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Wochenbericht, 21.10. bis 27.10.2013

In dieser Ausgabe:
I. Allgemeiner Überblick
II. Saudi-Arabiens Kurswechsel
 

I. Allgemeiner Überblick

In den vergangenen sieben Tagen erschienen in den von MENA systematisch ausgewerteten österreichischen Tageszeitungen insgesamt 230 Beiträge mit Bezügen zum Nahen Osten und zu Nordafrika:

Wochenbericht, 21.10. bis 27.10.2013

In dieser vergleichsweise äußerst ruhigen Woche standen folgende Länder im Mittelpunkt der Berichterstattung:

Wochenbericht, 21.10. bis 27.10.2013

In den insgesamt 62 relevanten Beiträgen der wichtigsten Fernseh- und Radionachrichtensendungen des ORF wurde folgenden Ländern am meisten Aufmerksamkeit gewidmet:

Wochenbericht, 21.10. bis 27.10.2013

Obwohl Länder wie die Türkei, Syrien oder der Iran in der Berichterstattung öfter vertreten waren, gingen die wichtigsten Entwicklungen in einem Land vor sich, über das hierzulande nur selten berichtet wird. Und obwohl in Saudi-Arabien gerade eine für die Zukunft des Nahen Ostens höchst bedeutsame außenpolitische Umorientierung im Gange ist, wird diese in österreichischen Medien eher nur am Rande wahrgenommen.

 

II. Saudi-Arabiens Kurswechsel

Über das Königreich Saudi-Arabien wurde in der vergangenen Woche gleich aus mehreren Gründen berichtet. Für Schlagzeilen sorgten die Frauen, die am 26. Oktober dagegen protestierten, dass es ihnen in ihrer Heimat – als einzigem Land der Welt – immer noch verboten ist, Auto zu fahren. Mindestens 14 Frauen, die  sich von expliziten Drohungen staatlicherseits nicht einschüchtern ließen und sich hinters Steuer setzten, wurden festgenommen. (Standard, 28. Okt. 2013; Presse, 28. Okt. 2013) Das saudische Innenministerium hatte im Vorfeld vor einer „Störung des öffentlichen Friedens“ gewarnt, „die Tür und Tor für Gotteslästerung und Eindringlinge mit kranken Träumen öffnen“ könnte. (Presse, 25. Okt. 2013)

Das Fahrverbot für Frauen in Saudi-Arabien ist ein besonders absurder Anachronismus, dessen von Geistlichen vorgebrachte Begründung, dass die Haltung beim Lenken eines Fahrzeuges die Fruchtbarkeit der Frauen schädige, mit zum Skurrilsten gehört, was aus dem Mündern misogyner Religionsgelehrter zu vernehmen ist. Der Protest der Frauen warf aber für einen kurzen Moment auch Licht auf die bedrückenden Menschenrechtsverletzungen, die in Saudi-Arabien auf der Tagesordnung stehen und unter denen nicht zuletzt die mehreren Millionen Gastarbeiter zu leiden haben, die vielfach völlig rechtlos sind und ein Leben unter Umständen fristen müssen, die kaum anders denn als moderne Form der Sklaverei bezeichnet werden können.

Umso haarsträubender mutet deshalb ein Bericht der NGO UN Watch darüber an, dass im UN-Menschenrechtsrat gerade eben erst 80 Länder voll des Lobes für die Menschenrechtslage in der islamischen Diktatur im Allgemeinen, und die Rechte der Frauen im Besonderen waren. Wenn Somalia den hohen Stellenwert begrüßt, den die Saudis der „Wahrung und Förderung von Menschenrechten“ beimessen würden, oder China die Anstrengungen Riads um religiösen Dialog und Toleranz hervorhebt, fühlt man sich zwangsläufig an George Orwells Buch „1984“ erinnert. Dass aber selbst Länder wie Dänemark oder Frankreich lobende Worte für die Verbesserung der Stellung der Frauen fanden, ist angesichts der unverändert anhaltenden Realität geschlechtlicher Apartheid in Saudi-Arabien doch mehr als bedenklich.

