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Sollte Israel eine vorübergehende Militärverwaltung in Gaza einrichten?

Könnte eine temporäre israelische Militärverwaltung die Probleme Gazas angehen z. B. bei der Hilfsmittelverteilung?
Könnte eine temporäre israelische Militärverwaltung die Probleme Gazas angehen z. B. bei der Hilfsmittelverteilung? (Imago Images / photothek)

Während im Gazastreifen weiterhin Hilfsgüter geplündert werden und der Druck auf Israel wächst, diskutieren ehemalige Verteidigungsbeamte über die Vor- und Nachteile des Vorschlags, eine temporäre Militärverwaltung einzurichten.

Yaakov Lappin

Während Israel wegen der Hilfslieferungen an den Gazastreifen unter starkem internationalen Druck steht, geht ein Großteil der weltweiten Kritik am Hauptproblem vorbei, das in der Unterbrechung des Verteilungsflusses der Hilfsgüter besteht, wegen der weniger Hilfe in den Gazastreifen gelangt als dorthin gelangen könnte.

Hamas-Terroristen und kriminelle Banden plündern systematisch Lastwagen mit Hilfsgütern, wobei gerade die Hamas jedes Interesse daran hat, die Verteilung zu sabotieren, die – so sie denn relativ reibungsfrei gelänge – ihre Bemühungen um die Wiederherstellung der Herrschaft in Gaza untergraben würde.

Mehrere ehemalige israelische Verteidigungsbeamte haben unlängst eine schnelle Lösung in Form einer vorübergehenden Militärverwaltung des Gazastreifens durch die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) gefordert, doch andere ehemalige Beamte warnen, dies könnte sich als eine Falle erweisen.

Keine Lösung für grundlegende Probleme

Kobi Michael ist leitender Forscher am Institute for National Security Studies in Tel Aviv und am Misgav-Institut für nationale Sicherheit und zionistische Strategie in Jerusalem. Der ehemalige stellvertretende Generaldirektor und Leiter der Palästina-Abteilung im Ministerium für strategische Angelegenheiten erklärte diesbezüglich gegenüber dem Jewish News Syndicate: »Wir haben zwei grundlegende Probleme, für die es derzeit keine Lösung gibt.«

Das erste bestehe in der Frage, »wie wir sicherstellen können, dass die humanitäre Hilfe bei den vorgesehenen Empfängern ankommt, ohne dass die Hamas sie in die Hände bekommt, und ohne dass zu den chaotischen Szenen und Diebstählen kommt, die wir immer wieder erlebt haben.« Das zweite Problem besteht in der Notwendigkeit, »eine Alternative zur Hamas zu schaffen, denn solange die Menschen im Gazastreifen die Hamas für eine Alternative halten und sie unterstützen, ermöglichen wir der Hamas weiter zu existieren und auch wieder an Stärke zu gewinnen.«

Laut einer Mitte März veröffentlichten Umfrage des Palestinian Center for Policy and Survey Research halten jeweils 71 Prozent der Palästinenser in Gaza und dem Westjordanland die Hamas-Entscheidung, den Massenmordangriff vom 7. Oktober zu begehen, »für richtig«. Dass die Hamas »als Sieger« aus dem Krieg hervorgehen wird, glauben 56 Prozent der Palästinenser in Gaza und 69 Prozent in der Westbank.

Angesichts dieser Zahlen, so Michael, sei es für Israel unerlässlich, »den Palästinensern zu vermitteln, dass die Hamas keine Alternative ist, und dies kann nur durch die Einrichtung einer alternativen Verwaltung geschehen«.

Clan-Strukturen in Gaza

Die Alternativen zu einer israelischen Militärverwaltung seien dabei allesamt nicht vertretbar: die Weiterexistenz des Hamas-Regimes widerspräche allen israelischen Kriegszielen und die Übergabe des Gazastreifens an die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) stelle laut Michael einen nicht realitätsgerechten Plan dar, da die PA dazu weder in der Lage noch willens sei.

