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Stellvertreter des Iran und seiner Strategie: Israel muss der Hisbollah zuvorkommen

Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hisbollah an der Grenze zum Libanon
Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hisbollah an der Grenze zum Libanon (Quelle: JNS)

Die strategische Absicht des Irans besteht darin, Israel einem langen Zermürbungskrieg auszusetzen, der zu seiner Erosion, Schwächung, Isolierung und schließlich zu seinem Untergang führen soll.

Jonathan Spyer

Als ich mich im Sommer 2019 im Nordirak aufhielt, sagte ein iranischer Bekannter mir gegenüber einen Satz, der mir im Gedächtnis bleiben sollte: Ich müsse, so der Iraker, zum Verständnis der regionalen Strategie seines Landes bedenken, dass während »andere Nationen dich mit Eisen töten, die Iraner dich mit Baumwolle töten«.

Später erfuhr ich, dass es sich um eine berühmte persische Redewendung handelte und mein Freund mit seiner Aussage sagen wollte, dass ich den subtilen, geduldigen und langsamen Charakter der iranischen Strategie im Nahen Osten begreifen sollte. Er wollte auch, dass ich diese Geduld nicht mit einem Mangel an tödlicher Ernsthaftigkeit verwechsle.

Der von ihr verfolgte, geduldige Ansatz zahlt sich derzeit für die Islamische Republik im gesamten Nahen Osten aus. In den vergangenen dreißig Jahren hat Teheran zwei semireguläre islamistische Aufstandsarmeen an den Grenzen Israels aufgebaut, die ein deutliches Beispiel für die Vorgehensweise der Islamischen Republik sind: die Hamas im Gazastreifen und die noch mächtigere und konsequentere Hisbollah im Libanon.

Die strategische Absicht des Irans besteht darin, diese Instrumente zu nutzen, um Israel einem langen Zermürbungskrieg auszusetzen, der zu seiner Erosion, Schwächung, Isolierung und schließlich zu seinem Untergang führen soll. Der jetzige Zeitpunkt bietet Israel die Gelegenheit, diesen Prozess durch entschlossenes Handeln aufzuhalten und umzukehren. Es ist noch nicht klar, ob Jerusalem diese Gelegenheit wahrnehmen wird. Das sollte es aber.

Die Uhr tickt für den Iran

Die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) haben bei den Kämpfen seit dem 7. Oktober 2023 bedeutende taktische Erfolge erzielt. Lässt man jedoch das unmittelbare Bild beiseite, kann man feststellen, dass die strategische Anzeigetafel derzeit den Iran und seine Methoden begünstigt. So hat der Iran an den Grenzen Israels mächtige militärische Ressourcen aufgebaut, die er nach Belieben aktivieren kann, während Israel über kein entsprechendes Druckmittel gegenüber dem Iran verfügt.

Das Ergebnis von Teherans geduldigem, langsamen Aufbau und der plötzlichen Aktivierung dieser Streitkräfte an Israels Grenzen ist eine Neuausrichtung der globalen diplomatischen Agenda, ganz zum Vorteil des Irans und seiner Verbündeten. Als Teil davon wurde der sich zuvor schnell entwickelnde Prozess einer Annäherung zwischen Israel und wichtigen Ländern der islamischen Welt, die sich in den sogenannten Abraham-Abkommen manifestierte, gestoppt.

Israel ist nun Gegenstand von wütenden Protestdemonstrationen und Verunglimpfungen im gesamten Westen, die bis in führende westliche politische Parteien, etwa die US-Demokraten, hineinreichen. Der jüdische Staat sieht sich sogar mit dem Vorwurf des »Völkermords« konfrontiert, weil er im Gazastreifen eine Militäraktion durchführt, die nachweislich und nachprüfbar den westlichen Normen entspricht.

Aufgrund der langjährigen Investitionen des Irans wurden an einem einzigen Tag über tausend Israelis mit äußerster Brutalität abgeschlachtet; ein Schauspiel, das es seit der Gründung des modernen Staates Israel nicht mehr gegeben hat.

Das voranschreitende iranische Atomprogramm und der andauernde Versuch von Teherans Verbündetem Russland, seinen Nachbarstaat Ukraine zu zerstören, wurden aufgrund des durch das Massaker ausgelösten Kriegs auf den zweiten Platz in Sachen weltweiter Aufmerksamkeit verwiesen.

