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Regierungsbildung in Israel: Wird Mansour Abbas eine versöhnliche Geste zum Verhängnis?

Als zeichen der Versöhnung trat Mansour Abbas in einer der in Brand gesteckten Synagogen in Lod auf
Als zeichen der Versöhnung trat Mansour Abbas in einer der in Brand gesteckten Synagogen in Lod auf (© Imago Images / ZUMA Wire)

In Israels Region sprechen die Waffen. Für gewöhnlich eine Zeit, in der sich Politiker jedweder Color mit Statements eine Runde zurückhalten. Doch Israel steckt inmitten Koalitionssondierungen. Erneut richtet sich das Augenmerk auf Mansour Abbas. Sein Versuch, die Wogen der innerisraelischen Unruhen zu glätten, scheint mächtig nach hinten loszugehen.

Noch vor nicht allzu langer Zeit schien es, als würden sich Yair Lapid und Naftali Bennett schnell einig werden. Doch dann übernahmen wieder einmal brandaktuelle Ereignisse der harschen Realität in Israel das Steuer. Schnell wurde klar, die Lapid-Bennett-Koalitionspläne geraten ins Wanken. Nachdem die ersten Raketen vom Gazastreifen gegen Jerusalem gefeuert waren, hörte man zunächst zwar, dass die beiden weiterhin miteinander verhandeln, doch eigentlich war klar, was kommen würde.

Fortgesetzter Koalitionsschlamassel

Für ihr Koalitionskonstrukt wären sie auf die Unterstützung der Vereinigten Arabischen Liste Ra’am unter Leitung von Mansour Abbas angewiesen gewesen. Da dessen Partei mit der Islamischen Bewegung zu identifizieren ist, setzte Mansour Abbas die Koalitionsgespräche solange aus, wie die Kampfhandlungen anhalten.

Seit seine Partei wegen des Wahlergebnisses vom 23. März eine Schlüsselrolle bei der israelischen Regierungsbildung erlangt hat, verstummten die warnenden Stimmen nicht. Bedenken, dass infolge einer sicherheitspolitischen Eskalation auf Mansour Abbas und seine Partei als Koalitionsstütze kein Verlass sein könnte, waren aus fast jedem politischen Spektrum zu hören – mal lauter, mal leiser.

Nach Abbas war es dann Bennett, der sich zu Wort meldete. Seine national-religiös geprägte Partei hatte mit jeder gegen Israel abgefeuerten Rakete immer weniger Chancen, auf der Seite der „Veränderungskoalition“ von Yair Lapid bleiben zu können.

Man brauchte keine Glaskugel um zu erkennen, dass vor allem die Nummer 2 der Partei, Ayelet Shaked, ideologisch nicht mitziehen, und dass die grundsätzlich nicht begeisterte Wählerbasis in Anbetracht der jüngsten Eskalationsrunde Bennett bei einer kommenden Wahl die Rote Karte zeigen würde. Somit war es keine Überraschung, als er das Aus seiner Verhandlungen mit Lapid bekanntgab.

Folgt einer Kehrtwende die nächste?

Fraglich bleibt gegenwärtig, was Bennett nach seinem Bibi-Nein-Bibi-Ja-Zickzack-Kurs noch für seine Partei herausschlagen konnte. Dazu herrscht vorerst Schweigen. Doch nach wie vor kann man es drehen und wenden wie man will, der Netanjahu-Block kommt nicht auf ausreichend Mandate, um eine regierungsfähige Koalition auf die Beine zu stellen.

Eine Äußerung von Gideon Sa´ar, die rund acht Tage nach Beginn der Kampfhandlungen aus einer geschlossenen Sitzung durchsickerte, könnte das Blatt nun aber doch wenden. Sa´ar scheint mit seiner Partei „Neue Hoffnung“, in der sich Likud-Abtrünnige zusammengefunden haben, nämlich zu erwägen, sich doch noch einer Netanjahu-Koalition anzuschließen.

Nach wie vor ist nichts in trockenen Tüchern und kann es auch gar nicht sein, denn: Zum einen ist Lapids Frist zur Koalitionsbildung noch nicht abgelaufen. Zum anderen kündigte er an, nicht so schnell aufgeben zu wollen, was er aber mit großer Sicherheit demnächst aber wohl dennoch tun muss.

