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Religion und Staat: Kulturkampf in Israel

Netanjahu bei der Knesset-Sitzung zur Vereidigung der neuen israelischen Regierung
Netanjahu bei der Knesset-Sitzung zur Vereidigung der neuen israelischen Regierung (© Imago Images / UPI Photo)

Die neu vereidigte israelische Regierung unter Benjamin Netanjahu verschiebt das Verhältnis zwischen Staat und Religion zugunsten letzterer.

Sowohl der Judenstaat des bürgerlichen Theodor Herzl als auch die Ideen der linken Zionisten Osteuropas, die in der Folge bis in die Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts die Geschicke Israels bestimmten, beruhten auf der Konzeption, einen jüdischen Staat zu errichten, in dem Juden, nicht mehr von Antisemitismus bedroht, in Ruhe wie alle anderen Völker leben könnten. Religion wäre dabei auf die Synagogen beschränkt.

Die strenge Orthodoxie, deren Ghettomentalität der Zionismus überwinden wollte und die im Zionismus eine unzulässige profane Vorwegnahme der Rückkehr ins Heilige Land sah, und das nationalreligiöse Judentum, das in der Alijah, der Einwanderung nach Israel, bereits den Anfang der Erlösung sah, spielte in den zionistischen Überlegungen bis in die bereits genannten Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts eine eher geringe Rolle.

Dennoch: Ganz ohne Bezug auf die Bibel und die geplante jüdische Selbstverwirklichung in der historischen Heimat kamen auch profane Zionisten nicht aus. Die Beziehungen zwischen Religion und dem in Entstehung befindlichen Staat regelte der »Status quo«.

Dieser beruhte auf einer Übereinkunft, die der spätere Ministerpräsident David Ben-Gurion noch in seiner Funktion als Vorsitzender der Exekutive der Jewish Agency am 19. Juni 1947 mit der jüdischen Orthodoxie schloss. Dabei wurde der Schabbat als Ruhetag festgelegt und beschlossen, dass in staatlichen Institutionen auf die jüdischen Speisegesetze Rücksicht genommen und das Personenrecht beim Rabbinat beheimatet sein würde.

In der israelischen Unabhängigkeitserklärung wurde – um keine Entscheidung über einen Bezug auf Gott treffen zu müssen – die zweideutige Wortwahl »Fels Israels« gewählt und auf die sofortige Verabschiedung einer Verfassung verzichtet. Dies hatte allerdings zur Folge, dass sich das Oberste Gericht veranlasst sah, zunehmend legalistische Grundsatzentscheidungen zu treffen, die ansonsten Angelegenheit des Parlaments gewesen wären.

Von der Arbeiterpartei zum Likud …

Nach der Staatsgründung wurde die Übereinkunft zwischen Ben-Gurion und Rabbiner Fishman erneuert, wobei ein staatliches Rabbinat geschaffen wurde. 1952 wurde dann in einer Vereinbarung mit Rabbiner Karelitz den strengorthodoxen Juden Autonomie, insbesondere hinsichtlich des Schulsystems, zugesichert. 

Dieses israelische Schulsystem mit seiner Trennung in staatlich-profan, staatlich-religiös und ultraorthodox hatte allerdings zur Folge, dass in staatlich-profanen Schulen kaum Unterricht über jüdisch traditionelle Inhalte und in ultraorthodoxen Schulen – trotz deswegen erfolgter Subventionskürzungen – kaum profaner Unterricht wie Englisch oder Mathematik erfolgt.

Insbesondere die strenge Orthodoxie war trotz ihrer grundsätzlichen Voreingenommenheit gegenüber der zionistischen Ideologie bereit, Regierungen der Arbeiterpartei die parlamentarische Mehrheit zu sichern und erhielt dafür Subventionen und die Garantie der Wehrdienstbefreiung für Studenten ihrer Religionsakademien (Jeschivot).

Israels Sieg im Sechs-Tage-Krieg und die Erlangung der Kontrolle über die 1948 von Jordanien besetzten Teile des ehemaligen Mandatsgebiets führten zu einer Stärkung der nationalreligiösen Bewegung und nach einer Welle selbstkritischer Reflexion nach dem Yom-Kippur-Krieg 1973 zum Ende der jahrzehntelangen Regierung der Arbeiterpartei und zur ersten Likud-Regierung unter Menachem Begin.

Stark religiös geprägte Gruppierungen wie Gush Emunim – religiös auch als Chardal (Wortkombination von charedim (strengorthodox) und dati leumi (nationalreligiös) bezeichnet – traten für eine weitgehende Besiedlung in den von ihnen als Juda und Shomron bezeichneten Gebieten ein, während die Linke aus grundsätzlichen und demografischen Gründen zu weitgehenden territorialen Zugeständnissen bereit war.

Die folgenden Regierungen unter Jitzchak Rabin und Ehud Barak von der Arbeiterpartei sowie die von Ehud Olmert scheiterten an der doppelzüngigen Haltung des Palästinenserführers Jassir Arafat und seines Nachfolgers Mahmoud Abbas, welche die Idee des Oslo-Abkommens »Land für Frieden« ad absurdum führten. Israels Rechte kehrte gestärkt zurück, der Gegensatz war in weiterer Folge nicht mehr zwischen links und rechts, sondern zwischen für oder gegen Netanjahu.

… und zur aktuellen Regierung

Die Regierungserklärung der neuen Regierung Netanjahu sieht nun vor, die Möglichkeit des Obersten Gerichtshofes einzuschränken, juristische Grundsatzentscheidungen zu treffen, die eigentlich dem Parlament zukommen.

Hinsichtlich der Autonomie des ultraorthodoxen Schulsystems ist vorgesehen, die finanziellen Kürzungen wieder rückgängig zu machen. Man hofft offensichtlich auf eine Sinnesänderung bei den verantwortlichen Rabbinern, auch wenn (bislang) allein der Rebbe von Belz als Einziger das Studium von Mathematik und Englisch für seine Gruppe befürwortet hat.

Von der vorherigen Regierung anvisierte Ideen, den U-Bahn-Betrieb in Tel Aviv auch am Schabbat zuzulassen, werden nun wohl nicht mehr realisiert werden – allerdings wohl auch keine Vorschläge von der Regierung nahestehenden Kleinparteien wie jenem, der eine Aufhebung des vergangenen Jahr erlassenen Verbots der »Konversionstherapie« vorsieht, die Homosexualität als Krankheit ansieht, die heilbar sei und geheilt werden müsse. 

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