Die Idee, eine lokale Verwaltung einzurichten, die sich aus Clans und großen Familien des Gazastreifens zusammensetzt, ist laut Michael »ein Hirngespinst und hat keine Aussicht auf Erfolg, sowohl wegen der Natur der Clan-Strukturen im Gazastreifen, die sich von jenen in Judäa und Samaria unterscheiden, als auch, weil die Hamas weiterhin Clan-Mitglieder töten wird, um deutlich zu machen, dass eine Zusammenarbeit mit Israel nicht infrage kommt«. Erst am 14. März ermordete die Hamas den Anführer des Doghmush-Clans im nördlichen Gazastreifen, den sie verdächtigte, mit den israelischen Behörden in Kontakt zu stehen.

Eine weitere Alternative wäre eine multinationale regionale Truppe, welche die Verantwortung für den Gazastreifen übernimmt; eine Möglichkeit, die laut Michael »derzeit nicht einmal theoretisch besteht«.

Damit bliebe nur noch die israelische Militärverwaltung als Alternative übrig: »Eine israelische Verwaltung würde den Boden für eine künftige multinationale Initiative zur Verwaltung des Gazastreifens bereiten, neben der Schaffung einer lokalen Verwaltung, die im Laufe der Jahre Zuständigkeiten erhalten wird, bis sie den Gazastreifen unabhängig verwalten kann. Wir werden auf jeden Fall in Richtung einer israelischen Verwaltung gedrängt werden, warum also nicht unsere eigene Initiative ergreifen?«, gibt Michael zu bedenken.

Die Initiative der Vereinigten Staaten, eine schwimmende Anlegestelle für die Einfuhr von Hilfsgütern in den Gazastreifen einzurichten, gehe mit der amerikanischen Erwartung einher, dass Israel den Fluss der Hilfsgüter von dieser Anlegestelle zu den Verteilungsorten und von dort zu den Zivilisten in Gaza sichert, um Plünderungen zu verhindern. – »Was ist das, wenn nicht eine Militärverwaltung?«, fragt Michael

Eine solche Initiative erfordere zusätzliches IDF-Personal, das mit diversen lokalen Kräften im Gazastreifen zusammenarbeiten könnte. »Ich sage nicht, dass dies keinen Preis haben wird, aber wenn wir es vorübergehend machen und es mit der US-Vision einer regionalen Architektur und der Normalisierung der Beziehungen mit Saudi-Arabien verbinden: und wir den Gazastreifen getrennt von Judäa und Samaria verwalten, während die Palästinensische Autonomiebehörde eine bedeutende Reform erfährt, wird dies Israels Interessen dienen«, ist Michael überzeugt.

»Wir zahlen im Moment einen hohen Preis für die derzeitige Situation«, fügte der Sicherheitsexperte hinzu. Eine solche Verwaltung könnte die Hamas auch daran hindern, zivile Einrichtungen wie das Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt zurückzuerobern.

Unter keinen Umständen

Moshe Elad, einer der Begründer der Sicherheitskoordination zwischen den IDF und der Palästinensischen Autonomiebehörde und ehemaliger israelischer Militärgouverneur in Dschenin, Bethlehem und Tyrus im Libanon, hat eine andere Sichtweise: »Das ist keine Lösung. Israel darf nicht dort bleiben, sonst riskiert es, in eine ständige Präsenz im Gazastreifen hineingezogen zu werden«, warnt der Dozent am Western Galilee College in Akkon, gegenüber Jewish News Syndicate.

Stattdessen könne Israel bei der Verteilung von Hilfsgütern behilflich sein und gleichzeitig von den arabischen Staaten und den USA verlangen, »dass sie untereinander entscheiden, wie sie den Gazastreifen verwalten wollen, und dass sei dazu eine Koalition bilden. Wir dürfen unter keinen Umständen dort bleiben«, sagte er, obwohl er hinzufügte, dass gezielte zukünftige IDF-Angriffe gegen Sicherheitsbedrohungen in Gaza fortgesetzt werden sollten.

