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Die beunruhigenden Wahnvorstellungen des Hassan Nasrallah

Seit dem Libanonkrieg von 2006 hält Hisbollah-Chef Nasrallah nur noch Videoansprachen aus seinem geheimen Bunker
Seit dem Libanonkrieg von 2006 hält Hisbollah-Chef Nasrallah nur noch Videoansprachen aus seinem geheimen Bunker (© Imago Images / Xinhua)

In seiner jüngsten Rede stellte Hisbollah-Führer Nasrallah viele Behauptungen über die Zukunft der Region und der Welt auf, die mit der Realität nicht das Geringste zu tun haben.

Die Rede des Hisbollah-Generalsekretärs Hassan Nasrallah zum »Tag der Befreiung«, mit dem der 23. Jahrestag des Abzugs der israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) aus dem Libanon zelebriert wurde, sollte für jeden Libanesen besorgniserregend sein, schrieb der wissenschaftliche Mitarbeiter der Foundation for the Defense of Democracies (FDD) in Washington, Hussain Abdul-Hussain, vor Kurzem in einem Kommentar für Now Lebanon.

So habe aus gut einem Dutzend Ideen und Vorstellungen, die Nasrallah präsentierte, nur eine so etwas wie Sinn gemacht, und diese auch nur ansatzweise. Zwar habe der Hisbollah-Chef erklärt, Sicherheit und Stabilität seien der Schlüssel zu Wirtschaftswachstum und Wohlstand, doch wie, so fragte Abdul-Hussain, will Nasrallah Stabilität in den Libanon bringen, »wenn er in derselben Rede poetisch über die Kriege mit Israel in der Vergangenheit und Gegenwart schwärmt?« 

Welcher Investor solle sich Nasrallahs Rede, in der er weitere Kriege verspricht, anhören und im Anschluss daran beschließen, im Libanon Geschäfte zu eröffnen? Solche Fragen scheinen Nasrallah in seinem Wahn allerdings nicht zu interessierten, machte er – dessen Landeswährung in etwas mehr als drei Jahren 98 Prozent ihres Wertes verloren hat, sich doch lustig über die Israelis und feixte über eine Abwertung des Schekels gegenüber dem Dollar, die nicht mehr als eine normale Fluktuation darstellt, die weder in Israel noch anderswo Alarm auslöste.

Statt dies zur Kenntnis zu nehmen, predigte der Hisbollah-Chef das Kommen einer neuen Weltordnung, welche die amerikanische Macht vom Thron stoßen werde. Dabei setzt Nasrallah – wie sein Herr und Meister in Teheran – auf China und Russland, scheint aber übersehen zu wollen, dass allen Problemen zum Trotz die USA immer noch ein Viertel der Weltwirtschaft ausmachen (und mit ihren Verbündeten in der G7 fast die Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung kontrollieren), während China gerade auf fünfzehn Prozent kommt und Russland sich nicht zuletzt im Ukraine-Krieg bestenfalls als mittelmäßige Macht erwiesen hat, die außer Reminiszenzen an ihre ehemalige Machtstellung kaum etwas zu bieten hat.

Fehleinschätzung über Fehleinschätzung

Doch nicht nur in seiner Darstellung von Israels Wirtschaftskraft lag Nasrallah himmelweit daneben, sondern auch, was die militärischen Fähigkeiten anbelangt, behauptete er doch, die Zeiten seien vorbei, in denen Israel ungestraft überall zuschlagen konnte. 

»Nach dem israelischen Rückzug aus dem Libanon im Jahr 2000 und jenem aus dem Gazastreifen existierte das Konzept von Großisrael‹ nicht mehr. Heute versteckt es sich hinter einer Schutzmauer und ist nicht in der Lage, seine Bedingungen in Verhandlungen mit den Palästinensern durchzusetzen. Die amerikanische Hegemonie gibt es in der Welt nicht mehr, und die Mentalität in der arabischen Welt hat sich verändert, das macht Israel Sorgen. Eine der wichtigsten Veränderungen, die stattgefunden haben, ist die Abschreckungskraft der Widerstandskräfte. Die Israelis haben versäumt, ihre eigene Abschreckungskraft zu stärken und erkannt, dass sie für jedes Verbrechen, das sie begehen, den Preis zahlen werden.«

