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Warum Selenskijs Rede vor der Knesset so kolossal daneben ging

Wolodymyr Selenskijs Rede wurde auch auf dem Habima-Platz in Tel Aviv live ausgestrahlt
Wolodymyr Selenskijs Rede an die Knesset wurde auch auf dem Habima-Platz in Tel Aviv live ausgestrahlt (Quelle: Twitter Aviva Klompas)

Mit seinem geschichtsvergessenen Vergleich des russischen Überfalls auf die Ukraine mit dem Holocaust verspielte der ukrainische Präsident einige der Sympathien, die ihm nach seinen vergangenen Reden zugeflogen waren.

»Nur ein kluger Mensch«, so lautet ein jiddisches Sprichwort, »kann eine Dummheit machen«. (Klar, denn ein Narr benimmt sich ja ständig dumm.) Mir fiel das Sprichwort ein, als ich am vergangenen Sonntag den Worten von Wolodymyr Selenskij lauschte.

Der charismatische Präsident der Ukraine sprach via Zoom die israelischen Knesset-Abgeordneten an. Die zehnminütige Rede wurde im israelischen Fernsehen übertragen und auch auf den Habima-Platz im Herzen Tel Avivs. Dort hatten sich rund 1.000 Israelis versammelt, um von der israelischen Regierung mehr Unterstützung für die Ukraine zu fordern.

Zielgruppengerechte Ansprache

Es war nicht das erste Mal, dass Selenskij in den letzten Wochen bei den Parlamentariern eines fremden Staates direkt und unverblümt für sein Land plädierte. Bei jeder dieser Gelegenheiten wusste er, seine Worte zielgruppengerecht zu verfassen.

Im Kongress der Vereinigten Staaten erwähnte er Martin Luther King, und im britischen Parlament erinnerte er an Winston Churchill. Die Rede des ebenso mutigen wie sympathischen jungen Mannes im uniform-grünen T-Shirt wurden denn auch allerorts mit Begeisterung aufgenommen.

Leidenschaftlicher Appell

Auch die Israelis sprach Selenskij gezielt an. Allerdings ging seine Rede diesmal gehörig schief. Dabei hatte alles so gut begonnen.

Die Herzen waren ihm zugeflogen, bevor er überhaupt den Mund geöffnet hatte. Kein Wunder, seine Causa wird in Israel als gerecht empfunden und erinnert die lokale Bevölkerung an David versus Goliath, eine Situation, die sie aufgrund der eigenen Erfahrung nur allzu gut nachvollziehen kann.

Als Selenskij leidenschaftlich für sein Land argumentierte und mehr Hilfe, etwa den Iron Dome und schärfere Sanktionen gegen Russland forderte, klang er stark und überzeugend. Israel, so meinte er, verhalte sich in seinem Versuch, sich nicht allzu sehr zu exponieren, entweder gleichgültig oder kalkuliert.

Kalkulationen könnten aber irreführen und Gleichgültigkeit würde zuweilen töten. Bennett dürfe sich nicht hinter der Vermittlerrolle verstecken, denn vermitteln können man nur zwischen zwei Ländern, nicht aber zwischen Gut und Böse.

Die »jüdische Trumpfkarte«

So weit, so bestechend. Dann aber ging es bergab. Zum einen versuchte Selenskij die »jüdische Trumpfkarte« zu spielen.

Nein, er erwähnte nicht seine eigene jüdische Herkunft, die ja ausreichend bekannt ist. Er sprach vielmehr über die vielen Juden, die derzeit in der Ukraine leben und auch jene vielen Hunderttausende, die jedes Jahr die Grabstätte des Rabbi Nachman in Oman aufsuchen.

Die jüdische Nation, so die unterschwellige Botschaft, solle solidarisch sein, denn es gelte schließlich, Juden zu retten. So manche Zuhörer ließen diese Worte aufhorchen. Glaubt Selenskij wirklich, Israel, das Land, das soeben immerhin 100 Tonnen Hilfsmittel in die Ukraine geschickt hat, würde nur Juden helfen wollen? Hält er Israel am Ende für rassistisch?

