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Transkription: Tilo Jungs Interview mit Muriel Asseburg

Tilo Jung, der Moderator von »Jung & Naiv« hatte unlängst Muriel Asseburg zu Gast
Tilo Jung, der Moderator von »Jung & Naiv« hatte unlängst Muriel Asseburg zu Gast (© Imago Images / dts Nachrichtenagentur)

Vor rund zwei Wochen hatte Tilo Jung Muriel Asseburg zu Gast in seiner Interview-Sendung »Jung & Naiv«. Mena-Watch präsentiert eine auszugsweise Transkription der zweieinhalb Stunden langen Sendung.

»Unsere sehr geschätzte Kollegin Dr. Muriel Asseburg« sehe sich »seit geraumer Zeit scharfen Anfeindungen ausgesetzt«, behauptet die vom deutschen Bundeskanzleramt finanzierte Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Die »persönlichen Diffamierungen und Unterstellungen« basierten »auf falschen Darstellungen sowie Interpretationen eines ausführlichen Interviews, das Tilo Jung in der Reihe ›Jung & Naiv‹ zum Thema ›Eskalation im Nahen Osten‹ mit Dr. Muriel Asseburg geführt« habe. Darin hatte Asseburg unter anderem die Tötung israelischer Soldaten durch die Hamas gerechtfertigt. Die SWP schreibt nun:

»Wenn Zitate verkürzt oder verfälscht wiedergegeben und Interpretationen des Gesagten genutzt werden, um gezielt Empörungen zu schüren, dann sind diese Vorwürfe in der Sache und im Ton unangemessen. Dies betrifft insbesondere den Vorwurf des Antisemitismus.«

Das hätte die SWP lieber nicht sagen sollen. Betrachtet man die antisemitischen Äußerungen von Muriel Asseburg in ihrem Zusammenhang, werden sie dadurch nicht weniger schrecklich, im Gegenteil. Eine Dokumentation.

1. »Kolonialismen«

Tilo Jung (TJ): Es gibt ja Leute, die sagen, das ist ’ne Kolonialisierung. Ist das aus wissenschaftlicher Sicht richtig? Ist es ’ne Verniedlichung, wenn wir sagen, das sind Siedlungen, die da gebaut werden?

Muriel Asseburg (MA): Naja, das ist letztlich ja das gleiche Wort, ne? Also, auf Französisch heißen die Siedlungen Kolonien.

TJ: Warum sagen wir dann nicht Kolonien?

MA: Weil wir darunter was anderes verstehen.

TJ: Aha.

MA: Also es gibt, nä?, diese Diskussion Israel als Staat des Siedlerkolonialismus. Nä?

TJ: Ja.

MA: Und natürlich hat diese ganze Geschichte Elemente von an …, die sich vergleichen lassen mit anderen kolonialen Erfahrungen. Ne? Ähm, und es gibt aber auch Elemente in der Geschichte Israels, die sich unterscheiden.

TJ: Hmhmh

MA: So. Und wenn wir jetzt aber auf die Westbank schauen, dann sind wir schon sehr nah dran an ’nem sehr klassischen Kolonialismus. Nä? Also man … Es gibt ja auch unterschiedliche Arten von Kolonialismen. Also einer, der eben stärker auf Ressourcenausbeutung gerichtet ist, einer, der stärker tatsächlich auf Ansiedlung von Bevölkerung und lokaler Kontrolle ausgerichtet ist …

TJ: Oder beides.

MA: (macht große Augen und wackelt mit dem Kopf): Oder beides. Und diese Elemente, ähm, sind in der Westbank vorhanden, aber wir haben halt auch in der Westbank ’ne starke ideologische Motivation. Ne? Also: Rechte Israelis benutzen ja eben nicht das Wort »Westbank«, sondern »Judäa und Samaria«, um drauf hinzuweisen …

TJ: Ja.

MA: … dass das eben schon biblisch das Land ist, das … ähm … das Land … zum Land Israel gehört, eigentlich (reißt die Augen weit auf) das Kernland Israels ist.

TJ: Wenn’s in der Bibel steht.

MA: (nickt und schweigt)

TJ: Aber ist das falsch, wenn Leute sagen würden, das ist israelischer Kolonialismus?

MA: (schweigt weiter)

TJ: … was in der Westbank passiert?

MA: (schaut Jung mit starrem Blick an; hat dann einen Geistesblitz): Ja, es hat halt unterschiedliche Elemente, ne? Ähm. (Schaut auf die Tischplatte und auf ihre Hände). Aber ich würde sagen, man kann das durchaus so bezeichnen. (Schaut Jung mit fragendem Blick an, macht dann Lippenbewegungen, ohne aber etwas zu sagen).

TJ: Aber … können sie … wir … der Westen, wir sind ja als … wenn wir von unserer wertebasierten Außenpolitik sprechen, wir sind unter anderem entschieden und ganz klar gegen Kolonialismus. 

MA: (nickt und schweigt)

TJ: Muss man dann ja quasi auch gegen diese Form von Kolonialismus sein. 

MA: Naja, das hast du ja auch schon gesagt, dass die Bundesregierung auch regelmäßig den Siedlungsbau verurteilt, na? Es ist ja nicht so, dass sie das richtig findet. Oder dass sie sagt: Damit haben wir kein Problem. Doch, doch, damit haben wir schon ein Problem (strahlt und nickt). 

TJ: Die Bundesregierung spricht nicht von Kolonialismus.

MA: Nein.

