Unnötige Aufregung über ein israelisches Gesetz, das nichts ändert

Israelisches Parlament (Von צילום: איציק אדרי, CC BY 2.5, WikiCommons)

Kein arabischer Bürger Israels hat durch das „Nationalstaatsgesetz“ irgendeinen Nachteil erlitten. Die Aufregung war noch unnötiger als das Gesetz selbst.

Wer in Israel lebt, der hat die hohe, gequetschte Stimme im Ohr, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit in TV- oder Radiodokumentationen zu hören ist. Es handelt sich um die historische Aufnahme von David Ben-Gurion, wie er am 14. Mai 1948 die Unabhängigkeitserklärung verliest. „Wir erklären hiermit die Gründung eines jüdischen Staates im Land Israel“, ruft der spätere erste Ministerpräsident. Wegen des 70. Jahrestags wurde diese Aufnahme im vorigen Jahr besonders häufig gespielt. Und weil sie medial schon so abgenützt ist, löst sie eher Langeweile aus. Abgesehen davon wurde die Szene, wegen der heute etwas komisch wirkenden Erscheinung und Diktion Ben-Gurions, schon unzählige Male parodiert. Aufgeregt hat sich darüber jedenfalls noch niemand.

Wieso sollte man auch? Dass Israel der Staat der Juden ist, das ist ja allgemein bekannt. Schon lange bevor Ben-Gurion für diesen Staat den Namen „Israel“ wählte, war es selbstverständlich, dass – ob man nun dafür oder dagegen war – vom Nationalstaat des jüdischen Volkes die Rede war, in der Substanz und im Wortlaut. Was sonst hat der Wiener Journalist Theodor Herzl prophezeit und entworfen, wenn nicht einen „Judenstaat“, und zwar wörtlich? (Herzls programmatische Schrift, die den modernen Zionismus in Gang setzte, bekam den Titel „Der Judenstaat“). Die UNO beschloss am 29. November 1947 die Teilung des Mandatsgebiets Palästina in einen „Arabischen Staat“ und, wiederum wörtlich, einen „Jüdischen Staat“. Und alle, die für eine „Zwei-Staaten-Lösung“ eintreten, können damit logischerweise doch nur meinen, dass es neben einem palästinensischen eben einen jüdischen Staat geben soll – denn sonst könnte man sich ja gleich mit einer „Ein-Staaten-Lösung“ begnügen.

„Rassismus“ und „Affront“

Das ist alles so elementar, dass man sich beinahe genieren muss, es niederzuschreiben. Oder vielleicht doch nicht? Denn was sich rund um das vor einem Jahr vom israelischen Parlament beschlossene „Nationalstaats-Gesetz“ abgespielt hat und immer noch abspielt, belegt wieder aufs Neue, dass im Hinblick auf Israel offenbar nichts elementar ist. Proteste arabischer Politiker waren ja zu erwarten gewesen, aber der Ton wurde außergewöhnlich schrill. Der PLO-Funktionär Saeb Erekat sagte, das Gesetz mache Israel zu einem „Apartheid-System“. Knesset-Abgeordnete der Arabischen Einheitsliste sprachen von „Rassismus“ und vom „Tod der Demokratie“. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nannte Israel den „faschistischsten und rassistischsten Staat der Welt” und sah bei dem Gesetz „keinen Unterschied zu Hitlers Obsession mit der arischen Rasse“.

Die Wellen schlugen dabei weit aus der Region hinaus. „Wir sind besorgt, wir haben diese Besorgnis ausgedrückt und wir werden in diesem Kontext weiterhin an die israelischen Behörden herantreten“, sagte etwa eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini, und in deutschsprachigen Medienkommentaren fiel immer wieder das Wort „Affront“. Die Aufregung ist zwar inzwischen abgeklungen. Aber im aufs Neue  anlaufenden israelischen Wahlkampf und den Berichten darüber geistert nun plötzlich wieder das Nationalstaats-Gesetz herum, eingesetzt als eine Art Beleg dafür, dass Israelis unter ihrer gegenwärtigen Regierung eine Neigung entwickeln würden, sich als Herrenmenschen zu betrachten.

Was steht nun also in diesem Gesetz, das derartige Irritationen auslöst? Nicht viel. Das „Grundgesetz: Israel als Nationalstaat des jüdischen Volkes“ ( eine deutsche Übersetzung findet sich hier) umfasst elf knappe Artikel, bestehend aus ganzen 22 lakonischen Sätzen. Fast alle diese Sätze enthalten triviale, phrasenhafte Aussagen oder beschreiben eine seit Langem etablierte Realität. „Das Land Israel ist die historische Heimat des jüdischen Volkes“, heißt es da etwa, „Der Name des Staates ist ‚Israel‘„, und „Die Hymne des Staates ist ‚Hatikvah‘“.  Dass der Schabat und die jüdischen Feiertage Ruhetage sind, dass der Unabhängigkeitstag (begangen nach dem jüdischen Kalender am 5. des Monats Ijar) der Nationalfeiertag ist und dass Israel „für jüdische Einwanderung offen“ ist – das alles ist wohl auch keine Schlagzeilen wert. Von seinem Wesen her ist das Gesetz deklarativ und nicht operativ. In ihm ist nichts zu finden, was konkrete Maßnahmen oder Veränderungen nach sich ziehen würde.

