokolle der Weisen von Zion für echt halten, glaubt offenbar auch Boehm an eine von Juden gelenkte Geschichte. Die jüngere Geschichte Israels müsse man als Manifestation dessen sehen, was »ultrarechte« Juden im stillen Kämmerlein ausgeheckt hätten: »Wir befinden uns jetzt am nächsten entscheidenden Punkt derselben historischen Entwicklung. Das Manöver, das mit der Zerstörung des Oslo-Friedensprozesses begann«.

Die »Zerstörung des Oslo-Friedensprozesses« wäre also wie die folgende Mordwelle, die tausend Israelis das Leben kostete, ein jüdisches »Manöver«. Boehm setzt hier auf die Ignoranz seiner Leser, von denen er annimmt, dass sie nicht wissen, dass es Jassir Arafat war, der mit Maximalforderungen nach einer „Rückkehr“ von Millionen Flüchtligsenkeln nach Israel den Oslo-Friedensprozess absichtlich torpedierte, um dann seine lange geplante »Intifada« zu starten. 

Das angebliche »Manöver« der Juden also, »das mit der Zerstörung des Oslo-Friedensprozesses begann«, stehe, so Böhm auf Zeit Online, »kurz vor seiner Vollendung, da Israel das gesamte Territorium kontrolliert«. Oh! Welches Territorium mag das sein, das Israel heute kontrolliert und vor dem Oslo-Prozess nicht kontrolliert hat? In den letzten 30 Jahren hat Israel immer nur Kontrolle über Gebiete abgegeben: über den Gazastreifen, über Teile der West Bank, über den Südlibanon. Vorher war bereits die Sinai-Halbinsel – mit einer Fläche rund dreimal so groß wie das Israel innerhalb der Waffenstillstandslinie von 1949 – an Ägypten zurückgegeben worden.

Apokalyptische Szenarien aus der Nazizeit

Dass Arafat ebenso wie sein Nachfolger Mahmud Abbas jeglichen Kompromiss, jegliche Koexistenz mit Israel ablehnte, kann laut Boehm nur eines bedeuten: Da »niemand mehr von einer Zweistaatenlösung« spreche »und mehr als 50 Prozent der Bevölkerung innerhalb der israelischen Grenzen palästinensisch« seien, müsse dort, wo jetzt Israel ist, ein mehrheitlich arabischer Staat entstehen, der »auf völliger staatsbürgerlicher Gleichheit zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer beruhen würde«. Wird nicht der Staat gegründet, den Boehm sich ausgedacht hat, dann gibt es: Abgrund, unweigerliche Katastrophe, Ende der Demokratie, Weimar-Moment, Schicht im Schacht, Gute Nacht, Marie.

Um Vergleiche dafür zu finden, wie rechtsextrem Israel angeblich sei, muss Boehm mittlerweile bis in die Nazizeit zurückgehen. Alle anderen Analogien hat er ausgeschöpft. Ist er dann im Februar 1933 angekommen, fällt ihm ein, dass auch dieser Vergleich nicht tauge, weil Israel eigentlich noch schlimmer sei:

»Was also ist zu erwarten? Kein brennender Reichstag. Israel hat keine Verfassung, und so braucht es keinen Vorwand, um sie auszusetzen.«

Der Reichstagsbrand fand am 27. und 28. Februar 1933 statt. Am 30. Januar 1933 war Hitler von Reichspräsident Hindenburg zum Reichskanzler ernannt worden. Wenn Israel jetzt, wie Boehm ausgerechnet zu haben scheint, sich in jenem »Weimar-Moment« befindet, als in Deutschland der Reichstag brannte, dann bedeutet das, dass Hitler in Israel bereits seit vier Wochen Premierminister ist. So weit ist es also schon gekommen. Und wer ist daran schuld? Die jüdischen Rechtsextremisten, klar. Aber das wäre zu einfach.

Verfolgt man die Spur bis zum Ende, ist bei Boehm immer das Holocaust-Gedenken schuld. In Israel – eine Utopie hatte er ja eindringlich vor dem »quasi sakralisierten Holocaust-Gedenken« gewarnt:

»Dass sich das Land durch das Andenken an den Holocaust in einer Sphäre jenseits des normalen öffentlichen Diskurses verortet, immunisiert seine Politik gegenüber jenen Kräften, die den Sieg humanistischer Werte fördern könnten.«

Im Klartext: Die humanistischen Werte hätten sich vielleicht auch in Israel durchsetzen können, aber das Holocaust-Gedenken hat diese Tür zugemacht und sie mit einem tonnenschweren Gedenkstein aus Granit blockiert. Nun haben die Israelis den Salat.

Bisher erschienen:

Die Methode Omri Boehm (Teil 1): Juden als Täter
Die Methode Omri Boehm (Teil 2): Geschichtsklitterung
Die Methode Omri Boehm (Teil 3): Unsichtbarmachen arabischer Akteure
Die Methode Omri Boehm (Teil 4): Haifa 1948 und die Vertreibung der Araber, die es nicht gab

Die Methode Omri Boehm (Teil 5): Auslassen von Zusammenhängen, am Beispiel der Schlacht von Lydda 1948
Die Methode Omri Boehm (Teil 6): Die Erfindung eines Vertreibungsplans
Die Methode Omri Boehm (Teil 7): Feldzug gegen das Holocaust-Gedenken
Die Methode Omri Boehm (Teil 8): Yad Vashem als Schaltzentrale des Bösen
Die Methode Omri Boehm (Teil 9): Das Holocaust-Gedenken »mit der Wurzel ausreißen«
Die Methode Omri Boehm (Teil 10): Boehms »Weimar-Moment«
Die Methode Omri Boehm (Teil 11): Pappkameraden aufbauen
Die Methode Omri Boehm (Teil 12): Gegen das »sakralisierte Holocaust-Gedenken«
Die Methode Omri Boehm (Teil 13): Des Großmuftis neue Kleider
Die Methode Ullstein: Nachtrag zu unserer Reihe »Die Methode Omri Boehm«

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