TJ (genervt): Kommen wir mal zur Situation aktuell. Wie beschäfft (sic!) sich denn der Kolonialismus (beide lachen über den Versprecher) durch die neue Regierung? Durch die neue, äh (muss aufs Blatt schauen) von Bin … Benjamin Netanjahu angeführte Regierung, wo unter anderem, äh, ich vergess’ seinen Vornamen immer … Ben-Gvir, der Minister …

MA: Itamar Ben-Gvir.

TJ: Itamar Ben-Gvir ist ja, vorsichtig: Rechtsextremist. 

MA: (nickt)

TJ: Manche benennen ihn ja auch als Faschisten. Er ist Minister für nationale Sicherheit. Dann gibt’s Herrn Smotrich. Wie heißt der mit Vornamen?

MA: Bezalel Smotrich.

TJ (spielt mit seinem Kugelschreiber): Bezalel Smotrich ist Finanzminister und plötzlich verantwortlich für die Westbank, für die Siedlung dort, auch ’n Rechtsextremist. 

MA: (nickt)

TJ: Was bedeutet das für den Kolonialismus? (legt den Kugelschreiber auf den Tisch und stützt sich laut einatmend mit verschränkten Armen auf die Tischplatte)

MA: Ich würd’ gern noch mal zurück zu diesem Konflikt …

TJ: Die Besatzung!

MA: … Begriff, ja? Also. Was passiert ist, ist, dass das, was sich über lange Zeit angebahnt hat, nämlich die zunehmende Besiedlung, das zunehmende Verwischen der Grünen Linie zwischen Israel, Kernland Israel und den besetzten Gebieten, dass das jetzt ganz offizielle Regierungspolitik ist. Also klare Absage an eine Zwei-Staaten-Regelung, kein Platz für palästinensische Souveränität oder Staatlichkeit, ähm …

TJ: Hmhm, hmhm.

MA: … jüdischer Anspruch auf das gesamte Gebiet, und, ähm, Vorantreiben von Siedlungspolitik und eben der, ähm, Gleichstellung der Siedlerinnen und Siedler mit den anderen Staatsbürgern Israels. Das heißt, die werden nicht mehr als, ähm, Bevölkerung gesehen, die in einem Gebiet leben, was nicht dem israelischen Staatsgebiet zugehörig ist, sondern in der Diktion der Regierung (macht mit den Händen Gänsefüßchen in die Luft), die Anwendung von Souveränität eben im gesamten Gebiet. 

TJ: Die Westbank ist ja, gehört nicht zu Israel. Sie besetzen. Sie besetzt nur die Westbank. Sie tun jetzt so, als ob die Siedler … und Siedlerinnen, die dort leben, äh, quasi in Israel leben.

MA: Ja. Und das heißt, was wir hier sehen, ist Annexion.

TJ: Hmmh.

MA: Aber das Wort Annexion wird nicht ausgesprochen.

TJ: (prustet durch die Nase)

MA: Weil Zwanzigzwanzig, unter der vorigen Netanjahu-Regierung, ähm, gab es eben den Beschluss, rund dreißig Prozent der Westbank zu annektieren und dann gab es dann doch sehr, sehr deutlichen Widerstand. Aus Europa, aus anderen Teilen der Welt. Und deshalb hat man sich dafür entschieden, dass man zwar annektieren möchte, aber man es nicht so nennt. Und dadurch ham wir jetzt zwar Kritik, aber sehr viel weniger internationalen Widerstand dagegen. (Ein Engel geht wieder durchs Zimmer). Ne? (Reißt die Augen weit auf und schiebt den Kopf nach vorn) Aber es führt dazu, dass wir zurückfallen in … tatsächlich einen existenziellen Konflikt um das gesamte Gebiet. Also das, was ich vorher gesagt hab’! Dass man sich in Oslo drauf geeinigt hat, wir verhandeln ’ne Regelung auf Basis der Grenzen von Siebenundsechzig. 

TJ: Hmmh.

MA: Ähm. Gemeinsames Konfliktmanagement. Das ist eigentlich vom Tisch, ja? Es geht um den Anspruch auf das gesamte Land. Und keine zwei Staaten.

2. »Bewaffneter Widerstand«

Tilo Jung (TJ): Jetzt hast du nur noch nicht gesagt, warum der Mittlere und Nahe Osten nicht solidarisch mit dem Opfer Ukraine ist.

Muriel Asseburg (MA): Ich würde unterscheiden zwischen den Bevölkerungen und den Regierungen …

TJ: Okay.

MA: Nä? Also, es gibt schon sehr viele, auch zum Beispiel unter den Palästinenser-innen, die sehr solidarisch sind und die sagen: Oh, die Ukrainer erleben gerade was, was wir sehr gut kennen. Nä? Übergriffe, Bombardierungen, Besatzung, völkerrechtswidriges Vorgehen. Und die sind solidarisch. Die ham halt das Gefühl, dass da der Westen mit völlig unterschiedlichen Maßstäben misst. Wenn sie darauf gucken und wenn sie auf die Situation in Palästina gucken. Und die Beziehungen auf der Ebene der Regierungen sind halt andere. Nä? Also, es gibt ’ne langjährige Kooperation, ähm, der PLO mit der Sowjetunion und mit Russland. Es gibt persönliche Beziehungen von Mahmoud Abbas mit russischen Persönlichkeiten. Ähm, und es gibt das Gefühl, dass Russland zum Beispiel im Sicherheitsrat ein Gegengewicht ist zu den USA, wenn es um Israel-Palästina geht. 

TJ: Ham sie da ’n Punkt?

MA: Da ham sie auf jeden Fall ’n Punkt. Das heißt aber dennoch nicht, dass Russland sich jetzt engagieren würde, um zur Regelung dieses Konflikts beizutragen oder die Situation vor Ort zu verbessern. 

