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Kulturzeit: Israels Zwickmühle im Kampf gegen die Hamas

Logo der Sendung Kulturzeit auf 3sat. (© imago images/suedraumfoto)
Logo der Sendung Kulturzeit auf 3sat. (© imago images/suedraumfoto)

In einem sachlichen Bericht der 3sat-Sendung Kulturzeit wurden die Probleme eines Staates analysiert, der Krieg gegen eine Terrororganisation führen muss.

Die vorabendliche Sendung Kulturzeit des TV-Senders 3sat brachte am Mittwoch einen ungewöhnlichen Bericht. Ungewöhnlich deshalb, weil er einen ganz anderen Tonfall anschlug, als er in dieser Sendung sonst üblich ist: Zwar ging es um Israel, aber dieses Mal wurde nicht mit betroffener Miene das Leid von Künstlern beklagt, die sich von vermeintlichen Antisemiten-Jägern unerbittlich verfolgt fühlen, bloß weil sie öffentliche Aufrufe zur Vernichtung Israels unterzeichnet haben. Stattdessen ging es um den Krieg gegen die Hamas selbst, genauer: um »die Ethik des Krieges«.

Der Beitrag begann mit einer Erläuterung der auf israelfeindlichen Aufmärschen besonders beliebten Parole »From the River to the Sea, Palestine will be free«, der zu Recht als »Schlachtruf zur Auslöschung Israels« bezeichnet wurde. Schon das dürfte bei einem nicht unbeträchtlichen Teil des Kulturzeit-Publikums für Unmut gesorgt haben, jenem nämlich, der sich die Parole in beachtlicher Ignoranz über deren Kontext zu einer harmlosen Forderung nach »gleichen Rechten« zurechtlügt.

Darauf folgten einige Bemerkungen der Juristin Yael Vias Gvirsman, die an die Zeit des Vietnamkriegs in den 1960er und 1970er Jahre erinnerte, als junge Menschen unter der Parole »Make love not war!« auf die Straßen gingen. Auf den antiisraelischen Demonstrationen der vergangenen Wochen werde im Gegensatz dazu »zum Blutvergießen« aufgerufen. Sehr zu Gvirsmans Bestürzung, denn: »Junge Menschen sollten nicht zum Blutvergießen aufrufen.«

Sie wies auch darauf hin, dass die Verschleppung Hunderter Meschen (hauptsächlich Israelis) durch die Hamas ein klares Kriegsverbrechen darstelle und diese Geiseln sofort und bedingungslos freigelassen werden müssten.

Keine Kriegsverbrechen

Am internationalen Pranger, so setzte der Kulturzeit-Bericht fort, stehe aber nicht in erster Linie die Hamas, sondern ganz im Gegenteil Israel. So etwa, wenn der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, der Österreicher Volker Türk, in einem Statement behauptete, »die kollektive Bestrafung palästinensischer Zivilisten durch Israel stellt ebenfalls Kriegsverbrechen dar, ebenso die ungesetzmäßige, erzwungene Evakuierung von Zivilisten«.

Aus der Warnung an die Zivilbevölkerung in Gaza durch Israel, sich vor bevorstehenden Angriffen auf Hamas-Ziele in Sicherheit zu bringen, machte Türk also eine »ungesetzmäßige, erzwungene Evakuierung«, quasi eine »ethnische Säuberung«, wie ein bekannter österreichischer Journalist einer lachsfarbenen Zeitung damals sekundierte. Doch damit lagen die Vereinten Nationen laut dem Kulturzeit-Bericht »grundfalsch«, wie der deutsche Völkerrechtler Matthias Herdegen in dankenswerter Klarheit erklärte:

»Ich denke, man sollte sich bei der außerordentlich komplexen Bewertung des Geschehens nicht von solchen plakativen Äußerungen und Einschätzungen leiten lassen. Worum es hier geht, ist, dass ein Staat, nämlich Israel, als angegriffenes Land sein Selbstverteidigungsrecht verwirklicht, und das kann und darf es tun im Rahmen des humanitären Völkerrechts, das die weitestgehende und weitestmögliche Schonung der Zivilbevölkerung in der Verfolgung eines legitimen militärischen Ziels gebietet. Mit Kriegsverbrechen, Vertreibung oder ethnischer Säuberung hat das alles nichts zu tun.«

