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Israel: Der Platz der Geiseln

Israel: Der Platz der Geiseln vor dem Kunstmuseum in Tel Aviv
Israel: Der Platz der Geiseln vor dem Kunstmuseum in Tel Aviv (Imago Images / Sipa USA)

Auf dem Platz vor dem Tel Aviv Museum of Art versammeln sich seit dem Hamas-Überfall auf Israel die Angehörigen von entführten Kindern, Müttern und Vätern, um ihre grausamen Erlebnisse zu erzählen.

Eigentlich handelt es sich beim Kikar HaChatufim, auf Deutsch der »Platz der Geiseln«, um den gediegenen Vorhof des Tel Aviv Museums, einem Ort der Kultur und hohen Kunst, doch derzeit ähnelt der Platz aber eher einer Art provisorischer Künstlergemeinde.

Ordnung und Perfektion sind abhandengekommen. Dafür gibt es hier viel echtes Leben und jede Menge Emotionen. An diesem Platz haben sich nämlich die Angehörigen der Menschen versammelt, die am 7. Oktober von Hamas-Terroristen als Geiseln nach Gaza verschleppt wurden. Allerorts hängen Poster mit Bildern und Namen der Gefangenen. Dazwischen stehen künstleirsche Installationen, die Schmerz und Hoffnung vermitteln.

Kunst, die Schmerz und Hoffnung vermittelt

In der Mitte des großen Platzes etwa wartet der gedeckte Schabbattisch mit den 240 leeren Stühlen auf, daneben die große Papierblumenmontage, in der jede einzelne Blüte für eines der verschleppten Kinder steht. Ganz vorne prangt ein Schachtisch, die Uhr zeigt auf sieben, zehn, zwei und drei: für das Datum des 7. Oktober 2023.

Auf dem Schachbrett sind Figuren aufgestellt, allerdings nicht in der üblichen Formierung. Vielmehr stehen manche in Grüppchen, ähnlich einer Familie, andere zu zweit und wieder andere ganz allein. Sie veranschaulichen die vielen unschuldigen Männer und Frauen, Kinder und Alten, die von der Hamas für ihr grausames »Schachspiel« missbraucht werden. Alle Figuren sind mit einem gelben Band als Zeichen für das Warten auf die Rückkehr der Geiseln umwickelt.

Kinder in Hamas-Gewahrsam

Auf die Rückkehr ihrer Verwandten warten insbesondere auch die Angehörigen, die sich in Gruppen auf dem Platz verteilt haben und den ganzen Tag lang den vielen Besuchern ihre persönlichen Erlebnisse schildern wie zum Beispiel die Großmutter von Kfir und Ariel Bibas, den beiden rothaarigen Buben (einer zehn Monate, der andere vier Jahre alt), die gemeinsam mit ihrer Mutter aus dem Kibbuz Nir Oz nach Gaza verschleppt wurden.

Die alte Dame schreit ihr bitteres Leid heraus. Ihr Vater, so klagt sie, habe den Holocaust überlebt und ihr von der Not erzählt. Selbst diese Schrecken ließen sich aber nicht mit den Gräueltaten der Hamas vergleichen. »Die unschuldigen kleinen Kinder, bringt sie zurück, bringt sie zurück«, ruft sie immer wieder in die Menge hinein.

Unweit daneben steht eine Angehörige von Amit Shani, einem sechzehnjährigen Jungen, der aus dem benachbarten Kibbuz Be‘eri verschleppt wurde. Obwohl er sich gemeinsam mit seiner Mutter und seinen beiden Schwestern im Bunker verschanzt hatte, gelang es den Hamas-Terroristen, das Haus in Brand zu setzen, die Tür des Schutzraums einzuschlagen, die Familie herauszuholen und den Jugendlichen in ein Auto zu zerren. Da half auch das Bitten und Flehen der Mutter und Schwerstern nichts. Die Terroristen fuhren los, ließen die Frauen aber zurück. Sie überlebten trotz des herrschenden Chaos und der vorherrschenden Gewalt.

Als sie einige Tag später erfuhren, dass Amit als Geisel klassifiziert wurde, atmeten sie auf. Man muss sich vorstellen: Eine Mutter ist erleichtert über die Nachricht, dass ihr Sohn im Gewahrsam der Terroristen ist. Die Alternative wäre nämlich noch schlimmer.

Kein Mitleid, sondern Resultate

Auf dem Kikar HaChatufim gibt es noch viele, viele herzzerreißende Berichte zu hören. Die Angehörigen, die dort stehen und von ihren Schicksalen erzählen, wollen aber kein Mitleid, sondern Bewusstsein schaffen und das Thema der Geiselbefreiung als oberstes Gebot in den Köpfen der politischen und militärischen Leader festsetzen.

Vor allem aber wollen sie Ergebnisse sehen. Laut jüngsten Meldungen soll derzeit die Befreiung von achtzig Geiseln angepeilt werden, und zwar im Gegenzug zu einer begrenzten Waffenpause, Treibstofflieferungen nach Gaza und der Freilassung von Hamas-Terroristen aus israelischen Gefängnissen.

Nach ihrer Meinung zu diesem Vorschlag befragt, schütteln viele der Angehörigen skeptisch den Kopf. Es seien schon so viele Lösungen diskutiert worden. Nichts hätten sie gebracht. Man könne den Worten der Hamas und ihrer Handlanger in keinster Weise trauen. Zudem sei die Freilassung eines Teils der Geiseln eine besonders grausame Form der psychologischen Kriegsführung.

Wo bleibt das Rote Kreuz?

All das hat auch Avidan Freedman verstanden, der sein Haus und seine Familie kurzfristig verlassen, sich ganz vorne auf den Boden des Kikar HaChatufims hingesetzt und einen Hungerstreik begonnen hat. Er wolle nicht von der Stelle weichen, erklärte Freedman, bis das Rote Kreuz die Geiseln besucht und sich von ihrem Wohlergehen überzeugt habe. Es sei für ihn unfassbar, dass verschleppten Kindern, Frauen und Männern, dieses grundlegendste aller humanitären Rechte schon so lange vorenthalten wird.

Avidan Freedman, der für seine friedliebenden Aktionen seit Längerem bekannt ist, appelliert an die Regierung, keine humanitäre Hilfe an Gaza mehr zu leisten: »Unsere Kinder sind nicht weniger human‹ als die Kinder von Gaza; die ganze Welt muss das verstehen und den Besuch des Roten Kreuzes fordern.«

Fußmarsch nach Jerusalem

Die Welt wachrütteln wollen auch die Angehörigen der Geisel. In erster Linie streben sie jetzt allerdings nach mehr Gehör in der israelischen Regierung. Gemeinsam machen sie sich heute zu einem Fußmarsch nach Jerusalem auf. Dort wollen sie für die sofortige Freilassung aller Geiseln plädieren.

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