TJ: Und die Parallelen zu Palästina-Ukraine, gibt’s da ’n Punkt?

MA: Ja, ich glaube schon, dass es da Punkte gibt, ja. Also, wenn wir uns anschauen, wie hier zum Teil auf den Ukrainekonflikt geschaut worden ist und wie, ähm, also fast ikonenhaft Widerstand in der Ukraine betrachtet worden ist. Ja? Ähm (reißt die Augen weit auf), alte Frauen, die Molotowcocktails werfen und so. Also, das hatte wirklich so ’ne Bewegung ausgelöst, wo plötzlich Leute bewaffneten Widerstand oder zumindest, ähm, Widerstand mit Waffengew…, also mit Gewalt (ihre Stimme überschlägt sich vor Begeisterung) befürwortet haben und gut fanden.

TJ: Na, klar.

MA: Und wenn wir nach Palästina gucken, dann sind Palästinenser, die ’n Molotowcocktail in der Hand halten, halt Terroristen. Nä? Selbst wenn sie nicht Gewalt ausüben, ähm, ist das nicht zulässig. Also, Widerstand wird halt ganz anders bewertet und das stört viele Palästinenserinnen und Palästinenser. 

TJ: Dich auch?

MA: Mhm … äh … hähä. Nein, das stört mich in dem Sinne nicht, weil ich denke, dass das ganz normal ist, dass wir immer von der Wa…

TJ: Dass wir Doppelmoral haben?

MA: Ich würde das …

Jung: Das hast du jetzt gerade beschrieben.

MA: Ich würde das anders bezeichnen, ja? Ich würde sagen, wir ham halt … Also, man könnte sagen, das Hemd ist uns näher als die Hose, oder als die Jacke? Ähm, es geht uns ja jetzt in Bezug auf Ukraine, würde ich sagen, nicht so sehr um das, was wir reden, ja? Die wertebasierte Weltordnung, äh, Freiheit etc., sondern wir fühlen uns halt konkret bedroht.

TJ: Mhmh.

MA: Darum geht’s doch.

TJ: Und die kämpfen halt auch für uns (formt die Hände zu Pistolen), so in dem Sinne?

MA: Die kämpfen auch für uns.

TJ: Und die Palästinenser eben nicht.

3. »Recht auf Gewalt«

Muriel Asseburg (MA): Und darum finden wir das richtig. Und die Palästinenser, die stören uns halt mit ihrem Widerstand. Die stören uns, weil sie uns ständig dran erinnern, dass wir doch … (schielt zur Decke), ähm, wir wollen diese guten Beziehungen zu Israel haben. Aufgrund unserer Vergangenheit. Und da stören die Palästinenser. Also, die erinnern uns immer an dieses Spannungsverhältnis unserer geschichtlichen Erfahrungen. Nä? So.

Nicht der Erfahrungen (schielt nach oben rechts), sondern der (fummelt mit den Händen in der Luft) Lektionen, der lessons learned aus der Geschichte. Einerseits eben die Solidarität mit Jüdinnen und Juden und das, was dann unter Merkel eben zu diesem Diktum der Staatsräson geworden ist, ja? Die Sicherheit Israels. Und andererseits das Eintreten für Völkerrecht, Menschenrechte, regelbasierte Weltordnung, Multilateralismus. Und das passt halt nicht zusammen. Und die Palästinenser erinnern uns da immer dran, dass das nicht zusammenpasst. Das ist die Doppelmoral, das Schwierige, ja?

TJ: Ich mein’, in der Ostukraine, im Süden der Ukraine, da herrschen die Russen, da ist quasi ’ne Militärbesatzung, da, wo nicht mehr gekämpft wird, dort besetzen die Russen dieses ukrainische Gebiet. Äh, dürfen Zivilisten quasi Widerstand leisten, ist das rechtlich, du bist ja auch Völkerrechtlerin, kennst dich aus. Ist das überhaupt rechtlich zulässig, dass ’ne Oma Molotowcocktails wirft?

MA: Ja, natürlich ist das zulässig.

TJ: Ist das dann auch zulässig für ’ne Oma in Palästina?

MA: Meiner Ansicht nach ja!

TJ: Also keine Terroristin?

MA: Na, das hatten wir ja schon mal, ja?

TJ: (kichert leise)

MA: Die Terroristin oder der Terrorist ist immer derjenige, der …

TJ: … der Freiheitskämpfer der anderen Seite.

MA: Genau! Aber es gibt natürlich …

TJ: Hm.

MA: … diese Bezeichnung von Menschen als Terroristen, die man delegitimieren möchte, deren Anliegen man delegitimieren möchte. Und dann gibt es natürlich Maßnahmen, die terroristisch sind. Nä? Also, wenn ich zum Beispiel die Zivilbevölkerung der anderen Seite ins Visier nehme. Dann …

TJ: Ja.

MA: … ist das nicht legitim (schaut Jung zufrieden an).

TJ: Also, dass die Politik in unterschiedlichem Maße agiert, ist ja nachvollziehbar, ist halt menschlich, aber findest du, dass die Medien da im Ganzen mit zweierlei Maß messen?

MA: Also, wenn ich mir die deutschen Medien anschaue, dann, äh, denke ich, es gibt keinen Zweifel, warum Palästinenserinnen und Palästinenser den Eindruck haben, dass da mit zweierlei Maß gemessen wird. Das ist nicht nur die Politik.

TJ: Mhhmm.

MA: Das sind natürlich auch die Medien. Ganz eindeutig!

TJ: Was ist mit Denkfabriken und Stiftungen und … Wie ist es bei euch?