Für einige Irritation sorgte Ende letzter Woche die Ankündigung der saudischen Regierung, aus Protest gegen die Wirkungslosigkeit des UN-Sicherheitsrates einen Sitz in diesem höchsten UN-Gremium nicht anzunehmen. (Standard, 19. Okt. 2013; Presse, 19. Okt. 2013) Dieser Schritt war nur das deutlichste nach außen hin sichtbare Zeichen für den grundlegenden Kurswechsel, den das Königreich in außenpolitischer Hinsicht gerade unternimmt: Die Allianz zwischen den Saudis und den USA, die seit Jahrzehnten zu den Grundfesten der politischen Struktur des Nahen Ostens gehört, steht zur Disposition. „Saudi-Arabien fühlt sich von USA vernachlässigt“, titelte der Standard und betonte, worin Riad und Washington sich so gar nicht einig werden: „Es geht um den Iran.“ Die Saudis wollten demnach vom amerikanischen „Entspannungskurs“ gegenüber Teheran nichts wissen. Schon den Deal über die Zerstörung chemischer Waffen in Syrien, mit dem US-Militärschläge gegen das Assad-Regime vom Tisch waren, habe Saudi-Arabien als eine Schwächung seiner Position im Ringen mit dem Iran um regionale Vorherrschaft gesehen. Und auch in anderen brennenden Fragen der Region zögen die USA und Saudi-Arabien nicht mehr an einem Strang: „Die US-Politik in Ägypten – Hosni Mubarak fallen gelassen, den Muslimbruder Mohammed Mursi akzeptiert und den Militärumsturz im Juli nicht unterstützt zu haben – ist einer der Gründe für die Entfremdung“. (Standard, 23. Okt. 2013)

Ägypten, Syrien und den Iran sahen auch die Salzburger Nachrichten als die Streitpunkte, die zur Distanzierung der bisherigen Verbündeten geführt hätten. Den Sturz Mubaraks, den die USA im Stich gelassen hätten, habe Riad als „Verrat“ betrachtet, der „amerikanische Flirt mit der ägyptischen Muslimbruderschaft“ habe bei den Saudis ebenso „Entsetzen ausgelöst wie die Weigerung von Präsident Barack Obama, nach dem Giftgasmassaker in Syrien militärisch einzugreifen.“ Die Gespräche zwischen den USA und dem Iran würden als „regelrechte Niederträchtigkeit“ betrachtet. (Salzburger Nachrichten, 23. Okt. 2013)

Standard und Salzburger Nachrichten waren bemerkenswerterweise die einzigen beiden Medien in Österreich, die die saudische Abwendung von den USA wenigstens in jeweils einem ausführlicheren Artikel thematisierten. In der Presse war die saudische Ablehnung eines UN-Sicherheitsratssitzes noch als „offen irrational“ bezeichnet worden (Presse, 19. Okt. 2013), danach wurde dem Thema aber keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt. Ob der möglichen Auswirkungen eines saudischen Kurswechsels ist die doch sehr überschaubare mediale Berichterstattung als grober Mangel zu betrachten.

Auch wenn die Tragweite der aktuellen Entwicklungen noch nicht in vollem Umfang abschätzbar ist – ob es den Saudis gelingen wird, unter eigener Führung eine von den USA wenn schon nicht un-, so doch zumindest weniger abhängige Sicherheitsstruktur am Persischen Golf als Gegengewicht zur iranischen Achse zu zimmern, ist genauso unklar wie die Frage, was die saudische Umorientierung für den syrischen Bürgerkrieg genau bedeutet –, sollte ein wesentlicher Punkt nicht übersehen werden: Im Augenblick gibt es im Nahen Osten kein einziges Land mehr, das seinem bisherigen Bündnispartner Amerika noch wirklich Vertrauen entgegenbringt. Die momentane ägyptische Regierung wirft den USA vor, mit den Muslimbrüdern paktiert zu haben und sieht die Kürzung der militärischen Unterstützung als Beleg dafür an, dass die Obama-Administration entweder nicht verstanden hat, worum es im Kampf gegen die Muslimbrüder geht, oder aber überhaupt auf deren Seite steht. In Israel und Saudi-Arabien glaubt nach der Episode der angedrohten und wieder abgesagten Militärschläge nach den Giftgaseinsätzen durch das Assad-Regime kaum noch jemand Obamas Ankündigungen, dass die USA alles unternehmen und in letzter Konsequenz auch militärisch eingreifen werden, um zu verhindern, dass der Iran in den Besitz von Atomwaffen gelangt. Darüber hinaus wächst in Israel das Unverständnis über den Druck der Amerikaner auf Verhandlungen mit einen Teil der politisch tief gespaltenen Palästinenser, obwohl allgemein die Überzeugung vorherrscht, dass diese Gespräche im besten Fall zu nichts führen, im schlechtesten dagegen eine neue Gewaltwelle auslösen werden. Selbst die Türkei, deren Premier Erdogan der einzige nahöstliche Staatsmann ist, mit dem Obama freundschaftlich verbunden zu sein glaubt, ist auf die USA nicht gut zu sprechen und agiert immer öfter eindeutig entgegen deren Interessen – vom Verrat mutmaßlicher israelischer Spione an den Iran über den Bürgerkrieg in Syrien bis zum Aufrüsten mit militärischen Mitteln chinesischer Provenienz.

