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Jewrovision: Verdiente Buhrufe und Pfiffe für Claudia Roth 

Claudia Roth wurde auf der Jewrovision mit Cuhrufen und Pfiffen empgfangen
Claudia Roth wurde auf der Jewrovision mit Cuhrufen und Pfiffen empgfangen (© Imago Images / dts Nachrichtenagentur)

Für ihre Verharmlosung der BDS-Bewegung und ihre Passivität gegenüber dem Antisemitismus auf der documenta gab es auf der Jewrovision in Frankfurt für die Kulturstaatsministerin lautstarke Proteste seitens des jungen jüdischen Publikums.

Auch wenn es schon viele Jahre her ist, so gab es doch einmal eine Zeit, in der die heutige deutsche Kulturstaatsministerin Claudia Roth als Managerin einer populären linken Band fungierte, die Lieder mit Titeln wie »Keine Macht für niemand«, »Die letzte Schlacht gewinnen wir« und »Macht kaputt, was euch kaputt macht« im Repertoire hatte. Unter den Aktionsformen, welche die Gruppe »Ton, Steine, Scherben« um den legendären Sänger Rio Reiser seinerzeit befürwortete, hätte das nicht besonders radikale Ausbuhen und Auspfeifen von Politikerinnen und Politikern vermutlich eher einen hinteren Rang eingenommen.

Doch die Zeiten haben sich geändert, Claudia Roth ist ohne Schlacht zu Macht gekommen und nun selbst ausgebuht worden, was sie gewiss nicht kaputt macht, einige ihrer Verteidiger aber dennoch ganz und gar empörend fanden.

Die Buhrufe gab es am vergangenen Freitag in der Frankfurter Festhalle bei der Jewrovision, einem großen, an den Eurovision Song Contest angelehnten, seit 2002 ausgetragenen Gesangs- und Tanzwettbewerb jüdischer Jugendzentren. Roth war vom Veranstalter, dem Zentralrat der Juden in Deutschland, eingeladen worden, ein Grußwort zu sprechen. Doch sie wurde während ihrer Rede von einem Teil der über zweitausend Zuschauer ausgepfiffen und ausgebuht, zudem wurden Plakate in die Höhe gehalten, auf denen beispielsweise geschrieben stand: »Wir wollen Sie hier nicht«, »Kein Platz für Antisemitismus« und »documenta, BDS – Antisemitismus klar benennen«.

Den Hintergrund erklärte Hanna Veiler, die neue Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD): »Claudia Roth steht seitens weiter Teile der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland bereits seit Jahren in der Kritik«, schrieb sie auf ihrer Instagram-Seite. So habe Roth 2019 nicht für die Bundestagsresolution gegen die BDS-Bewegung gestimmt und »mehrfach keine klare Kante« im Umgang mit Vertretern des iranischen Regimes gezeigt. »Zuletzt kam es zum Bruch zwischen Roth und jüdischen Institutionen, als sie ihre Verantwortung bei der antisemitischen Eskalation auf der documenta zu spät einsah«, so Veiler weiter. Dabei hätten sich Vertreter dieser Institutionen schon Monate zuvor um einen Termin mit ihr bemüht.

Verharmlosung und Passivität

Diese Kritik an Roth ist völlig berechtigt. Tatsächlich lehnte die Grünen-Politikern die Bundestagsresolution zu BDS ab– damals war sie Vizepräsidentin des Parlaments –, und ihre Haltung zu dieser antisemitischen Bewegung, die sie als »gewaltfrei« und »zivilgesellschaftlich« verharmlost, hat sie bis heute nicht korrigiert. Roths Passivität im Zusammenhang mit der documenta, die sich erst zu spät änderte, hatte Zentralratspräsident Josef Schuster schon frühzeitig in einem Brief an die Kulturstaatsministerin kritisiert. Lange Zeit wiegelte Roth ab, schlug Warnungen vor dem Antisemitismus im Kontext der Kunstschau, die auch aus Mitteln von Roths Haus finanziert wurde, in den Wind und spielte das Problem herunter, bis es beim besten Willen nicht mehr herunterzuspielen war.

Diese Verfehlungen hat Claudia Roth nun von jungen Jüdinnen und Juden um die Ohren gepfiffen bekommen, und »so viel Krach wurde nicht ohne Grund geschlagen«, wie Ulrike Knöfel im Spiegel zu Recht befand. Der Protest sei »Ausdruck der Sorge, die hiesige Kulturpolitik könnte den Antisemitismus hoffähig machen«. Außerdem sei Roths Schweigen »lange viel lauter, viel dröhnender, ihr Weichspülen viel härter« gewesen. JSUD-Präsidentin Veiler machte deutlich: »Immer wieder heißt es, es gebe in Deutschland keinen Platz für Antisemitismus. Gerade die Kunst- und Kulturszene, die in Roths Aufgabenbereich fällt, zeigt das Gegenteil. Die Atmosphäre wird nicht erst seit der documenta zunehmend unaushaltbar für jüdische Kunst- und Kulturschaffende.«

Verständnis des Zentralrats

Roths Verantwortung sei es, sich diesen Entwicklungen entgegenzustellen, so Hanna Veiler. Doch bisher scheitere sie an dieser Aufgabe. Auch dass ihr Amtschef Andreas Görgen die Initiative GG 5.3 Weltoffenheit mitinitiiert habe, werfe »alles andere als ein gutes Licht auf die Politikerin«. Diese Initiative, ein Bündnis staatlich alimentierter großer Kultureinrichtungen, hatte sich im Dezember 2020 in einer Erklärung gegen den BDS-Beschluss des Bundestags gewandt. Bei Görgen, seinerzeit Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, bedankte sich Roth seinerzeit »für fachlichen Rat und Diskussionsbeiträge«.

