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Hat Israel den Krieg in Syrien verloren? 

Assad-Propaganda in Syriens Hauptstadt Damaskus
Assad-Propaganda in Syriens Hauptstadt Damaskus (© Imago Images Sipa USA)

Ein strategischer Erfolg in Syrien ist für die Vereinigten Staaten, Israel und ihre Verbündeten immer noch möglich, allerdings nur, wenn sie in sechs zentralen Fragen Fortschritte erzielen. 

James Jeffrey 

Der kürzlich erschienene Kommentar Wie Israel den syrischen Bürgerkrieg verlor, des israelischen Nahostexperten Ehud Yaari bietet einen unvergleichlichen Einblick in das Vorgehen Israels und anderer Staaten während des Kriegs in Syrien. Er beschreibt die taktischen Erfolge Israels und stellt fest, dass »der ursprüngliche Plan des iranischen Revolutionsgarden-Führers Qassem Soleimani, [eine neue Raketenfront gegen Israel aufzubauen], vorerst auf Eis liegt« und der israelische Geheimdienst glaube, der jüdische Staat habe 80 bis 90 Prozent der Israel von Syrien aus bedrohenden iranischen Militärpräsenz ausgeschaltet. Dennoch, so Yaari weiter, bedeutee das Überleben des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, »der eng mit dem Iran verbündet ist, nichts Geringeres als ein strategisches Versagen Israels«.

An dieser Stelle trennen sich die Wege von Yaari und mir. Diejenigen von uns, die sich mit Syrien befassen, sind weder der Ansicht, dass Israel überhaupt versucht habe, Assads Herrschaft zu beenden, noch dass dies allein hätte Erfolg haben können. Was wir allerdings beobachten konnten, war ein taktischer Erfolg Israels gegen iranische Raketen und Flugkörper und ein Beitrag zu der Situation, vor der wir heute stehen: ein eingefrorener Konflikt und kein Sieg Assads. 

Die Überraschung liegt also nicht darin, dass Assad seinem wohlverdienten Niederlage entgangen ist, sondern darin, dass er selbst nach der in den vergangenen zwei Jahren mehr als gleichgültigen amerikanischen Syrienpolitik nicht gewonnen hat.

Diese Situation, die zum Teil dem israelischen Vorgehen zu verdanken ist, bietet den Vereinigten Staaten, Israel und anderen Akteuren immer noch die Möglichkeit, gemeinsam einen endgültigen Ausgang des Syrienkonflikts herbeizuführen, welcher der regionalen Sicherheit förderlich ist. Kurz gesagt: der Syrienkonflikt ist noch nicht vorbei.

Kluge Entscheidung

Was die Frage einer direkten oder verdeckten israelischen Intervention zum Sturz des Assad-Regimes betrifft, so beschreibt Yaari sehr gut jene Argumente, die dafür sprechen, dass Israel sich weitgehend zurückgehalten hat und noch immer zurückhält: die Angst vor einem von islamischen Kämpfern kontrollierten »failed state« an der Nordgrenze und die verwirrende, widersprüchliche Politik derjenigen, die versuchen, das Assad-Regime zu stürzen oder einzudämmen, darunter nicht zuletzt die Vereinigten Staaten.

Darüber hinaus waren die von Yaari vorgeschlagenen Mittel für ein aktiveres israelisches Engagement gegen das Assad-Regime unzureichend. Ein direkter Einsatz der israelischen Luftwaffe, um den Rebellengruppen einen Weg nach Damaskus zu bahnen, wäre außerordentlich riskant und nach dem militärischen Eingreifen Russlands im Jahr 2015 unmöglich gewesen und hätte vor 2015 wahrscheinlich eine solche Intervention Moskaus ausgelöst.

Die Ermordung von Assad hätte das Regime nicht stürzen können, da dieser, der sich während des Libanonkriegs von 2006 und des Angriffs auf den syrischen Atomreaktor in al-Kibar 2007 zurückhaltend gegenüber Israel zeigte, mit ziemlicher Sicherheit durch seinen rücksichtslosen, vor allem pro-iranischen Bruder Maher ersetzt worden wäre.

Natürlich hielt sich Israel, wie Yaari anmerkt, seine Optionen offen, indem es vor allem in der Anfangsphase Beziehungen zu verschiedenen syrischen Oppositions- und quasi-Oppositionskräften unterhielt. Hochrangige israelische Beamte hatten auch eine Ahnung von den Verschanzungsaktionen der iranischen Revolutionsgarden (IRGC) und ihrer Stellvertreter in ganz Syrien. Und so scheint Israels oberste Priorität weiterhin darin bestanden zu haben, die Stationierung von Langstreckensystemen des IRGC in oder durch Syrien zu unterbinden – ein Ziel, das bislang auch erreicht wurde. Angesichts dessen und in Ermangelung einer offensichtlichen Lösung in einer derart verworrenen Situation erscheint Israels Entscheidung klug, nicht im Alleingang einen strategischen Erfolg anzustreben.

