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Russland in Syrien: Vor fünf Jahren änderte sich die Weltpolitik

Putin und Assad bei einem Treffen in Damsakus
Putin und Assad bei einem Treffen in Damsakus (© Imago Images / ITAR-TASS)

Über einen runden Jahrestag des Syrienkriegs, der – nicht nur – in den Medien weitgehend unbemerkt blieb.

Vor fünf Jahren, Ende September 2015, griffen russische Kampfflugzeuge in den syrischen Krieg ein. Der runde Jahrestag verstrich unbemerkt in den politischen Kommentaren, dabei er hat doch die Koordinaten der Internationalen Beziehungen nachhaltig verändert und die Entwicklungen im Nahen Osten massiv beeinflusst.

Die derzeitige aggressive türkische Großmachtpolitik mit ihren militärischen Interventionen wäre ohne die Ereignisse in Syrien vor fünf Jahren genauso wenig denkbar, wie das Überleben des Assad-Regimes. Der Krieg in Syrien ist mittlerweile zwar auf niedrigem Level eingefroren, aber so auch ad infinitum verlängert worden. Ohne das Eingreifen Russlands sähe der Nahe Osten heute anders aus.

Diese Intervention hat allerdings keine grundlegend neuen Bedingungen in der Region geschaffen; die Existenz des Assad-Regimes hängt wie vor fünf Jahren alleine von der militärischen Unterstützung Russlands und des Iran ab, und der türkische Präsident agiert seine Großmachtpolitik als Getriebener aus, der seinen Problemen zuhause zu entkommen sucht. Dass Erdogan mittlerweile international so ungehemmt agieren kann, hängt jedoch maßgeblich von den Dynamiken ab, die Putins Entscheidung, seine Flugzeuge für das Überleben Assads nach Syrien zu schicken, damals in Gang gesetzt hat.

Rivalität mit Türkei

Die Türkei geriet so in eine bizarre Schaukelstellung zwischen ihrer westlichen Anbindung als Nato-Mitglied und einer fragilen Partnerschaft mit Moskau, die wiederum hin und her pendelt zwischen leidig funktionierenden Absprachen in Nordsyrien und offener Konkurrenz in Libyen. Als eine Art Fortsetzung des Krieges in Syrien kämpfen dort von der Türkei wie von Russland angeheuerte syrische Söldner auf unterschiedlichen Seiten.

Auch bei den frisch ausgebrochenen Kämpfen zwischen Aserbeidschan und Armenien stehen sich Russland und die Türkei als Kontrahenten gegenüber. Gerade ist der Tod der ersten Söldner aus Syrien bestätigt worden, die von der Türkei zur Unterstützung Bakus angeworben werden. Älteres russisches Kriegsgerät der Armenier wird demonstrativ von türkischen Drohnen zerstört, so wie schon im letzten Winter in Nordsyrien die Haubitzen und Radarpanzer Assads.

Die russische Intervention in Syrien hat so zu scheinbar gegenläufigen Entwicklungen geführt. Das unmittelbare militärische Ziel des Jahres 2015 ist definitiv erreicht worden, das Regime Assads wurde vor dem militärischen Zusammenbruch bewahrt und mittelfristig stabilisiert. Gleichzeitig begann Russland eine neue, maßgebliche Rolle in der Region zu spielen. Dabei sind die Amerikaner nur noch sehr indirekt und in zweiter Linie der Gegner.

Während sich die USA, denen Russland ökonomisch und militärisch hoffnungslos unterlegen ist, kontinuierlich aus dem Nahen Osten zurückziehen, rückt plötzlich die Regionalmacht Türkei in die Rolle des großen Konkurrenten ein, mit der Russland von seinen Potenzialen her allerdings ganz anders umgehen kann. Mit der Intervention in Syrien ist Russland auf die internationale große Bühne zurückgekehrt, aber den Platz, den es dort einnimmt, haben die USA freiwillig geräumt.

