Hunderte Terroristen sind in der vergangenen Woche aus Dschenin geflohen, doch das Schicksal der Stadt und die Zukunft der Palästinensischen Autonomiebehörde dort sind nach wie vor ungeklärt.
Yaakov Lappin
Die Sicherheitskräfte der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) haben in den letzten Tagen mit der Stationierung eigener Kräfte in Dschenin begonnen, nachdem die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) am 3. und 4. Juli eine groß angelegte Sicherheitsoperation durchgeführt haben, um die Präsenz von Terroristen und deren Infrastruktur im Lager der Stadt zu verringern.
Israel beobachtet dabei genau, ob die Palästinensische Autonomiebehörde in der Lage ist, die Kontrolle über die Stadt wiederzuerlangen, in der ein Machtvakuum entstanden war, in welchem der Palästinensische Islamische Dschihad, die Hamas und lokale Terrorgruppen mit iranischen Finanzmitteln eine Terror-Hochburg geschaffen haben – bis hin zu Versuchen, Raketenfabriken und -abschussbasen in der Stadt einzurichten.
Das israelische Sicherheitsestablishment scheint die jüngsten, auf die Innenpolitik konzentrierten Äußerungen des PA-Vorsitzenden Mahmoud Abbas genau beobachtet und als bemerkenswerte Abkehr von seiner üblichen Konzentration auf die Verleumdung Israels bei den Vereinten Nationen und anderen internationalen Foren gewertet zu haben.
Allerdings ist noch zu früh, um zu wissen, ob der (Wieder-)Einmarsch der Palästinensischen Autonomiebehörde in Dschenin wirksam sein wird und die Grundlage für Stabilität schaffen kann. Es sieht jedoch so aus, als ob die PA endlich den hohen Preis erkannt hat, den sie für den Verlust der Kontrolle in der nördlichen Westbank zahlt. So dürfte ihr klar geworden sein, dass Israel solche Entwicklungen nicht akzeptieren wird, die auch die Fähigkeit der Palästinensischen Autonomiebehörde bedrohen, andere Teile der Zone A des Westjordanlands zu regieren, die gemäß den Vereinbarungen von Oslo unter israelischer Zivil- und Sicherheitsadministration stehen und sich die palästinensischen Städte befinden. Die kommenden Tage werden entscheidend dafür sein, wie wirksam der jüngste PA-Vorstoß in Dschenin sein kann und wird.
Zugleich sind in der letzten Woche Hunderte bewaffneter Terroristen aus der Stadt geflohen, um mögliche Kämpfe mit den Spezialeinheiten der IDF zu vermeiden. Ihre Abwesenheit könnte bedeuten, dass es für die Palästinensische Autonomiebehörde leichter sein wird, die Kontrolle zu übernehmen. Dies lege im strategischen Interesse Israels, da es seinem Sicherheitsapparat erlauben würde, seine Aufmerksamkeit und Ressourcen auf die größeren Gegner – die Hisbollah und den Iran – zu konzentrieren.
Am Sonntag stimmte das israelische Sicherheitskabinett für einen Beschluss von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, Maßnahmen zu ergreifen, um den drohenden Zusammenbruch der Palästinensischen Autonomiebehörde zu verhindern, und forderte gleichzeitig die Einstellung ihrer israelfeindlichen Aktivitäten in der internationalen juristisch-diplomatischen Arena, die Aufwiegelung in ihren Medien und ihrem Bildungssystem sowie die Zahlungen an Familien von Terroristen [was die PA aber umgehend ablehnte; Anm. Mena-Watch]. »Der Premierminister und der Verteidigungsminister werden dem Sicherheitskabinett Schritte zur Stabilisierung der zivilen Situation im palästinensischen Sektor vorschlagen«, kündigte das israelische Kabinett an.
Die Schwäche der PA
Boaz Ganor, Präsident der Reichman-Universität in Herzliya und Gründer und Geschäftsführer des dort angesiedelten Internationalen Instituts für Terrorismusbekämpfung, erklärte, er glaube, dass die Palästinensische Autonomiebehörde durchaus an einer Rückkehr nach Dschenin und Umgebung interessiert sei. »Die israelische Operation hat Bedingungen geschaffen, die objektiv besser für einen solches Schritt sind, aber gleichzeitig hat sie auch die Schwierigkeiten dafür erhöht, da die Feinde der PA – Hamas, PIJ und andere Gegner –, immer wieder kritisieren, dass die Palästinensische Autonomiebehörde offensichtlich mit Israel ›kollaboriert‹ und die israelische Militäroperation in Zusammenarbeit oder zumindest mit Wissen der Palästinensischen Autonomiebehörde geplant und durchgeführt wurde.«
Außerdem habe der Erfolg der israelischen Operation, die der terroristischen Präsenz in Dschenin und Umgebung erheblichen Schaden zugefügt habe, die Zahl der Terroristen und anderer Gegner der PA-Herrschaft nicht nennenswert verringert, so Ganor weiter. Er führte die allgemeine Schwäche der Palästinensischen Autonomiebehörde und ihres Führers auf mehrere Faktoren zurück, darunter Korruptionsvorwürfe, die häufig von Hamas- und PIJ-Führern erhoben wurden. »Die Beziehungen zwischen den israelischen und palästinensischen Regierungsstellen, die sich im Laufe der Jahre verschlechtert haben«, hätten ebenfalls »zur Schwächung der PA und ihrer Sicherheitskräfte beigetragen«, fügte er hinzu.