MA: Ja, es gibt, ähm, bei uns natürlich unterschiedliche Positionen zu diesem Thema. Ähm. Aber so viele Leute arbeiten bei uns ja nicht zu diesem Thema (lacht), insofern würde ich sagen, dass wir – hach –, dass wir, wir sind nicht gestreamlined. Nä? 

TJ: Hmm.

MA: Und dennoch (schließt die Augen), wenn ich zu diesem Thema rede, schreibe (reißt die Augen wieder auf), irgendwo auftrete, versuche ich so zu reden, dass ich diejenigen, die ich erreichen will, nicht in den ersten drei Minuten verliere (grinst). Das heißt, ich muss sie ja irgendwo abholen.

TJ: (lacht dreckig) Worauf musst du insbesondere achten, damit du die nicht verlierst? Gerade in Bezug auf Palästinenser?

MA: Also, zum Beispiel das Thema, das wir gerade besprochen haben, nä? Recht auf Widerstand. Ähm. Gewalt. Recht auf gewaltlosen Widerstand. 

TJ: Ja.

MA: Nä? Das ist schon sehr, sehr schwierig in Deutschland, und …

TJ: Aber es gibt ein Recht auf Gewalt gegen den Besatzer? Als Zivilbevölkerung?

MA (fuchtelt mit den Händen): Es gibt ein Recht, sich zu wehren gegen Unterdrückung und gegen Völkerrechts … ähm …vergehen und gegen Menschenrechtsverletzungen, natürlich, nä? Sinnvollerweise wehrt man sich auf ’ne Art und Weise, die die Gewalt nicht eskalieren lässt. 

TJ: Hm.

MA: Ähm. Und wenn ich sage, es gibt ’n Recht darauf, dann heißt das gar nicht, dass ich sage, ich finde das gut. Nä. Also, ich find’s nicht hilfreich. Aber das ist genau die gleiche Diskussion, die wir hier zu BDS zum Beispiel haben, ja? Es ist doch wichtig zu unterscheiden zwischen dem Was-finde-ich-zielführend, Was-denke-ich-sind-konstruktive-gute-Ansätze oder Was-ist-’n-Recht? Und was unterstelle ich auch Leuten, wenn sie ihr Recht ausüben, an Motivationen (reißt die Augen bedrohlich auf), die sie wahrscheinlich so nicht haben? 

TJ: Jetzt sagst du, es gibt ’n Recht auf Widerstand.

MA: Ja.

TJ: Jetzt würde, ich erinnere mich an ein Gespräch mit jemandem, was wir Terrorgruppen nennen würden in Palästina, die Hamas zum Beispiel, die würde sagen: Muriel, genauso sehen wir das auch. Wir nehmen unser Recht auf Widerstand wahr, das ist kein Terrorismus, was wir machen …

MA: Ja, das …

TJ: … wenn wir Raketen auf Israel schießen. 

MA: Das Problem ist aber, dass sie eben nicht gegen die Besatzung sich …

TJ: (sticht mit dem Zeigefinger der linken Hand Richtung Asseburg) Gegen den Besatzer!

MA: … sondern gegen die Zivilbevölkerung auch in Israel wenden.

TJ: (mischt sich aus Apfelsaft und Mineralwasser eine Schorle) Hm.

MA: Und die Art … also a) in der Vergangenheit hat die Hamas sehr viele Selbstmordattentate durchgeführt, die sich explizit, explizit die israelische Zivilbevölkerung ins Visier nahmen.

TJ: Ja.

MA: Ähm, und sie hat außerdem auch jetzt in bewaffneten Auseinandersetzungen ist die Zivilbevölkerung … Ziel. Kann man sagen: Na, die ham halt keine besseren Raketen. Aber dennoch sind sie in der Verantwortung dafür. 

TJ: Das ist dann auch nicht rechtmäßig, wenn man die Zivilbevölkerung angreift?

MA: Nein.

TJ: Aber könnte die Hamas nicht sagen: Aber die Zivilbevölkerung steht ja hinter dem Besatzer, also dieser Regierung, die wählen die ja (zuckt mit den Schultern und macht ein Ich-weiß-nicht-Gesicht)? Ich will das jetzt nicht rechtfertigen.

MA: Ja, ja. Das entspricht aber halt nicht der Rechtslage, ne? Also sinnvoll ist ja …

TJ: Aber wenn Hamas die israelische Armee angreifen würde, das ist die Besatzungsarmee, das wäre rechtmäßig?

MA: (nimmt einen Schluck Mineralwasser, stellt das Glas zurück) Meiner Ansicht nach ja! Israel würde sagen Wir-besetzen-den-Gazastreifen-ja-gar-nicht-mehr-wir-sind-gar-nicht-mehr-Besatzer-hier.

TJ: (blättert in einem Aktenordner) Des is aber falsch, oder?

MA: Na, die überwiegende Lehrmeinung der Völkerrechtler sagt: Das ist falsch.

4. BDS, »Recht auf Rückkehr«

Tilo Jung (TJ): Jetzt haben wir über Gewalt schon gesprochen, was ist mit dem Recht auf gewaltlosen Widerstand der Palästinenser? Ist das problemlos oder gibt’s da auch Probleme? Ist mit »gewaltloser Widerstand« BDS zum Beispiel gemeint?