Assad nur Randfigur

Im Sommer 2015 drohte in Syrien die militärische Niederlage des Assad-Regimes. Es waren die Iraner, die Putin überzeugten, in Syrien militärisch zu intervenieren. Vorher hatte sich die russische Unterstützung für Assad vor allem politisch bei der UNO niedergeschlagen.

Die Souveränität des syrischen Regimes, das Russland zum Eingreifen offiziell eingeladen hat, war von Anfang an nur fiktional. Die Konditionen und Details des russischen Eingreifens verhandelte offenbar der iranische Oberrevolutionsgardist Qassem Soleimani persönlich in Moskau. Damals starrte die Weltöffentlichkeit gerade fasziniert und gebannt auf das neue Phänomen des IS-Kalifatstaates mit seinen inszenierten Grausamkeiten, während das Assad-Regime als Verursacher des Krieges in Syrien aus dem Fokus rückte. Russland nutzte die Gunst der Stunde, und suchte seine Intervention pro Assad als Kampf gegen den IS zu verkaufen. Bombardiert wurden allerdings fast ausschließlich Stellungen der Rebellen, die gegen Assad kämpften, sowie in großem Umfang zivile Ziele.

Der russische Bombenkrieg in Syrien hinterließ Schneisen der Vernichtung, wobei die gezielten Angriffe auf Krankenhäuser und zivile Infrastruktur äußerst erfolgreich waren. Flüchtlinge wurden zur Waffe, nicht zuletzt in Hinsicht auf Europa, das 2015 sowieso durch die Flüchtlingswelle praktisch paralysiert war. Waren bis zu dem Zeitpunkt des russischen Eingreifens von der UN knapp 4 Millionen Flüchtlinge in den syrischen Nachbarländern registriert, schnellte diese Zahl nun auf über 5 Millionen, und ist seitdem bei rund fünfeinhalb Millionen registrierter Flüchtlinge geblieben.

Militärisch hatten die Rebellen den Luftangriffen nichts entgegenzusetzen. Von amerikanischer Seite wurde ihnen tatsächlich konsequent keine Luftabwehrwaffen geliefert, und entsprechende Lieferungen von Seiten der Golfstaaten verhindert.

Damals änderten sich die Parameter des Krieges in Syrien. Die Golfstaaten zogen sich von der Unterstützung der Rebellen zurück, während die Türkei als letzter großer Unterstützer der Rebellen den Fall Aleppos an die Regierungstruppen nicht mehr verhindern konnte und vermutlich auch gar nicht wollte. Mit dem militärischen Eingreifen der von den USA geführten Koalition gegen den Kalifatsstaat auf syrischen Boden begann für die Türkei eine neue Sicht auf den Konflikt in Syrien Platz zu greifen. Das kurdische Problem rückte in das Zentrum, denn die USA setzten auf die kurdischen Kämpfer des syrischen PKK-Ablegers als Bodentruppen gegen die Islamisten des Kalifatsstaates. Ein Albtraum aus Sicht der türkischen Staatsraison.

Und hatte Erdogan Ende 2015 noch einen russischen Kampfbomber abschießen lassen, trat die Türkei nun zusammen mit Russland und dem Iran als Garantiemacht des sogenannten Astana-Prozesses auf, dem eher sehr durchsichtigen Versuch, für das Assad-Regime durch Übereinkunft mit ein paar willfährigen Oppositionellen eine international anerkannte politische Fassade zu verschaffen.

Gleichzeitig billigte Russland das türkische Vorgehen in Nordsyrien gegen die Kurden und die Errichtung einer von islamistischen Rebellen dominierten türkischen Schutzzone. Im letzten Winter sah es so aus, als würde Russland die Eroberung der Schutzzone rund um Idlib durch Assad unterstützen und zulassen. Die russisch türkische Übereinkunft vom März bestätigte jedoch das – verkleinerte – türkische Protektorat auf syrischen Boden.

