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»Staatsräson« essen Seele auf. Zu einer Spiegel-Geschichte (Teil 1)

Der Spiegel macht in einem Artikel gegen die deutsche Staatsräson zur Solidarität mit Israel mobi
Der Spiegel macht in einem Artikel gegen die deutsche Staatsräson zur Solidarität mit Israel mobil (© Imago Images / APress)

In einem aktuellen Spiegel-Artikel heißt es, die deutsche Staatsräson, solidarisch an der Seite Israels zu stehen, zerstöre die Vernunft, den Verstand und das Herz.

Das 1947 von Rudolf Augstein mit alten Nationalsozialisten gegründete Nachrichtenmagazin Der Spiegel zeigt, was Israel und die Juden betrifft, über die Jahrzehnte hinweg eine bemerkenswerte Konsistenz. Seit Generationen lautet die immer gleiche Botschaft: Der Staat Israel tue Böses, weil er böse sei und das Böse wolle; er sei den Nationalsozialisten ähnlich. Im Hintergrund zögen die Juden die Fäden und spannten die Regierungen anderer Länder für sich ein, machten sie gewissermaßen zu willenlosen Zombies. Sie zerstören, wie es in einer aktuellen Spiegel-Geschichte heißt, die Vernunft, den Verstand und das Herz.

Mehr dazu gleich. Sehen wir uns vorher diese alten Spiegel-Titelbilder an. Im Juni 1967, als der junge Staat Israel vor der Auslöschung stand und sich gegen alle Wahrscheinlichkeit aus der Umklammerung befreien konnte, hieß es: »Israels Blitzkrieg.« Schon damals gehörten Nazi-Analogien zum Werkzeugkasten.

Es folgten Bilder, die unter anderem einen Davidstern zeigen, durch den ein Panzerrohr ragt. Die Schlagzeile: »Friedens-Diktat für Nahost?«, also eine Abwandlung des NS-Kampfbegriffs »Diktatfrieden« (von Versailles). Eine Landkarte des Nahen Ostens, die Schmauchspuren in Form eines Davidsterns zeigt: »Militärstaat Israel.« Als Jassir Arafat im September 2000 die zweite Intifada befahl, die tausend Israelis das Leben kostete, titelte der Spiegel: »Auge um Auge. Der biblische Krieg.«

Der Spiegel benutzte hier gleich zwei antisemitische Bilder: die rachsüchtigen Juden, welche die Rechtfertigung für ihre angeblichen Missetaten aus religiösen Schriften ableiten. Das gleiche Bild von der angeblich zügellosen jüdischen Rache tauchte in dem Spiegel-Titel »Davids Rächer« auf. Es zeigte zwei schemenhafte Figuren, die vor einem gleißenden Licht durch einen riesigen Davidstern laufen und mysteriöse Taschen tragen. »Israels geheime Killer-Kommandos.« Ein anderes Titelbild präsentierte ein U-Boot vor einer israelischen Flagge und den überlebensgroßen Bildern von Bundeskanzlerin Angela Merkel und einem grimmig dreinblickenden Benjamin Netanjahu: »Geheimoperation Samson. Wie Deutschland die Atommacht Israel aufrüstet.«

Kontrolliert Israel Claudia Roth?

In diese Kerbe schlägt nun auch Julia Amalia Heyer, beim Spiegel Redakteurin im Auslandsressort. Sie wirft deutschen Politikern vor, Vasallen – also Knechte – Israels zu sein. »Verpanzerte Herzen« (nie war deutsche Sprache schöner) hätten sie deswegen inzwischen schon.

Heyer meint, dies ausrechnet am Beispiel Claudia Roth darstellen zu können. Sie zeigt die Staatsministerin für Kultur und Medien zunächst als die Lichtgestalt, die sie angeblich in den Augen jedes Menschen auf Erden sei. In all den vielen Jahren, in denen sie nun schon die deutsche Politik mitbestimmt, habe es, glaubt man Julia Amalia Heyer, nie ernsthafte Kritik an Claudia Roth gegeben: »Man konnte von Claudia Roth halten, was man mochte. Man konnte genervt sein von ihrer Exaltiertheit, ihrer Gefühligkeit, ihrem Buntsein‹, wie sie es einmal selbst ausdrückte. Oder man fand genau das gut an ihr.«

Exaltiert und gefühlig, das war’s. Andere Menschen, zumal Politiker, haben echte Fehler, manchmal egoistische Motive und müssen oft harsche Kritik einstecken. Nicht so Claudia Roth. Sie ist einfach nur bunt; etwas anderes habe ihr – laut Heyer – nie ein Mensch vorgeworfen. Es geht weiter: »Egal, wie man zu ihr stand, Roth galt als integer.« »Egal, wie man zu ihr stand«, das heißt: Selbst diejenigen, die Claudia Roth nicht mögen, müssen (laut Julia Amalia Heyer) eingestehen, dass Roth durch und durch rechtschaffen ist.

