Die palästinensische Terrororganisation Hamas behauptet, vor der Küste des Gazastreifens einen schwer bewaffneten israelischen Delfin gefangengenommen zu haben.
In einem von der Organisation produzierten Kurzvideo, das der israelische Fernsehsender i24 auf seiner Website veröffentlicht hat, ist ein vermummter uniformierter Mann mit einem Sturmgewehr zu sehen, im Hintergrund eine Druckluftflasche für Taucher, dazu das Emblem der Al-Qassam-Brigaden der Hamas.
Der Mann, dessen Stimme verzerrt ist – vielleicht ist er selbst einer der Entführer – gibt an, dass der Delfin bei der kriegerischen Auseinandersetzung im Mai einen Hamas-Taucher getötet habe. Es sei den Al-Qassam-Brigaden dann aber gelungen, den Meeressäuger zu überwältigen und festzunehmen.
Ein anderer Mann – der nicht vermummt ist und Zivilkleidung trägt – präsentiert in dem Video ein Geschirr, das der Delfin getragen haben und auf dem die Waffe montiert gewesen sein soll. Der amerikanische Militär- und Marineblogger HI Sutton hat eine Grafik angefertigt, die zeigt, wie das Geschirr auf einem Delfin aussehen würde:
Wo sich das Tier jetzt befindet und ob sie einen Gefangenenaustausch anstrebt, darüber schweigt die Hamas sich bislang aus. Es werden auch keine Fotos oder Filmaufnahmen des Delfins gezeigt, was Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Darstellung weckt.
Dass die Hamas eine Kampftauchereinheit betreibt, deren Mission es ist, nach Israel einzudringen, ist seit Jahren bekannt. Ihren ersten Einsatz hatte sie im August 2002, als Hamas-Kampftaucher versuchten, die israelische Siedlung Dugit zu erreichen (sie wurde 2005 im Zuge des israelischen Rückzugs aus dem Gazastreifen aufgelöst). Die Taucher wurden von israelischen Soldaten getötet, bevor sie das Land erreichten.
Solche Versuche der Hamas, von See aus Terroranschläge auf Israelis zu verüben, gab es seither immer wieder, sie wurden aber bislang stets vereitelt. Trotzdem preist die Hamas in ihren Propagandavideos die Schlagkraft ihrer Kampftaucher, und 2014 schaffte es eine Einheit einmal tatsächlich an Land, bis fast zum Kibbutz Zikim. Im Mai 2021 griff die Hamas israelische Bohrinseln erfolglos mit Unterwasserdrohnen an.
Immer wieder tierische Spione
Israel nimmt diese Bedrohung sehr ernst und hat Vorkehrungen dagegen getroffen, darunter eine Unterwasserbarriere und elektronische Überwachungsgeräte, um den Hamas-Froschmännern ein unbemerktes Eindringen in israelische Gewässer zu erschweren.
Von Killerdelfinen ist bislang nichts bekannt. 2015 hatte die Hamas schon einmal erklärt, einen israelischen »Delfinspion« gefasst zu haben. Die Israelis hätten ihn »seines Willens beraubt« und zu »einem Mörder gemacht«, behauptete die Terrororganisation damals. Foreign Policy-Autor Elias Groll schrieb hingegen:
»Obwohl Delfine von verschiedenen Militärs eingesetzt wurden (…), fällt dieser Bericht wahrscheinlich in ein überraschend fruchtbares Genre von Verschwörungstheorien: die Vorstellung, dass der israelische Geheimdienst routinemäßig alle Arten von Vögeln und anderen Tieren als Werkzeuge der Spionage einsetzt.«
Immer wieder geraten im Nahen Osten Wildvögel, die von Ornithologen mit Hochfrequenzsendern versehen wurden, um ihre Flugrouten verfolgen zu können, in den Verdacht, für den Mossad zu arbeiten. Der Journalist und Blogger Claudio Casula resümierte 2012 eine Reihe solcher Fälle:
»Die Türkei, so wird vermeldet, hat soeben einen Rackenvogel als israelischen Spion entlarvt; zuvor hatte Ägypten hinter einem Haiangriff im Roten Meer den Mossad vermutet, und in Saudi-Arabien war ein Gänsegeier unter Spionageverdacht geraten.