»Wenn wir dort bleiben, wird es zu einem Dauerzustand«, argumentierte Elad. Die Erfahrung zeige, »dass Militärverwaltungen, die nach einem Krieg eingerichtet werden, ins Visier von Terroristen geraten. Das ist im Irak, in Afghanistan und im Libanon geschehen. Es wäre das Schlimmste, würden wir in diese Falle tappen und anfangen, sie zu verwalten, konfrontiert mit einer feindlich gesinnten Bevölkerung und massivem Terrorismus.«

Eine Militärverwaltung brächte keine Vorteile, »und es würde schwierig sein, den Israelis zu erklären, warum wir nach Autobombenanschlägen auf unsere Truppen in Gaza Verluste erlitten haben – und es würde Autobomben geben. Wir können mit schwerwiegendem Terrorismus rechnen, der von Einheimischen ausgeübt wird, welche die Macht der Hamas erhalten wollen. Selbst wenn fünftausend bewaffnete Terroristen in Gaza übrigblieben, würde das zum Problem«, analysiert der Experte.

Viele Jahre Erfahrung hätten gezeigt, dass Israel »nicht dafür gemacht ist, andere Völker zu verwalten. Wir können es nicht tun, weil wir den Beschränkungen des internationalen Rechts und des Obersten Gerichtshofs unterliegen. Diese Dinge würden das blockieren, was wir in Gaza tun wollen, nämlich das Gesetz durchzusetzen. Unsere Bemühungen würden als unmenschlich und als Verstöße gegen das Völkerrecht ausgelegt werden«, resümiert Elad.

Ägypten als Alternative

Stattdessen solle sich Israel in erster Linie auf Ägypten konzentrieren, das als einziger regionaler Akteur die Möglichkeit und das Interesse habe, die Kontrolle über den Gazastreifen zu übernehmen, da es in der Nähe liege, eine gemeinsame Grenze habe und die Golfstaaten Kairo mit Geldern versorgen könnten, die das Land so dringend benötigt, um einen wirtschaftlichen Zusammenbruch zu verhindern.

»Ägypten braucht dringend Geld, um seine Wirtschaft zu retten, ja sogar, um nur die Lebensmittelversorgung aufrechtzuerhalten. Das Land hat eine Bevölkerung von 110 Millionen Menschen, die jedes Jahr um zwei Millionen wächst. Sie brauchen eine Finanzspritze von 70 bis 80 Milliarden Dollar – für arabische Golfstaaten ist das nicht viel. Israel muss die USA und die Saudis dazu drängen, Ägypten dazu aufzufordern, diese Arbeit in Gaza zu übernehmen«, so Elad.

Auch die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain, die einen Friedenvertrag mit Israel haben, könnten sich diesen Bemühungen anschließen könnten, fügte der Sicherheitsexperte hinzu: »Ägypten kann diese Aufgabe übernehmen. Es kann die Militärkoalition für zwei bis drei Jahre stellen, danach können die in dieser Zeit ausgebildeten Bataillone der PA die Aufgabe übernehmen. Israel muss die Arbeit beenden und dann abziehen. Es darf nicht bleiben.«

Die Debatte über den »Tag danach« in Gaza hat auch das israelische Kriegskabinett und das erweiterte Sicherheitskabinett beschäftigt. Mitte März berichtete die Zeitung Israel Hayom, dass eine Mehrheit des Sicherheitskabinetts einen Vorschlag von Verteidigungsminister Yoav Gallant ablehnt, der vorsieht, der Fatah nahestehende, lokale Kräfte im Gazastreifen einzusetzen, um die zivile Verwaltung im Streifen zu übernehmen.

Yaakov Lappin ist Korrespondent und Analyst für militärische Angelegenheiten in Israel. Er ist hausinterner Analyst am MirYam-Institut, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Alma-Forschungs- und Bildungszentrum und am Begin-Sadat-Zentrum für strategische Studien an der Bar-Ilan-Universität sowie Autor von Virtual Caliphate – Exposing the Islamist state on the Internet. (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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