Muriel Asseburg (MA): Ja, genau. Also zum Beispiel BDS ist damit gemeint. Also, es gibt noch andere, gibt etwa Proteste und irgendwelche Aktionen vor Ort. Aber es gibt eben auch diese internationale BDS-Bewegung, also die Bewegung, die aufruft zum Boykott, dem Abzug von Investitionen, zu Sanktionen gegen Israel, um Israel dazu zu bringen, die Besatzung zu beenden, ähm, die palästinensischen Staatsbürger und Staatsbürgerinnen Israels gleichzustellen und auch das Recht der Flüchtlinge, der palästinensischen Flüchtlinge auf Rückkehr anzuerkennen. Und um das zu erreichen, soll halt Druck ausgeübt werden auf Israel …

TJ: Hmmhmm.

MA: … wirtschaftlicher Druck, sozialer Druck, gesellschaftlicher Druck, politischer Druck. Ähm.

TJ: Kann man erst mal froh sein, dass es nicht mit Gewalt passiert.

MA: (freudig) Genau!

TJ: Sagen ja viele, is immer ’n Fortschritt. Besser als Intifada.

MA: Ich würde tatsächlich sagen, dass das ’n Fortschritt ist. Für mich ist das nicht der richtige Ansatz, aber es ist meiner Ansicht nach ’n legitimer Ansatz, und Methoden, die in anderen Konflikten legitim sind, können ja nicht plötzlich in diesem Konflikt illegitim sein. Also, wir verhängen ja auch Sanktionen gegen den Iran, gegen Russland, das finden wir ja auch legitim. Wir …

TJ: Ja, weil sie Völkerrecht brechen.

MA: Genau. Wir haben ganz oft auch die Situation, dass Unternehmen ihre Investitionen abziehen aus bestimmten Ländern, weil diese Länder Menschenrechte verletzen. Ähm. Und es gibt natürlich andersherum auch Maßnahmen der israelischen Regierung, die eigentlich ein Boykott der Palästinenser darstellen, ne?

TJ: Hä?

MA: Na, also, wenn der palästinensische Fußballverband zum Beispiel zu einem Spiel nicht trainieren darf. Hm! Nicht gemeinsam trainieren darf. Wenn palästinensische Künstler und Künstlerinnen nicht ausreisen dürfen und nicht an internationalen Festivals teilnehmen können. 

TJ: Ist das so?

MA: Das ist nicht per se so. Aber das ist immer wieder der Fall.

TJ: Hmm.

MA: (holt hörbar Luft) Und so weiter. Also … ich will sagen … a) sind das an sich legitime Mittel, b) sind das Mittel, die auch in anderen Kontexten angewandt werden und c) finde ich es bemerkenswert, ja?, wie in vielen Diskussionen Palästinensern dann unterstellt wird, dass sie das aus ’ner antisemitischen Motivation tun. 

TJ: Das wollt’ ich jetzt gerade ansprechen.

MA: Nä? Das ist ja das, was bei uns oft diskutiert wird.

TJ: Da hat der Bundestag ’nen eigenen Beschluss gemacht.

MA: Genau.

TJ: Der hat BDS als antisemitisch abgetan.

MA: Per se.

TJ: Per se?

MA: Ja. Und das halte ich für problematisch (wirft Jung einen fragenden Blick zu).

TJ: Ja?

MA: Ich hab’ schon was zu den Methoden gesagt, ja? Und ich finde auch nicht, dass wir hier ’ne Argumentationsweise haben, die antisemitisch ist, wie der Bundestagsbeschluss das behauptet. Ähm, sondern das sind Menschen in einem Konfliktkontext, die versuchen, das internationale Gleichgewicht oder die internationale Öffentlichkeit zu mobilisieren für ihre Interessen gegen Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen. 

TJ: (tippt mit der linken Hand an die Stirn) Wie doof war denn der Bundestag, das als antisemitisch dann zu machen? 

MA: Naja.

TJ: Sind sie auf irgendwas reingefallen? Haben sie das gesehen? Ich mein’, es gab ja diese Lobbyarbeit der israelischen Regierung damals. Das hab’ ich mitbekommen.

MA: Ich glaube, ein ganz wichtiger Faktor war, dass die AfD sich das auf die Fahnen geschrieben hat dieses Thema und zuerst ’nen Antrag eingebracht hat oder es war klar, sie würde einen Antrag zu diesem Thema einbringen. 

TJ: Die AfD war anti-BDS?

MA: Ja.

TJ: Okay.

MA: Also, die AfD präsentiert sich ja als sehr proisraelisch. Ähm.

TJ: Auch interessant.

MA: Ja, Pink-Washing sozusagen. Ähm, und da hat natürlich, vielleicht »natürlich« in Anführungszeichen, ähm, die demokratischen Parteien das Gefühl, »Oh, oh, dieses Thema wollen wir nicht von der BD … von der AfD besetzt haben, das besetzen wir mal schnell selbst.« Nä?

TJ: Und dann haben sie die AfD-Position übernommen?

MA: Nein, sie ham nicht die AfD-Position übernommen. Also der Antrag ist nicht der AfD-Antrag, ja? 

TJ: Gott sei Dank!

MA: Der Antrag wäre noch deutlich krasser gewesen. 

TJ: Was stand da denn drin?

MA: Ähm, ich kann das nicht im Detail jetzt wiedergeben. Aber es war wirklich nochmal drei Zacken schärfer (macht mit der rechten Hand Zacken auf die Tischplatte). Ähm, aber immer noch ist die Argumentation in diesem Antrag, äh, fragwürdig. Und auch der Vergleich, der da gemacht wird. Nicht nur wird die BDS-Bewegung als solche als antisemitisch bezeichnet, sondern dann kommen eben auch diese Vergleiche mit den Nazis und Unterstellung von Nazi-Gedankentum, ja? Also, diese Gleichsetzung von einem Boykott israelischer Waren mit dem Judenboykott im Dritten Reich. Ähm, und das ist völlig an den Haaren herbeigezogen, diese Art von Vergleich zu machen.

