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Selbstbestimmungsrecht der Völker in Israel (6/9)

Zeremonie anlässlich der Unterzeichnung des Oslo-Abkommens
Zeremonie anlässlich der Unterzeichnung des Oslo-Abkommens (© Imago Images / ZUMA Press)

Die bisherigen Ausführungen in Betracht gezogen: Haben nun die Palästinenser einen völkerrechtlich begründeten Anspruch auf die Gebiete, die sie als palästinensisch bezeichnen?

Die Erörterung des rechtlichen Status des Westjordanlandes hat bisher ergeben, dass:

  1. Jordanien keinerlei legitimen Anspruch hat, da es das Gebiet seinerseits infolge von illegaler bewaffneter Aggression besetzt und anschließend annektiert hat, und
  2. Israel gemäß dem Prinzip uti possidetis juris als dem Staat, der dem britischen Mandat für Palästina gefolgt ist, die territoriale Souveränität über das gesamte Mandatsgebiet zukommt.

Palästinensisches Territorium?

Im Unabhängigkeitskrieg verloren gegangene jüdische Gemeinden
Im Unabhängigkeitskrieg verloren gegangene jüdische Gemeinden (Quelle: State of Israel, Ministry of Foreign Affairs)

Aber wie sieht es nun mit der Bezeichnung „palästinensische Gebiete“ aus, die so oft verwendet wird? Inwiefern kann man von der Westbank als „palästinensischem Territorium“ sprechen?

Historisch gesehen ist die Sache einfach: Zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte hat es irgendeine Art von palästinensischer Souveränität über das Land gegeben. Bis zu den 1960er Jahren haben die Palästinenser als von anderen Arabern zu unterscheidendes Kollektivsubjekt praktisch nicht existiert; erst im Zuge des Oslo-Friedensprozesses der 1990er Jahre haben sie zum ersten Mal eine autonome Selbstverwaltung in Teilen des Westjordanlandes erlangt.

Anders als die Juden, die in ihrer Geschichte Souverän über Königreiche waren, die sich im heutigen Westjordanland befanden, hat jedenfalls nie ein palästinensischer Staat existiert – und tut das heute nicht, da die Palästinensische Autonomiebehörde die weithin akzeptierten Mindestvoraussetzungen für Staatlichkeit nach dem Völkerrecht, die sogenannten Montevideo-Kriterien, nicht erfüllt – wie zuletzt u. a. auch Österreich und vor allem Deutschland in Stellungnahmen an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag erneut betont haben.

Probleme mit Selbstbestimmungsrecht

Aber gibt es nicht das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das den Palästinensern das Recht auf einen Staat gibt? Kurz gesagt: Nein.

Die Probleme mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker beginnen schon mit der Terminologie, die zu Missverständnissen einlädt: Obwohl wir es im Deutschen mit „Völkerrecht“ zu tun haben, sind die Subjekte dieses Rechts nicht Völker, sondern Staaten. (Die englische Bezeichnung „public international law“ vermeidet dieses Missverständnis.) Das Selbstbestimmungsrecht der Völker fällt insofern „völlig aus dem Rahmen der Grundstruktur des Völkerrechts“ hinaus.

Bereits in der UN-Charta verankert, wurde das Selbstbestimmungsrecht der Völker enorm gestärkt, als es als gemeinsamer Artikel 1 in die beiden Menschenrechtspakte von 1966 über bürgerliche und politische sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte aufgenommen wurde. Dort heißt es:

„Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.“

Daraus leitet sich freilich nicht automatisch das Recht auf einen eigenen und die Sezession von einem anderen Staat ab, denn das Selbstbestimmungsrecht kann auch auf dem Wege der Schaffung von Autonomierechten oder föderalen staatlichen Strukturen umgesetzt werden.

Wie auch im Hinblick auf andere Materien legt das Völkerrecht auch hier großen Wert auf die Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Staaten, die als wesentliche Voraussetzungen einer stabilen internationalen Ordnung gesehen werden. Ein Recht auf einen eigenen Staat erwächst nur in seltenen Ausnahmenfallen – bei schwersten systematischen Menschenrechtsverletzungen, Völkermord und ähnlich schwerwiegenden Verbrechen gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe.

