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Israels arabische Bürger (Teil 1): Die kaum wahrgenommenen Opfer

Nicht nur im Kibbutz Be'eri hat die Hamas auch Araber ermordet. (© imago images/ABACAPRESS)
Nicht nur im Kibbutz Be'eri hat die Hamas auch Araber ermordet. (© imago images/ABACAPRESS)

An Israels »Schwarzem Schabbat« ermordeten die Hamas-Terroristen aus dem Gazastreifen unzählige jüdische Bürger in den nahe gelegenen Kibbuzim und Dörfern. Neben Ausländern sind unter den Toten und den Geißeln auch arabische Bürger Israels.

Rund zwei Drittel der fast 9,8 Millionen Bürger des Staates Israel sind jüdisch. Doch das Land zählt mit ca. 21 Prozent zugleich eine große arabische Gemeinschaft. Muslime stellen mit über 1,7 Millionen Personen die absolute Mehrheit dieser Gruppe. Doch egal, ob Juden, Muslime, Christen, Drusen, Tscherkessen – in Israel lebt und arbeitet man miteinander, liegt zusammen in Krankenhauszimmern und steht in denselben Schlangen bei Behörden an; nicht zu reden von gemeinschaftlichen Friedensprojekten, jüdisch-arabischen Kindergärten und Schulen sowie gelebten Shared Communities.

Dieses Zusammenleben wird allerdings von nicht wenigen Spannungsfeldern gekennzeichnet, wozu mehr als die zwischen der jüdischen und arabischen Bevölkerung Israels bestehende sozioökonomische Kluft gehört. Das zeigte sich wieder einmal im Mai 2021, als während einer Zeit der militärischen Eskalation gegenüber den palästinensischen Terrorvereinigungen im Gazastreifen arabische Bürger Israels zunächst in den jüdisch-arabischen Städten regelrecht Jagd auf Juden machten. Dann griffen die Unruhen auf weitere Städte über. Letztendlich lieferten sich arabische und jüdische Bürger beinahe landauf, landab blutige Kämpfe. Und doch: Nur wenig später kam es zur Bildung der Veränderungskoalition mit der koalitionsstützenden arabischen Partei Ra‘am, die mit der islamischen Bewegung des Landes zu identifizieren ist.

Nicht nur palästinensischer Terror

Es verstrichen nur wenige Monate dieser in der israelischen Politik präzedenzlosen Beteiligung einer arabischen Partei an den Regierungsentscheidungen, da wurde das Land wieder einmal von einer Welle des Terrors erschüttert. Ende März 2022 kam es in Be’er Sheva zu einem Terroranschlag eines vom Gedankengut des Islamischen Staates inspirierten arabisch-beduinischen Bürgers des Landes. Der Schrecken der jüdischen Mehrheitsbevölkerung nahm zu, als nur einige Tage später ein weiterer Terroranschlag verübt wurde. Wie auch in einigen anderen Fällen zuvor mordeten arabische Bürger Israels erneut im Namen des Islamischen Staates.

Die Welle des Terrors setzt sich seither fort und schwoll im Verlauf des heurigen Jahres weiter an, jedoch nicht vor dem Hintergrund der Befürchtung der jüdisch-israelischen Bevölkerung, dass die arabischen Bürger des Landes zu einer »fünften Kolonne« werden. Ganz im Gegenteil, nicht zum ersten Mal trafen die Kugeln und Raketen palästinensischer Terroristen auch Angehörige der arabischen Minderheit Israels.

Blinder Blutrausch der Hamas

Als am frühen Morgen des 7. Oktober, wie inzwischen von Israels Behörden ermittelt, rund dreitausend Hamas-Terroristen in den Kibbuzim und Dörfer der Grenzregion zum Gazastreifen mit ihren grausamen Mordtaten israelischen Bürgern ihr Leben nahmen, waren unter den ersten Todesopfern auch israelische Araber. Sie waren früh auf den Beinen, um als Angestellte der mehrheitlich landwirtschaftlich orientierten Grenzortschaften ihre Arbeit in Gewächshäusern oder auf den Feldern aufzunehmen. Mehrere Einwohner der beduinischen Städte Rahat und Ar’ara in der Negev-Wüste wurden von den Hamas-Terroristen in Grenznähe beim Ernten von Agrarprodukten erschossen.

Unter den 260 ermordeten jungen Menschen des Musikfestivals zwischen den Kibbuzim Be’eri und Re’im sind arabische Bürger Israels, junge Beduinen, die dort einen Job für die Nacht angenommen hatten. Israelische Araber, die in der Nähe waren, eilten genauso wie andere Bürger des Staates herbei, um zu helfen. Diesen altruistischen Akt bezahlte nicht nur ein 50-jähriger, sechsfacher beduinischer Familienvater mit dem Leben.

Auf ebendiesem Musikfestival griffen die Hamas-Terroristen zudem einen jungen Mann auf, von dem sie glaubten, er sei Araber. Bei der von den Bodycams der Terroristen aufgenommenen Befragung bestätigte er, Busfahrer aus Ost-Jerusalem zu sein, ein Palästinenser. Das half ihm genauso wenig wie anderen Menschen, die sich als Araber zu erkennen gaben – auch seine von Kugeln durchlöcherte Leiche wurde einige Tage nach Bekanntmachung des Filmmaterials entdeckt.

Auch tiefer im Landesinneren, so in den Städten Sderot, Netivot und Ofakim, wurden arabische Bürger Israels von den radikal-islamischen Schergen ermordet. Darunter Frauen, die wegen ihres Hidschabs unverkennbar als Muslima zu erkennen waren. Eine 39-jährige beduinische Frau wurde von ihrem Mann getrennt und kam in einem Schusshagel der Terroristen ums Leben. Das jüngste ihrer neun Kinder, das sie bei sich hatte, blieb wie durch ein Wunder unversehrt.