TJ: Wie kommen die darauf? Ich mein’, du hast ja Kontakt zu Politik, zum Bundestag, zu Abgeordneten.

5. BDS-»Verbot«: »Dann zucken Leute zusammen und haben Angst«

Muriel Asseburg (MA): Ich glaube, dass es sehr viel mit unserer Perspektive auf diesen Konflikt zu tun hat, nä? Unsere Perspektive auf den Konflikt, also die deutsche Perspektive, und vor allem die deutsche politische Perspektive auf diesen Konflikt ist halt extrem geprägt durch unsere Vergangenheit und die Art, wie wir versuchen, unsere Vergangenheit zu bewältigen.

Und wenn dann jemand kommt und sagt: Wieso ’n Boykott von Israel, das is’ ja wie im Dritten Reich, da hat es auch geheißen, man soll keine Waren von Juden kaufen. Dann zucken Leute zusammen und haben Angst (rollt bedrohlich die Augen) und sagen: Jahuu, schlimm. Nä? Anstatt mal kurz drüber nachzudenken, dass wir damals ’ne Situation hatten, wo der Staat ’ne Kampagne orchestriert hat gegen eine völlig unschuldige und schutzlose Bevölkerungsgruppe und wir jetzt hier reden von einer, ähm, gesellschaftlichen Bewegung, die sich eben gegen einen Staat, der sehr gut etabliert ist in der Welt, der wirtschaftlich erfolgreich ist, der hochgerüstet ist, zur Wehr zu setzen. Lässt sich nicht gleichsetzen, meiner Ansicht nach (zuckt mit den Augenbrauen). 

Tilo Jung (TJ): Ich mein’, das Bundesverwaltungsgericht hat doch diesen BDS-Beschluss im Grunde genommen für nichtig erklärt, oder? Also, viele Kommunen versuchen sich ja immer darauf zu beziehen, wenn quasi Veranstaltungen mit BDS-Anhängern oder -Unterstützern dann und so weiter verbieten, und dann gab es einen Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht, Bullshit.

MA: Genau. Das Bundesverfaltung … das Bundesverwaltungsgericht kann den BDS-Beschluss nicht für nichtig erklären, weil er kein Gesetz ist, nä? Ähm, er ist halt nur ’n Parlamentsbeschluss. Und was das Bundesverwaltungsgericht gesagt hat, ist, ein Parlamentsbeschluss kann kein Grundrecht außer Kraft setzen. Also zum Beispiel das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Ähm, und es ist auch klar, wäre der BDS-Beschluss ein Gesetz, dann wäre er wahrscheinlich verfassungswidrig. Das müssten dann halt die Gerichte überprüfen.

Aber da er kein Gesetz ist, ist das nicht vorgesehen, dass er gerichtlich überprüft wird. Was dieses Verwaltungsgerichtsurteil gemacht hat, ist zu sagen, man kann nicht unter Berufung auf diesen Beschluss Leuten verwehren, öffentliche Räume in Anspruch zu nehmen, um Veranstaltungen zu machen, bei denen auch Meinungsäußerungen kundgetan werden zu BDS, nur weil einem die nicht gefallen. Das ist eine unzulässige Einschränkung der Meinungsäußerung, der freien Meinungsäußerung. Und erstaunlicherweise wird dieser Bundesverwaltungsgerichtsbeschluss, dieses Urteil, kaum zur Kenntnis genommen (lächelt). Nä?

TJ: Gut, dass wir drüber reden.

MA: Find’ ich auch (lächelt).

TJ: Hast denn mal mit Abgeordneten gesprochen, die für diesen Beschluss im Bundestag gestimmt haben, wie die auf diese teils völlig infamen Vergleiche kommen? Diesen Nazi-Vergleich? Warum die da zugestimmt haben? 

MA: Ich habe mit Abgeordneten darüber gesprochen. Und es haben einige von denen mir gesagt, dass sie das im Nachhinein nicht so klug fanden, wie sie das gemacht haben und wie das gelaufen ist, dass es alles unter sehr großem Druck und Zeitdruck passiert ist.

TJ: Wer hat da Druck ausgeübt?

MA: Ähm, ja also, das, was ich sagte, nä? Sie wollten einfach mit ihrem Antrag vor dem AfD-Antrag draußen sein. 

TJ: Der gescheitert wäre, weil es ein AfD-Antrag war, also …

MA: Ja. Aber sie wollten halt nicht, dass dieses Thema dann nur von der AfD besetzt ist. Und wenn ich sage, dass die sich damit unwohl gefühlt haben, heißt das auch nicht, dass sie, ähm, jetzt andersrum einem Antrag zugestimmt hätten, der gesagt hätte, entweder BDS ist ’ne tolle Sache oder auch nur, ähm, wir finden, BDS ist gedeckt durch das Recht auf freie Meinungsäußerung. Also, so ’n Bundestagsbeschluss wär’ ja auch irgendwie völlig bizarr.

TJ: Klar.

MA: Nä?

TJ: Also, was ich gehört habe, dass einige lautstarke Abgeordnete, fraktionsübergreifend, da gekämpft haben, die israelische Botschaft, die israelische Regierung hat dafür sehr stark gekämpft. In der Bundesregierung selbst war man sich auch so: Ach, du Scheiße. Was machen die da? Und dann ist es passiert.

MA: Was in dem Fall passiert, und das ist was, was in Bezug auf Israel-Palästina relativ präsent ist, ist, dass, ähm, die Innenpolitiker-innen das Heft in der Hand haben. Und diejenigen, die vielleicht mehr oder besser absehen können, was bedeutet das eigentlich international auch für die Arbeit zum Beispiel der deutschen internationalen Stiftungen …

TJ: Hmmhm.