Unser persönlicher Favorit: Der Iran verdächtigte Brieftauben, als diese in der Nähe einer Urananreicherungsanlage gesichtet wurden. Zuvor hatte der Geheimdienst bereits die Festnahme von 14 Eichhörnchen als Erfolg der iranischen Spionageabwehr vermeldet.«
Räuberpistolen …
Jemand, der die Behauptungen der Hamas ernst nimmt, ist David Hambling, Militärexperte des amerikanischen Magazins Forbes. In einem Beitrag mit dem Titel »Die unbequeme Wahrheit über tödliche Militärdelfine« führt er aus, dass die USA und die Sowjetunion, später Russland, sehr wohl Programme zum Einsatz von Meeressäugern für militärische Zwecke betrieben hätten. Man könne also nicht ausschließen, dass an der Darstellung etwas dran sei.
Was er übersieht, ist, dass die Hamas ihre Propaganda nicht nach der Wahrheit ausrichtet, sondern allein nach der angestrebten Wirkung. Der Nahe Osten ist sehr märchengläubig. Man lese etwa diesen Bericht der Washington Post von 1996 über Gerüchte, die in Ägypten über Israel kursierten:
»In jüngsten Berichten in der populären Presse wurde Israel mit der Verbreitung von Drogensucht, Pornografie, sexueller Promiskuität, AIDS, Falschgeld, Gesundheitsgefahren durch hormonhaltige Früchte und Anfang dieses Jahres mit der Strahlung des israelischen Atomreaktors Dimona in Verbindung gebracht.
Ähnliche Geschichten beschuldigen israelische Geschäftsleute, in Ägypten Scheinfirmen zu gründen, um eine wirtschaftliche ›Hegemonie‹ über das bevölkerungsreichste arabische Land aufzubauen.«
Ein von der Hamas verbreitetes Gerücht lautet, Israel schmuggle Kaugummi mit aphrodisierenden Wirkstoffen in den Gazastreifen, um die Moral der Bevölkerung zu untergraben.
Als 2010 mehrmals hintereinander Haie an der ägyptischen Küste Touristen angriffen und eine Frau töteten, interviewte das ägyptische Fernsehen einen Mann, der als »Kapitän Mustafa Ismail« und »berühmter Taucher in Sharm El Sheikh« vorgestellt wurde, wie die halbamtliche Zeitung Al-Ahram English berichtete.
Der Kapitän behauptete, die fragliche Haiart – der Weißspitzen-Hochseehai – lebe gar nicht in ägyptischen Gewässern. Zudem habe er gehört, dass der Hai einen GPS-Sender getragen habe. »Warum sollten diese Haie 4000 Kilometer weit reisen, ohne dass es irgendeinen Unfall gibt, bis sie in die Gewässer des Sinai kommen?«, fragte Ismail. Der Gouverneur der ägyptischen Provinz Südsinai sagte daraufhin, es sei »nicht auszuschließen, dass der Mossad dahintersteckt«, es bedürfe aber »mehr Zeit zur Prüfung«.
Der von Al-Ahram befragte Meeresbiologe Professor Mahmoud Hanafy sagte, dass die Existenz eines GPS im Hai nicht bedeutet, dass eine Verschwörung im Spiel sei, und fügte hinzu, dass diese Tracking-Geräte oft von Meeresbiologen verwendet würden, um das Leben im Meer zu untersuchen.
»Hier in Ägypten setzen wir diese Geräte an vom Aussterben bedrohten Schildkröten an, damit wir ihr Verhalten beobachten, sehen, wo sie leben, Nahrung aufnehmen und ihre Eier legen. Es sendet jedes Mal Signale an den Satelliten, wenn das Tier an der Oberfläche des Ozeans auftaucht.
Es ist traurig, dass sie eine Person, deren einziges Wissen über Haie aus dem Film ›Der weiße Hai‹ stammt, ins nationale Fernsehen gebracht haben, um diesen Riesenblödsinn zu verbreiten.«
… mit großer Wirkung
Manchmal haben Räuberpistolen im Nahen Osten weitreichende politische Folgen: Der jordanische König Hussein entschied sich im Juni 1967 zum Angriff auf Israel, weil er den falschen ägyptischen Siegesmeldungen, die von Radio Kairo über Kurzwelle verbreitet wurden, Glauben schenkte. Dadurch verlor er die Herrschaft über das 1948 von Jordanien besetzte Westufer des Jordans (West Bank) und die Altstadt von Jerusalem.
Übrigens: Bereits im Oktober 2021 hatte die Hamas dreier ihrer Kampftaucher, die von der israelischen Marine getötet worden waren, als sie während des Kriegs im Mai einen Terroranschlag hatten verüben wollen, als »Märtyrer« gedacht.
Damals war von der Beteiligung eines bewaffneten israelischen Delfins noch keine Rede. Man fragt sich, warum die Hamas diese Information acht Monate lang unter Verschluss gehalten hat.