Während die von der Hamas verschleppten Geiseln in Tel Aviv allgegenwärtig präsent sind, interessieren sie hierzulande kaum noch jemanden. Vielmehr wird Israel der Strick aus der Barbarei der Hamas gedreht.
Tel Aviv und Wien sind nur dreieinhalb Flugstunden voneinander entfernt, wer aber dieser Tage von der einen Stadt in die andere reist, dem kommt es vor, als lägen Welten dazwischen.
In der Mittelmeermetropole sind die von der Hamas am 7. Oktober 2023 verschleppten Geiseln allgegenwärtig. Nicht nur am »Hostages Square« vor dem Kunstmuseum, in Sichtweite des Verteidigungsministeriums, an dem auf vielfältige Arten an diejenigen erinnert wird, die sich seit mittlerweile fast einem halben Jahr in der Hand der islamistischen Mörder- und Vergewaltigertruppe Hamas befinden; nicht nur am zentralen Dizengoff-Platz, der zu einem erschütternden Ort des Gedenkens an die Opfer des 7. Oktober geworden ist.
Bilder der Geiseln und die Forderung »Bring Them Home Now« sind vielmehr an praktisch jeder Ecke zu sehen, in den Schaufenstern der Geschäfte, auf den Leuchttafeln der Supermärkte, auf denen gewöhnlich Sonderangebote angepriesen werden, auf den Bildschirmen der McDonald’s-Läden, auf denen sonst für Big Macs und Hamburger geworben wird, an etlichen Hauswänden und Balkongeländern, auf den Taxis und Bussen, auf den Metallplaketten, die viele in Erinnerung an die Geiseln an Ketten um den Hals tragen, auf den gelben Schleifen, die demselben Zweck dienen und an vielen Autos angebracht sind oder als Anstecknadeln auf der Kleidung getragen werden, auf den T-Shirts und Pullovern, die man neben T-Shrits mit der Aufschrift »FCK HAMS« erstehen kann.
Auch wo auf den ersten Blick alles unbeschwert wie immer aussieht, ist der Krieg nicht weit, etwa in Form der Militärhubschrauber, die immer wieder den Strand entlang nach Norden fliegen und bedeuten, dass schwer verletzte Soldaten aus dem Gazastreifen in die Krankenhäuser geflogen werden müssen.
Der Regierung und Premier Benjamin Netanjahu trauen, so meine zugegeben nicht repräsentativen Gesprächserfahrungen, die Menschen keinen Zentimeter weit über den Weg, aber unabhängig davon sagen selbst jene, die Zeit ihres Lebens für Frieden mit den Palästinensern eingetreten sind, dass der 7. Oktober alles verändert hat.
Empathie gilt nicht Israel
Zurück in Europa spielt all das keine Rolle. Hier ist der kurze Schockmoment der Tage unmittelbar nach dem 7. Oktober längst schon vorüber, ist das Massaker der Hamas mit all seinen unbeschreiblichen Grausamkeiten so gut wie vergessen. Es kommt bestenfalls noch in kühlen Lippenbekenntnissen zum »Existenzrecht Israels« vor, auf das mittlerweile meist mit großer Verve vorgebrachte Forderungen nach einem Ende des Kriegs gegen die Hamas folgen.
Dass der Terrororganisation damit das Überleben gesichert und es nur eine Frage der Zeit wäre, bis sie in blutiger Mafiamanier wieder die Macht im Gazastreifen übernimmt, scheint niemanden weiter zu stören. Realistische Vorschläge, wie die Hamas denn anders als auf militärischem Wege ausgeschaltet werden könnte, hat jedenfalls noch niemand vorgebracht, wie zuletzt David Brooks in der New York Times konstatierte, einem Blatt, das nun wahrlich nicht für seine glühende Parteinahme für Israel bekannt ist.
»Das Ziel der Hamas«, stellte Brooks fest, »ist es, die Zahl der toten Palästinenser zu maximieren und auf diese Weise internationalen Druck aufzubauen, bis Israel gezwungen ist, den Krieg zu beenden, bevor die Hamas ausgelöscht wurde. Das Überleben der Hamas hängt von der Unterstützung durch die internationale Öffentlichkeit und davon ab, dass dieser Krieg für die Zivilbevölkerung so blutig wie möglich wird, bis Israel einlenkt.«
Zunehmend weite Teile der internationalen Öffentlichkeit tun genau das, was die Hamas sich erhofft. Längst haben sie Israel als den letztlich für alles verantwortlichen Bösewicht identifiziert. Aus der Barbarei der Hamas wird Israel der Strick gedreht. Manchen kann es gar nicht schnell genug gehen, die Palästinenser für die Bluttaten des 7. Oktober mit der Anerkennung eines eigenen Staates zu belohnen. Das bisschen Empathie, das Europäer aufzubringen in der Lage sind, gilt jedenfalls nicht dem jüdischen Staat und dessen Menschen.
Dass das Schicksal der verschleppten Geiseln hier überhaupt keine Rolle spielt, versteht sich unter diesen Umständen von selbst. Wie gesagt, der Unterschied zu Tel Aviv könnte größer nicht sein.