Missverständnisse und Fehlinformationen

Um nun doch etwas Handfestes zu zitieren, was den „faschistischen“ oder auch nur „diskriminierenden“ Charakter des Gesetzes belegen würde, mussten sich die kritischen Berichterstatter schon sehr bemühen. Und die spärlichen Beispiele beruhten dann auf Missverständnissen oder glatten Fehlinformationen. Als Lachnummer tat sich da etwa das Magazin Stern hervor, das titelte: „Israel wird ‚Nationalstaat für jüdische Menschen‘“. Die Erklärung dafür liegt wohl darin, dass die Redakteure nicht hebräisch sprechen und auf eine englische Übersetzung des Gesetzes angewiesen waren. Und dann haben sie halt ihrerseits den Ausdruck „Jewish people“ falsch ins Deutsche übersetzt – mit „jüdische Menschen“ statt „jüdisches Volk“.

Der Fehler ist nicht nur belustigend, sondern auch bezeichnend für die Verwirrung, um nicht zu sagen Ahnungslosigkeit. Das Gesetz definiert eben gerade nicht die Rechte individueller Menschen, sondern nationale Rechte. Deshalb ist es auch nicht diskriminierend, wenn in dem Gesetz steht: „Die Verwirklichung des Rechts auf nationale Selbstbestimmung im Staat Israel ist dem jüdischen Volk vorbehalten.“

Das ist genauso selbstverständlich wie die Aussage, dass in Frankreich die nationale Selbstbestimmung des französischen Volkes (und nicht etwa jene des korsischen oder baskischen oder eines sonstigen Volkes) verwirklicht wird. In Österreich haben etwa  Angehörige der slowenischen Minderheit selbstverständlich alle individuellen Staatsbürgerrechte und darüber hinaus kollektive Rechte als Minderheit. Aber ihr Recht auf nationale Selbstbestimmung verwirklichen die Slowenen natürlich nicht in Österreich, sondern in Slowenien. Ob man nun dafür ist oder dagegen, die Welt (in der UNO, bei der Fußball-WM und sogar in der EU) ist vorläufig halt noch immer in Nationalstaaten aufgeteilt. Der Selbstbestimmung und den Rechten von Individuen und Minderheiten innerhalb des Staates wird dadurch grundsätzlich kein Abbruch getan. Nur bei Israel soll das anders sein?

Mit einem irreführenden Übersetzungsproblem belastet ist auch die weithin kolportierte Meldung, das Gesetz würde festlegen, dass „jüdische Siedlungen im nationalen Interesse sind”. Das Wort „Siedlungen“ ist im Zusammenhang mit Israel politisch negativ geprägt und wird mit jüdischer Bautätigkeit im Westjordanland (und früher im Gasastreifen) assoziiert. Doch wer den hebräischen Gesetzestext liest, findet dort keine „Siedlungen“, sondern den Ausdruck „Hitjaschvut“, der „Besiedlung“ bedeutet. „Hitjaschvut“ hat schon in vorstaatlichen Zeiten die Gründung von Gemeinden aller Art, insbesondere von Kibutzim, in allen Regionen des Landes, etwa in Galiläa oder im Negev, bezeichnet – also etwas, was in Israel von jeher, unter allen Regierungen, als selbstverständliche nationale Mission betrachtet wurde. Dieser Passus des Gesetzes enthält also eigentlich nur die Aussage, dass Juden sich im Land Israel niederlassen wollen – ziemlich fad.

Arabisch war niemals Amtssprache

Unnötige Aufregung über ein israelisches Gesetz, das nichts ändert
By Doyle Stevenson, CC BY-NC-ND 2.0

In den Berichten über das Nationalstaats-Gesetz am häufigsten genannt wurde  aber der Passus über die arabische Sprache. Arabisch sei bisher in Israel „Amtssprache“ oder „offizielle“ Sprache gewesen, wurde man immer wieder belehrt, und werde nun „herabgestuft“. Das wäre nun aber wirklich bedenklich. Bloß: es ist einfach nicht wahr.