Claudia Roth muss der Mensch sein, von dem der Prophet Jesaja verkündete, dass er »kein Unrecht getan« hat und »nie ein unwahres Wort aus seinem Mund gekommen war«. Dass jeder Roth als »integer« wertschätze, wie Heyer versichert, ist jedoch – ist es wirklich nötig, das zu sagen? – erwiesenermaßen falsch. Politiker fordern ihren Rücktritt, Journalisten bescheinigen ihr, aus ihren früheren Skandalen »nichts gelernt« zu haben und nennen ihren Umgang mit Antisemitismus »beschämend«. Auf der Jewrovision wurde sie ausgepfiffen. Jeder darf seine Meinung zu Roth haben, aber zu behaupten, es gäbe niemanden, der sie nicht für »integer« hielte, ist nicht richtig. Schon bei Roths Ernennung zur Kulturstaatsministerin im Jahr 2021 war übrigens auf Mena-Watch zu lesen, was das bedeutete:

»Es ist Claudia Roth lieber, wenn jüdische Israelis in Deutschland schikaniert, beschimpft und ausgegrenzt werden, als dass irgendein BDS-Antisemit glaubt, er wäre nicht mehr ganz so wohlgelitten. Das qualifiziert sie für das Amt der Kulturstaatssekretärin. Sie wird ihren Einfluss nutzen. Wenn es in den nächsten vier Jahren Diskussionen gibt, weil BDS-Unterstützer mit staatlichem Geld zur Ruhrtriennale eingeladen werden; oder vielleicht auch ein BDS-Philosoph, der einst verhindert hat, dass eine israelische Psychologin an einer internationalen Konferenz in Südafrika teilnehmen darf – dann werden die Antisemiten die Stimme der Regierung hinter sich wissen.«

Heyer wittert Erpressung

Nachdem Heyer Claudia Roth zur Heiligen verklärt hat, macht sie sich daran, den Gegenpol zu skizzieren: die teuflischen Juden und ihre Verbündeten. Nach der Preisverleihung der heurigen Berlinale, bei der der Staat Israel vor applaudierendem Publikum und einer exaltiert klatschenden Kulturstaatsministerin in den Dreck getreten wurde, hatte es bekanntlich scharfe Kritik an Claudia Roth gegeben. Roth selbst räumte »Fehler« ein. Für Heyer ist Kritik an Roth Majestätsbeleidigung. Und dass Roth zugibt, nicht richtig gehandelt zu haben, macht Heyer »beklommen«. Ja, »beklommen«.

Heyer suggeriert, dass Roths Selbstkritik nicht aufrichtig sei. Sie ist sicherlich nicht die Einzige, die das so sieht, mehr aber noch: Sie hält Roth offenbar für das Opfer einer Erpressung, hinter der Israelis stehen, die ihre Existenz auslöschen wollen. Man lese und staune: »Claudia Roths Äußerungen wirken getragen von der Angst um die eigene Existenz, um den eigenen Posten.«

Heyer benutzt tatsächlich die Begriffe »Angst« und »Existenz« in einem Satz. Hier hat wohl jemand während des Studiums Kierkegaard und Sartre gelesen und das kommt dabei heraus: Claudia Roth hat Angst vor einer jüdischen Kabale, die ihr an die Existenz will, nämlich den »eigenen Posten«. Die »Staatsräson«, so Heyer – sie meint die von Bundeskanzlerin Angela Merkel behauptete deutsche Sorge um die Existenz des Staates Israel –, »frisst die Räson, die Vernunft. Vernebelt den Verstand. Verpanzert das Herz.«

Die gefräßige »Staatsräson«

Die Staatsräson »frisst«: Hier werden die antisemitischen Bilder von den Juden als Schädlinge und von ihrer zersetzenden Tätigkeit aufgerufen. Vernunft und Verstand sind futsch, ebenso wie das Herz. Die Juden haben Deutschland zu ihrem Golem gemacht – und Claudia Roth gleich mit.