Die palästinensische bzw. israelfeindliche Propaganda bemüht sich zwar seit geraumer Zeit, Israel als einen Staat zu zeichnen, der sich solcher Verbrechen – von „Apartheid“ bis zum „Genozid“ – schuldig mache, doch sollte sie als genau das gesehen werden, was sie ist: als Versuch, den jüdischen Staat mittels grotesker Diffamierungen oder erfundener Vorwürfe zum internationalen Paria-Staat zu machen.

Nüchtern betrachtet lebt der überwältigende Großteil der Palästinenser im Westjordanland unter weitgehender Selbstverwaltung – also genau so, wie es im völkerrechtlichen Sinn dem Selbstbestimmungsrecht der Völker entspricht. Und selbst einen eigenen Staat könnten sie bereits haben, wenn sie entsprechende Angebote bisher nicht konsequent abgelehnt und sich einem Friedensschluss mit Israel verweigert hätten.

Bedingungen des Selbstbestimmungsrechts

Das verweist auf einen anderen in diesem Zusammenhang relevanten Punkt: Selbst wenn man den Palästinensern einen eigenen Staat zuerkennen will, kann ein solcher selbstverständlich nur unter der Voraussetzung völkerrechtlich akzeptabel sein, dass er seinerseits das Selbstbestimmungsrecht der Juden anerkennen würde und nicht darauf aus wäre, den jüdischen Staat zu schädigen oder zu zerstören.

Die Inanspruchnahme des Selbstbestimmungsrechts der Völker durch die Palästinenser bei gleichzeitiger Verwehrung desselben Rechts für die Juden widerspricht allen fundamentalen Prinzipien des Völkerrechts und der UN-Charta.

Waffenstillstandslinien von 1949-1967
Waffenstillstandslinien von 1949-1967 (Quelle: State of Israel, Ministry of Foreign Affairs)

Genau das ist aber, was die beiden palästinensischen Führungen – die Hamas im Gazastreifen und die Fatah bzw. PLO im Westjordanland – tun: Die Hamas lässt in ihrer Charta nicht den geringsten Zweifel an ihrem eliminatorischen, religiös aufgeladenen Hass auf Juden und die völlige Undenkbarkeit einer Akzeptanz Israels; und auch die Palästinensische Nationalcharta der PLO lässt keine Fragen offen: Ihr zufolge sind die Juden kein Volk, haben keinerlei Verbindung zum Land und ist der bewaffnete Kampf der einzige Weg, um den Zionismus in Palästina zu beseitigen.

Die PLO hat sich zwar im Oslo-Friedensprozess dazu verpflichtet, die auf die Vernichtung Israels zielenden Artikel aus ihrer Charta zu streichen, hat das aber bis heute nicht getan – und kürzlich erst hat PLO-Chef Mahmud Abbas verkündet, die Palästinenser seien an keinerlei Übereinkünfte mit Israel mehr gebunden.

Schon allein unter diesen Voraussetzungen haben die Palästinenser keinerlei legitimen Anspruch auf einen Staat unter Inanspruchnahme ihres Selbstbestimmungsrechts.

Aus der bloßen Möglichkeit, dass vielleicht einmal ein palästinensischer Staat entstehen wird, leitet sich keine rechtliche Begründung dafür ab, vom Westjordanland oder von Teilen Jerusalems als Gebieten zu sprechen, die den Palästinensern „gehören“. Wenn unzählige UN-Resolutionen, Politiker, Journalisten und viele mehr trotzdem von „palästinensischen Gebieten“ sprechen, geben sie palästinensische Wünsche wieder, nicht aber die rechtliche Realität.

Politischer Konflikt bedarf politischer Lösung

Das Westjordanland ist völkerrechtlich gesehen weder jordanisches noch palästinensisches Territorium. Über Israel kann man zumindest sagen, dass es aus rechtlicher Sicht einen weit besseren Anspruch auf Souveränität auf das Territorium erheben kann als alle anderen beteiligten Akteure.

Das führt freilich die Redewendung vom „von Israel besetzten“ Territorium ad absurdum: Wie kann ein Staat ein Gebiet „besetzen“, auf das niemand anderer völkerrechtlich legitime Ansprüche anmelden kann?