Auch mit dem üblichen Einwand, das alles sei doch anhand der großen Zahl an zivilen Opfern im Gazastreifen »unverhältnismäßig«, räumte Herdegen auf:

»In der Tat folgt das humanitäre Völkerrecht einer ganz anderen Logik als diesem Aufrechnen von Opfern eines Konfliktes. Das Völkerrecht bestimmt, dass jede kriegsführende Partei Opfer unter der Zivilbevölkerung, die unbeabsichtigt, als Nebenfolge einer militärischen Operation eintreten, niemals außer Verhältnis zum militärischen Ziel stehen dürfen.«

Wenn die Hamas Kommandozentralen oder Waffenlager in Kranken- und Wohnhäusern anlegt, dann dürften auch diese – unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit – angegriffen werden.

Win-Win-Situation

Der Kulturzeit-Bericht stellte daran anschließend die entscheidende Frage: Wie kann ein dem Völkerrecht verpflichteter Staat eine Terrororganisation bekämpfen, die sich hinter der Zivilbevölkerung verschanzt und hohe Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung bewusst in ihr Kalkül einbezieht?

Für die Hamas, so analysierte Pnina Shavit Baruch vom israelischen Institute for National Security Studies, sei das eine Win-Win-Situation:

»Wenn Israel nicht angreift, weil es die Zivilbevölkerung nicht gefährden will, ist das ein Win für die Hamas, deren militärisches Arsenal intakt bleibt. Wenn Israel angreift, weil es meint, sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu bewegen, folgen unweigerlich die Rügen der UNO und der internationalen Presse – und auch das ist ein Win für die Hamas.«

Das humanitäre Völkerrecht, bemerkte der Kulturzeit-Bericht, sei als Recht im Krieg zwischen Staaten entstanden, nicht als Recht für einen Krieg zwischen einem Staat und einer Terrororganisation. Dazu Völkerrechtler Herdegen:

»Es ist nicht darauf ausgerichtet, dass eine Kampf- oder Kriegspartei die systematische Begehung von Kriegsverbrechen zum Leitfaden ihrer Operationen macht. Und das stellt natürlich die andere Seite vor eine ungeheure Herausforderung in der Reduktion von Kollateralschäden bei gleichzeitiger Befolgung eines bestimmten militärischen Zieles, nämlich der Ausschaltung des bestehenden Aggressionspotenzials der Hamas.«

Gratulation, wenn sie gebührt

Der ganze Kulturzeit-Bericht kam ohne die sonst weitverbreitete falsche Ausgewogenheit aus, in der den Stellungnahmen von Fachleuten haltlose Behauptungen irgendwelcher Aktivisten gegenübergestellt werden, nur um den Eindruck von Einseitigkeit zu vermeiden. Ja, Volker Türks infame Anklagen Israels wurden gezeigt, aber nur, um sie sogleich durch Herdegens Fachexpertise gründlich zu widerlegen.

Keine Eva Menasse delirierte über eine angeblich in Deutschland grassierende, pro-israelische »Kriegshetze«, keine Susan Neiman salbaderte über Dinge, von denen sie nichts versteht, nicht einmal Meron Mendel kam zu Wort, um dem Kulturzeit-Publikum zu erzählen, was dieses mehrheitlich über Israels angebliche Verbrechen hören will.

Stattdessen arbeitete die Sendung die Zwickmühle sachlich heraus, in der sich der jüdische Staat im Kampf gegen die Hamas befindet. Nicht mehr, aber auch nicht weniger sollte man sich von einem Bericht erwarten dürfen. Man hätte sich das schon früher gewünscht als nach zwei Monaten Krieg und Anprangerung Israels, aber immerhin. Wir haben selten genug Anlass, einem Kulturzeit-Beitrag zu gratulieren – da wollen wir nicht hintanstehen, genau das zu tun, wenn es einmal angebracht ist.

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