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Islamischer Staat und al-Qaida bleiben Bedrohung

Terroristische Bedrohung durch al-Qaida und den IS besteht weiter
Terroristische Bedrohung durch al-Qaida und den IS besteht weiter (© Imago Images / YAY Images)

Trotz der vielen Militärschläge, die sowohl der Islamische Staat als auch al-Qaida im Laufe der Jahre einstecken mussten, konnten beide Terrorgruppen überleben und durch ihre Ideologie, die nicht weggebombt werden kann, neue Bedrohungen schaffen.

Yaakov Lappin 

Der ehemalige Generalstabschef der israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF), Gadi Eisenkot, enthüllte im Juni, dass Israel im Jahr 2015 von Ägypten gebeten wurde, Luftangriffe gegen Ziele des Islamischen Staates (IS) durchzuführen. 

»Es gibt nicht viele Länder auf der Welt, die wissen, wie man Ziele von der Größe einer Briefmarke lokalisiert und ein solches Ziel in einem Radius von tausend Kilometern mit einer Rakete zu treffen. Unsere Feinde haben es gesehen, die Russen haben es gesehen, die Amerikaner haben es gesehen. Diejenigen, die am besten wissen, wie gut die IDF im Nahen Osten operieren, sind die Männer des IS, denn sie haben den Preis in Form von Hunderten von Toten und Verwundeten bezahlt, und sie wussten, wer das war«, erklärte er.

Trotz der vielen Militärschläge, welche die salafistischen Dschihadisten – sowohl der IS als auch al-Qaida – im Laufe der Jahre einstecken mussten, konnten beide überleben und aufgrund ihrer Ideologie, die nicht einfach weggebombt werden kann, neue Bedrohungen schaffen.

Al-Qaida aktuell gefährlicher

Unlängst hat die kurdisch geführte Autonomiebehörde im Nordosten Syriens angekündigt, mit der Durchführung von Prozessen gegen IS-Mitglieder beginnen zu wollen, die unter kurdischer Bewachung stehen und aus vielen Staaten der Welt stammen. Unterdessen stellt die Ernennung des neuen Anführers von al-Qaida, Saif al-Adel, der im November 2022 aus dem Iran nach Afghanistan ging, eine Entwicklung dar, die für Israel von Bedeutung ist, so Michael Barak.

Der Leiter der Global Jihad Research am International Institute for Counter Terrorism (ICT) und Dozent an der Lauder School of Government, Diplomacy and Strategy an der Reichman Universität in Herzliya erklärte, dies sei von Bedeutung, »weil al-Adel sehr gute Kontakte zum Korps der Iranischen Revolutionsgarden (IRGC) unterhält. Diese Beziehung reicht bis in die 1990er Jahre zurück. Al-Adel hat ein Team, das hinter ihm steht. Und al-Qaida und der Iran haben in der Vergangenheit zusammengearbeitet. So kann der Iran al-Qaida nutzen, um Anschläge gegen Israel zu verüben, während er seine Beteiligung leugnet.«

Im November 2022 wurde ein israelischer Geschäftsmann in Georgien das Ziel einer mit al-Qaida verbundenen pakistanischen Terrorgruppe. Medienberichten zufolge war die Gruppe auf iranischen Befehl hin in das Land gereist. Israelische und georgische Geheimdienste arbeiteten Berichten zufolge zusammen, um den Anschlag zu vereiteln. Im September 2021 wurde Medienberichten zufolge die Nummer zwei von al-Qaida, Abu Muhammad al-Masri, in Teheran von israelischen Agenten getötet. »Al-Qaida hat immer noch einen Teil seiner Führung im Iran«, so Barak. »Da al-Adel nun versucht, seinen Status innerhalb von al-Qaida zu stärken, stellt diese Organisation aktuell eine größere externe Bedrohung für Israel dar als der Islamische Staat.«

Unterdessen ist der IS laut Barak aber weit davon entfernt, von der Bildfläche zu verschwinden. Seine stärksten Gebiete befinden sich derzeit auf dem afrikanischen Kontinent, insbesondere in der Sahelzone, und in Afghanistan. »Afrika hat schwache und gescheiterte Regierungen. Und in Afghanistan kontrollieren die Taliban nicht das ganze Land. In diese Machtlücken dringt der IS ein«, präzisierte Barak.

