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Wenn Assad nicht mehr ans Telefon geht (Teil 2)

Der syrische Präsident Bashar al-Assad
Der syrische Präsident Bashar al-Assad (© Imago Images / ITAR-TASS)

Teil 1 schilderte, wie Assads Cousin Rami Maklouf öffentlich gegen den syrischen Präsidenten aufbegehrt. Der Maklouf-Clan gehört zu den reichsten Familien Syriens, da sie de facto den gesamten Handymarkt kontrolliert.

Die interessanteste Theorie setzt genau hier an, sie verordnet den Konflikt in einer Auseinandersetzung zwischen den Makloufs und Assads jüngerem Bruder Maher, der den Iranern nahe steht, und dessen Machtbasis die Vierte Division ist, die Elitetruppe des Regimes – die allerdings korruptionstechnisch schon des öfteren mit dem neuen 5. Armeekorps aneinandergeraten ist, das praktisch den Russen gehört.

Nur vordergründig um Geld

Nach dieser Lesart geht es auch nur vordergründig um Geld, denn schließlich haben all die Angehörigen dieses Clans genug für ein Leben in Luxus gehortet: Es geht um Macht und Einfluss. Die Iraner wollten angeblich 2014/15 auf den Handymarkt vorstoßen, was Maklouf verhindert hat. Syrien ist eben kein „normaler Staat“, hier hat sich ein Clan ein Land angeeignet und plündert es seit Jahrzehnten aus. Und ein Pate wie Rami Maklouf finanziert mit seinem Wirtschaftsimperium Milizen und den Sicherheitsapparat, während seine Kinder in den sozialen Netzwerken Protzbilder von ihrer Sportwagensammlung posten. Syrien gehört Assad und seiner Familie.

Als Detail ist nicht ganz unwichtig, dass zumindest einige Makloufs die russische Staatsbürgerschaft besitzen, und auch gerne im Schutz des Zaren Putin leben, genauso wie die Familie Tlass – jetzt kommt die Seitengeschichte aus Folge drei: Der alte Tlass war jahrzehntelang syrischer Verteidigungsminister, und damit den Sowjets immer sehr nahe; die Tlass‘ haben sich bald nach Beginn des Kriegs aus Syrien zurückgezogen, darunter auch Manaf Tlass, Jugendfreund Assads und General, der mit seinem Abfall von Assad hoffte, mit russischer Unterstützung in die engere Auswahl für eine Nachfolge zu kommen, wenn es zu einem Machtwechsel aus dem Machtapparat selbst heraus gekommen wäre.

Sam Dagher hat die Szenerie um Tlass‘ in seinem großartigen Syrienbuch „Assad or we burn the countryanschaulich beschrieben. Manafs Bruder Firas, der intellektuelle Kopf der Familie, hat nun für den russischen Regierungssender Russia Today ein einstündiges Interview gegeben, in dem er pikante Details aus dem Geschäftsimperium der Assads ausplauderte. Das war natürlich ein Wink mit dem Zaunpfahl nach der ersten Runde der russischen Pressekritik an Assad. Man hat also eine neue Mafiafamilie in der Hinterhand, die alle Geschäftsbereiche genau kennt.

Assad wiederum ließ sich nicht lumpen und schlug zurück: Er ließ einen seiner drittrangigen Politdarsteller, einen ehemaligen Parlamentarier, offen über mögliche Angriffe auf russisches Militär spekulieren, von roadside bombs bis Heckenschützen. Hier wird permanent von allen Akteuren über Bande gespielt, es ist wie gesagt eine Mafiaserie auf höchstem Niveau.

Und nun?

Einen offenen Kampf innerhalb der Familie und des alawitischen Milieus wird Assad unter allen Umständen verhindern wollen, ist dies doch ist der absolute Kern seiner Herrschaft, und betrifft es diesmal nicht eher randständige Figuren wie seinen Schwager Asif Schaukat, den Mann seiner Schwester, der 2012 als einer der starken Männer des Regimes einem dubiosen Anschlag zum Opfer fiel, zusammen mit einem weiteren Teil des inneren Führungskreises.

In der Familie Assad lebt man tatsächlich nur ganz sicher, wenn man auch wirklich blutsmäßig dazugehört. Deswegen konnte sich Assads Schwester und Asif Schaukats Ehefrau Buschra danach auch als grollende Witwe an den Arabischen Golf veziehen. Deswegen konnte in den achtziger Jahren auch der Onkel des jetzigen Präsidenten Rifaat Al-Assad nach einem gescheiterten Putsch gegen seinen Bruder Hafis ins Exil gehen.

Bei den Assads ging es schon immer ziemlich ruppig zu. Aber Bashar hat mit seinen Cousin allerdings ein wirkliches Problem, denn er darf keine Spaltung der alawitischen Gemeinschaft riskieren. Die Alawiten sind die Basis seiner Macht. Die beiden Videos von Rami Maklouf werden nun von Kennern exegetisch wie ein geheimnisvoller Text gelesen, der voller Anspielungen steckt: Wo genau ist das aufgenommen? Welche Handbewegung macht er? Welche versteckten Hinweise an den Präsidenten könnten enthalten sein?

