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Israel: Geht es um die Justizreform oder um den »Kulturkampf«?

Israel: LGBT- und Frauenrechtsdemonstration vor einer ultraorthodoxen Talmud-Schule in Jerusalem
Israel: LGBT- und Frauenrechtsdemonstration vor einer ultraorthodoxen Talmud-Schule in Jerusalem (© Imago Images / Sipa USA)

In Israel kam es in den vergangenen Jahren zu einer starken Spaltung zwischen säkularen und Nationalreligiösen, sodass es Bemühungen braucht, dass Gemeinsame wieder in den Vordergrund zu stellen.

Bei der Auseinandersetzung um die Justizreform in Israel geht es vordergründig um drei konkrete Punkte: Den Bestellmodus der Höchstrichter, den Modus der Knesset, sich über Entscheidung des Höchstgerichtes hinwegzusetzen (»Beharrungsbeschluss«) und die Abschaffung der in den vergangenen Jahren entwickelten Praxis des Höchstgerichts, Entscheidungen von Regierung und Behörden wegen »Unangemessenheit« auszusetzen.

Dass das Verhältnis zwischen Legislative und Höchstgericht einer Neuordnung bedarf, wird auch von manchem Gegner der radikalen Vorschläge des Regierungslagers nicht bestritten. Manche davon sind ehemalige Mitarbeiter und Gefährten Benjamin Netanjahus wie Gideon Saar oder Avigdor Lieberman, die in der Vergangenheit von Netanjahu kaltgestellt wurden. Noch vor Jahren hätten sie für derartige Initiativen gestimmt, dann trennten sich die Wege nicht zuletzt wegen der Korruptionsvorwürfe gegen Netanjahu sowie seinem Versäumnis, einen Nachfolger aufzubauen. Die Vermutung eines Zusammenhangs zwischen der Höchstrichterbestellung und seinen laufenden Gerichtsverfahren ist nicht abwegig.

Wie schon in den 1990er Jahren die damals noch starke israelische Linke mit den illusionären Oslo-Verträgen versuchte auch die jetzige Regierung, politisches Vorhaben von nationaler Bedeutung ohne breite Mehrheit durchzuziehen – und dürfte damit scheitern. Die aktuelle Kulturkampfstimmung auf beiden Seiten gibt der Auseinandersetzung, die Israelis beider Lager auf die Straße treibt, erst recht Nahrung.

Spaltung

Die Spaltung beginnt bereits im israelischen Schulsystem. Im staatlichen profanen Schulsystem werden Schüler kaum mit traditionellen jüdischen Inhalten konfrontiert, in staatlichen nationalreligiösen Schulen geschieht dies sehr wohl, und die Errichtung des Staates wird als »Atchalta Ha Geula« (»Beginn der Erlösung») interpretiert. Das dritte quasi autonome ultraorthodoxe Schulsystem der Haredim kennt neben dem Studium von Bibel und Talmud praktisch keinen Unterricht in profanen Grundfächern wie Mathematik und Englisch und führt ein Eigenleben.

Ein profaner Absolvent profaner Schulen, im Gegensatz zu ultraorthodoxen Gleichaltrigen, der seinen Militärdienst leistet, kann sich dann in einer Situation wiederfinden, in der er orthodoxe Betende an Heiligen Stätten wie etwa in Hebron zu schützen hat, wofür er wenig Verständnis haben dürfte. Dass gerade in der jetzigen gespannten innenpolitischen Situation der ultraorthodoxe Koalitionspartner zusätzliche Hundert Millionen Schekel für seine Institutionen durchsetzen konnte, kann wohl auch von Gutmeinenden nur als vom Timing her sehr ungünstig angesehen werden.

Während in letzter Konsequenz viele profan denkende Israelis in einem Staat wie jeder andere leben wollen, geben bei den nationalreligiösen Israelis, die religiöse Inhalte in den Vordergrund stellen, derzeit radikale Scharfmacher den Ton an. Dafür, dass Israel ein demokratischer und jüdischer oder Staat sein und bleiben soll, braucht es neue Bemühungen, das Gemeinsame wieder in den Vordergrund zu stellen.

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