Da Israel unterdessen inmitten der Militäroperation „Wächter der Mauern“ steckt, stehen Koalitionsfragen hinter viel brennenderen Entscheidungen zurück – müssen dahinter zurückstehen, denn nie zuvor wurde das Land in so weiten Teilen mit Raketen aus dem Gazastreifen beschossen.

Präzedenzlos sind Millionen israelischer Zivilisten sind dem Beschuss ausgesetzt. Einige politische Kommentatoren überlegten unterdessen, ob die mit der Militäroperation verstreichende Zeit nicht vielleicht gerade Netanjahu ganz gelegen kommt.

Auch ein Armutszeugnis für Israels Führungspersönlichkeiten

Doch Israel wehrt gegenwärtig nicht nur Raketen ab, greift Infrastrukturen der islamistischen Vereinigungen im Gazastreifen an und hat mit einer Welle von Anschlägen im Westjordanland und in Jerusalem umzugehen. Vielerorts kommen seit etlichen Tagen überdies gewalttätige Ausschreitungen zwischen arabischen und jüdischen Bürgern des Landes hinzu.

Zunächst waren „nur“ gemischte Städte wie beispielsweise Lod, Jaffa und Akko betroffen, doch schnell kam es in fast allen Städten und an vielen zentralen Kreuzungen der großen Hauptstraßen zu Gewalttätigkeiten zwischen Juden und Arabern; Muslimen in erster Linie.

Viel gäbe es darüber zu berichten, noch mehr wäre zu Hintergründen, Auslösern und Implikationen anzumerken, doch nachdem das erste Todesopfer – ein jüdischer Einwohner der Stadt Lod – zu beklagen ist und die Ausschreitungen weitergehen, muss als Zwischenbilanz vorerst reichen: Beide Seiten haben dazu beigetragen, dass dem Hass zügellos freiem Lauf gelassen wird.

Außerdem ist noch etwas anders kritisch anzumerken: Zwar haben sich Israels Führungspersönlichkeiten – von Politikern und Ministern bis zum Staatspräsidenten, von einigen Geistlichen bis hin zu unzähligen Aktivisten und NGOs – zu Wort gemeldet und die Ausschreitungen mit deutlichen Worten verurteilt, aber dies wäre der richtige Zeitpunkt für einen anderen Schritt gewesen: für ein aussagekräftiges und richtungsweisendes Beispiel.

Die unbeteiligte Mehrheit der Bevölkerung, die wahrnahm, was sich da tut, wie auch die Minderheit der Bürger, die in den Straßen randalieren, hätten Regierungschef, Staatsoberhaupt mit Parteichefs und dazu noch die religiösen Führungspersönlichkeiten der involvierten Gemeinschaften auf einem Bild sehen und eine konzertierte Botschaft hören müssen.

Die vereinzelten Stimmen, die unkoordiniert hier und da in den Medien auftauchen vermögen die Extremisten nicht in Bann zu halten. Dazu hätten Israels Entscheidungsträger Führungsqualitäten zeigen müssen, doch haben sie diesbezüglich kläglich versagt.

Abbas versuchte ein Beispiel zu geben …

Und nun kommt wieder einmal Mansour Abbas ins Spiel. Während die Ausschreitungen vor allem in den Nächten weitergingen tauchte auch er mit einem Appell auf. So wie alle anderen verurteilte er Gewalt und Extremismus und forderte, dass alle Bürger sich respektvoll zu begegnen haben. Seine Stimme als öffentlicher Repräsentant der Islamischen Bewegung war zwar eine wichtige Stimme, die sich inmitten der unsäglichen Tumulte erhob – aber sie verhallte ebenfalls ohne Wirkung.

Am Sonntag dieser Woche machte der Chef der Ra´am-Partei-Chef dann Nägel mit Köpfen. Abbas fuhr nach Lod, einer jeder Städte, in der sich die schlimmsten gewalttätigen Konfrontationen zugetragen hatten. Gerade hier waren u.a. auch Synagogen zur Zielscheibe des arabischen Mobs geworden waren, sodass das jüdische Israel bereits von einer „Kristallnacht im eigenen Land“ sprachen.

