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Wo die „Tatsache über Israel“ aufhört und das Gerücht beginnt

Apartheid? Ein jüdischer und ein muslimischer Rettungsfahrer in Israel beten
Apartheid? Ein jüdischer und ein muslimischer Rettungsfahrer in Israel beten (Quelle: Magen David Adom)

In der Replik des BDS-Sympathisanten und selbsternannten „evangelikalen Antizionisten“ Fritz Weber auf Thomas Eppingers Gastkommentar in der Wiener Zeitung ist fast jede Zeile falsch.

Die Überschrift eines Gastkommentars von Fritz Weber in der „Wiener Zeitung“ („Tatsachen über Israel“, 13. Oktober) machte richtig neugierig. Alle, die sich eine Meinung bilden wollen, erfahren doch gerne Tatsachen, und besonders über ein so pikantes Thema wie Israel. Leider ist fast jede Zeile in dem Text falsch, ebenso wie das, was zwischen den Zeilen steht. Man weiß gar nicht, wo man da anfangen soll, geschweige denn, ob man auch bis ans Ende kommt. Aber wir versuchen es trotzdem.

Alles Propaganda?

Es ist eine eingespielte Taktik von Polemikern wie Weber, jedes Argument, das in der komplexen Problematik vielleicht ein bisschen für Israel sprechen könnte, nicht zu prüfen, sondern von vornherein als „haltlose Behauptung“ und „Propaganda“ abzutun.

Aber es lässt sich tatsächlich leicht belegen, dass Medien und Politik in Bezug auf Israel so ihre Macken haben. Ich führe ein Beispiel von vielen an. Ich habe in meinem Archiv eine endlose Liste von APA-Meldungen über israelische Schläge gegen Einrichtungen der palästinensischen Terrororganisation Hamas. Die Formel für die Überschrift lautet dabei routinemäßig: „Israel greift erneut Ziele im Gazastreifen an“, in verschiedenen Variationen, immer wieder.

Und immer wieder wird dabei die Kausalität verdreht – denn die israelischen Angriffe waren in den letzten Jahren so gut wie immer eine Reaktion auf Raketen, die zuvor die Hamas auf die Zivilbevölkerung in Israels Dörfern und Städten abgefeuert hatte. Diese Raketen werden dann bestenfalls im Untertitel oder überhaupt erst diskret irgendwo unten im Text erwähnt.

Also: der Raketenangriff der Palästinenser ist fast nie Anlass für eine Meldung; die Berichterstattung läuft erst an, wenn Israel reagiert. Die APA-Meldungen sind der Treibstoff für den österreichischen Medienapparat und werden von Zeitungen, Radio und Fernsehen übernommen. Und es ist wohl klar, welches Israel-Bild sich auf diese Weise in die Hirne prägt.

Ist es wirklich „Propaganda“, wenn man das aufzeigt, ist es wirklich ein „Lügenpresse-Vorwurf“, und bin ich jetzt ein „Verschwörungstheoretiker“? Oder habe ich vielleicht bloß sachlich dargestellt, wie ein „Gerücht über Israel“ (Thomas M. Eppinger in der „Wiener Zeitung“, 5. Oktober) entsteht, und damit den Medienkonsumenten einen Dienst erwiesen?

Flagrant unfair

Ein Beispiel aus der Politik gefällig? Es gäbe unzählige, aber das erstaunlichste ist der so genannte „Menschenrechtsrat“ der Vereinten Nationen (UNHRC). Jahr für Jahr verurteilt diese Körperschaft Israel wegen angeblicher Menschenrechtsverletzungen öfter als alle andere Staaten der Welt zusammengenommen! Demnach würde also das kleine Israel allein öfter die Menschenrechte verletzen als Nordkorea, der Iran, China, Syrien, Weißrussland und alle anderen mehr oder weniger schurkischen Staaten im Teamwork! Jeder vernünftige Mensch, ob „proisraelisch“ oder „propalästinensisch“, ob Nahost-Experte oder Nahost-Laie, muss einsehen: das ist grober Unfug.

Steckt da Antisemitismus dahinter? Ich kann in die Köpfe und Herzen derjenigen, die Israel automatisch verurteilen, nicht hineinsehen. Auf jeden Fall ist es flagrant unfair. Und wenn von allen Staaten der Welt ohne vernünftigen Grund einzig der jüdische Staat so behandelt wird, dann könnte natürlich ein gewisser Verdacht aufkommen.

Aber halt – vielleicht war es jetzt „Propaganda“, wenn ich darauf hingewiesen habe, wie UNHRC-Abstimmungen ausgehen. Und dann wäre es ja eine „Tatsache“, dass die Israelis die bösesten Menschenrechtsverletzer auf dem Erdball sind, und nicht bloß ein „Gerücht“.

„Apartheid“ und Dummheit

Doch die zentrale, von den „Israel-Erklärern“ vertuschte „Tatsache“, über die Weber das Publikum dringend unterrichten muss, lautet: Israel ist ein Apartheid-Staat. Auch hier kann man zunächst einmal auf die eingespielte Taktik hinweisen: die Worte „Israel“ und „Apartheid“ werden so oft in einem Atemzug genannt, bis irgendetwas hängenbleibt, so unsinnig es auch sein mag.

„Apartheid“ bezeichnet ein Regime der gesetzlich verankerten Diskriminierung von dunkelhäutigen Menschen. Was soll das mit Israel zu tun haben? Israel hat unter großem finanziellem und logistischem Aufwand aus Äthiopien Zehntausende schwarze Juden ins Land geholt, und tut das immer noch – also mit „Rassismus“ ist da einfach nichts.