Es sei »freundlich formuliert, leicht naiv« gewesen, so Heyer weiter, dass Bundeskanzler Scholz im Oktober »mit seiner Bescheidwisser-Stimme« gesagt habe, er sei sich sicher, dass die israelische Armee das Völkerrecht achten werde, so Heyer. »Seither ist ein bisschen was passiert: 30.000 tote Palästinenser, darunter verheerend viele Frauen und Kinder. Zerbombte Krankenhäuser, Universitäten, Moscheen. Hunger.«

Belege für Zahl der Toten? Keine. Die Hamas sagt das doch auch, oder? Das muss reichen, egal, wie widersprüchlich und unplausibel die Behauptungen sind. Heyer glaubt den Hamas-Propagandisten jedes Wort. Könnten sie irgendein Interesse haben zu lügen? Glaubt man der Hamas nicht auch, wenn sie sagt, dass am 7. Oktober niemand vergewaltigt wurde, die verschleppten Männer, Frauen und Kinder »gut behandelt« wurden und Israel bewaffnete Delfine einsetze? Glaubt man der Hamas nicht, dass sie die israelische Armee auf dem Feld besiegt habe und kurz vor dem Endsieg stehe?

Mit der Hamas und Heyer haben sich die richtigen Denker gefunden. Dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag, schreibt Heyer weiter, »scheint, ganz im Gegensatz zu Checker Scholz, die Gefahr plausibel, dass Israel mit seinem Krieg gegen die Völkermordkonvention von 1948 verstößt; er hat deshalb gegen Israel einstweilige Anordnungen erlassen«. Scheint plausibel, so. Heyer hätte auch sagen können, dass der IGH die Gefahr als so entfernt betrachtete, dass er es ablehnte, von Israel ein Ende des Militäreinsatzes zu verlangen.

Heyers Rosinenpicken, um Israel schlecht aussehen zu lassen, hat hier den Gipfel noch nicht erreicht. Der kommt jetzt: »Und Nicaragua verklagt Deutschland wegen Beihilfe.« Ausgerechnet Nicaragua! Vielleicht hätte ihr jemand einmal sagen sollen, wer »Nicaragua« ist: Diktator Daniel Ortega und seine Ehefrau Rosario Murillo entscheiden dort quasi im Alleingang. Die NGO Freedomhouse stuft das Land als »unfrei« ein. Jedem, der verdächtigt wird, ein Kritiker der Regierung zu sein, drohen Gefängnis oder Exil, egal, ob es sich um einen katholischen Bischof handelt oder die nicaraguanische Miss Universe. Was für ein fabelhaftes Argument Frau Heyer da gegen Israel gefunden hat: ›Daniel Ortega sagt es schließlich auch.‹

Es geht weiter: »Dass im Gazakrieg schwere Kriegsverbrechen stattfinden, darüber scheint [!] man sich unter Völkerrechtlern weltweit recht einig zu sein.« »Schwere Kriegsverbrechen« finden statt. Scheint es. Wer führt sie aus? Dass Heyer hier nicht etwa die Hamas bezichtigt, Kriegsverbrechen zu verüben, ist ihr so selbstverständlich, dass sie meint, Israel gar nicht als Urheber der vermeintlichen Verbrechen nennen zu müssen. Die »Völkerrechtler« werden wohl darauf bestanden haben, anonym zu bleiben, anderenfalls hätte Heyer Namen genannt. Das tut sie nicht. Es sind so viele Völkerrechtler und sie sind sich so einig, wer wollte da widersprechen?

Heyer weiter: »Das ficht die deutsche Regierung aber nicht weiter an, der Tenor: Wer das Wort ›Genozid‹ auch nur in den Mund nimmt, ist Antisemit.« Die jüdische Verschwörung zur Zensur von Meinungen mal wieder. Andersherum wird ein Schuh daraus: Seit mindestens 150 Jahren, seit den Tagen des Antisemiten Wilhelm Marr, jammern Antisemiten darüber, dass sie »mundtot« gemacht und »boykottiert« würden. Antisemiten betrachten den Kampf gegen die Juden und Israel als Notwehr gegen einen angeblich übermächtigen Feind.

Heyer & Co. werfen Israel »Völkermord« vor, wie man den Juden früher »Gottesmord« zur Last legte. Die jeweils schlimmstmöglichen Vorwürfe, die sich denken lassen, sollen zeigen, dass die Juden außerhalb der Menschheit stehen, Agenten des Satans.

Teil 2 der Miniserie erscheint morgen hier.

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