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Israels Gefahr aus dem Norden

Die Hisbollah trainiert den Angriff auf Israel
Die Hisbollah trainiert den Angriff auf Israel (© Imago Images / NurPhoto)

Während die heimischen Medien über Israel kaum ein anderes Thema als die Proteste gegen die Justizreform kennen, droht dem Land ein Krieg im Norden.

Die Wahrscheinlichkeit eines Kriegs mit der Hisbollah ist seit dem Ende des Libanonkriegs im Jahr 2006 noch nie so hoch gewesen. Anfang August warnte der israelische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Gilad Erdan, den Sicherheitsrat der UN schriftlich, dass die Hisbollah – mit finanzieller Unterstützung und auf Anweisung des Irans – dreister geworden sei und ihre Aktionen und Präsenz entlang der israelischen Grenze verstärkt habe:

»Die Spannungen entlang der Nordgrenze Israels zum Libanon sind so hoch wie seit Jahren nicht mehr, was auf die gewaltsame Eskalation der Hisbollah, eklatante Verstöße gegen Resolutionen des Sicherheitsrats und gefährliche militärische Fortschritte zurückzuführen ist.«

Zwischenfälle häufen sich

Schon seit Sommer 2022 verschärft der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, seine aggressive Rhetorik. Die Hisbollah errichtet immer mehr zivil getarnte Militärstellungen entlang der Grenze. Dass die Eskalation bereits unter Israels vorheriger Regierung ihren Anfang nahm, weist darauf hin, dass sie nicht mit der internen Krise in Israel zusammenhängt. Allerdings könnte die vielleicht auch nur vermutete Schwächung des Landes die Risikobereitschaft Nasrallah erhöhen.

Am 6. April dieses Jahres beschoss die Hisbollah Israel mit 34 Raketen. Im Juni hielt sie zwei öffentliche Militärmanöver ab, bei denen Angriffe auf Israel geübt wurden, und Nasrallah schwang martialische Reden über einen Mehrfrontenkrieg. Am 12. Juli wehrten die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) zwei Versuche der Terrororganisation ab, den Grenzzaun zwischen Israel und Libanon zu demontieren.

Vor einigen Wochen errichtete die Hisbollah zwei Zelte auf israelischem Gebiet, die rund um die Uhr im Schichtwechsel von bewaffneten Kämpfern besetzt waren. Israel entschied sich, diplomatisch statt militärisch dagegen vorzugehen. Ein Zelt wurde daraufhin zurück auf libanesisches Territorium gebracht. Das zweite, das ungefähr fünfzig Meter von der Grenze zum Libanon entfernt steht, ist seit ein paar Tagen zumindest nicht mehr ständig besetzt.

Die aktuelle Lage

Das Alma Research and Education Center, das den Libanon und Israels Nordgrenze seit Jahren vor Ort beobachtet und analysiert, bereitet sich auf einen Krieg vor. Dieser Tage stellt Alma den Bau eines Schutzbunkers fertig, um auch im Falle eines Kriegs weiterarbeiten zu können. Der Bunker soll nach Möglichkeit auch regionalen und internationalen Reportern als Medienzentrum dienen und Schutz bieten.

Israel hat die Sicherungsanlagen zum Libanon massiv ausgebaut. Bei einem Besuch an der Grenze am 8. August warnte Verteidigungsminister Yoav Gallant die Hisbollah unmissverständlich: »Ich warne die Hisbollah, Nasrallah, davor, einen Fehler zu machen. Sie haben in der Vergangenheit Fehler gemacht und dafür einen hohen Preis bezahlt. Wenn es hier, Gott bewahre, zu einer Eskalation oder einem Konflikt kommt, werden wir den Libanon in die Steinzeit zurückversetzen. Wir werden nicht zögern, unsere ganze Macht einzusetzen und jeden Zentimeter der Hisbollah und des Libanon umzugraben, wenn es sein muss.«

Was bezweckt die Hisbollah?

Das langfristige strategische Ziel: die Islamische Revolution in den Libanon zu exportieren und das Land zu übernehmen. Die Hisbollah ist heute sowohl auf militärischer als auch auf ziviler Ebene die stärkste Kraft im Libanon und de facto ein Staat im Staat. Ihre Macht wird noch deutlicher, vergleicht man sie mit der infrastrukturellen und wirtschaftlichen Schwäche des libanesischen Staates. Das kurzfristige Ziel: diese Vormachtstellung weiter auszubauen.

Aus Sicht der Hisbollah hat der Zweite Libanonkrieg wesentlich zu ihrer Dominanz beigetragen. Selbst wenn ein neuer Krieg sie schwächen würde – ihre Rivalen würden vermutlich noch viel mehr geschwächt werden. Möglicherweise scheint nun für sie die Zeit gekommen, die Übernahme des Libanons zu beschleunigen. Nach ihrer Logik wäre eine militärische Auseinandersetzung mit Israel daher nützlich.

Die libanesische Regierung unterstützt die Hisbollah. Ihr gegenüber wäre eine Konfrontation mit den Streitigkeiten über die jeweiligen Landesgrenzen zu rechtfertigen. Dabei geht es um die Demarkationslinie der UNO, die Shebaa-Farmen und das Dorf Ghajar. Dessen Bewohner sind alle israelische Staatsbürger, während die UNO die Grenze in der Mitte des Dorfes gezogen hat und dessen nördlicher Teil daher als libanesisch gilt.

Wie sich Teheran verhalten wird, ist schwierig einzuschätzen. Zum einen könnte ein neuer Libanonkrieg vom iranischen Atomprogramm ablenken und daher im Interesse des Regimes liegen. Zum anderen könnte eine regional begrenzte Militäroperation zum jetzigen Zeitpunkt Irans Drohpotenzial im Fall eines israelischen Angriffs auf seine Atomanlagen schwächen.

Ob die Hisbollah nun die Zerstörung des Libanons in Kauf nimmt, um ihre Macht zu stärken, oder nur auf einen begrenzten Konflikt zusteuert, ohne dem libanesischen Staat größeren Schaden zuzufügen – die Kriegsgefahr ist in jedem Fall evident.

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