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Syrische Kurden wollen Gerichtsverfahren gegen ausländische IS-Kämpfer einleiten

Weibliche IS-Mitglieder im von kurdischen Kräften kontrollierten Gefangenenlager al-Hol
Weibliche IS-Mitglieder im von kurdischen Kräften kontrollierten Gefangenenlager al-Hol (© Imago Images / Wirestock)

Die kurdische Verwaltung im Nordosten Syriens kritisiert die internationale Gemeinschaft, ihre Pflichten gegenüber ihren eigenen Staatsbürgern, die sich dem IS angeschlossen hatten und nun in syrischen Lagern interniert sind, nicht zu erfüllen.

Die kurdisch geführte Verwaltung im Nordosten Syriens hat angekündigt, mit der Durchführung von Prozessen gegen Tausende mutmaßliche ausländische Mitglieder des Islamischen Staats (IS) zu beginnen, die sie seit dem Fall des selbsternannten Kalifats in Gefangenenlagern festhält. Sie werden von der von den USA unterstützten Autonomiebehörde festgehalten, seitdem die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) und die internationale Koalition gegen den Islamischen Staat die Terroristen im März 2019 aus ihrer letzten syrischen Hochburg Baghouz vertrieben haben.

Der Verwaltungsbeamte Bedran Jiya Kurd bezeichnete diese Entscheidung am Samstag als »bedeutenden Schritt in unseren Bemühungen, den Terrorismus zu bekämpfen und Gerechtigkeit zu schaffen«. Zugleich sagte er auch, der Prozess sei »auf das Versagen der internationalen Gemeinschaft zurückzuführen, ihre Pflichten bei der Verfolgung von Terroristen zu erfüllen«.

Kurds Ankündigung erfolgte nur wenige Tage, nachdem US-Außenminister Antony Blinken davor gewarnt hatte, dass der Kampf gegen den IS, der in Syrien und im benachbarten Irak präsent ist, noch nicht vorbei sei. Kurz davor gaben amerikanische Generäle zu bedenken, die Terrorgruppe könnte in »ein oder zwei Jahren« nach Syrien zurückkehren, wenn die amerikanischen Truppen das Gebiet verlassen werden.

Die Behörden in der Region fordern ausländische Staaten seit Langem dazu auf, ihre Bürger, die seit vier Jahren in Gefängnissen und Lagern festgehalten werden, zurückzunehmen und vor Gericht zu stellen. Begründet wird diese Forderung mit Sicherheitsbedenken, nachdem es schon zu Gefängnisausbrüchen und Angriffen auf Beamte in den Lagern gab.

Überraschende Entscheidung 

Mindestens 11.000 der im Lager al-Hol festgehaltenen Personen sind ausländische Staatsangehörige aus rund sechzig Ländern, deren Regierungen ihre Rückholung verweigern. Der Irak, der letzte Woche fünfzig seiner Staatsbürger aus Syrien zurückgeführt hat, hat nach eigenen Angaben mehr als 3.000 mutmaßliche IS-Kämpfer nach Hause gebracht und viele von ihnen wegen der ihnen zur Last gelegten Verbrechen vor Gericht gestellt. Auch in Deutschland haben Prozesse gegen IS-Kämpfer stattgefunden, vor allem wegen Verbrechen gegen die religiöse Minderheit der Jesiden, die unter der Herrschaft des Islamischen Staates zu einem Völkermord führten.

Kurd sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, ein im vergangenen Jahr erweitertes lokales Gesetz zur Terrorismusbekämpfung werde im Prozess gegen die IS-Kämpfer zur Anwendung kommen. Die Angeklagten könnten laut Kurds Angaben einen Anwalt beauftragen, wobei unklar ist, ob die Gerichte von sich aus Strafverteidiger zur Verfügung stellen werden. Ungewiss ist auch, so Bedran Jiya Kurd, wann die Prozesse beginnen sollen.

Im Gegensatz zur Politik des Regimes in Damaskus und im benachbarten Irak, wo insgesamt Tausende von mutmaßlichen IS-Kämpfern hingerichtet wurden, gibt es in Nordostsyrien keine Todesstrafe. Kurd gab in seiner Erklärung auch an, dass Menschenrechtsgruppen und die von den USA geführte Koalition eingeladen seien, den Prozessen beizuwohnen.

Ein westlicher Diplomat, der in Syrien arbeitet, sagte Reuters, die Entscheidung erfolge überraschend. Die Idee sei zwar in der Vergangenheit bereits diskutiert, aber vor allem wegen Fragen zur Rechtmäßigkeit eines von der syrischen Regierung getrennt operierenden regionalen Gerichts immer wieder verworfen worden. »Niemand dachte, dass sie dies tun würden«, sagte der Diplomat. »Wir halten es ihnen sehr zugute, dass sie viele Menschen festhalten, aber das ist eine andere Sache, als sie vor Gericht zu stellen.«

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