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Jerusalem: Worin besteht der Status quo auf dem Tempelberg?

Palästinenser in Gaza demonstrieren gegen Itmar Ben-Gvirs Tempelbergbesuch
Palästinenser in Gaza demonstrieren gegen Itmar Ben-Gvirs Tempelbergbesuch (© Imago Images / APAimages)

Der kürzliche Besuch des neuen israelischen Ministers für Nationale Sicherheit auf dem Tempelberg rief allerorts heftige Reaktionen hervor und wurde ungerechtfertigterweise zum Rechtsbruch stilisiert.

Vergangenen Donnerstag machte der neue israelische Minister für Innere Sicherheit einen Besuch rund um das Plateau des Tempelbergs in Jerusalem, begleitet von Sicherheitsleuten und einem Rabbiner, der sicherstellen sollte, dass kein Gelände betreten wird, auf dem sich der historische Tempel befunden hat. Grob gesagt handelt es sich dabei um das Areal, auf dem heute der Felsendom steht und nicht die benachbarte Al-Aqsa Moschee.

Hamas, Jordanien und die Palästinensische Autonomiebehörde beschuldigten Itamar Ben-Gvir sofort der Provokation und des Versuchs, den Status quo zu verletzen. Laut ihrer Interpretation dürften Juden den Tempelberg überhaupt nicht betreten, was jedoch schlichtweg falsch ist: Juden dürfen laut Status quo den Tempelberg zu bestimmten Zeiten über gewisse Eingänge betreten; was sie dort nicht dürfen, ist beten.

Umgekehrt ruft das Oberrabbinat Israels Juden aus religiösen Gründen auf, das Gelände nicht zu betreten, da das Gebiet des ehemaligen Tempels, insbesondere das Allerheiligste, das in biblischen Zeiten nur einmal jährlich, und zwar am Versöhnungstag, vom Hohenpriester betreten wurde, besonders heilig sei und nicht von rituell unreinen Gläubigen betreten werden dürfe, wobei die genauen Grenzen fraglich sind.

Was ist der Status quo?

Der Status quo bezieht sich auf eine nicht verschriftlichte Übereinkunft des ehemaligen israelischen Verteidigungsministers Moshe Dayan und der jordanischen islamischen Religionsbehörde (Waqf) für Jerusalem. Diese Vereinbarung wurde 1967 geschlossen, nachdem die Altstadt und der Ostteil Jerusalems im Sechstagekrieg an Israel gefallen waren, wobei die Verwaltung des Tempelbergs weiterhin der Autorität der Waqf überlassen wurde.

Transjordanien war 1922, nachdem das Herrscherhaus der Haschemiten aus Mekka von Ibn Saud vertrieben worden war, von Großbritannien aus dem Mandatsgebiet Palästina herausgelöst und den Haschemiten übergeben worden, für die nach ihrem vergeblichen Versuch der Machtübernahme in Syrien ein Territorium gesucht wurde. 

Als Jordanien im Krieg von 1948 gegen das neu gegründete Israel die Altstadt von Jerusalem eroberte, wurden die jüdische Bewohner von dort vertrieben und die bis dahin als Judäa und Samaria bekannte Westbank in der Folge völkerrechtswidrig Jordanien angeschlossen. Ostjerusalem wurde ein unbedeutendes Provinzstädtchen; vom drittwichtigsten Heiligtum des Islam, das ebenso wie Jerusalem im Koran kein einziges Mal erwähnt wird, war noch keine Rede.

Dayan unterschätzte 1967 offensichtlich die Bedeutung des Tempelbergs für die Juden und konnte auch nicht vom damaligen Oberrabbiner Schlomo Goren, der zumindest eine symbolische Präsenz Israels wünschte, umgestimmt werden. Wie schon erwähnt, erlaubt der Status quo Juden das Betreten des Tempelbergs, untersagt ihnen aber das Beten. Für die Verwaltung der heiligen Stätten ist die jordanische Waqf, für die Sicherheit auf dem Gelände die israelische Polizei verantwortlich.

Wer verstößt gegen den Status quo?

Während der Status quo von israelischer Seite eingehalten wurde, wurden von arabischer Seite durch die Errichtung weiterer Moscheegebäude wie der Marwani-Moschee, der größten Moschee Israels mit Platz für 10.000 Besucher, neue Fakten geschaffen, wobei auch für Juden archäologisch wertvolle Strukturen wie die »Ställe Salomos« zerstört wurden. 

Die Zugänge für Juden wurden örtlich und zeitlich eingeschränkt. Dennoch bemühte sich Israel um Einvernehmen mit der anderen Seite.  So war zum Beispiel auch der berühmt-berüchtigte Besuch des damaligen israelischen Oppositionsführers Ariel Sharon auf dem Tempelberg abgesprochen – und wurde dennoch als Vorwand für den Beginn der zweiten Intifada genommen. 

In diesem Sinn kann man mit Recht sagen, wie es etwa Oppositionsführer Yair Lapid getan hat, der Besuch von Minister Ben-Gvir sei als politisch nicht besonders klug anzusehen und sollte wohl auch ein Element der Provokation beinhalten, allerdings verstieß er, anders als immer wieder behauptet, nicht gegen den Status quo. Nicht alles, was unklug ist, ist auch unrecht.

Anders sieht es mit einer anderen Entwicklung der vergangenen fünf Jahre aus: Nachdem eine Minderheit von nationalreligiösen Rabbinern in einem ihrer Ansicht nach unbedenklichen Randgebiet das Betreten erlaubt hatte, begannen Gruppen von Juden dort, stille Gebete zu verrichten, was in der Tat gegen den Status quo verstößt, der offensichtlich in beide Richtungen fließend ist.

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