Die Methode Omri Boehm (Teil 8): Yad Vashem als Schaltzentrale des Bösen

Ist Boehm ein besonderes Gräuel: die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. (© imago images/Schöning)
Ist Boehm ein besonderes Gräuel: die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. (© imago images/Schöning)

Aus unerfindlichen Gründen ist Omri Boehm regelrecht besessen von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, die er geradezu für eine Schaltzentrale des Bösen hält.

Der vorangegangene Teil unserer Reihe „Die Methode Omri Boehm“, in der es darum geht, wie der von Teilen des deutschen Feuilletons hochgeschätzte Polemiker die Geschichte Israels als eine Abfolge von Verbrechen erfindet und dem Zionismus und den Juden alle Schuld am arabisch-israelischen Konflikt zuschreibt, liegt nun schon zwei Monate zurück. Diese Pause hat nicht nur, aber auch damit zu tun, dass es ein Ben-Gurion-Zitat aus einer israelischen Tageszeitung von 1961 zu prüfen galt, wie wir im nächsten Teil sehen werden.

Das war ein gewisser Aufwand, eine Mühe, die sich die Leute beim Ullstein-Verlag, wo Boehms Pamphlet Israel – eine Utopie erschienen ist, nicht machen. Dort hat die für Boehms Buch zuständige Redakteurin Kristin Rotter ja nicht einmal das gefälschte Herzl-Zitat (das in der im August 2021 erschienenen englischen Ausgabe nicht mehr enthalten ist) vor Drucklegung geprüft, obwohl sie dazu bloß in irgendeine deutsche Universitätsbibliothek hätte gehen müssen.

Sie hat in Boehms Manuskript übrigens auch nicht angestrichen, dass er ohne jeden Beleg behauptet, der ehemalige israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe den 1995 ermordeten Yitzhak Rabin „wenige Monate vor dem Mord als ‚Verräter‘ beschimpft“. Boehms Behauptung über Netanjahu ist bösartig und könnte den Straftatbestand der Verleumdung erfüllen, falls er dafür keinen Beleg hat – und den scheint er nicht zu haben, sonst hätte er ihn wohl beigebracht.

Heute knüpfen wir unmittelbar an das Thema des letzten Teils an. Wir haben gesehen, wie Boehm das Holocaust-Gedenken herabsetzt, in sehr ähnlicher Weise, wie Rechtsextremisten das tun. Boehm beklagt, dass der angebliche „Holocaust-Messianismus“ – den er nicht definiert, so dass unklar bleibt, ab wo das Gedenken der Shoah seiner Meinung nach zum irrationalen „Messianismus“ wird – „den jüdischen Staat der Sphäre rationaler, universalistischer Politik enthoben“, diesen also offenbar in eine ihm aus seiner Sicht nicht zustehende, privilegierte Position gehievt habe.

Rotes Tuch Yad Vashem

Boehm behauptet, das Holocaust-Gedenken habe sich in Israel seit „geraumer Zeit“ in eine „Gegenmacht zu jeder (!) liberalen Politik verwandelt“ und zum „Zusammenbruch der Vernunft“ geführt. Solche Beschreibungen lassen an einen totalitären Staat denken. Zustimmend zitiert Boehm den Holocaustüberlebenden und Philosophieprofessor Yehuda Elkana, der gesagt habe, es gebe „keine größere Gefahr für Israels Existenz“ als die „Erinnerung an den Holocaust“.

Als schrecklichste Agentur dieser angeblichen Tyrannei des Gedenkens stellt Boehm die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem dar. Diese Institution sei „seit Jahren daran beteiligt, rechtsextreme Politiker reinzuwaschen“, behauptet Boehm. Ein Beispiel, das er anführt: Der derzeitige israelische Ministerpräsident Naftali Bennet etwa sei „als israelischer Bildungsminister ein häufiger Gast“ in Yad Vashem gewesen.