Unterschiedliche Strategien

Die Expertin für islamische Fragen in Europa und Eurasien und Forscherin zu radikalen Bewegungen im Islam, Dina Lisnyansky, die an der Tel-Aviv- und der Reichman-Universität sowie am Shalem College lehrt, sagte, die Bewegung sei nach dem Fall des IS-Kalifats im Jahr 2019 zu einem dezentralisierten globalen Terrornetzwerk geworden, das mit lokalen Partnern zusammenarbeitet – ähnlich wie al-Qaida zuvor. »Der IS hat sich im Gegensatz zu al-Qaida nie als globale Dschihad-Bewegung deklariert. Er war ein politisches Gebilde. Während es das Ziel von al-Qaida war, zunächst die nahen Feinde‹, also arabische und islamische Regierungen, die als Marionetten des Westens betrachtet werden, zu beseitigen und dann ein Kalifat zu errichten, wollte der IS beides gleichzeitig tun und hatte bereits einen islamischen Staat aufgebaut.«

Dieser Staat erstreckte sich auf seinem Höhepunkt im Jahr 2014 über ein riesiges Gebiet, das die Hälfte Syriens und fast die Hälfte des Iraks mit einer Millionenbevölkerung umfasste. Der IS hatte auch mit dem Aufbau einer zivilen Infrastruktur begonnen und verfügte über einen Staatshaushalt, der weit über militärisch-terroristische Ziele hinausging, so die Forscherin. Heute, nach dem Fall des Kalifats, ist der Islamische Staat über die ganze Welt verstreut, konkurriert mit al-Qaida und bekämpft sie auch. In Afrika, so Lisnyansky, haben die beiden salafistischen Dschihadisten-Organisationen den Kontinent unter sich weitgehend in Ost und West aufgeteilt, wobei der IS den Westen übernommen hat.

Ägypten, Syrien und der Irak

Auch auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel hält sich der IS hartnäckig, obwohl Präsident Abdel Fattah el-Sisi und das ägyptische Militär erhebliche Fortschritte gegen ihn erzielt haben. Barak zufolge ist der IS trotz ägyptischer Erklärungen über seine Auslöschung immer noch vor Ort. »El-Sisi hat die Wirtschaft auf dem Sinai gestärkt und die Rekrutierung des Islamischen Staates durch den Aufbau einer wichtigen Organisation namens Union der Stämme des Sinai, einer Allianz von etwa zwanzig Beduinenstämmen, bekämpft. Sie vereint die meisten Stämme in dem Gebiet und wirbt für die Zugehörigkeit zum ägyptischen Staat.«

Da el-Sisi den ägyptischen Patriotismus und die Identität der Beduinen auf dem Sinai stärken will, ist es sein Ziel, lokale Partner für den Krieg gegen den IS zu gewinnen und dessen Unterstützung zu untergraben. Barak bezeichnete die Initiative als recht erfolgreich und fügte hinzu, sie werde von Infrastrukturarbeiten, dem Bau von Schulen und weiteren Bemühungen der Regierung vor Ort begleitet. Dennoch bleibe der IS im nördlichen Sinai ein Problem, vor allem in der Nähe von Rafah an der Grenze zum Gazastreifen. »Er ist zwar deutlich geschwächt, aber immer noch da.«

Lisnyansky zufolge ist die ägyptische Armee tatsächlich mit aller Macht gegen den IS im Sinai vorgegangen, um die Tourismusindustrie auf der Halbinsel zu schützen und die Dschihadisten daran zu hindern, die nationale Wirtschaft zu bedrohen. »Der Tourismus ist der wichtigste Wirtschaftszweig in Ägypten, das im Jahr 2015 bei diesen Bemühungen Unterstützung von Israel erhielt.« Dennoch sei der IS in den vergangenen Monaten westlich des Grenzübergangs Rafah wieder aufgetaucht und habe Angriffe auf ägyptisches Sicherheitspersonal und zivile Infrastrukturen verübt. »Das bedeutet, dass der IS dort weiterhin existiert«, sagte die Expertin und fügte hinzu, dass einige lokale Beduinen im Sinai Drogen-, Menschen- und Waffenhandel im großen Stil betreiben und der Terrorismus nie weit hinter solchen kriminellen Aktivitäten zurückbleibe.

In Syrien und im Irak, den einstigen Kerngebieten des Islamischen Staats, unterhält die Organisation laut Michael Barak immer noch etwa 10.000 Kämpfer, die einen Guerillakrieg führen und städtische Gebiete als Stützpunkte für ihre Angriffe nutzen. »Sie nehmen schiitische Milizen ins Visier und führen auch einen Wirtschaftskrieg, indem sie als Teil einer Kampagne der verbrannten Erde Pfeiler der Wirtschaft wie Stromleitungen, die Landwirtschaft und mehr angreifen.«

Das Flüchtlingslager Al-Hol in Nordsyrien, das unter kurdischer Kontrolle steht, beherbergt etwa 10.000 Kinder aus IS-Familien, und die Terrorbewegung versucht, das Lager zu infiltrieren und den »Verstand der Kinder zum Zweck ihrer Rekrutierung zu vergiften«, warnte er. »Das ist eine tickende Zeitbombe.«