In Israel selbst mussten zusätzlich zu den Betroffenen im Süden des Landes auch 86.000 Menschen ihre Häuser im Norden verlassen. Viele Israelis sind sogar der Ansicht, dass auf der israelischen Seite der Grenze eine Art umgekehrte Sicherheits- oder Pufferzone eingerichtet wurde.

All dies bedeutet, dass die künftige Entwicklung Israels, seine diplomatischen Beziehungen, sein internationales Ansehen und sogar die Verteilung seiner Bevölkerung derzeit von den als Stellvertreter fungierenden Instrumenten des Irans abhängen.

Israel wird handeln müssen

Israel muss den langsamen, eine Art Netz webenden Prozess beenden, der dazu führt, dass die islamistischen Aufstandsarmeen an seinen Grenzen weiterhin regieren, weiterhin wachsen, weiterhin gedeihen und von ihren Schirmherren zu einem Zeitpunkt ihrer Wahl aktiviert werden können. Was den Gazastreifen betrifft, so ist es von entscheidender Bedeutung, dass der israelische Krieg in der Enklave erfolgreich abgeschlossen und die Herrschaft der Hamas und ihre organisierten bewaffneten Kapazitäten in diesem Gebiet zerschlagen werden.

Die komplexere und schwerwiegendere Frage betrifft jedoch den Norden, wo die Diplomatie wenig Chancen zu haben scheint, die Hisbollah von der israelisch-libanesischen Grenze zu entfernen. Der Anführer der Bewegung, Hassan Nasrallah, sagte kürzlich in einer Rede, es wäre einfacher, den Litani-Fluss an die Grenze zu verlegen anstatt die Hisbollah nördlich des Litani zu verlegen.

Sobald die diplomatischen Bemühungen scheitern, was mit Sicherheit der Fall sein wird, wird Israel vor der Wahl stehen, sich mit der stetigen Erosion der Möglichkeiten eines normalen Lebens für die Bürger seiner nördlichen Gemeinden abzufinden oder diesen Trend entschlossen umzukehren.

Ersteres würde bedeuten, dass Irans langsames und geduldiges Projekt, Israel schrumpfen zu lassen, es nicht überlebensfähig zu machen und dann zu zerstören, einen weiteren Meilenstein erreicht haben wird. Letzteres würde eine groß angelegte präventive Militäraktion gegen den Stellvertreter des Irans bedeuten, um ihn in Positionen nördlich des Litani zu vertreiben und seine Fähigkeiten im gesamten Libanon ernsthaft zu schwächen.

Dies ist keine Angelegenheit, die man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Die Hisbollah besteht seit fast einem halben Jahrhundert. Sie ist die dominierende politische und militärische Kraft im Libanon und verfügt über ein umfangreiches Arsenal an präziser und gelenkter Munition, mit der sie jeden Ort in Israel angreifen kann. Der 7. Oktober hat jedoch gezeigt, dass die israelische Entscheidung, die als Irans Klientel fungierenden Kräfte zu ignorieren oder abzuschotten, keine praktikable Strategie war und ist.

Israel muss daher entweder die Gelegenheit ergreifen, diese Kräfte ernsthaft zu schwächen und aus ihrer derzeitigen Position zu entfernen. Oder es muss sich damit abfinden, dass Teheran weiterhin die strategische Initiative innehat. Letzteres bedeutet, einen fortgesetzten Versuch der langsamen Strangulierung zu akzeptieren, was die wahre Bedeutung des eingangs zitierten »Töten mit Baumwolle« ist. Diese Option ist undenkbar. Eine groß angelegte israelische Militäraktion zur Vernichtung oder ernsthaften Schwächung der libanesischen Hisbollah wird daher eingeleitet werden müssen.

Jonathan Spyer ist Autor von Days of the Fall: A Reporter’s Journey in the Syria and Iraq Wars und The Transforming Fire: the Rise of the Israel-Islamist Conflict. Er schreibt regelmäßig für Jane’s Intelligence Review und publiziert in führenden Fachzeitschriften und Medien, darunter Middle East Quarterly, The Times (of London), Foreign Policy, The Wall Street Journal und The Guardian. Jonathan Spyer ist außerdem Fellow des Middle East Forum. Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. (Übersetzung von Alexander Gruber.)

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