Von Oliver M. Piecha
Die Meldung klang, so deutlich sollte man das ruhig sagen, bizarr: „Die Innenminister von CDU und CSU wollen einem Medienbericht zufolge von kommendem Sommer an wieder syrische Staatsbürger in ihre Heimat abschieben.“ Bayern und Sachsen hatten also bei der aktuellen bundesdeutschen Innenministerkonferenz einen Antrag eingebracht, der darauf zielte, Abschiebungen nach Syrien wiederaufzunehmen, „sobald es die Sicherheitslage im Land erlaubt“. Dazu soll die Situation in Syrien neu bewertet werden, offensichtlich mit der Erwartung, dass einzelne Regionen des Landes sich als abschiebetauglich erweisen könnten. Die Meldung wurde in den folgenden Tagen von diversen CDU-Politikern der Bundesebene relativiert, der Kanzleramtsminister Altmaier wies in der Bild am Sonntag auf die schlichte Tatsache hin, dass Assad noch immer an der Macht sei. Auch Innenminister de Maizière distanzierte sich vorsorglich, und das Auswärtige Amt erklärte schließlich, es sei nicht zu erwarten, dass bei einer erneuten Bewertung der Sicherheitslage etwas Neues herauskäme. Man könnte noch anfügen, dass auch das österreichische Innenministerium angesichts der Diskussion in Deutschland befand, eine baldige Änderung der Lage in Syrien sei nicht zu erwarten.
Einige deutsche Länderinnenminister beharrten jedoch auf ihrem Wunschbild vom abschiebefähigen Syrien, so etwa der sächsische: „Sollte die Neubewertung der Sicherheitslage in Syrien durch das Außenamt und das Bundesinnenministerium ergeben, dass es in Syrien bereits sichere Regionen gibt, müssen wir auch darüber reden, dorthin wieder mittelfristig abzuschieben“. Es sollte dabei publikumswirksam erst einmal um „Gefährder“ und Straftäter gehen, der Abschiebestopp für Syrer nur bis Sommer 2018 um sechs Monate verlängert werden. Sein Kollege aus Mecklenburg-Vorpommern verwies darauf, dass es so aussähe, als sei Syrien „auf einem Weg zur Befriedung“ und Bayerns Innenminister gab sein Detailwissen preis, nach dem es in „einzelnen Regionen wie um Aleppo“ mittlerweile „relativ sicher“ sei. Das Ergebnis der Innenministerkonferenz war jedoch voraussehbar: Der Abschiebestopp wird um ein volles Jahr bis Ende 2018 verlängert, die Sicherheitslage überprüft, und auch weiterhin gibt es keine Abschiebungen, ob nun mit Gefährdern oder ohne.
Ein nüchterner Blick auf Syrien
Genau das konnte man auch schon vorher wissen. Wozu also das ganze Tamtam? Dass auch in Zukunft niemand nach Syrien abgeschoben werden kann, ist bei einem nüchternen Blick auf die politische und militärische Situation im Land sowie auf die regionalen Frontstellungen überdeutlich. Eine Erklärung könnte nun sein, dass die eifrigen Innenminister dem Propagandanarrativ vom Sieg Assads auf den Leim gegangen sind. Man hört und liest das ja allerorten, nicht zuletzt deutsche Journalisten plappern es gerne nach, und im deutschen Sprachraum hat der Giftgasleugner Michael Lüders mit seinen Syrienbüchern nicht umsonst einen Bestseller gelandet. So manifest der Wunsch nach einem „Sieg“ Assads bei dem einen oder anderen Politiker oder Journalisten aber auch sein mag, mit Realität hat das nichts zu tun. Und durchaus braucht es ein gewisses Wissen und politisches Grundverständnis der Region, um immer zielsicher zwischen Propaganda und Realität unterscheiden zu können – also etwas, das man bei deutschen Innenministern nicht unbedingt voraussetzen sollte.
Aber ein simpler Blick auf die Landkarte hätte natürlich weiterhelfen können, dann hätte man nämlich festgestellt, dass es bereits geographische Schwierigkeiten gibt, Syrien überhaupt zu erreichen, solange die türkische und jordanische Grenze geschlossen ist, an der Grenze zum Irak das Kriegsgebiet gegen die letzten Bastionen des IS liegt, und die Grenze zum Libanon zwar offen ist, jedoch direkt ins Herrschaftsgebiet Assads führt. Und selbst ein ganz hartgesottener bayrischer oder sächsischer Konservativer wird es nicht schaffen, einen abgelehnten Flüchtling legal dorthin zu verfrachten, wo nicht nur Krieg herrscht, sondern massenhafte Tötungen, Vergewaltigungen und Folterungen in den Gefängnissen Alltag sind – Assad hat ja sogar ein Krematorium an sein Hauptgefängnis angebaut. Und Syrien ist nun mal definitiv keine „normale“ Diktatur. Aber vielleicht wollte man auch nach Idlib abschieben, in die von türkischen Soldaten bewachte Zone, wo ein Ableger von al Qaida regiert? Oder wie wäre es mit einer Abschiebung in das Kurdengebiet, zur PYD, die ja bei allem Wegsehen dann doch nur doch nur eine Tarnorganisation der PKK ist, die in Deutschland als Terrororganisation gelistet ist? Aber da ist die Grenze sowieso zu. Kurzum, es gibt zurzeit gar kein Territorium, ob erreichbar oder unerreichbar, in das man realistischerweise auch nur einen einzigen Syrer abschieben könnte.