MA: Nicht nur in Israel-Palästina. Nä? Sondern auch in Südafrika oder Lateinamerika. Die werden da halt nicht gehört. Und, ähm, das habe ich zumindest von Außenpolitikern aus verschiedenen Fraktionen gehört, dass die doch sehr spät erst involviert worden sind in diese Beschlussfassung. 

TJ: Wurde die SWP, also dein Haus …

MA: Nein.

TJ: … befragt? Auch interessant, ne?

MA: Nein. 

TJ: Ich mein’, ihr werdet finanziert vom … Bundesregierung.

MA: Ja, das ist richtig, aber wir werden trotzdem nicht, ähm, regelmäßig befragt bei irgendwelchen politischen Beschlüssen.

6. »Haben wir (Deutschen) genug gesühnt?«

Tilo Jung (TJ): Na, ich würd’ ja denken, wenn ihr quasi durch Steuergelder finanziert seid und der Bundestag oder die Bundesregierung irgendwelche wegweisenden Entscheidungen vielleicht beschließen wollen, gerade in Bezug auf dein Thema, dann laden wir die Muriel ein. Die hat Ahnung, das ist ihr Ding. 

Muriel Asseburg (MA): Naja, aber das ist ja jetzt ’ne Annahme, dass wir hier über ’ne sachorientierte Entscheidung sprechen …

TJ: Ja.

MA: … von der man sich erst mal ’n Bild machen möchte und dann die beste Entscheidung im Sinne der Sache treffen möchte. 

TJ: Ist das naiv, oder was?

MA: Ich habe das Gefühl, dass bei uns Politik oft nicht so gemacht wird

TJ: Wie sieht die Realität aus?

MA: Ja, die Realität ist, dass man Themen besetzen möchte, dass man sich positionieren möchte, und in dem Fall, ja, komm’ ich wieder zurück zu unserer Art, mit unserer Vergangenheit umzugehen. Und warum kann denn zum Beispiel eine israelische Regierung Druck ausüben in so ’ner Situation? Weil wir sie zum Schiedsrichter gemacht haben darüber, ob wir denn sinnvoll mit unserer Vergangenheit umgehen. Nä? Ob wir geläutert sind. Ähm, ob wir genug gesühnt haben. 

TJ: (prustet durch die Nase)

MA: Und deshalb kann sie dann auch relativ stark bei so was Einfluss nehmen. Und deshalb haben wir ja auch so große Probleme – nicht wir, sondern unsere Regierung so große Probleme –, ’ne klare Position zu Menschenrechtsverletzungen in Bezug auf Palästina zu haben. 

7. »Die Israelis sind die Besatzer, die Palästinenser sind die Besetzten«

Tilo Jung (TJ): Aber die Abgeordneten sind doch alle schlaue Menschen. Die wissen doch, wie die Lage ist. Dass die Israelis die Besatzer sindUnd die Palästinenser sind die Besetzten. Die kennen doch die Machtverhältnisse. Das wird dann einfach ignoriert? Ausgeblendet?

Muriel Asseburg (MA): Nein, das wird überhaupt nicht ignoriert, das wird …

TJ: Die müssen doch verstehen, dass man sich dann auf die Seite der Besatzer schlägt. Niemand erwartet, dass wir, Deutschland, auf der Seite deUnterdrückten, also der Palästinenser, auf deren Seite gegen die Israelis kämpfen, das erwartet ja, glaub’ ich, niemand, aber es muss doch verstanden werden, dass man sich dann auf der Seite der, das wäre ja so, als ob wir uns auf die Seite der Russen stellen würden.

MA: Aber das ist halt ’n ganz anderes Verhältnis. Nä? Wenn die Hauptintention ist zu sagen, wir sind geläutert, wir, diejenigen, die für den Holocaust verantwortlich sind, sind geläutert und wir haben der israelischen Regierung und ’n paar anderen Institutionen die Macht gegeben, das zu entscheiden, ob das der Fall ist oder nicht. Dann können wir halt nicht gleichzeitig sagen (verzieht das Gesicht und hebt den Zeigefinger wie ein Schüler, der auf’s Klo muss), Mmm, wir haben hier ein ganz großes Problem mit dem, was ihr in den palästinensischen Gebieten macht. Also, wir können das schon sagen. Aber dann kommt halt kein, wie unser Kanzler sagen würde, Wumms dahinter. Ja? Das ist halt gesagt. Und mehr nicht.

TJ: Lippenbekenntnis sagt man dazu.

MA: Ja.

TJ: War das schon immer so eigentlich?

MA: Meiner Wahrnehmung nach ist das in den letzten Jahren immer stärker geworden, und das hat natürlich auch mit den Konfliktdynamiken vor Ort zu tun. Nä? Wir konnten uns in den neunziger Jahren halt wunderbar einsetzen für den Friedensprozess, mit sehr viel Geld den Aufbau von palästinensischen Institutionen unterstützen, und da konnte man das beides gut versöhnen. Nä? Bekenntnis zu Israel und Unterstützung der Palästinenser im Staatsaufbau und dann Frieden, Freude, Eierkuchen. Ähm, und jetzt gibt es überhaupt keine Regelungsperspektive mehr. Und das macht es natürlich sehr, sehr schwierig, und dann, scheint mir, entscheiden sich ganz viele hier halt lieber für diese eine Seite. Und es hat natürlich auch damit zu tun, dass die keine Lust haben, sich dem Shitstorm auszusetzen, der sie wahrscheinlich erreicht, wenn sie sich für die andere Seite stark machen. 