Empörender Vergleich

Dann kam es schlimmer. Selenskij verglich den Angriff Russlands auf die Ukraine mit dem Holocaust. Als Beweis führte er an, die Invasion habe am 24. Februar begonnen. Das sei auch das Datum gewesen, an dem im Jahr 1920 die nationalsozialistische Partei gegründet worden war.

Zudem würde Moskau die gleiche Terminologie nutzen wie die Nazis und spräche von einer »Endlösung der Ukraine-Frage«. Schließlich habe Russland Babyn Jar bombardiert, jenen unwürdigen Ort, an dem 1941 mehr als 33.000 jüdische Frauen, Männer und Kinder ihr eigenes Grab schaufeln mussten, bevor sie dort erschossen wurden.

Der Vergleich mit dem Holocaust ist nicht nur falsch, sondern empörend. Nein, die Juden hatten während der Shoah kein Land, das sie beherbergte; keine bewaffnete Armee, die sie schützte; keine internationalen Freunde, die sie, sei es mit humanitären oder militärischen Mitteln, unterstützten.

Der Krieg in der Ukraine ist schrecklich. Mit dem systematischen Genozid von sechs Millionen Juden in den Gaskammern von Auschwitz und anderen Konzentrationslagern, mit der gnadenlosen Erschießung von Juden in Babyn Jar, an der vermutlich auch die ukrainischen Nazis mitgewirkt haben, kann und darf man ihn nicht vergleichen.

Besonders nicht in Israel, wo die Menschen die Geschichte genau kennen und immer noch schmerzlich nachempfinden.

Unwürdige Geschichtsverfälschung

Dann kam es noch schlimmer. Israel, so meinte Selenskij, könne nicht länger in der Mitte stehen, sondern müsse sich entscheiden.

Sein Land, so der Präsident im bestimmten Ton, habe sich vor achtzig Jahren entschieden, damals, als die Ukrainer beschlossen hatten, den Juden zu helfen. Deshalb würden auch so viele Ukrainer als »Gerechte unter den Völkern« im Holocaust-Gedenkzentrum Yad Vashem geführt werden.

Spätestens bei diesen Worten schnappten viele Israelis nach Luft. Ja, sicher, es gab Ukrainer, die Juden retteten. Wie Lahav Harkov in der Jerusalem Post schreibt, sind 2.600 Ukrainer als »Gerechte unter den Völkern« registriert. Schade nur, dass Selenskij vergaß, die 80.000 Ukrainer zu erwähnen, die zur selben Zeit als Freiwillige der SS beigetreten waren.

Auch die schrecklichen Pogrome, bei denen Tausende Juden auf ukrainischem Boden massakriert wurden, ließ Selenskij außen vor.

Und wie steht die Ukraine zu Israel?

Gut, die düstere Geschichte sollte in der Haltung Israels heute keine Rolle spielen. Tut sie auch nicht. Die Israelis stehen mehr oder minder geschlossen hinter der heutigen Ukraine. Allein die Regierung muss, aus geopolitischen Gründen, vorsichtig lavieren. Das sollte Selenskij eigentlich verstehen. Schließlich tut er nichts anderes.

Seit er Präsident geworden ist, wurden in der UNO 17 Resolutionen gegen Israel eingebracht. Bei 13 davon hatte die Ukraine gegen Israel gestimmt; bei vier weiteren sich der Stimme enthalten. Kein einziges Mal, nicht einmal, hat das Land unter Selenskij seine Stimme für Israel abgegeben.

Vielleicht hätte er ja wollen, er musste aber, genau wie Bennett heute, das tun, was für sein Land richtig war.

Selenskij übt Schadenskontrolle

Der virtuelle Selenskij-Auftritt in Israel ist also danebengegangen. Das hat der ukrainische Präsident wohl selbst auch bald begriffen.

Jedenfalls gab er noch am selben Abend eine beschwichtigende Erklärung ab. Er danke Bennett, so hieß es, für seine Vermittlungsaktivitäten und würde sich Jerusalem als den geeignetsten Ort für Friedensverhandlungen wünschen, so ein Frieden denn möglich sei.

Zu diesem frommen Wunsch sagen die meisten Israelis wohl: Amen.

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