Während sich die spannungsgeladenen Beziehungen zwischen der Palästinensischen Autonomiebehörde und Israel nicht verändert haben, sei darüber hinaus Abbas’ persönlicher Status innerhalb der Palästinensischen Autonomiebehörde aufgrund seines fortgeschrittenen Alters und seines schlechten Zustands erschüttert, schätzt Ganor die Lage ein und hält die Gefahr eines weiteren PA-Kontrollverlusts in anderen Teilen der Zone A für »sehr real«.
Übernahmepläne
In der Zwischenzeit planen radikale islamistische Kräfte zukünftige Übernahmeversuche in der Westbank. Sowohl die Hamas als auch der PIJ unterhalten »enge Beziehungen zum Iran, der direkt und über die Hisbollah versucht, Aktivitäten gegen Abbas, seine Fatah-Organisation und die Sicherheitskräfte der PA zu koordinieren«, so Ganor.
Seit einigen Jahren verfolgten »diese Elemente eine Politik des Aufbaus und der Stärkung einer operativen Infrastruktur im Westjordanland«. Die geschehe »so weit wie möglich unter dem Radar der Palästinensischen Autonomiebehörde und des israelischen Geheimdienstes, um sich auf den Tag vorzubereiten, an dem Abbas die palästinensische Bühne verlässt, und um diese Organisationen in die Lage zu versetzen, das Westjordanland, die Palästinensische Autonomiebehörde und die PLO zu übernehmen«.
Dennoch sei eine im Westjordanland erfolgende Wiederholung des gewaltsamen Putsches der Hamas im Gazastreifen 2007 aufgrund der militärischen und geheimdienstlichen Präsenz Israels vor Ort unrealistisch, meint Ganor. »Abbas hat als Chef der PA viele politische und sicherheitspolitische Fehler begangen. Er hat die Chance, die ihm die damalige Regierung Olmert gegeben hat, den Friedensprozess voranzubringen, nicht ergriffen. Er hat nicht gehandelt, um das Vertrauen Israels in die PA und zwischen Israelis und Palästinensern zu schaffen. Er ist nicht entschlossen gegen anti-israelische Hetze vorgegangen, sondern hat vielmehr selbst dazu beigetragen.«
Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Jassir Arafat habe Abbas den Terrorismus gegen Israel zwar nicht unterstützt und verstanden, »dass diese Handlungen das nationale Interesse der Palästinenser gefährden, aber er hat diese Einsicht nicht in die Einstellung der Zahlungen an die Familien von Terroristen und an in israelischen Gefängnissen inhaftierte Terroristen umgesetzt«, so Ganor. »Ein solcher Schritt hätte der Terrorinfrastruktur im Westjordanland schaden können, hätte aber sicherlich Abbas’ Popularität unter den Palästinenser weiter geschadet. In dieser Hinsicht hat Abbas über die Jahre hinweg versucht, auf einem schmalen Grat zu wandeln.«
Während die Unsicherheit im Westjordanland anhält, ist das Rennen um die Nachfolge von Abbas innerhalb der Palästinensischen Autonomiebehörde und der Fatah in vollem Gange. Es bleibt abzuwarten, ob die Palästinensische Autonomiebehörde aufgrund dieses Wettstreits und der anderen oben beschriebenen Faktoren zerbricht und ihr Gebiet an die islamistischen Dschihadisten fällt, oder ob sich ein Nachfolger findet, der stark genug ist, um das Gebiet zu stabilisieren. Die Hamas auf jeden Fall setzt stark auf das erste Szenario und konzentriert viele ihrer derzeitigen Bemühungen auf dessen Verwirklichung.
Yaakov Lappin ist Korrespondent und Analyst für militärische Angelegenheiten in Israel. Er ist hausinterner Analyst am MirYam-Institut, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Alma-Forschungs- und Bildungszentrum und am Begin-Sadat-Zentrum für strategische Studien an der Bar-Ilan-Universität sowie Autor von Virtual Caliphate – Exposing the Islamist State on the Internet. (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)
It should be the noteworthy that the 87-year-old, kleptocratic head of the Palestinian Authority, which rules over Jenin, hasn’t visited Jenin in more than a decade. Dozens of news articles of the IDF counterterrorist operation in Jenin. How many have noted Abbas’s dereliction? https://t.co/Wca7YUp9fG
— Sean Durns (@SeanDurns) July 12, 2023