Boehm erwähnt, dass Yad Vashem einen „Plan“ (!) entwickelt habe, „israelischen Kindern die Geschichte des Holocausts bereits im Kindergartenalter zu vermitteln“. Das findet er offenbar schockierend. Die israelische Tageszeitung Haaretz schilderte das Vorhaben bei seiner Vorstellung im Jahr 2014, ohne dabei auf Skandalträchtiges zu stoßen: „Die Idee ist es, den Erziehern das Werkzeug zu geben, ein Thema zu lehren, von dem die Kinder ohnehin hören“, hieß es in dem Beitrag. Das Gespräch mit den Kindern über den Holocaust solle am Holocaustgedenktag – wenn in ganz Israel die Sirenen heulen – oder in zeitlicher Nähe dazu stattfinden und „Dinge vermeiden, die den Kindern Angst machen könnten“, berichtete der Autor. Boehms Satz hingegen – und bei dem einen alarmistischen Satz belässt er es – erweckt den Eindruck von emotionalem Kindesmissbrauch. Das soll offenbar ein weiterer Beleg für den von Boehm behaupteten „Holocaust-Messianismus“ sein: Schon im Kindergarten würden Israelis indoktriniert.

Finstere Spender

Yad Vashem ist für Boehm, so wörtlich: eine „Waschmaschine“ „rassistischer“ israelischer Politik. Er schreibt:

„Eine abnorme Form des Erinnerns hat die rassistische Gewalt israelischer Politiker normalisiert.“

In einer konfusen Assoziationskette versucht Boehm, Yad Vashem in die Nähe des deutschen Rechtsradikalismus zu rücken:

„Einstweilen sind noch keine AfD-Vertreter in Yad Vashem begrüßt worden, wenngleich es nach Orbans [amtierender ungarischer Ministerpräsident; S.F.] und Salvinis [von Juni 2018 bis September 2019 stellvertretender italienischer Ministerpräsident; S.F.] Besuchen keinen Grund mehr gibt, sie nicht einzuladen. Seit Jahren schließlich zieren israelische Flaggen Pegida-Demonstrationen.“

Wo ist die Logik? Ob Boehm glaubt, die israelischen Flaggen, die auf Pegida-Demonstrationen vereinzelt gesichtet wurden, seien von Geheimagenten Yad Vashems dorthin gebracht worden? Macht Boehm die Palästinensische Autonomiebehörde haftbar, wenn deutsche Neonazis in Dortmund unter dem Motto „Israel ist unser Unglück“ „Palästina“-Flaggen schwenken? Wohl kaum.

Über Sheldon Adelson, den dieses Jahr verstorbenen Immobilienunternehmer, Milliardär und Philanthropen, der als wichtiger Sponsor von Benjamin Netanjahu und Donald Trump bekannt war, schreibt Boehm, er sei „der wichtigste private Mäzen der Gedenkstätte“ Yad Vashem. Aha, follow the money! Und, was bedeutet das? Adelson, so Boehm,

„geht sicher recht in der Annahme, dass der Holocaust, wie sich die Israelis seiner erinnern, der Art von Politik nutzt, die er zu fördern versucht.“

Wenn Sheldon Adelson einer Holocaustgedenkstätte Geld spendete, dann kann Boehm sich das nicht anders erklären, als dass er damit wohl seine eigenen politischen Ziele verfolgt. Der wahre Hintergrund: Menucha und Simcha Farbstein, die Eltern von Miriam Adelson, der Witwe des verstorbenen Sheldon Adelson, flohen vor dem Holocaust aus Polen nach Palästina; Angehörige von Sheldon Adelsons Schwiegereltern wurden im Holocaust ermordet. Miriam Adelson sagte einmal:

„Als ich jung war, erfuhr ich, dass meine Mutter, Menucha Farbstein (geboren Zamelson), fast ihre gesamte Familie verloren hat. Mein Vater verlor ebenfalls geliebte Familienmitglieder. Ich wuchs auf mit dem Gefühl des Schmerzes meiner Eltern.“

Miriam Adelson ist eine traumatisierte Angehörige der Holocaust-Nachfolgegeneration. Dass sie und ihr Ehemann zu dessen Lebzeiten Millionen an Yad Vashem spendeten, ist für Boehm Indiz für finstere politische Ziele, ein Verdacht, den er dann mithilfe einer Kontaktschuldhypothese auf die Gedenkstätte selbst ausweitet. In seiner ideologischen Verblendung schreckt Boehm nicht vor den niedersten, infamsten Angriffen zurück.