8. »Das ist traurig«

Tilo Jung (TJ): Wir waren ja darauf jetzt gekommen, weil wir erst über das Recht auf Widerstand geredet haben, von Gewalt, dann haben wir über Recht auf gewaltlosen Widerstand gesprochen anhand zum Beispiel von BDS. Aus Sicht der deutschen Mainstream-Regierung (rührt mit den Händen in der Luft) ist alles doof. Schlimm. Terrorismus. BDS illegal. Wie dürfen oder sollten sich Palästinenser denn wehren? Also, was ist denn aus unserer Sicht überhaupt okay? 

Muriel Asseburg (MA): Die sollen verhandeln.

TJ: Ach so.

MA: Und die sollen kooperieren mit Israelis. Und sollen so Stück für Stück die israelische Gesellschaft davon überzeugen, dass Gemeinsamkeit, Koexistenz, Frieden für beide Seiten gut sind. 

TJ: Niemand ist gegen Verhandeln und Kooperieren, glaub’ ich, selbst auf palästinensischer Seite, aber man muss sich doch auch wehren können gegen den Besatzer. Also, das WEHREN, weißt du?

MA: Naja, es ist ja schon so, dass sich die PLO, nä?, also schrittweise und dann eben 1993 in Oslo gesagt hat: Gut, wir wollen uns nicht wehren, wir wollen verhandeln.

TJ: Hmhmh, hmmhmh.

MA: Und im Ansinnen halt dann diese schon Siebenundvierzig vorgeschlagene Zwei-Staaten-Lösung umzusetzen. Und das hat halt nicht funktioniert. Aus vielen Gründen.

TJ: Hmmhmh.

MA: Und deshalb ist es heute nicht so, dass alle Palästinenserinnen und Palästinenser sagen wollen, ja, Kooperation ist gut und ja, Verhandlungen sind gut. Sondern viele sagen: Nein, wir wollen nicht mehr verhandeln, weil wir gar nicht sehen, wie das funktionieren soll. Wir verhandeln seit Jahrzehnten und wir können zugucken, wie jeden Tag das Territorium, über das wir verhandeln, weniger wird. Deshalb sind Verhandlungen schwierig. Nä? Und wir sind auch …

TJ: Die kosten Zeit und irgendwann ist das Territorium weg.

MA: Genau. Also, wo ist der Fortschritt, den wir nachhaltig erzielt haben durch Verhandlungen, fragen sie sich. Und die Kooperation, die es jetzt gibt, ist zusammengeschrumpft im Wesentlichen auf Sicherheitskooperation. Und die wird von der palästinensischen Bevölkerung extrem kritisch gesehen, weil sie dazu dient, Israel und die Siedlerinnen und Siedler zu schützen und nicht die Palästinenser

TJ: Tzzä.

MA: Also man sollte auch sagen, sie dient auch dazu, die Palästinensische Autonomiebehörde zu schützen …

TJ: Das wollt’ ich gerad’ sagen, ja.

MA: Vor Opposition …

TJ: Hmmhmh.

MA: Also, vor allem vor bewaffneter Opposition. Aber sie dient eben nicht dem Schutz der palästinensischen Bürger-innen. 

TJ: Meine Frage war ja: Wie sollen die sich aus deutscher Sicht wehren? Du hast gesagt: Verhandeln oder kooperieren. Verhandeln aus Sicht der Palästinenser ist ja eigentlich eher so: Warum jetzt eigentlich? Was soll das? Die Israelis wollen eh nicht verhandeln. Weil sie Fakten on the ground schaffen. Und Kooperation ist eigentlich aus Sicht der Zivilbevölkerung – ist auch meine Erfahrung – eher: da kooperiert die korrupte Elite von Abbas und PLO usw., die sich in den letzten Jahrzehnten eingerichtet haben. Da sind ja auch manche reich geworden, ne? Internationale Hilfe und was sonst nicht alles. Die dann quasi für Kooperation mit dem Besatzer stehen. Und aus deutscher Sicht ist das unser Standpunkt, ja? Also, die Palästinenser sollen sich wehren, indem sie zwecklos verhandeln?

MA: Nein, die Palästinenser sollen sich nicht wehren.

TJ: Die sollen sich gar nicht wehren?

MA: Die sollen sich gar nicht wehren, die sollen einen (lächelt) …

TJ: Wir wollen nicht, dass die Palästinenser sich gegen die Besatzung wehren?

MA: Nein (lacht). Wir wollen nicht …

TJ: Ist schon krass, oder?

MA: Wir wollen nicht, dass die sich wehren. Wir wollen, dass sie friedlich …

TJ: (lacht)

MA: … zu einer Regelung kommen, ja?

TJ: Man kann sich auch friedlich wehren.

MA: Ja.

TJ: Das wollen wir aber nicht.

MA: Das wollen wir nicht, ja? Wir wollen nicht, dass sie Boykott machen, wir wollen nicht, dass sie den Rechtsweg gehen. Nä? Wir haben ja sehr viel Druck ausgeübt, dass sie nicht zum Internationalen Strafgerichtshof gehen. Und wir wollen nicht, dass sie sich mit Gewalt wehren. Sie sollen verhandeln und sie sollen ihre eigenen Institutionen aufbauen, auf eine Art und Weise, dass die Institutionen eben nicht korrupt sind, sondern Dienstleistungen erbringen können. Da sind wir auch gerne bereit, das zu finanzieren.

TJ: Aber ist ja schon ’ne traurige Erkenntnis, dass wir wollen, dass sie sich nicht wehren.

MA: Ja, das ist richtig. Das ist traurig.

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