Matthias Küntzels unlängst auf Englisch herausgekommenes Buch zeigt, dass der arabische Antisemitismus keine Reaktion auf, sondern die Ursache für den Konflikt mit Israel ist.
Lyn Julius
Der arabische Antisemitismus ist keine Reaktion auf die Gründung Israels, er ist die treibende Kraft hinter dem arabisch-israelischen Konflikt. Zu viele Menschen verwechseln Ursache und Wirkung und geben der Existenz Israels die Schuld am Antisemitismus, unter dem das Judentum weltweit leidet. Dies ist die zentrale These in Matthias Küntzels Buch Nazis, islamischer Antisemitismus und der Nahe Osten, das unlängst in englischer Übersetzung erschienen ist (das deutschsprachige Original stammt aus dem Jahr 2020).
Küntzel, ein deutscher Politikwissenschaftler und Historiker, vertritt die Ansicht, dass der arabisch-israelische Krieg von 1948 ein Nachbeben des Zweiten Weltkriegs und ein direktes Ergebnis der antisemitischen Nazi-Propaganda war. In der Tat wurde der Krieg der Nationalsozialisten gegen die Juden zum Krieg der Araber gegen Israel. Dieses Thema ist es wert, im Lichte neuer Studien – etwa jener von Jeffrey Herf – über die Auswirkungen der Nazi-Propaganda auf die arabische Welt sowie von Arbeiten, die sich mit der Rolle des Großmuftis von Jerusalem Haj Amin Al-Husseini befassen, neu beleuchtet zu werden.
Küntzel hat einen Teil dieses Themas bereits in seinem früheren, aufschlussreichen Buch Djihad und Judenhaß aus dem Jahr 2002 behandelt. Darin erklärte er, wie die Deutschen in den 1930er Jahren sowohl die Muslimbruderschaft in Ägypten als auch die Aktivitäten des Muftis finanziert hatten. Klein angefangen, hatte die Muslimbruderschaft bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs eine Million Männer unter Waffen. Nach dem Krieg lieferte der Ideologe Sayid Qutb in seinem Buch Unser Kampf mit den Juden die intellektuelle Grundlage für den Antisemitismus der Muslimbruderschaft.
Der Antisemitismus bildete den Kern der reaktionären Massenbewegung der Muslimbruderschaft gegen die Moderne und die Modernität. Die Agenten dieser Moderne, so glaubte die Bruderschaft, waren die Juden. Folglich markierte der Krieg gegen Israel das Ende der liberalen Phase des Islams, wie Küntzel es nennt: eine Zeit, in der die arabischen Eliten versuchten, die Vorteile der Moderne zu nutzen. Das Ende dieser Phase fand seinen Ausdruck im Massenexodus der Juden aus der arabischen Welt.
Wie Küntzel zeigt, wurden während der gesamten sechs Jahre des Zweiten Weltkriegs vom deutschen Radio ZeesenTag und Nacht antisemitische Propagandasendungen in den Nahen Osten ausgestrahlt. Dies hatte eine beträchtliche Wirkung auf die weitgehend ungebildete und damit leicht beeinflussbare arabische Welt, die bis heute anhält. Wie der große Nahost-Experte Bernard Lewis schrieb: »Seit 1945 sind bestimmte arabische Länder die einzigen Orte auf der Welt, an denen expliziter Antisemitismus im Stil der Nazis öffentlich gebilligt und propagiert wird.«
Es ist schwierig abzuschätzen, inwieweit sich die Nazi-Propaganda während des Zweiten Weltkriegs in tatsächlicher antisemitischer Gewalt niederschlug. Solange die Nationalsozialisten Siege einfuhren, bereiteten sie und ihre arabischen Verbündeten sich auf die darauffolgenden Schlachten vor. Die NS-Propaganda wird oft als eine der Hauptursachen für das Massaker an den irakischen Juden im Jahr 1941 genannt, das als Farhud bekannt wurde. Aber selbst als die Alliierten im November 1942 die Wende im Krieg herbeiführten, könnte antisemitische Propaganda ein Faktor hinter der Gewalt gegen Juden in Nordafrika gewesen sein.
Was ist islamischer Antisemitismus?
Küntzel wurde von denjenigen angegriffen, die glauben, dass der Islam schon immer antisemitisch war. Der Koran enthält zwar antijüdische Verse, wie auch Küntzel festhält, der aber zugleich argumentiert, dass es der Mufti war, der diese Verse mit europäischen Mythen von jüdischer Macht und Verschwörung verschmolz.
1937 begann ein Pamphlet mit dem Titel Islam und Judentum in der muslimischen Welt zu zirkulieren, das der erste Versuch war, die Religion zur Verbreitung des Antisemitismus zu nutzen. Es wird angenommen, dass es vom Mufti selbst, dem Hauptvertreter des ideologischen islamischen Antisemitismus, verfasst wurde. So kann al-Husseini beispielsweise das Patent für den Mythos beanspruchen, dass die Juden die Al-Aqsa-Moschee zerstören wollen und die Muslime das Heiligtum um jeden Preis verteidigen müssen.
Der solcherart islamisierte Antisemitismus wurde immer wieder mobilisiert, um Kompromisse und eine Normalisierung zwischen Arabern und Juden zu verhindern, so Küntzel. Der Mufti selbst ließ die gemäßigte palästinensisch-arabische Mehrheit terrorisieren, damit sie sich extremistische Ansichten zu eigen machte. So wurden beispielsweise Mitglieder des gemäßigten Nashashibi-Clans und ihre Anhänger während des Arabischen Aufstands von 1936 bis 1939ermordet. Weitere Gegner des Mufti wurden dann zwischen 1946 und 1948 getötet.
Der Krieg mit Israel war jedoch nicht unvermeidlich, wie Küntzel unterstreicht, der darauf hinweist, dass Ägypten erst 1947 auf einer Sitzung der Arabischen Liga die Verantwortung für den Kampf in Palästina übernahm. Die arabischen Eliten waren nicht bereit, in den Krieg zu ziehen, aber die von der Propaganda der Muslimbrüder und der Aufwiegelung durch den Mufti erzeugte Massenhysterie war unwiderstehlich.
Sehr lebendig
Natürlich sind nicht alle Muslime antisemitisch, so wie auch nicht alle Christen antisemitisch sind. Nichtsdestotrotz, so Küntzel, sind Pro-Hitler-Stimmungen unter Arabern und Muslimen in Europa und im Nahen Osten sehr lebendig.
Erst im vergangenen Monat wurden wir eindringlich daran erinnert, dass solche Gefühle nicht nur unter den sogenannten einfachen Leuten, sondern auch in der palästinensischen Führung weit verbreitet sind. In einer Rede vor dem Fatah-Revolutionsrat machte der Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, unverhohlen antisemitische Äußerungen und sprach Hitler vom Antisemitismus frei – und das keineswegs zum ersten Mal. Dies erweist die im Westen weit verbreitete Ansicht als falsch, Israel trage die Schuld für den ausbleibenden Frieden.
Küntzels Buch ist ein wichtiges Buch. Es ist ein klarsichtiges und zeitgemäßes Plädoyer für den Gedanken, dass, wie Küntzel es ausdrückt, nicht »jüdische Siedlungsblöcke, sondern palästinensische ideologische Blöcke das größte Hindernis für eine Friedenslösung darstellen«.
Lyn Julius ist Autorin des 2018 erschienenen Buchs Uprooted: How 3,000 Years of Jewish Civilization in the Arab World Vanished Overnight. (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)