»Vielleicht hat Israel Nasrallahs Memo [über seine angebliche Unfähigkeit; Anm. Mena-Watch] nicht erhalten«, meinte Abdul-Hussain in diesem Zusammenhang und verwies darauf, dass Jerusalem in den vergangenen Jahren völlig ungestraft Ziele der Hisbollah und des Irans in Syrien beschossen hat. Sogar innerhalb des Irans selbst habe Israel zugeschlagen, ohne dass Teheran darauf reagieren konnte, abgesehen davon, dass es die Palästinenser zum Kampf gegen Israel anstiftete. 

Wenn die palästinensische Führung dem iranischen Ansinnen Folge leistete, wie in der kurzen Eskalationsrunde zwischen Israel und dem Palästinensischen Islamischen Dschihad (PIJ) Anfang Mai, hatte sie mit schweren Verlusten zu kämpfen, während sich die israelische Treffsicherheit als hoch erwies und die Kollateralschäden gering blieben. 

Nasrallahs Gerede von der »Vereinigung der Fronten« und Palästinensern als »Entscheidungsträgern« zum Trotz haben die palästinensischen Fraktionen eine Niederlage nach der anderen einstecken müssen, und der Iran ist daran gescheitert, seine Stellvertreter zur Zusammenarbeit und zum Aufbau einer gemeinsamen Front zu bringen. Insofern sind wohl auch Nasrallahs vollmundige Proklamationen, an einem Krieg, der alle Grenzen Israels einschlösse, würden »Hunderttausende Kämpfer teilnehmen«, ebenso aus der Luft gegriffen wie seine Erklärung, wegen der sich »auf dem ideologischen Rückzug befindlichen israelischen Front« habe er »die Hoffnung, Palästina zu befreien, in der Al-Aqsa-Moschee zu beten und das Besatzungsregime loszuwerden«.

Nasrallah Rede, schreibt Abdul-Hussein, strotze nur so vor Falschaussagen und Fehleinschätzungen. So scheine Nasrallah, der damit droht, »der große Krieg mit Israel« stehe bevor und »jede falsche Aktion in Palästina, Syrien oder im Iran könnte zu einem großen Krieg führen«, ernsthaft zu glauben, die Israelis seien deswegen so verängstigt, dass sie bereits ihre Koffer gepackt hätten und mit einem Fuß schon außerhalb der Region stünden. 

Destruktiv für den Libanon

»In einem Land, das einem Scherbenhaufen gleicht, das unter einer im freien Fall befindlichen Wirtschaft und der Unfähigkeit leidet, Lösungen für seine Probleme zu finden geschweige denn sie zu verfolgen, werden Nasrallahs Wahnvorstellungen für den Libanon äußerst destruktiv.« Der Hisbollah-Chef habe mit seiner Rede zum »Tag der Befreiung« nicht nur die Zeit der Libanesen vergeudet und ihnen eine rosige Zukunft versprochen, sondern auch ein völlig falsches Bild von den globalen und regionalen Mächten gezeichnet, resümiert Abdul-Husseini Nasrallahs Ausführungen.

Nicht nur angesichts der Tatsache, dass es Jahrzehnte her ist, dass Nasrallah den Endsieg versprochen hat, der die Vernichtung Israels hätte bedeuten sollen, sondern auch angesichts der Fortsetzung des freien Falls des Landes sei es unwahrscheinlich, dass viele Libanesen noch auf Nasrallah hören würden geschweige denn ihm glauben. Vielleicht, so Abdul-Husseini abschließend, »juckt es ihn deshalb in den Fingern, sich mit Israel anzulegen, Raketen abzufeuern und Drohnen fliegen zu lassen, in der Hoffnung, dass er und seine Miliz durch Unruhen relevant bleiben. Ansonsten hat der de-facto-Herrscher des Libanons kaum etwas zu bieten, weder in seinen Reden noch im wirklichen Leben.«

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