Amerikanischer Druck …

Israels Luftoperationen, die seit 2018 von den Vereinigten Staaten unterstützt und informell von weiterem militärischen Druck auf das Assad-Regime begleitet wurden, haben dazu beigetragen, den Konflikt einzufrieren. Damals hatte die amerikanische Trump-Administration ihr militärisches Engagement in Syrien erheblich verstärkt, indem sie den Druck auf den Islamischen Staat (IS) fortsetzte, nachdem sie dessen Hauptstadt Raqqa Ende 2017 eingenommen, einen Einfall der Wagner-Gruppe zurückgeschlagen und Luftangriffe gegen den Einsatz von Chemiewaffen durch Assad gestartet hatte.

Die USA unterstrichen gegenüber Russland auch, an der Enklave Tanf bei der syrisch-jordanisch-irakischen Grenze zu bleiben, während im September ein größerer syrisch-iranisch-russischer Angriff auf Idlib durch türkische Militäraktionen und starke diplomatische Unterstützung seitens der USA verhindert wurde.

Diese Entwicklungen, von denen die meisten Reaktionen auf konkrete Drohungen waren, gaben der amerikanischen Diplomatie endlich die »militärische Säule« in Syrien, auf die der ehemalige Außenminister John Kerry vergeblich gedrängt hatte. Mit diesem Instrument wurde die territoriale Expansion der Assad-Allianz gestoppt und die Tür für eine Verhandlungslösung geöffnet. Ziel dabei war nicht der Sturz Assads, sondern die Förderung der Versöhnung zwischen der syrischen Regierung und der Opposition, einschließlich einer neuen Verfassung und letztlich abzuhaltenden Wahlen, die in der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats vom Dezember 2015 festgeschrieben wurden. Diese Resolution forderte: 

  1. Einen Waffenstillstand, gefolgt von politischer Versöhnung, einer neuen Verfassung und einer Rechenschaftspflicht für die begangenen Verbrechen,
  2. die Niederlage des Islamischen Staates,
  3. die Rückkehr der Flüchtlinge und Binnenvertriebenen (etwa die Hälfte der 24 Millionen Einwohner Syriens).

Die Ansicht der USA, die in unterschiedlichem Maß von israelischen, türkischen, arabischen, europäischen, syrischen Oppositionskräften, kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF), den Vereinten Nationen und humanitären NGO-Partnern geteilt wurden, war, dass besagte Resolution durch drei weitere Maßnahmen ergänzt werden müsste, um erfolgreich zu sein:  

  1. Die dauerhafte Beseitigung der von Israel ins Visier genommenen iranischen Langstreckensysteme, 
  2. die Gewährleistung der Sicherheit der Türkei vor einer Vielzahl von Bedrohungen an ihrer Südgrenze,
  3. die Wiedereingliederung der mehr als dreißig Prozent Syriens, in denen die USA oder die Türkei präsent waren, sowie der Hunderttausenden Kämpfer der Opposition und der kurdisch geführten SDF in einen reformierten syrischen Staat.

… und amerikanische Angebote

Diese insgesamt sechs Punkte wurden zu den zentralen Diskussionspunkten in den amerikanischen Verhandlungen mit Moskau zwischen den Jahren 2018 und 2021. Die Idee war ein schrittweises Vorgehen, bei dem Assad, die Russen und die Iraner der internationalen Gemeinschaft in diesen Fragen entgegenkommen würden, sollten die USA und ihre zahlreichen Partner im Gegenzug ihre Maßnahmen gegen das Assad-Regime mäßigen:

  • Aufhebung oder Verzicht auf Sanktionen, 
  • diplomatische Anerkennung, 
  • eventuell Beendigung der externen Militärpräsenz, 
  • Unterstützung des Wiederaufbaus.  

Andernfalls waren die Vereinigten Staaten bereit, mit der Unterstützung ihrer Partner einen eingefrorenen Konflikt aufrechtzuerhalten, um Druck auf Assad auszuüben und ein Druckmittel gegenüber Russland zu haben. Washington erkannte jedoch auch, dass eine Verringerung der Militärpräsenz nicht nur Assad belohnen, sondern auch Moskau und Teheran einen strategischen Sieg in der Region bescheren würde, sollte die andere Seite keine echten Kompromisse in diesen Fragen eingehen.

Nach anfänglichem Interesse an Verhandlungen bis hin zu einem Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem damaligen amerikanischen Außenminister Michael Pompeo im Jahr 2019 zogen sich die Russen zurück, vermutlich um zu sehen, ob eine neue US-Regierung ihre Politik ändern würde – eine Wette, die anfänglich aufging. So stufte die neue US-Regierung unter Präsident Joe Biden die Priorität der Syrienfrage herab und definierte die Syrienpolitik als wenig mehr als humanitäre Hilfe und den Kampf gegen den IS.