»Es reicht nicht, sich nur um tote Juden zu kümmern. Um das deutlich zu machen, haben die jungen jüdischen Menschen gegen Frau Roth protestiert«, sagte der Vorsitzende des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Constantin Ganss. Der Zentralrat der Juden sprach von »lange aufgestautem Frust«, der sich bei der Veranstaltung deutlich entladen habe. Es sei »die Konsequenz der Entwicklungen im deutschen Kulturbetrieb der vergangenen Jahre«. Die Organisation äußerte also Verständnis für die Protestierer, der Einladung an Roth zum Trotz. Ob die Kulturstaatsministerin, wie die Bild-Zeitung nahelegt, selbst auf diese Einladung zur Jewrovision gedrängt hatte, um sich in einem guten Licht präsentieren zu können, ist unklar.

Unbelegte Vorwürfe 

Immerhin hatte Roth, nachdem sie zunächst versucht hatte, die Buhrufe und Pfiffe zu ignorieren und mit ihrem Redemanuskript fortgefahren war, aber noch die Souveränität zu erklären: »Ich nehme diese Kritik an.« Das lässt sich von ihrem Parteikollegen, dem früheren Bundesumweltminister Jürgen Trittin – wie Roth einer jener Grünen, die der BDS-Resolution des Bundestags nicht zugestimmt hatten –, nicht sagen: Er schrieb auf Twitter von einem »inszenierten Eklat«. In der FAZ stieß Patrick Bahners ins gleiche Horn: Die Buhrufe seien »nicht spontan« gewesen, und der Zentralrat der Juden habe den »grob unhöflichen Umgang mit dem Ehrengast« nicht einmal missbilligt.

Daraus folgt: Der Zentralrat soll Claudia Roth eine Falle gestellt und die Kinder und Jugendlichen dafür instrumentalisiert haben. Ein erheblicher Vorwurf, für den Trittin und Bahners keine Belege beibringen können, sondern nur eine Mutmaßung, die im Wesentlichen darauf basiert, dass die größte jüdische Dachorganisation in Deutschland keine Kritik an den Protestierern geäußert hat.

Anna Staroselski, Vorgängerin von Hanna Veiler als JSUD-Präsidentin, fragte Trittin dann auch via Twitter: »Glauben Sie also, dass Kinder & Jugendliche mündig genug sind, mit Fridays For Future auf die Straße zu gehen, aber dafür, sich gegen Antisemitismusverharmlosung, was für viele jüdische Kinder & Jugendliche übrigens Alltag ist, zu wehren, nicht?«

Verständliche und berechtigte Wut

Damit traf Staroselski ins Schwarze. Ohnehin lenkt die Behauptung, hier sei mit Kalkül und schlechtem Stil gehandelt worden, vom eigentlichen Problem ab: »Eine Antisemitin ist die Grünen-Politikerin sicher nicht, sie muss sich aber den Vorwurf gefallen lassen, dass sie Antisemiten eine Bühne gegeben hat«, kommentierte Johannes C. Bockenheimer in der Neuen Zürcher Zeitung. Es sei deshalb »alles andere als verwunderlich, dass die jungen Jüdinnen und Juden am Freitagabend die Frankfurter Bühne mit Staatsministerin Roth nicht teilen wollten«. Spiegel-Autorin Ulrike Knöfel schloss sich an: »Die lautstarke Wut auf Roth ist verständlich.« Und sie ist berechtigt – das ist das Wichtigste.

JSUD-Präsidentin Veiler hielt deshalb fest: Dass junge Jüdinnen und Juden sich gegen »das systematische Versagen eines Staates im Kampf gegen Antisemitismus« – das Claudia Roth mitverantwortet – wehrten, sei »weder eine Inszenierung seitens des Zentralrats noch eine Instrumentalisierung von Kindern und Jugendlichen«, sondern vielmehr »eine natürliche Reaktion auf Ungerechtigkeit und die Missstände in Deutschland«, die jedoch ungern gesehen werde, wenn sie von Jüdinnen und Juden komme. »Stattdessen sollen wir leise bleiben«, so Hanna Veiler. »Wir sind aber eine Generation, die ihre Rechte einfordert. Wir müssen Antisemitismus und das Hofieren jener, die ihn verbreiten, nicht hinnehmen. Wir dürfen wütend sein.« 

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