Von der Kriegslage einmal ganz zu schweigen: Auch hier kann ein Blick etwa in den aktuellen UNICEF Syria Crisis Situation Report bereits schnell Auskunft geben: Bombenangriffe auf Zivilisten und Kliniken haben ja nicht etwa aufgehört, auch wenn es durch Putins „Astana-Prozess“ in bestimmten Regionen relativ ruhiger geworden ist, beziehungsweise Fronstellungen eingefroren wurden. Und während innerhalb von Syrien vor allem durch den Niedergang des IS die Zahl der Millionen von intern Vertriebenen tatsächlich gesunken sein dürfte, sollte eine andere Zahl den deutschen Innenministern zu denken geben: Die vom UNHCR registrierten syrischen Flüchtlinge in den angrenzenden Ländern der Region haben Anfang April 2017 die Fünfmillionenmarke überschritten – und ihre Anzahl steigt seitdem kontinuierlich weiter, Ende November waren es schon mehr als 5,4 Millionen, wobei dieser Zuwachs ausschließlich in der Türkei stattfindet. Die Lage in Syrien ist insoweit auch nicht vergleichbar mit Fluchtländern wie Irak oder Iran, nicht einmal mit Afghanistan; in Syrien herrscht Krieg. So einfach ist das. Und wo gerade nicht gekämpft wird, herrschet ein Diktator, Islamisten und diverse Milizen sind auch noch im Angebot. Ansonsten sind die Grenzen sowieso dicht und es gibt nicht einmal eine auch nur vordergründig respektable Regierung in irgendeinem Teil des Landes.
Angst vor der AfD
Wieso also die bizarre Debatte über Abschiebungen nach Syrien? Neben dem blanken Unwissen beteiligter Politiker dürfte ihre Angst vor den Umfragewerten der AfD eine zentrale Rolle spielen, zumal in Sachsen und Bayern mit seiner kommenden Landtagswahl. Die AfD hat so jüngst im Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, „unverzüglich mit der syrischen Regierung in Verhandlungen über ein Rückführungsabkommen“ einzutreten. Der Bundestag sollte feststellen, „dass der Krieg in Syrien fast beendet“ ist. Dass die AfD abstruse Dinge fordert, ist ja nicht neu – und dass sie für Putin und Assad, ganz große Führer mit Vernichtungspotential, tiefe Sympathie empfindet, ist auch nicht besonders überraschend. Irritierend ist aber einmal mehr, wie sehr sich demokratische Politiker von solcher Stimmungsmache vorführen lassen. Denn was genau sollte das Kalkül der Innenminister bei der Forderung nach Abschiebungen nach Syrien gewesen sein? Es einmal laut ausgesprochen zu haben? Und selbst wenn es zynisch kalkuliert war – als Inszenierung von Härte und Entschlossenheit –, bei dem voraussagbaren Ergebnis, wie sollte das wirken? Wieso stellt man lauthals Forderungen, die so offensichtlich undurchführbar sind, dass die eigenen Leute sie schon im Vorfeld wieder relativeren müssen? Man hat damit bloß wieder bestätigt, was AfD & Co schon immer behauptet haben; die „Systemparteien“ sind politisch impotent. Und man kann von dieser Seite wieder einmal darauf deuten, wie die CDU einmal mehr umgefallen ist, denn angeblich heißt es nun weiter in Deutschland: „Hereinspaziert, liebe Syrer.“ Man schürt so Stimmungen, die einem selbst sofort auf die Füße fallen – oder einem Parteikollegen das Messer an die Kehle führen.