Assad selbst hebt mittlerweile offenbar das Telefon nicht mehr ab, wenn sein Cousin anruft – so erging es übrigens auch Manaf Tlass 2012 vor seiner Flucht. Wenn Bashar nicht mehr ans Telefon geht, dann beginnt es, düster auszusehen. Rami Maklouf hat mittlerweile ein drittes Video gepostet und will nun zu Gott beten.

Zunehmende Zerrüttung und Machtverfall

Dass nun die Auseinandersetzung zwischen den Makloufs und Assad so öffentlich geführt wird, ist sicherlich ein Ausweis der zunehmenden ökonomischen Zerrüttung Syriens, aber auch des fortwährenden Kontrollverlustes durch Assad, der einen guten Teil der syrischen Souveränität seinen Verbündeten überschreiben musste, damit sie ihm am Leben erhalten.

Der Diktator hat dabei ein kleines bisschen Spielraum, nämlich genau zwischen den beiden Betonpfeilern, die seine Herrschaft sichern, Iran und Russland. Er kann ihre durchaus unterschiedlichen Interessen und Widersprüche ausnutzen, und das Spiel spielen, er sei in irgendeiner Form „souverän“.

In dieser Funktion hintertreibt er konsequent das von Russland so sehr gewünschte Spiel einer politischen Reformlösung, bei der man eine hübsche neue syrische Verfassung schreiben und Assads Präsidentschaft mit einem hübschen Stempel von der UN versehen könnte.

Die Gefahr für den Diktator ist hier offensichtlich, seine persönliche Herrschaft könnte dabei durchaus zur Disposition stehen, Russlands Interessen hängen nicht an der Person Assads. Die neuerdings so deutlich geäußerte russische Unzufriedenheit verweist auf das totale Stagnieren des mit großem Trara im letzten Herbst in Genf von der UN organisierten syrischen Verfassungsprozess. Das war Putins Projekt und Ergebnis des von ihm initiierten „Astanaprozesses“. Aber in Genf ist nach der feierlichen Eröffnung praktisch nichts mehr passiert.

Der offensichtliche Machtverfall von Assad und das Gerangel hinter den Kulissen bezeugen die Perspektivlosigkeit eines besonders kaputten Lands des alten Nahen Ostens, in dem abgehalfterte Eliten um ihr Überleben kämpfen, während rundherum die Ruinen zusammenfallen und die Bevölkerung darbt und blutet. Der Krieg zur Erhaltung der Familienherrschaft der Assads hat weit über die Hälfte aller Syrer zu Flüchtlingen gemacht, innerhalb und außerhalb des Landes. Wenn das nicht perspektivlos sein soll, was dann?

In naher Zukunft wird sich an dieser Katastrophe praktisch kaum etwas ändern. Und die Forderungen, man solle nun in Syrien die Realität akzeptieren, und Assad für sein Überleben bezahlen, lassen sich partout nicht abstellen. Eine lange Reihe von westlichen Experten und Politikern wiederholt immer wieder gerne und zumeist vom Kreml gesponsert, diese Position, die einfach nur russisches Wunschdenken widerspiegelt.

Zwangsgemeinschaft

Gerade die jüngsten Ereignisse haben jedoch wieder deutlich gezeigt, dass es schlicht keine Überlebensperspektive des Assad Regimes jenseits der russisch-iranischen Waffenbrüderschaft gibt. Das ist jedoch keine Wunschpartnerschaft, sondern eine Zwangsgemeinschaft. Beiden Akteuren bietet sich kein realistischer Ausweg aus der syrischen Malaise. Sie können sich nicht zurückziehen, ohne alles zu verlieren.

Das begrenzt auch die realistischen Erwartungen, die weitere Akteure in diesem Konflikt hegen dürfen. So eilt Israel auf taktischer Seite objektiv von Sieg zu Sieg: es kann den Iran und seinen Verbündeten, die Hisbollah, in Syrien bombardieren wo und wann es will, die grundsätzliche Lage bleibt allerdings gleich. Der Iran kann sich nicht aus Syrien zurückziehen, dafür müsste das iranische Imperium insgesamt zusammenbrechen, und dafür müsste sich grundlegend etwas an den Machtverhältnissen in Teheran selbst etwas ändern.

Strategisch gesehen sind so die staatlichen Akteure im Nahen Osten Gefangene der realen Umstände, ihres Machtkalküls und der sozioökonomischen Rahmenbedingungen. Sie können nicht anders, als auf unhaltbaren Positionen weiter zu verharren, während immer deutlicher zutage tritt, dass ihr Dilemma gar nicht auflösbar ist. Irgendwann wird sich dann wohl schlagartig etwas bewegen, Assad wird im Badezimmer auf schlüpfrigen Boden ausrutschen, oder die Hisbollah wird eine Rakete zu viel nach Israel schicken, die Gesamtruine Syrien wird krachend zusammenbrechen, und das Drama im Nahen Osten seinen weiteren Lauf nehmen.

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