In Nizza ermordet ein Islamist Christen, die christlichen Kirchen wollen das aber nicht deutlich benennen und betreiben Täter-Opfer-Umkehr.
Alexander Kissler, Neue Zürcher Zeitung
Es war eine monströse Tat, und sie geschah in einer Kirche: In der katholischen Basilika Notre-Dame von Nizza wurden am Mittwoch drei Menschen ermordet – zwei Frauen und der Küster. Eine der beiden Frauen wurde während des Gebets geköpft. Mutmaßlicher Täter ist ein 21-jähriger Tunesier, der im September 2019 über Lampedusa nach Europa eingereist sein soll. Zeugen berichten, der Mann habe in der Kirche „Allahu akbar“ gerufen. Selbst für hartgesottene Politiker und für vom Dauerfeuer der Corona-Nachrichten ermüdete Medienkonsumenten sprengt ein solches Verbrechen jedes menschliche Maß. Barbarische Tötungsarten, wie man sie vom Islamischen Staat kennt, sind endgültig in Frankreich und damit in Europa angekommen. Dennoch regiert in weiten Teilen der Öffentlichkeit routinierte Betroffenheit oder verdruckstes Schweigen – auch und gerade in den Kirchen.
Um Probleme lösen zu können, muss man sie benennen. Diese Bereitschaft bringen die Kirchen nicht auf. Sie flüchten sich ins wolkig Unverbindliche. Politiker haben insofern dazugelernt, als die Mutter aller rhetorischen Beruhigungspillen, die Aussage, islamistische Attentate hätten nichts mit dem Islam zu tun, heute kaum noch zu hören ist. (…) Umso peinlicher sticht vor diesem Hintergrund das gesammelte Stammeln der Kirchen hervor.
Der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Georg Bätzing aus Limburg, teilte seine „Trauer“ und sein „Entsetzen“ mit und gab eine politische Moral zum Besten, in der weder das Wort „Islam“ noch das Wort „katholisch“ Platz fand: „Europa war und ist ein großes Projekt des friedlichen Zusammenlebens. Diese Vision dürfen wir uns von Attentaten nicht zerstören lassen.“ Wer ist „wir“? Und wer hat konkret den Frieden gestört? Ein Islamist war es, der christliche Gläubige ermordete. Bätzing will vom Generalangriff auf seine eigene Religion nichts wissen und relativiert ihn so.
Sein Amtskollege aus Bamberg, Ludwig Schick, rückt der Täter-Opfer-Umkehr einen beherzten Schritt näher, wenn er verlautbart: „Ohne Religionsfreiheit wird menschliches Leben fundamental beschädigt. Auch die Religionen müssen sich Freiheit und Toleranz gewähren. Beleidigungen von Religionen sind auszuschließen.“ Ein katholischer Bischof ruft christlichen Mordopfern hinterher, man solle eben auch den Islam nicht beleidigen. (…)
Schaut man sich auf den offiziellen Seiten der Kirchen im Internet um, erfährt man wenig oder nichts von den in Südfrankreich ermordeten Glaubensgeschwistern. Am Tag des Attentats stellte das Bistum Augsburg ein Video online, auf dem die Kinderreporter Antonia und Marie den „Klimaschutzmanager des Bistums“ befragen. Die aktuellen Beiträge der Evangelischen Kirche von Westfalen widmen sich dem Klingelbeutel an Weihnachten, den Flüchtlingen auf Lesbos und der Gefährlichkeit von Verschwörungstheorien.
(Aus dem Kommentar „Nach dem Attentat von Nizza herrscht in den Kirchen nur betretenes Schweigen oder gesammeltes Stammeln“, der von der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlicht wurde.)