Es scheint ihm unmöglich, überhaupt politische Argumente gegen den ihm verhassten jüdischen Staat vorzubringen oder jemanden zu kritisieren, ohne im selben Atemzug das Holocaust-Gedenken zu verunglimpfen. Bei fast jedem seiner politischen Gegner wittert Boehm eine Nähe zu dem von ihm gescholtenen „Holocaust-Messianismus“. Es war noch kein AfD-Funktionär in Yad Vashem? Dann wird bestimmt bald einer kommen. Adelson spendete Geld für Yad Vashem? Dann zog er offenbar politischen Profit daraus.

Sheldon Adelson gab übrigens zu seinen Lebzeiten auch viele Millionen für die Krebsforschung und eine jüdische Schule in Las Vegas. Und er kaufte zu Beginn der Corona-Pandemie zwei Millionen OP-Masken für Beschäftigte im Gesundheitswesen in New York und Nevada. Alles, weil es seiner „Art von Politik nutzt“ – so, wie angeblich die Holocaustgedenkstätte Yad Vashem?

Man kann Boehm nur als einen Besessenen bezeichnen; er ist auf eine ähnliche Art – aber mit anderem Inhalt – besessen wie jene, die glauben, die amerikanische Pharmaindustrie oder Bill Gates hätten die Corona-Pandemie verursacht.

In Yad Vashem sieht Boehm die Schaltzentrale des Bösen. Was genau die Gedenkstätte Boehms Meinung nach tut, um Adelsons „Art von Politik“ zu nutzen, bleibt unklar. Nach Boehms Geschmack geht es in der Holocaust-Gedenkstätte wohl einfach zu sehr um den Holocaust. Das mag Boehm nicht. Sein Lebensthema sind Juden als Täter, ihre Schuld, etwa an der „Nakba“. Das „düstere Geheimnis“ des Zionismus sei, dass die Juden lange vor 1948 „gewaltsame Massenvertreibungen von Palästinensern“ geplant hätten, glaubt er.

Er hört hingegen nicht gern von Juden als Opfern – egal, ob es die jüdischen Opfer des arabischen Terrors im Mandatsgebiet Palästina sind, die Opfer von PLO und Hamas oder die Opfer Hitlers. Das Erinnern an den Holocaust stört ihn auch deshalb, weil er fürchtet, dass es von seinem Steckenpferd, der „Nakba“ ablenken könnte. Wo es ihm an Argumenten fehlt, eskaliert er stattdessen seine Behauptungen ins Absurde. Das Holocaust-Gedenken sei „in Israel zu einer Kraft geworden, die die Funktion und Stellung der Staatsbürgerschaft untergräbt, Rassismus normalisiert und eine Politik der Kompromisse verhindert“, schreibt er an einer Stelle.

Gab es in Israel vor 1961 kein Holocaustgedenken?

So, wie Boehm das Denken Theodor Herzls falsch wiedergibt und die historischen Tatsachen des arabisch-israelischen Kriegs von 1948 verfälscht, so verfälscht er auch die Geschichte des Holocaust-Gedenkens in Israel. „Da die Erinnerung“ an den Holocaust „so häufig missbraucht wurde“, so Boehm, lohne

„der Hinweis, dass Israel in den ersten dreizehn Jahren seines Bestehens so gut wie kein Interesse am Holocaust-Gedenken zeigte. Wenn überhaupt, dann war der Holocaust ein Teil der Geschichte, den der junge jüdische Staat lieber verdrängte. Mit anderen Worten: Allem Anschein zum Trotz besteht zwischen dem israelischen Selbstverständnis und der Erinnerung an den Holocaust überhaupt kein notwendiger Zusammenhang.“

Dass Boehm nicht die Existenz des privaten Gedenkens der Angehörigen der Opfer des Holocaust in Abrede stellen will, sondern sich in seiner Äußerung einzig auf das öffentliche Gedenken bezieht, setzen wir einmal zu seinen Gunsten voraus. Boehm bestreitet, dass es ein solches öffentliches Gedenken überhaupt gegeben habe. Diese Behauptung ist falsch. Einige Beispiele für das frühe öffentliche Gedenken der Shoah in Israel:

