Warum in Israels Hafenstadt Aschdod für Marokko demonstriert wird

Polisario-Kämpfer im Saharawi Flüchtlingslager in Rabuni, Algerien
Polisario-Kämpfer im Saharawi Flüchtlingslager in Rabuni, Algerien (© Imago Images / Agencia EFE)

Die von Algerien unterstützte und bewaffnete Polisario-Miliz, die für die Abspaltung der von Marokko besetzten Westsahara kämpft, hat am 13. November das Ende des 1991 geschlossenen Waffenstillstands verkündet und Marokko beschuldigt, ihn gebrochen zu haben.

Während marokkanische Medien die Lage als friedlich darstellen, versucht die Polisario-Miliz, in den sozialen Medien das Bild eines echten Krieges zu schaffen und verkündet Angriffe auf die marokkanischen Streitkräfte. Die folgenden Tweets vom Twitter-Account der Polisario stammen alle vom 2. Dezember:

– „Konzentrierte Bombardierungen gegen feindliche Streitkräfte in der Region Acheidmia, Sektor Mahbes. Schweres Bombardement gegen feindliche Stellungen in der Region Güerat Wald Ablal, Sektor Mahbes.“

– Konzentrierte Bombardierungen gegen feindliche Stellungen in der Region Al-Faiyin, Sektor Farsía. Ununterbrochen schwere Bombardierung feindlicher Stützpunkte in der Region Adeim Um Ajlud, zweimal am selben Tag.“

– „Angriffe von SPLA-Einheiten auf die Region Tichla. Schwere Bombardierungen gegen die Verschanzungen der feindlichen Streitkräfte in der Region Rus Udeyat Achdida, Sektor Farsía.“

– „Die Einheiten der Saharawi People’s Liberation Army (SPLA) setzten ihre Angriffe auf die Stützpunkte der marokkanischen Besatzungsmächte an der Schandmauer fort.“

Mit der „Schandmauer“ ist der 2.700 Kilometer lange, zum größten Teil aus Sand errichtete Grenzwall gemeint, den Marokko an der Grenze zwischen dem marokkanischen Westen des Gebiets und der von der Polisario beherrschten Osten – der „Arabisch Demokratischen Republik Sahara“ (SADR) – errichtet hat, um ein Einsickern von Milizionären zu verhindern.

Dass in den Meldungen nicht von Gefechten die Rede ist, sondern nur von Bombardierungen – die von der marokkanischen Armee offenbar nicht erwidert werden –, lässt vermuten, dass bei dem Schießen in Wahrheit niemand getroffen wurde.

Der Konflikt mit Algerien

Mit einer Fläche von 266.00 km² ist die Westsahara größer als Großbritannien, besteht aber nur aus Wüste und hat lediglich etwa 300.000 Einwohner. Nachdem Spaniens Machthaber General Franco 1975 gestorben war und Spanien demokratisch wurde, zogen sich die Spanier 1976 aus dem Gebiet zurück, in dem sie 1884 eine Kolonialherrschaft errichtet hatten.

Weil die Region in vorkolonialer Zeit in einem losen Abhängigkeitsverhältnis zu Marokko gestanden hatte, beanspruchte Marokko – das 1956 seine Unabhängigkeit von Frankreich erhalten hatte – die Westsahara als sein Staatsgebiet. Das mit Marokko verfeindete Nachbarland Algerien hingegen unterstützte die Abspaltung der Westsahara von Marokko.

An natürlichen Ressourcen gibt es in der Westsahara Phosphat und den Fischfang im Atlantik, noch wichtiger ist aber aus Sicht der beiden Kontrahenten wohl die strategische Bedeutung: Für Marokko ist die Westsahara das Tor zum Süden, für Algerien wäre es der Zugang zum Atlantik, den es derzeit nicht hat.

Im Februar 1976 rief die Polisario die SADR aus. Bis 1991 wurde um das Gebiet militärisch gekämpft. Für einen Guerillakrieg eignet sich das Gelände kaum: Das flache und unbewachsene Terrain bietet keine Rückzugsräume und weil es weitgehend unbewohnt ist, kann ein Guerillero auch nicht, wie von Maos Guerilladoktrin gefordert, „im Volk schwimmen wie ein Fisch im Wasser“. So war der Krieg eher eine Serie von Anschlägen, die die Polisario oft mit Landminen durchführte.

Arabischer Nationalismus

Die Polisario gibt vor, die Bewohner der Westsahara zu vertreten, ist aber nichts anderes als ein Instrument der algerischen Politik. Das bezeugt schon der Name ihres „Staates“: Arabische Demokratische Republik Sahara. Die Bewohner der Westsahara sind Berber (Amazigh), mit einer eigenen Sprache, Kultur und Geschichte. So, wie Algerien die Existenz des Volks der Berber nach der Unabhängigkeit von Frankreich 40 Jahre lang geleugnet und seine Sprache und Kultur unterdrückt hat, so auch die Polisario.