Auch muslimisch-israelische Kinder mussten mitansehen, wie Vater, Mutter oder andere Verwandte kaltblütig ermordet wurden. Ein fünfjähriger beduinischer Junge wurde bei einem solchen grausamen Akt schwer verletzt. Seinen Rettern der israelischen Polizei sagte er wenige Tage später im Krankenhaus, er möchte, wenn er groß ist, auch Polizist werden.

Schutzlos in der Wüste

Israel wurde am 7. Oktober innerhalb von wenigen Stunden mit Tausenden von Mörsergranaten und Raketen beschossen. Das Raketenabwehrsystem Iron Dome leistete erneut hervorragende Arbeit, denn rund 95 Prozent der aus dem Gazastreifen abgefeuerten Raketen, die in bewohntem Gebiet einzuschlagen drohten, wurden im Anflug unschädlich gemacht. Trotz dieser relativen Sicherheit, das weiß jeder in Israel, sollte man unbedingt versuchen, sich in Bunkern und Schutzräumen in Sicherheit zu bringen.

In Israel sind Neubauten mit Schutzräumen auszustatten, doch längst nicht alle Israelis haben einen solchen Schutz; erst recht nicht, wenn es sich um über viele Jahrzehnte nach und nach gewachsene, dicht verbaute arabische Dörfer handelt. Nur wenige Häuser der größten beduinischen Stadt Rahat verfügen über Schutzräume. Ganz Rahat mit seinen 80.000 Einwohnern hat nur zehn öffentliche Luftschutzbunker, nicht erreichbar bei nur 45 Sekunden Zeit, um Schutz zu suchen.

Hinzu kommt der eine Schwachpunkt des Iron-Dome-Systems, der immer wieder dazu führt, dass versprengt in der Wüste lebende beduinische Muslime verletzt oder getötet werden. Raketenangriffe werden durch Sirenen und Warnapps in registrierten Bevölkerungszentren angekündigt, doch die in der Wüste lebenden Beduinen sind auf keiner Landkarte verzeichnet, werden nicht gewarnt und verfügen über keine Bauten, die ihnen Schutz bieten.

Am 7. Oktober kamen in den frühen Morgenstunden sechs beduinische Kinder im Alter zwischen fünf und fünfzehn Jahren sowie mehrere Erwachsene durch Hamas-Raketenangriffe östlich von Be’er Sheva, rund siebzig Kilometer landeinwärts, ums Leben. Einige wurden in freiem Gelände getötet, andere, als sie Schutz suchten; wieder andere verloren durch direkte Treffer ihrer Wohnungen ihr Leben. Darüber hinaus wurden auch in unmittelbarer Grenznähe israelische Araber getötet oder verletzt.

Uniformierte Araber ließen ihr Leben, um Zivilisten zu schützen

In den Rängen der israelischen Sicherheitsbehörden, einerlei, ob Armee, Polizei oder Grenzpolizei, dienen ebenfalls arabische Bürger des Staates. Am 7. Oktober ließen auch beduinische Polizisten ihr Leben. Sie waren herbeigeeilt, oftmals ohne geordneten Befehl, um ihren Kollegen beim Schutz der israelischen Zivilisten vor den an vielen Orten in Israels Süden eine Blutspur hinterlassenden Terroristen zur Seite zu stehen. Sie fielen im Kampf unter anderen in den Kleinstädten Sderot und in Ofakim. Doch es traf auch andere arabische Uniformierte wie beispielsweise einen 23-jährigen muslimisch-arabischen Sanitäter aus der Nähe von Nazareth, der erschossen wurde, als er Verwundeten des Musikfestivals zwischen den Kibbuzim Be’eri und Re’im zu helfen versuchte.

Rahat: Eine beduinische Stadt trägt Trauer

Die in den frühen 1970er Jahren gegründete Stadt Rahat, die einst für zehntausend beduinische Einwohner geplant war, inzwischen jedoch 80.000 zählt, trägt schwer an der Trauer. Als größte beduinische Stadt Israels sind hier besonders viele von den Ereignissen betroffen. Mehrere Großfamilien haben Verletzte, Ermordete und Gefallene zu beklagen. Vor einigen Tagen gaben Israels Behörden bekannt, dass sechs Beduinen, die ursprünglich als verschollen eingestuft worden waren, zu den 247 Geiseln gehören, die von der Hamas im Gazastreifen festgehalten werden.

Die beduinische Stimme fehlt bislang im Chor all jener, welche die Freilassung der Geiseln fordern. Dazu meinte Rahat-Bürgermeister Ata Abu Madighem: »Wir haben keine internationale Stimme, die uns repräsentiert, wenn es um die Geiseln geht. Unsere Stimme ist der Staat Israel.«

Viele arabische Bürger Israels kommen zu einer bitter-simplen Schlussfolgerung: Es half nichts, Araber zu sein. Es half nichts, Muslim zu sein. Auch unter ihnen mordete, verletzte und verschleppte eine radikal-islamische Terrorvereinigung. Wozu der israelisch-arabische Reiseblogger Nuseir Yassin bereits am 9. Oktober, als das Ausmaß des Mordens unter den Arabern des Landes noch nicht annähernd abzusehen war, festhielt: »Der Schock hat mir vor Augen geführt, dass für Terroristen, die Israel bekämpfen, alle Bürger des Landes eine Zielscheibe sind.«

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