Die Folgen des Nichtstuns
Wohlgemerkt: Es geht hier nicht um Interpretation, Wertung oder Meinung – also ob nun etwa „Gefährder“ oder Straftäter konsequenter abgeschoben werden sollten –, es geht schlichtweg um Fakten. Nach Syrien ist absehbar keine Abschiebung möglich. Punkt. Der Krieg dort ist längst nicht zu Ende. Punkt. Fakten sind etwas, das bei solchen Gespensterdebatten völlig aus dem Blick gerät. Die überwiegende Mehrzahl der geflüchteten Syrer in Europa wird alleine schon aufgrund der absehbaren Länge des Konfliktes nicht zurückkehren. Auch um das zu wissen, braucht man kein sonderliches Expertenwissen. Man hat allerdings von Seiten der EU und der USA unter Obama praktisch regungslos zugelassen, dass der Iran und Russland das Regime Assads am Leben erhalten haben. Und man muss daran erinnern: Die Etablierung einer Flugverbotszone 2012, als die Luftangriffe auf die Bevölkerung mit den „Fassbomben“ begannen, zumindest in Nordsyrien, hätte eine andere Realität geschaffen. Es hätte nicht diese Millionenanzahl von syrischen Flüchtlingen im Ausland gegeben. Und ein Ergebnis dieses exorbitanten Flüchtlingsdrucks aus dem Nahen Osten war die europäische Flüchtlingskrise von 2015. Man hatte sich beim Beginn des Konfliktes in Syrien, zumal von deutscher Seite, klar für das übliche mahnende Nichtstun entschieden. Und nun trägt man eben auch die Folgen dieser Politik. Solange Assad an der Macht ist und sein System vom Iran und Russland weiter gestützt wird, kann keiner ernsthaft mit einer Rückkehr von Syrern rechnen. Eine Rückkehr übrigens, für die beispielsweise auch ein zwischenstaatliches Rückführungsabkommen notwendig wäre, das nun mal mit einem Diktator, von dem sogar die UN weiß, dass er Giftgas gegen Zivilisten eingesetzt hat, niemals kommen wird. Und selbst wenn Assad morgen durch ein Wunder wie weg wäre, inklusive seiner iranischen und russischen Unterstützer – ein zerstörtes Land wie Syrien bräuchte Jahre um Menschen wiederaufzunehmen, die in dieser Zeitspanne andernorts – etwa in Deutschland – Kinder kriegen, Wohnungen einrichten, für Zeugnisse büffeln und möglicherweise – es soll so etwas schon gegeben haben – einen Arbeitsvertag erhalten.
Aber selbst mit dieser Feststellung ist der harte Boden der Tatsachen noch nicht ganz erreicht: Das Regime von Assad hat zusammen mit seinem Hauptunterstützer Iran im Hintergrund keinerlei Interesse, die Flüchtlinge zurückzunehmen. Es handelt sich größtenteils um Sunniten, und eine zentrale Strategie des Regimes in diesem Kampf war die Veränderung der Bevölkerungszusammensetzung in wichtigen, sunnitisch dominierten Gebieten. Selbst eine hypothetische AfD-Regierung wäre nicht in der Lage, ihren Freund Assad dazu zu bewegen, all die Syrer wieder ins Land zu lassen, die er unter so großen Kosten und Mühen zuvor vertrieben hat.
Produzierte Perspektivlosigkeit
Der langfristig verhängnisvollste Aspekt solcher Gespensterdebatten um Abschiebung oder Rückkehr liegt in der Perspektivlosigkeit, die sie befördern; und zwar sowohl für die Syrer, wie für die europäischen Aufnahmegesellschaften. Man hat ab 2016 in Deutschland vielen Syrern pauschal subsidiären Schutz zugebilligt, um sie aus dem regulären Asylverfahren herausnehmen zu können. Und man geht weiter fröhlich von der Fiktion aus, das könne man immer weiter verlängern, schließlich baut man offiziell auf die Fiktion, diese Menschen würden zurückkehren. Dasselbe gilt für die als politische Verhandlungsmasse extrem hochgepuschte Frage des ausgesetzten Familiennachzuges für diese Syrer. Da nun aber nicht zu erwarten ist, dass die Lage sich in Syrien absehbar wandeln könnte – nämlich solange der Iran und Russland ihren syrischen Protegé stützen, wobei zumal der Iran trotz aller Gewinnerposen keinen Spielraum hat – gibt es an einem mittelfristigen Überleben des Regimes wenig Zweifel. Längerfristig ist das alles kein Zustand im Nahen Osten, aber das ist hier gerade nicht die relevante Frage.
So wird es zum schlechtesten aller Szenarien für alle kommen: Ein fragmentiertes Syrien wird bis zum nächsten Nahostkrieg in einen Zwischenzustand eisgekühlt, über fünf Millionen Syrer werden in ihren nahöstlichen Lagern der UN und damit dem Vergessen anvertraut, während in Deutschland periodisch irgendwelche östlichen und bayrischen Innenminister aus scheinbar bauernschlauem Kalkül nachfragen werden, wann sie denn endlich die Syrer wieder loswerden könnten. Das wird nun Jahr um Jahr so gehen. Man könnte den Menschen und der Gesellschaft, in die schließlich doch hineinwachsen müssen, natürlich auch eine etwas sinnvollere und ehrlichere Perspektive bieten, etwa indem man pragmatisch ihren Status klärt, bevor sie sich einzeln durchklagen müssen. Aber das wird sicherlich nicht passieren, am Horizont drohen ja die Umfragewerte der AfD. Denn wenn nicht schon anders, dann schafft man sich eben so seine perspektivlose Parallelgesellschaft.