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Der neue Nahe Osten: Ratlosigkeit bei den Palästinensern

Bei den Vereinten Nationen stoßen die Klagen der Palästinenser aktuell auf mehr offene Ohren als unter den arabischen Staaten. (© imago images/ZUMA Press)
Bei den Vereinten Nationen stoßen die Klagen der Palästinenser aktuell auf mehr offene Ohren als unter den arabischen Staaten. (© imago images/ZUMA Press)

Der Nahe Osten verabschiedet sich von Jahrzehnte lang vorherrschenden Vorstellungen. Die Palästinenser haben darauf noch keine Antwort gefunden.

Avi Issacharoff, The Times of Israel

Die Organisation für Islamische Zusammenarbeit galt lange Zeit als ein anti-israelisches Unterfangen, um es milde auszudrücken.

Es wurde 1969 gegründet, nachdem ein australischer Tourist versucht hatte, die Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem niederzubrennen. Ihre Mitglieder sind die Vertreter von 57 islamischen Staaten, darunter die Türkei und der Iran, und seit vier Jahren wird die Organisation von Generalsekretär Yousef Al-Othaimeen, einem saudischen Politiker, geleitet. Im Februar lehnte die Organisation die Friedensinitiative im israelisch-palästinensischen Konflikt von US-Präsident Donald Trump ab und forderte ihre Mitglieder auf, sich nicht an ihr zu beteiligen.

Am Montag jedoch waren von Al-Othaimeen ganz andere Töne zu vernehmen.

In einem Interview mit Sky News auf Arabisch sagte Al-Othaimeen:

„Wir müssen über den Tellerrand hinausschauen … Dieses [palästinensische] Problem besteht seit über 70 Jahren. Wir haben Kriege geführt und versucht, die Israelis ins Meer zu werfen. Wir haben viele verschiedenen Dinge versucht. Die neue Generation unserer palästinensischen Brüder muss Ideen ausprobieren, die zu einer Lösung dieses Problems führen, die für uns alle von Interesse ist – aber auf neuen Wegen, auf Wegen, die noch nicht ausprobiert wurden, um eine Zwei-Staaten-Lösung mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt dieses Staates zu erreichen.“

Dann fragte Al-Othaimeen: „Warum auf den Weg des Widerstands, des Boykotts und der Distanzierung beharren? Wovon wir uns distanzieren sollten, sind die traditionellen und altbekannten Auffassungen.“

Noch vor wenigen Monaten wären solche Aussagen unvorstellbar gewesen. Dass sie diese Woche vom Leiter dieser Organisation geäußert wurden, zeigt, dass das israelische Normalisierungsabkommen mit dem Sudan und die früheren Abkommen mit Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten nichts weniger als ein Erdbeben im Nahen Osten ausgelöst haben.

Das Weltbild von Generationen von Arabern in der Region, sowohl in sunnitischen als auch in schiitischen Staaten, wurde um die Palästinenserfrage und den Konflikt mit Israel herum geformt. Doch vor den staunenden Augen von Hunderten Millionen muslimischer und christlicher Araber – und vor allem vor dem schockierten Blick der Palästinenser – ist dieses grundlegende Weltbild zusammengebrochen. Plötzlich sind die Palästinenser (…) irrelevant. Sie wachten eines Morgens auf und stellten fest, dass der vermeintliche Konsens, die grundlegende Prämisse, das ganze Konzept der palästinensischen Nationalität in ernster Gefahr ist.

Die ersten Abkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain waren schockierend, aber nicht verheerend und für die Palästinensische Autonomiebehörde vergleichsweise leicht zu schlucken. (…) Einige Tage lang geißelte Ramallah die Führer der VAE, insbesondere den Thronfolger Mohammed bin Zayed, für ihren angeblichen Verrat und ihre Doppelzüngigkeit, doch dann wurde beschlossen, einen Ganz zurückzuschalten.

Doch dann kam am vergangenen Wochenende die Ankündigung, dass der Sudan auch die Beziehungen zu Israel normalisieren wolle. Wirklich erschüttert geriet die gesamte palästinensische Führung ins Trudeln. Wie ein Boxer, der einen massiven Schlag einsteckt, aber noch nicht gefallen ist, versucht die Palästinensische Autonomiebehörde, die Nachricht zu verdauen. Ihre instinktive Reaktion, mit wütenden Fäusten in der Luft zu wedeln, hat wenig Eindruck hinterlassen. Ungeachtet des hohen Preises, den sie dazu zahlen muss, scheint sie entschlossen, auf ihren festgefahrenen Positionen zu beharren sowie zu erklären, dass die grundlegenden Ansprüche der Palästinenser unverändert bleiben und dass sie nicht die Absicht haben, ihre Strategie zu überdenken.

(Aus der Analyse „Israel-Arab accords an earthquake for Palestinians, who now pin hopes on Biden“, die von der Times of Israel veröffentlicht wurde. Übersetzung von Florian Markl.)

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