  • Der Kibbuz Yad Mordechai nordöstlich vom Gazastreifen. Der Name erinnert an den am 8. Mai 1943 beim Aufstand im Warschauer Ghetto gefallenen Anführer des Ghetto-Aufstands Mordechaj Anielewicz erinnert. Gegründet: 1943.
  • Schon 1947 gründete das Oberrabbinat im Mandatsgebiet Palästina ein Komitee, dessen Aufgabe es war, ein geeignetes Datum für ein jährlich stattfindendes öffentlichen Gedenkens zu finden.
  • Der Kibbuz Lochamei HaGetaot: Der Name des 1949 in Galiläa von Holocaust-Überlebenden gegründeten Kibbuz bedeutet: „Die Ghettokämpfer“.
  • Der erste Holocaust-Gedenktag wurde in Israel auf Anregung des Oberrabbinats am 28. Dezember 1949 begangen, im Martef HaShoa, auf Deutsch: Keller der Shoah, am Zionsberg in Jerusalem. In die Krypta eines jüdischen Friedhofs wurden an diesem Tag Asche und Gebeine Tausender Holocaustopfer aus dem KZ Flossenbürg gebracht, zusammen mit einer geschmückten Torah-Rolle. Das Rabbinat überwachte die Zeremonie und lud die Öffentlichkeit zu einer Nachtwache und Gebeten am nächsten Morgen ein. Im Radio wurde die Veranstaltung am Abend ab 21.30 Uhr mit einem Programm zum Holocaust begleitet. Der Martef HaShoah wurde zugleich Israels erstes Holocaustmuseum.
  • 1950 gab es unter Leitung des Oberrabbinats 70 Gedenkveranstaltungen in ganz Israel.
  • 1951 rief die Knesset den jährlichen Gedenktag Yom HaShoah ins Leben. Am 3. Mai 1951 fand die erste offizielle Gedenkveranstaltung statt, wiederum im Martef HaShoah; in Yad Mordechai wurde eine Bronzestatue von Mordechaj Anielewicz enthüllt
  • Der Wald der Märtyrer, der mit sechs Millionen Bäumen an die Opfer des Holocaust erinnert. Eingeweiht: 1951.
  • Yad Vashem selbst, geschaffen durch Beschluss der Knesset vom 19. August 1953. Im selben Jahr wurden die Schulen erstmals angewiesen, mit den Schülern über den Holocaust zu sprechen. Ab 1955 begann Yad Vashem mit der Dokumentation der Namen der Holocaustopfer.

Boehm aber behauptet, Israel habe in den ersten dreizehn Jahren seines Bestehens „so gut wie kein Interesse am Holocaust-Gedenken“ gezeigt. Das ist typisch für seine Arbeitsweise: Er verdreht die Geschichte so, dass die von ihm erfundenen Fakten seine Argumentation stützen. Im nächsten Teil werden wir sehen, warum es für seine Argumentation wichtig ist, dass es vor 1961 kein Holocaust-Gedenken gegeben habe; auf diese falsche Behauptung stützt Boehm nämlich seine nächste Hypothese: dass das Gedenken an den Holocaust in Israel politisch motiviert sei.

In der Reihe erschienen:

Die Methode Omri Boehm (Teil 1): Juden als Täter
Die Methode Omri Boehm (Teil 2): Geschichtsklitterung
Die Methode Omri Boehm (Teil 3): Unsichtbarmachen arabischer Akteure
Die Methode Omri Boehm (Teil 4): Haifa 1948 und die Vertreibung der Araber, die es nicht gab

Die Methode Omri Boehm (Teil 5): Auslassen von Zusammenhängen, am Beispiel der Schlacht von Lydda 1948
Die Methode Omri Boehm (Teil 6): Die Erfindung eines Vertreibungsplans
Die Methode Omri Boehm (Teil 7): Feldzug gegen das Holocaust-Gedenken
Die Methode Omri Boehm (Teil 8): Yad Vashem als Schaltzentrale des Bösen
Die Methode Omri Boehm (Teil 9): Das Holocaust-Gedenken »mit der Wurzel ausreißen«
Die Methode Omri Boehm (Teil 10): Boehms »Weimar-Moment«
Die Methode Omri Boehm (Teil 11): Pappkameraden aufbauen
Die Methode Omri Boehm (Teil 12): Gegen das »sakralisierte Holocaust-Gedenken«
Die Methode Omri Boehm (Teil 13): Des Großmuftis neue Kleider
Die Methode Ullstein: Nachtrag zu unserer Reihe »Die Methode Omri Boehm«

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