Dennoch blieben die militärische Präsenz der USA, Israels und der Türkei sowie die Sanktionen der internationalen Gemeinschaft bestehen, was vor allem auf den mangelnden Fortschritt in den oben genannten sechs Bereichen zurückzuführen ist. 

Die Biden-Administration kehrte zumindest rhetorisch zur Position der Trump-Administration zurück, wie sie im Juni 2022 vor dem Ausschuss für auswärtige Beziehungen des Senats erklärte, und fügte im Rahmen der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats Maßnahmen gegen den Drogenschmuggel unter Assads Führung hinzu. Und sie hat sich in letzter Zeit wiederholt verpflichtet, die Sanktionen aufrechtzuerhalten, die Truppen im Land zu belassen und keine Annäherung an Assad zu verfolgen, bis die internationalen Forderungen erfüllt sind.  So bleibt Syrien ein gescheiterter Staat in einem eingefrorenen Konflikt, der für Moskau nicht zufriedenstellend ist.

Arabische Hilflosigkeit

Die arabischen Staaten, allen voran die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Jordanien, bemühten sich um eine größere Rolle bei der Lösung des Konflikts und starteten angesichts der relativen Gleichgültigkeit Washingtons ihre eigenen Bemühungen, angefangen mit dem Syrien-Plan 2021, den König Abdullah von Jordanien dem russischen Präsidenten Wladimir Putin unterbreitete. Dies hat nun zur Rückkehr Syriens in die Arabische Liga geführt.

Der Syrien-Plan von Abdullah ist weniger als das, was er auf den ersten Blick erscheint. Er enthält nicht nur viele Elemente des schrittweisen Vorgehens der Trump-Administration, sondern ist auch davon geprägt, dass die arabischen Staaten das Syrienproblem nicht alleine lösen können. Ihr einziges Zuckerbrot, die Rückkehr Syriens in die Arabische Liga, haben sie bereits verteilt, ohne dass Assad dafür eine Gegenleistung erbracht hätte. 

Die arabischen Staaten können weder die amerikanischen und europäischen Sanktionen aufheben, noch die türkischen, amerikanischen und israelischen Streitkräfte aus Syrien abziehen, noch sechs Millionen syrische Flüchtlinge zur Rückkehr bewegen, noch die internationale Gemeinschaft zwingen, auf Assad zuzugehen oder die Resolution 2254 aufzugeben oder die gegen das Regime erhobenen Anklagen wegen des Einsatzes chemischer Waffen und Menschenrechtsverletzungen beseitigen, noch selbst das Land wieder aufbauen. All dies würde eine allgemeine Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf Zugeständnisse von Assad und seinen Partnern erfordern, die es (bislang) nicht gibt.

Ein strategischer Erfolg für die Vereinigten Staaten, Israel und ihre Verbündeten ist immer noch möglich, wenn in den sechs genannten Fragen, einschließlich der Stationierung iranischer Langstreckensysteme, Fortschritte erzielt werden und damit Moskau und Teheran ein geostrategischer Sieg verwehrt würde. Dies erfordert allerdings Konsequenz und Aufmerksamkeit auf höherer Ebene in Washington. Jerusalem hat aber die Chance, die Biden-Regierung diesbezüglich umzustimmen.

Syrien zeigt, dass eine Regionalmacht wie Israel, so stark sie auch sein mag, in einem großen regionalen Konflikt, an dem zahlreiche Akteure beteiligt sind, darunter zwei nukleare Supermächte, alleine kein strategisches Ergebnis erzielen kann. 

Die Syrien-Erfahrungen zweier anderer Regionalmächte – Iran und Türkei – bekräftigen diese Schlussfolgerung, wie man anhand der iranischen Bitten nach einer russischen Intervention im Jahr 2015 ebenso sehen kann wie am begrenzten Erfolg der Türkei gegen die von den USA unterstützten, kurdisch geführten SDF. Aber eine kluge Regionalmacht kann, wie Israel gezeigt hat, taktische Ergebnisse erzielen und mit Hilfe anderer einen möglichen strategischen Erfolg gestalten.

James Jeffrey war von 2007 bis 2008 stellvertretender nationaler Sicherheitsberater der Vereinigten Staaten. Er diente als US-Botschafter im Irak, in der Türkei und in Albanien, als Sondergesandter des Präsidenten für die Globale Koalition zur Bekämpfung des IS. Derzeit ist Jeffrey Vorsitzender des Nahostprogramms am Wilson Center. (Der ursprünglich von der Jerusalem Strategic Tribune veröffentlichte Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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