Lisnyansky meint, dass die IS-Kader in Syrien, wo sie immer noch einige Gebiete kontrollieren, nach wie vor sehr aktiv seien und eines Tages neue Enklaven bilden könnten, die sich für ein neues Kalifat-Projekt zusammenschließen. »Es sind nicht nur Kader, es gibt ganze Gruppen, die weiterhin im Namen des IS und als Teil der ursprünglichen Organisation in Syrien agieren. Sie haben zwei Enklaven in Syrien, wo der IS nicht nur aktiv ist, sondern auch die Gebiete kontrolliert. Diese Enklaven werden derzeit vor allem von Assad angegriffen und natürlich auch von den durch die Amerikaner unterstützten Kurden, die am meisten unter dem Islamischen Staat gelitten haben.«

Kampf gegen Israel als heilige Pflicht

Was Israel anbelangt, betonen der Islamische Staat und al-Qaida den Terrorismusforschern zufolge immer wieder, wie wichtig es sei, das Land anzugreifen, stehen dabei aber vor großen operativen Hürden. Intern bestehe nach wie vor die Gefahr, dass der Islamische Staat eine kleine, aber gefährliche Anzahl arabischer Israelis rekrutiere. 

IS und al-Qaida müssten dabei begründen, »warum sie sich nicht auf Israel konzentrieren, während sie eine dschihadistische Verpflichtung ins Feld führen, Israel zu bekämpfen und die Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem zu ›befreien‹«, erklärte Barak. »Dabei behaupten sie, Israel sei von einem Streifen von Ländern und Feinden der salafistischen Dschihadisten umgeben, die dessen Grenze verteidigen, sodass sie keine Angriffe durchführen können. Dazu gehören Jordanien, Ägypten und sogar die Hisbollah, der vorgeworfen wird, die Grenze zu bewachen und den Zugang der ›heiligen Kämpfer‹ zu ihr zu verhindern.« 

Die beiden Organisationen argumentierten, »dass sie eine islamisch-salafistische Dschihadistenbasis an den Grenzen Israels errichten werden, sobald sie dazu in der Lage sind, und das Land von dort aus angreifen werden, was ein sehr wichtiges Ziel ist«, fügte er hinzu.

Lisnyansky ist davon überzeugt, dass die meisten arabischen Israelis zwar keine Verbindung zu den salafistischen Dschihadisten haben, es aber Vorfälle gebe, die diesem allgemeinen Trend widersprechen, wie zum Beispiel die Übersiedlung einer ganzen Familie aus Nazareth in das Kalifat in Syrien. »Ideologisch gesehen ist Israel für den IS sicherlich ein sehr begehrtes Ziel. Wir haben Anschläge in Israel erlebt, die von arabischen Israelis verübt wurden und für die der IS die Verantwortung übernommen hat, wie den Terroranschlag in Hadera im März 2022.«

Dar Islamische Staat hat sich zu mehreren Anschlägen bekannt, die sich in jüngster Zeit in Israel ereignet haben. Dabei konkurriere er mit der Hamas und dem Palästinensischen Islamischen Dschihad um die Rekrutierung von Terroristen in Israel, erläuterte Lisnyansky.

Sowohl Barak als auch Lisnyansky sind der Ansicht, dass Afghanistan wieder einmal auf dem besten Weg ist, ein Zentrum des internationalen Terrorismus zu werden, da der IS und al-Qaida dabei sind, das Land als Ausgangspunkt für Angriffe auf den Westen zu nutzen. Obwohl die Taliban mit einem IS-Ableger in Afghanistan, ISIS Khorasan genannt, in offenem Konflikt stehen, konnte die Organisation in Afghanistan Fuß fassen, während al-Qaida mit stiller Unterstützung der Taliban in Afghanistan wieder verstärkt auftritt.

Die Taliban ihrerseits nähern sich ebenfalls der Hamas an, um eine Botschaft der Solidarität mit ihr in die (islamische) Welt zu senden, während im Gazastreifen salafistische Dschihadisten, die einst mit der Hamas in Konflikt standen, heute in der Lage sind, ihre radikale Ideologie gegen Israel zu verbreiten und für ihre Ideen zu werben – solange sie dabei die Hamas selbst nicht kritisieren. »Diese Organisationen sind nicht untätig. Wir sind Zeugen einer Wiederholung des immergleichen Kreislaufs, bei dem sie Gebiete nutzen, um den Terrorismus gegen den Westen zu fördern, während sie offen über diese ihre Absichten sprechen«, schloss Lisnyansky ihre Ausführungen.

Yaakov Lappin ist Korrespondent und Analyst für militärische Angelegenheiten in Israel. Er ist Analyst am MirYam-Institut, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Alma-Forschungs- und Bildungszentrum und am Begin-Sadat-Zentrum für strategische Studien an der Bar-Ilan-Universität sowie Autor von Virtual Caliphate – Exposing the Islamist state on the Internet(Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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