Oder wäre etwa eine Diskriminierung der arabischen Bürgerinnen und Bürger gemeint? Aber die sind doch vor dem Gesetz völlig gleichgestellt. Araber und Araberinnen saßen oder sitzen in der Regierung, im Parlament, im Höchstgericht. Sie dienen (freiwillig) in der Armee und bei der Polizei, studieren an den Universitäten und spielen in der Fußballnationalmannschaft. Es gibt ein eigenes arabisches Schulsystem, arabische Ortstafeln, arabische Fernsehprogramme.

Ist deshalb alles perfekt? Nein, natürlich nicht. Es gibt nämlich leider seit vielen Jahrzehnten einen bitteren Konflikt zwischen Israel und der arabischen Welt. Natürlich steht man einander da misstrauisch bis feindselig gegenüber. Aber das hat eben mit Politik zu tun und nicht mit „Rassismus“.

Trotz des Konflikts ist die Stellung der arabischen Minderheit in Israel besser als jene von Minderheiten in vielen anderen Staaten, und ihr Lebensstandard ist höher als jener der Bürger von arabischen Staaten (Ölscheichs ausgenommen).

Haarsträubend und ein Zeichen gründlichen Unwissens ist es, das israelische „Rückkehrgesetz“ von 1950 mit „Apartheid“ in Verbindung zu bringen. Dieses Gesetz privilegiert nicht „jüdische Menschen gegenüber Arabern“, sondern allgemein gegenüber allen Nichtjuden.

Und das ist völlig selbstverständlich, weil Israel sich als nationale Heimstätte des jüdischen Volkes sieht. Jeder Staat „privilegiert“ seine Staatsnation, indem er deren Angehörige aufnimmt – genau dazu ist dieser Staat ja da. Deutschland etwa hat Zehntausenden Aussiedlern aus dem ehemaligen Ostblock aufgrund der „deutschen Volkszugehörigkeit“ die Staatsbürgerschaft verliehen.

Und in Österreich ist erst im vorigen Monat ein Gesetz in Kraft getreten, wonach auch Nachkommen von in der Nazizeit vertriebenen Österreichern die Staatsbürgerschaft zusteht. Sind Deutschland und Österreich deswegen Apartheid-Regime? „Apartheid“ ist in Bezug auf Israel ein Gerücht und eine Verleumdung, aber vor allem eine Dummheit.

So gut wie alles falsch

Natürlich muss auch das „Nationalstaats-Gesetz“ von 2018 herhalten, die Fundgrube für viele Gerüchte über Israel. Das Gesetz besteht aus ganzen 22 lakonischen Sätzen deklarativen Inhalts und hat so gut wie keine praktische Bedeutung. Es bestätigt im Wesentlichen bloß, dass Israel der Nationalstaat des jüdischen Volkes ist. In Wien würde man dazu sagen: no na!

Israel ist selbstverständlich als „Judenstaat“ (Theodor Herzl, 1896) angestrebt worden und hat als solcher mit Zustimmung der UNO seine Unabhängigkeit erklärt. Israel ist genau so der Nationalstaat der Juden, wie Österreich der Nationalstaat der Österreicher ist. Die Araber haben in Israel alle individuellen Bürgerrechte und dazu Rechte als Minderheit, ähnlich wie etwa die slowenische Minderheit in Österreich. Das ist alles so banal, das man sich geniert, es hinzuschreiben.

Ein besonders populäres, auch von Weber wieder weitergereichtes Gerücht ist, das Gesetz habe die arabische Sprache in Israel „herabgestuft“. Auch falsch. Arabisch war in Israel niemals „Amtssprache“, sondern hatte, aus historischen und praktischen Gründen, einen speziellen Status. Und dieser Status wurde hier zum ersten Mal überhaupt durch ein israelisches Gesetz im Verfassungsrang sogar ausdrücklich anerkannt.

Wie befürchtet reicht der Platz nicht, um alle von Weber herausgeschleuderten „Tatsachen“ abzufangen. Aber nein, in Israel werden nicht „die Palästinenser“ als Terroristen abqualifiziert, sondern nur jene, die an Terrorakten beteiligt sind. Und ja, schon seit Jassir Arafats Zeiten sagt jeder Taxifahrer in Ramallah und in Bethlehem, dass die palästinensische Führung korrupt ist, aber was kann da Israel dafür?

Doch wiederum nein, gewaltbereit waren in den letzten Jahrzehnten nicht nur die diversen Führungskader von Fatah, Hamas, Islamischem Dschihad oder Volksfront, sondern leider auch der palästinensische Mainstream, der laut Umfragen die Terror-„Politik“ gutgeheißen und Terroristen als „Märtyrer“ betrachtet hat.

Ob diejenigen, die in Schnappatmung verfallen, sobald sie das Wort „Israel“ hören, antisemitische Motive haben und deshalb (noch dazu gerade jetzt, nachdem Israel soeben mit zwei weiteren arabischen Staaten normale Beziehungen aufgenommen hat) einen „Antiarabismus“ herbeifantasieren, kann ich nicht beurteilen, und was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Mir reicht es, zu wissen, wo die Tatsache aufhört und das Gerücht beginnt.

Der Artikel ist in leicht gekürzter Form zuerst in der Wiener Zeitung erschienen.

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