In der Verfassung ihres Staates werden der Islam als Religion und Arabisch als einzige Sprache festgelegt; über das „saharauische Volk“ heißt es in Artikel 6, dieses sei „ein arabisches, muslimisches und afrikanisches Volk“. Das ist die Ideologie des arabischen Nationalismus, wie sie von Algerien und den anderen repressiven Staaten Nordafrikas nach der Unabhängigkeit vertreten wurde. Wie in Algerien, wo sich die FLN zur Staatspartei machte, sieht auch die Verfassung der SADR das Regime einer einzigen Partei vor. So heißt es in Artikel 31:

„Bis zur Vollendung der nationalen Souveränität bleibt die Polisario-Front der politische Rahmen, der die Saharauier zusammenbringt und mobilisiert, um ihre Bestrebungen und ihr legitimes Recht auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit zum Ausdruck zu bringen und ihre nationale Einheit zu verteidigen und den Aufbau des saharauischen souveränen Staates zu verbessern.“

Bei solch einer stalinistischen Weltanschauung überrascht es nicht, dass die Polisario dieser Tage stolz verkündete, SADR-Präsident Brahim Ghal habe auf Einladung von Kubas Jugendverband an dessen Kongress in Havanna teilgenommen.

Was führte zur jüngsten Eskalation?

Was die jüngsten Ereignisse auslöste, war eine Grenzblockade. Entlang der Grenze zu Mauretanien gibt es eine 3,8 Kilometer breite entmilitarisierte Pufferzone, die von UN-Beobachtern überwacht wird. Ende Oktober blockierten Personen, die der Polisario zuzurechen waren, den Grenzübergang Guerguerat.

Für Marokko ist der Übergang wichtig, weil über ihn ein großer Teil der Obst- und Gemüseexporte nach Westafrika läuft. Durch die Blockade steckten laut Medienberichten 200 LKW-Fahrer mitten in der Wüste fest, „ohne Trinkwasser, Essen, ein Dach über dem Kopf und Medizin“, wie die saudi-arabische Website Arab News unter Berufung auf marokkanische Quellen schrieb.

Marokko entsandte Truppen, um die Blockade aufzulösen. Der marokkanische Außenminister Nasser Bourita bestritt gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass es Gefechte gab; die Armee habe nur „Warnschüsse“ abgegeben. Marokko sei „dem Waffenstillstand verpflichtet“. Reuters zitierte aber auch einen ungenannte Diplomaten, der gesagt habe, „eine halbe Stunde“ lang seien „schwere Waffen zu hören“ gewesen.

Bourita sagte Reuters gegenüber außerdem, Marokko werde einen weiteren Sandwall bauen, um zu verhindern, dass die Polisario noch einmal zu dem Grenzübergang vorstoßen könne.

Marokkos Unterstützer

Dank jahrzehntelanger Bemühungen kann Marokko international auf zahlreiche Unterstützer zählen; außer Saudi-Arabien, den anderen Golfemiraten und Jordanien, mit denen das Königshaus ohnehin verbündet ist, zählen auch einige weit entfernte Länder wie Japan dazu.

Zudem hat Marokko in den letzten Jahren eine diplomatische Offensive im südlichen Afrika gestartet. Der Erfolg zeigte sich 2017, als Marokko nach mehr als 30-jähriger Abwesenheit wieder in die Afrikanische Union (AU) aufgenommen wurde, aus deren Vorläuferorganisation, der Organisation für afrikanische Einheit (OAU), Marokko mehr als drei Jahrzehnte zuvor ausgetreten war, weil an dem Gipfel in Addis Abeba 1984 auch eine Delegation der SADR teilgenommen hatte.

Im November 2020 eröffneten Jordanien und die Vereinigten Arabischen Emirate Konsulate in der Westsahara und folgten damit 14 AU-Staaten, die dort bereits diplomatische Vertretungen unterhalten. Dies dient in erster Linie dazu, Marokkos Anspruch auf das Gebiet zu unterstützen.

Eine überraschende Solidaritätsbekundung für Marokko kommt aus Israel. In der Hafenstadt Aschdod versammelte sich am 24. November eine Gruppe marokkanischstämmiger Israelis, um für die „marokkanische Sahara“ zu demonstrieren. In einem Aufruf, der sich an Israelis in der Gegend von Aschdod richtete, hieß es:

„Kinder von Marokko, seid heute mit uns, und immer, um unser Marokko zu beschützen, um unser Marokko zu lieben, es lebe unser König Mohamed VI. und es lebe unser Marokko!“.

Noch bemerkenswerter als diese Demonstration ist, dass marokkanische Medien davon Notiz nahmen und darüber berichteten. Im Zuge des Abraham-Abkommens zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Friedensvertrag mit dem Oman war im Spätsommer auch über einen möglichen Friedensvertrag zwischen Israel und Marokko spekuliert worden. Marokkos Ministerpräsident Saadeddine Othmani von der islamistischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD) lehnte dies im August jedoch ab.

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