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Marokkos Juden über ihre Zukunft: Nicht das Land, das wir kannten

Solidaritätsdemonstration mit der Hamas in Marokkos größter Stadt Casablanca
Solidaritätsdemonstration mit der Hamas in Marokkos größter Stadt Casablanca (Imago Images / Agencia EFE)

Obwohl sich die Beziehungen zwischen Marokko und Israel in den vergangenen Jahren intensiviert haben, hat sich die Lage nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober verschlechtert.

Amelie Botbol

»Das ist nicht das Marokko, das wir zuvor kannten«, sagt Kobi Ifrah. Der Mitbegründer von Kulna, einer gemeinnützigen Organisation, die das jüdische marokkanische Erbe erhalten und fördern will, übersiedelte vor zehn Jahren aus dem israelischen Dimona nach Marrakesch und kartiert seither jüdische Stätten im ganzen Land, während er Reisen für Israelis und Amerikaner leitet.

Ifrah beschreibt das nordafrikanische Land als ein Modell der Koexistenz, in dem Juden, Christen und Muslime weitgehend friedlich zusammenleben. Hunderttausende von Juden hätten Marokko im vergangenen Jahr erkundet, erzählt Ifrah, aber nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober in Israel war es damit vorbei.

Viele Israelis betrachteten Marokko als ihre zweite Heimat, meint Ifrah unter Bezug auf deren marokkanische Wurzeln. »Seit dem Ausbruch des Kriegs sehen wir bei den Protesten hier aber den Ausdruck eines Hasses auf Juden und Israelis und Unterstützung für die Hamas. Wir haben ein Mindestmaß an Solidarität erwartet und nicht bekommen. Marokko war einmal ein Ort, an dem sich jeder zu Hause fühlen konnte, egal, wer er ist, woher er kommt und woran er glaubt. Das machte Marokko einzigartig. Wenn Juden und Israelis nicht mehr willkommen sind, wird es für niemanden mehr sicher sein.«

Zehntausende Marokkaner gingen nach dem 7. Oktober auf die Straße, viele von ihnen skandierten antisemitische Parolen und hielten Plakate mit Sprüchen wie »Nieder mit dem Zionismus« und »Die Hamas ist Palästina« in die Höhe.

Im Dezember 2020 vereinbarten Israel und Marokko die formelle Normalisierung ihrer Beziehungen im Rahmen des von der US-Administration unter Donald Trump ausgehandelten Abraham-Abkommens. Seitdem wurden die Beziehungen in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Verteidigung erheblich ausgebaut. Jerusalem anerkannte die marokkanische Souveränität über die Westsahara, woraufhin König Mohammed VI. Israels Premier Benjamin Netanjahu im Juli 2023 in das Land einlud.

Über Nacht anders

Der 60-jährige Raphael Trojman wurde in Rabat geboren und hat sich auf koschere Produkte und koschere Luxusurlaube spezialisiert und betreibt Hotels in Marrakesch, Casablanca und Fes. Am 7. Oktober bewirtete er noch Gäste im Mazagan Beach and Golf Resort in El Jadida: »Angesichts des Ausmaßes des Anschlags wussten wir sofort, dass es ernst war. Alle sind abgereist und wir erhielten erste Stornierungsanfragen für unsere geschäftigste Zeit, die normalerweise direkt nach Sukkot beginnt. Wir schlossen unsere koscheren Restaurants, die wir in den Hotels eingerichtet hatten und stoppten alle unsere koscheren Entdeckungstouren.«

Nach dem 7. Oktober schlossen zwölf der vierzehn koscheren Restaurants in Marrakesch; nur einige wenige davon haben in den vergangenen Tagen wieder geöffnet. Hochzeiten und jüdische Pilgerfahrten wurden nach Angaben von Gemeindeleitern ebenfalls abgesagt.

Marokko ist nach Israel und den Vereinigten Staaten das am dritthäufigsten besuchte Reiseziel weltweit für das Pessachfest; etwa 45 darauf spezialisierte Veranstalter nehmen jedes Jahr Tausende von Juden auf.

Während Trojman in der Vergangenheit für die Zeit des Pessachfests hundert Einheimische beschäftigte, wird er im Jahr 2024 stattdessen Veranstaltungen in Tel Aviv und Jerusalem durchführen. »Das hat sich über Nacht geändert. Die Juden müssen ihre Verbundenheit mit dem Land und ihre Beziehung zu den Marokkanern neu überdenken. Solange die Behörden ihre Haltung gegenüber marokkanischen Juden und Israelis nicht klären, werden wir unsere Geschäfte woanders machen.«

Vor dem 7. Oktober hatte die marokkanische Anti-Normalisierungs-Bewegung keine große Dynamik, doch in der vergangenen Woche demonstrierten rund dreitausend Menschen in der Hauptstadt Rabat und forderten den König auf, die Beziehungen zu Israel zu beenden. Der Protest wurde von Mitgliedern der marokkanischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PDJ) angeführt, die wie die Hamas ihre Wurzeln in der Muslimbruderschaft hat.

Während des sogenannten Arabischen Frühlings war der PDJ-Führer Abdelilah Benkirane zum marokkanischen Premierminister gewählt worden. Die Partei regierte ein Jahrzehnt lang bis 2021, als sie vor allem wegen ihres desaströsen sozioökonomischen Programms abgewählt wurde.

Wie geht es weiter?

»Während des Arabischen Frühlings waren die Juden in Marokko sehr besorgt, dass die Monarchie ins Visier genommen werden könnte. Doch der König hat die Situation sehr gut gemeistert. Daher vertraue ich darauf, dass die aktuelle Situation nicht anders sein wird«, meint Eric Benabou, 59, aus Agadir. »Ich vertraue darauf, dass es der Regierung gelingen wird, auf die Verbundenheit der marokkanischen Bevölkerung mit der palästinensischen Sache einzugehen und dabei das jüdische Erbe des Landes und die Hunderttausenden von Juden marokkanischer Abstammung nicht zu vergessen.«

Der Leiter der jüdischen Gemeinde in Marrakesch, Jackie Kadosh, der sich nach dem Massaker vom 7. Oktober mit der örtlichen Polizei traf, ist überzeugt, dass die Behörden die Sicherheitsbedenken der jüdischen Gemeinde ernst nehmen. Für ihn kann die Verbundenheit der marokkanischen Juden mit ihren Traditionen und ihrem Land durch keinen Konflikt beeinträchtigt werden. »Während wir hier sprechen, nehmen etwa fünfzig Israelis an einer Pilgerfahrt in Taroudant teil«, sagte er gegenüber dem Jewish News Syndicate »Sie haben sich durch nichts aufhalten lassen.«

(Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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