Mansour Abbas ließ sich medienwirksam in der im Zuge der Ausschreitungen in Brand gesteckten Synagoge Beit Yisrael an der Seite des Bürgermeisters der Stadt filmen und verkündete:

„Sogar in Zeiten des Kriegs verbietet der Islam, heilige Stätten zu schänden. So wie wir wütend sind, wenn jemand unsere Moscheen angreift, haben wir wütend über Angriffe auf Synagogen zu sein, dies erst recht, wenn es sich bei den Angreifern um Muslime handelt.“

Dazu kündigte er vor laufenden Kameras an, den Wiederaufbau der Synagoge nicht nur voranzutreiben, sondern sich daran sogar zu beteiligen. Im Grunde genommen sagte er nur das, was in einer solchen Situation zu sagen und anzukündigen ist, doch seine Worte richteten sich erneut an das jüdische Publikum, so wie er sich im Zuge seiner vielbeachteten in Nazareth gehaltenen Rede nach Feststehen des Wahlergebnisses zunächst an das jüdische Israel gewandt hatte.

Damals kam der Verdacht auf, dass ihm seine auf Hebräisch gehaltene „Blau-Weiß“-Rede eingerahmt von Fahnen im Grün der Muslimbruderschaft vielleicht das politische Genick brechen könnte. An der Wählerbasis hatte es damals hier und da gegrummelt, doch letztlich hatte sich gezeigt: Abbas hatte sich einen mächtigen Schritt vorgewagt und war damit durchgekommen.

„Seine Position ist in Gefahr“

In den letzten Tagen sickerten Parteiinterna durch. Mansour Abbas hatte sich in den Koalitionsgesprächen jedes Hintertürchen offengelassen. Mit Bennetts Absage an das Lapid-Projekt büßte Ra´am zwar nicht unbedingt die Rolle als „Zünglein an der Waage“ ein.

Trotzdem bedeutet diese Entwicklungen, dass Mansour Abbas es immer schwerer haben wird, aus einer Koalitionsbeteiligung das herausholen, was er sich zugunsten seiner arabischen Gemeinschaft zum Ziel gesetzt hat: Einfluss auf und Mitspracherecht bei Entscheidungen, die Israels arabische staatsbürger betreffen, sowie massive finanzielle Fördermittel.

In der Partei nahm man ihm übel, dass er nun wieder eher mit den Rechtskonservativen zu liebäugeln begann – selbstverständlich nicht offen nach außen bekundet, denn die Waffen sprachen zu dem Zeitpunkt schließlich weiter und er hatte ja verkündet, die Verhandlungen bis zum Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen auszusetzen.

Mit dem Besuch in der Synagoge scheint er sich jetzt aber richtig Ärger in den eigenen Reihen eingehandelt zu haben. Dieser Ärger wird von der Tatsache geschürt, dass er sein Interview an der Seite von Bürgermeister Yair Revivo gab, der unter den arabischen Einwohnern der Stadt Lod keinen Blumentopf gewinnen kann.

Lod ist ein Paradebeispiel für das Mosaik der israelischen Gesellschaft: in der Stadt leben knapp 43% Juden und 30% Muslime, 1% Christen und 27%, die konfessionell nicht definiert sind. Es ist eine Stadt, deren Einwohner zu großen Teilen mit Arbeitslosigkeit und Armut, ebenso wie mit Drogen und Kriminalität ringen und die in diesen Tagen nicht nur wegen der Ausschreitungen negative Schlagzeilen macht.

In Lod sollen Wohnungen des öffentlichen Wohnungsbauwesens unter der Hand unrechtmäßig verkauft worden sein; vorzugsweise an religiöse Juden. Wer genau die Finger im Spiel hatte, ist in bislang noch nicht aufgedeckt, doch auch für arabische Israelis, die nicht in Lod leben, gilt Bürgermeister Revivo auch ohne diesen Skandal nicht als Symbol einer ehrlich gemeinten Koexistenz.

Mansour Abbas ist eigentlich nur seinem Ansatz treu geblieben. Der ließ ihn eine versöhnliche Geste machen, die angesichts der sich momentanen Ereignisse jedoch dazu führte, dass die sozialen Medien vor Wut überschäumen und sogar in seiner Partei erste Rufe nach seinem Rücktritt zu hören sind. So sagten seine engsten Berater in Presseinterviews:

„Mansour Abbas hat einen Fehler gemacht. Er ist stark, doch die Sachlage verändert sich. Seine Position ist in Gefahr. Was passieren wird, werden die nächsten Tage zeigen, aber schon jetzt steht fest, sein Einfluss schwindet.“

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