Wie die israelische Publizistin Janet Berg recherchiert hat, war in Israel niemals zuvor irgendeine Sprache, auch nicht die hebräische, per Gesetz zur offiziellen Staatssprache erklärt worden. Der Irrglaube rührt von einem britischen  Mandatsgesetz aus dem Jahr 1922 her, wonach Verordnungen, offizielle Verlautbarungen von Gemeinden, Formulare und dergleichen auf Englisch, Arabisch und Hebräisch zu verfassen waren. Nach der Gründung Israels entstanden dann nach und nach Gesetze, die für spezifische praktische Zwecke die Benützung der arabischen Sprache erlaubten oder vorschrieben. Das israelische Wahlgesetz etwa bestimmt, dass Stimmzettel auch arabisch beschriftet sein dürfen. Das Rundfunkgesetz legt fest, dass auch Programme in arabischer Sprache produziert werden sollen. Eine Verordnung über Sicherheit am Arbeitsplatz bestimmt, dass Sicherheitsvorschriften auch auf Arabisch ausgehängt werden müssen. Die Apotheken-Verordnung schreibt vor, dass Beipackzettel für Medikamente auch ins Arabische zu übersetzen sind.

Arabisch war also in Israel niemals „Amtssprache“, sondern hatte, aus historischen und praktischen Gründen, einen speziellen Status. Mithin wird die arabische Sprache durch das Nationalstaats-Gesetz nicht „herabgestuft“. Vielmehr wird der spezielle Status, den sie ohnehin hat, zum ersten Mal überhaupt durch ein israelisches Gesetz im Verfassungsrang ausdrücklich anerkannt. Im Übrigen geht Israel damit über das hinaus, was in den meisten anderen Staaten üblich ist, auch in europäischen Demokratien. Die Verfassung Frankreichs etwa bestimmt knapp: „Die Sprache der Republik ist Französisch.“ Das schwedische Grundgesetz geht auf die Problematik der Staatssprache und der sprachlichen Minderheiten gar nicht erst ein.

In Israels Nachbarschaft scheint man auch kein großes Herz für Minderheitensprachen zu haben. „Der Islam ist die Religion des Staates, und Arabisch ist seine offizielle Sprache“, verfügt die Verfassung Ägyptens. Und Artikel 42 der türkischen Verfassung klingt schon fast wie eine Drohung: „Keine andere Sprache als Türkisch darf türkischen Bürgern als Muttersprache in jedweden Ausbildungs- oder Unterrichtsanstalten beigebracht werden.“ Vielleicht könnte man für Erdogan einmal einen Besuch in einem arabischen Gymnasium in Jaffo oder Nazareth organisieren.

Das Gesetz ist unnötig, die Aufregung auch

Natürlich hatte Israels Rechtsregierung politische Hintergedanken, als sie das Nationalstaats-Gesetz gegen alle Widerstände hartnäckig durchzog. Seit Jahrzehnten liegt – in den Verhandlungen mit den Palästinensern, in bilateralen Beziehungen mit anderen Staaten, aber auch in der internen Debatte über Israels Zukunft – die Frage auf dem Tisch, ob Israel nur „einfach so“ als Staat definiert und anerkannt wird oder ausdrücklich als „jüdischer Staat“. Hier wollte man einen klaren Akzent setzen: alle, die Israel in einen binationalen oder anationalen Staat („ein Staat aller seiner Bürger“, lautet eine gängig gewordene euphemistische Formel) umfrisieren wollen, mögen sich das ein für alle Mal aus dem Kopf schlagen.

In der Substanz enthält Israels Nationalstaats-Gesetz aber nur Selbstverständlichkeiten – und es verändert nichts. Mit anderen Worten: Es ist eigentlich unnötig. Deshalb war es vielleicht auch unklug und ungeschickt, dieses Gesetz überhaupt zu beschließen, zumal die Empörung darüber, so wenig sie berechtigt sein mag, vorhersehbar war. Außerdem hätten die Initiatoren, wenn sie schon dabei waren, den Text noch durch ein paar weitere „Selbstverständlichkeiten“ unterfüttern können, etwa ein ausdrückliches Bekenntnis zur Demokratie. Doch mit dem Abstand von einem Jahr seit dem Beschluss des Gesetzes kann man sagen: Kein arabischer Bürger Israels hat irgendeinen Nachteil erlitten, Israel bleibt ein Muster der Multikulturalität, und die Aufregung war noch unnötiger als das Gesetz selbst.

Bleiben Sie informiert!
Mit unserem wöchentlichen Newsletter erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren sowie ein Editorial des Herausgebers.

Zeigen Sie bitte Ihre Wertschätzung. Spenden Sie jetzt mit Bank oder Kreditkarte oder direkt über Ihren PayPal Account. 

Mehr zu den Themen

Das könnte Sie auch interessieren

Wir sprechen Tachles!

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie einen unabhängigen Blickzu den Geschehnissen im Nahen Osten.
Bonus: Wöchentliches Editorial unseres Herausgebers!

Nur einmal wöchentlich. Versprochen!