Zweischneidige Entwicklung

Die Entwicklung in Syrien ist für Russland mehr als zweischneidig. Das Assad-Regime hat zwar überlebt, aber bis heute ist es Russland nicht gelungen, das Regime politisch zu rehabilitieren und vor allen Dingen die erhofften Wiederaufbaugelder aus Europa fließen zu lassen. Damit steht und fällt jedoch perspektivisch die gesamte Investition in das Assad-Regime. Und trotz mehrfachen russischen Verkündens, der Kriegseinsatz sei zu Ende, und dem in den Jahren 2018/19 wie ein Mantra in der zumal deutschsprachigen Presse zu lesendem Satz, Assad habe gewonnen, „verhandelt“ Russland gerade mit der syrischen Regierung eine Ausweitung seiner Militärstandorte.

Man hat Assad das Überleben gesichert, aber jetzt ist man auch an ihn gebunden. Und das sieht doch eher hoffnungslos aus. Die derzeitigen von der UN geführten Verhandlungen zwischen dem Regime und diversen Oppositionsgruppen in Genf, in die der Astana-Prozess gemündet ist, verlaufen erwartungsgemäß im Sand.

Es ist das Assad-Regime selbst, das die Bemühungen Ruslands torpediert. Eine interessante Volte, die bisher jedoch nur Spekulation ist, könnte nun sein, dass Assad mit Förderung Russlands und der Golfstaaten Friedensverhandlungen mit Israel anbieten könnte, als Preis für sein politisches Überleben und die Duldung durch den Westen. Dafür gibt es vage Hinweise, allerdings auch ein grundsätzliches Hindernis, nämlich Assads Abhängigkeit von seinem zweiten Verbündeten, der Islamischen Republik Iran.

In Bezug auf die Iraner lässt sich sehr anschaulich Putins Pragmatismus illustrieren; wenn es um das Überleben ihres Schützlinge Assad geht, sind sowohl Russland wie der Iran aufeinander angewiesen. Der Iran übernahm den Kampf am Boden, während Russland sowohl die politische Rückendeckung im UN-Sicherheitsrat wie die modernen Luftwaffenkapazitäten und die Möglichkeit sie souverän in einem anderen Land einzusetzen, einbrachte. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich Putin die iranische Agenda zu eigen macht. Und er demonstriert das auch deutlich. Mit Israel kooperiert er nämlich auch.

Wenn er es mit militärisch starken und entschlossenen Kontrahenten zu tun hat, ist Putin überraschend flexibel und offen für Verhandlungen und Kompromisse. Israels Luftwaffe kann über dem syrischen Luftraum mehr oder minder ungehindert agieren. Die wirklich gefährlichen Luftabwehrraketen in Syrien stehen unter der Kontrolle Moskaus. Es gibt Standleitung auf denen sich Israelis und Russen über ihre Bewegungen und Ziele austauschen, damit sie sich nicht gegenseitig in die Quere kommen. Problematisch wird das nur, wenn die inkompetente syrische Flugabwehr dann auch mal ein russisches Flugzeug abschießt, weil man es für ein israelisches hält.

Die Bemühungen Russlands, sich eine eigenständige Machtbasis in Syrien sowohl gegenüber den Iranern, wie der Familie Assad aufzubauen, wurden mit der Einrichtung des Fünften Armee-Korps der syrischen Armee deutlich. Das besteht aus ehemaligen Rebellen und wird von Russland kontrolliert. Zwischen diesem Teil der „syrischen Armee“ und der von Assads jüngerem Bruder kontrollierten Eliteeinheit der Vierten Division, die am Tropf der Iraner hängt, kommt es immer wieder zu Kampfhandlungen.

Die Verhältnisse in Syrien sind so nicht nur kompliziert, sondern auch fragil. Und ob und wie Putin sein Eingreifen in Syrien, das vor 5 Jahren begann, jemals zu einem Ende wird führen wird können, und ob Russland schließlich daraus wirklich Profit schlagen kann, das bleibt abzuwarten. Diese fünf Jahre sind erst ein Zwischenergebnis.

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