Sofern man sich auf das Territorium bezieht, wie stets, wenn von „besetzten Gebieten“ die Rede ist, kann Israel nicht als „Besatzungsmacht“ bezeichnet werden. Das Land ist nur durch militärische Aggression unter die Kontrolle von jemand anderem gekommen, und es ist heute überhaupt nur noch in israelischer Hand, weil die arabischen Staaten sich nach der Niederlage von 1967 mit den berüchtigten drei Neins von Khartum,

Kein Friede mit Israel, keine Verhandlungen mit Israel, keine Anerkennung Israels,

einem Friedensschluss, der einen israelischen Rückzug aus dem Westjordanland beinhaltet hätte, genauso verweigert haben, wie die palästinensische Führung seitdem alle Friedensangebote ausgeschlagen hat.

Doch geht es bei der Frage nach der Besatzung nicht nur um Land, sondern auch – aus der Sicht der Genfer Konvention sogar vor allem – um Menschen. Das Westjordanland als Land ist nicht von Israel besetzt, aber viele Palästinenser empfinden die israelische Anwesenheit als einen Besatzungszustand, auch wenn dieser im Alltag zeitweilig (vor allem vor dem als „Zweite Intifada bekannten palästinensischen Terrorkrieg der Jahre 2000ff.) praktisch kaum mehr gegeben war.

Friedensschluss mit Jordanien 1994
Friedensschluss mit Jordanien 1994 (Quelle: State of Israel, Ministry of Foreign Affairs)

Da in der öffentlichen Debatte über das Westjordanland immer wieder das Völkerrecht in Stellung gebracht wird, sollten die vergangenen Ausführungen dazu dienen, die Selbstsicherheit zu erschüttern, mit der routinemäßig Israels Verhalten als „illegal“ gebrandmarkt wird. Die tatsächliche Sachlage ist keineswegs so klar, wie sie meistens dargestellt wird – und tatsächlich trifft meist das Gegenteil des allgemein für wahr Gehaltenen zu.

Eine Lösung des palästinensisch-israelischen Konflikts wird nicht auf Basis von rechtlicher Kriegsführung und – in aller Regel gegen Israel gerichteter – juristischer Schwarz-Weiß-Malerei gefunden werden können. Als politischer Konflikt bedarf er einer politischen Lösung.

Auf dem Verhandlungsweg war eine solche Lösung bisher nicht zu erreichen. Ob die von Israel jetzt angekündigte Ausweitung israelischer Souveränität auf das Jordantal und auf israelische Gemeinden jenseits der Grünen Linie ein kluger Schritt ist, darüber lässt sich trefflich streiten – die Differenzen verlaufen hier quer zu sonstigen politischen Verortungen.

Aber diesen Schritt auf reichlich fragwürdiger rechtlicher Basis einfach als „illegal“ abzuurteilen und unter Verwendung kaum haltbarer Formulierungen wie jener von der „israelischen Besatzung palästinensischen Territoriums“ jede Diskussion zu beenden, hilft niemandem weiter – am allerwenigsten den Palästinensern, die dadurch nur weiter in ihrer Haltung bestärkt werden, sich weiter Verhandlungen verweigern und darauf warten zu können, bis ihre angeblichen „Rechte“ von der sogenannten internationalen Gemeinschaft auf Punkt und Komma gegen Israel durchgesetzt werden.

Inhaltsverzeichnis: 

Israels Grenzen: Zur Grenzfrage im arabisch-israelischen Konflikt (1/9)
Die Resolution 242 

Bedingungen für sichere & anerkannte Grenzen Israels (2/9)
Der einseitige Rückzug ist gescheitert

Friedensprozess in Israel (3/9)
Rabins Vermächtnis

Israels Souveränität und Völkerrecht (4/9)
Wer ist der legitime Souverän?

Israelische Besetzung und Souveränität Palästinas (5/9)
„Wie ihr besitzt, so sollt ihr besitzen“

Illegale Siedlungen Israels und Genfer Konvention (7/9)
Die IV. Genfer Konvention

Siedlungen in “besetzten” Gebieten weltweit (8/9)
Völkerrechtlich vergleichbare Fälle

Israels Souveränität und Völkerrecht: Fazit (9/9)
Internationale Praxis

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