Während also die Alliierten von Washington befremdet sind, sich bereits auf die Suche nach alternativen Bündnissen machen oder sich zusehends vom Westen abkehren, sind die einzigen Akteure, die mit der Nahostpolitik der Obama-Administration gegenwärtig keine oder nur geringe Probleme haben, in den Reihen der antiwestlichen, vom Iran geführten Achse zu finden. Ob Assad in Syrien, der für die erhoffte Zerstörung der syrischen C-Waffen gebraucht wird, oder Irans neuer Präsident Rohani, mit dem Washington um alles in der Welt einen Deal über das iranische Atom(waffen)programm schließen will, sie können im Gegensatz zu den Israelis, Ägyptern oder Saudis damit rechnen, bei der Obama-Administration auf offene Ohren und ausgestreckte Hände zu stoßen. Die daraus resultierende Situation beschreibt Michael J. Totten im Hinblick auf Saudi-Arabien treffend folgendermaßen: „Foreign Policy 101 dictates that you reward your friends and punish your enemies. Attempts to get cute and reverse the traditional formula always lead to disaster. Yet Barack Obama thinks if he stiffs his friends, his enemies will become a little less hostile. That’s not how it works, but the Saudis have figured out what Obama is doing and are acting accordingly.”

Der de-facto-Zerfall des pro-westlichen Lagers aufgrund von mangelndem Vertrauen der Verbündeten in die USA hat Konsequenzen, zumal in einer ohnehin volatilen Region wie dem Nahen Osten. Neben vielen anderen stechen zwei sofort hervor, die beide mit dem iranischen Atomprogramm zu tun haben: Wenn Israel zu dem Schluss kommt, dass es zur Verhinderung iranischer atomarer Bewaffnung auf sich alleine gestellt ist, steigt die Gefahr von israelischen Militärschlägen gegen iranische Atomanlagen. Die USA können es sich mit ihren militärischen Kapazitäten vielleicht noch einige Zeit lang leisten, auf Verhandlungen mit Teheran zu setzen, bevor der Punkt erreicht wird, an dem auch sie keine ausreichenden konventionellen Kapazitäten mehr haben, um Teherans Atomprogramm noch zu stoppen. Israel verfügt nicht über ähnliche Kapazitäten, weshalb die von Premier Netanjahu benannte  iranische „Immunitätszone“ früher erreicht wird. Andererseits steht und fällt mit der amerikanischen Glaubwürdigkeit gegenüber dem Iran auch die Entscheidung anderer Staaten in der Region, wie Saudi-Arabien oder der Türkei, sich aus Gründen der Abschreckung selbst um Nuklearwaffen zu bemühen. Ein atomares Wettrüsten würde den Nahen Osten in eine ungleich gefährlichere Gegend verwandeln, als er es ohnehin schon ist.

Einen Bruch im amerikanisch-saudischen Bündnis als Anlass zur Sorge zu betrachten, bedeutet übrigens nicht, sich Illusionen über den Charakter des saudischen Regimes zu machen: Saudi-Arabien ist eine religiös unterfütterte, grausame Diktatur, in der es für die Achtung von Menschenrechten und jegliche Form menschlicher Freiheit keinen Platz gibt; die mit ihren Petro-Dollars oftmals die am meisten reaktionär-religiösen Kräfte nicht nur des Nahen Ostens finanziert; die früher in Afghanistan und heute in Syrien islamistische Kampftruppen unterstützt und in einem fiktiven Wettbewerb um das antisemitischste Regime der Welt mit Sicherheit einen der vorderen Plätze belegen würde. Um es mit dem bereits zitierten Michael J. Totten zu sagen: „The regime – and, frankly, the culture – offends every moral and political sensibility I have in my being. I’d love to live in a world where junking our ‘friendship’ with Riyadh would be the right call. … But in the imperfect world we live in right now, Saudi Arabia is an interests-based ally of the United States.” In einer solchen Welt, in der eine Schwächung des pro-amerikanischen Lagers direkt eine Stärkung der Achse bestehend aus dem Iran, dem Assad-Regime in Syrien und der libanesischen Hisbollah bedeutet, verheißen die jüngsten Entwicklungen nichts Gutes.

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