„Vater der iranischen Atombombe“: Wer trauert um Mohsen Fakhrizadeh?

Begräbnis des Brigadegeneral der Revolutionsgarden und Atomwissenschaftlers Mohsen Fakhrizadeh
Begräbnis des Brigadegeneral der Revolutionsgarden und Atomwissenschaftlers Mohsen Fakhrizadeh (© Imago Images / ZUMA Wire)

Wer auch immer das Attentat ausführte: Er hat damit nicht nur Israel, sondern der ganzen Region und der Welt einen Dienst erwiesen.

24 Stunden nach dem erfolgreichen Attentat auf Mohsen Fakhrizadeh sprach der Pressesprecher der Europäischen Union von einem „iranischen Regierungsbeamten“ der bei dieser „kriminellen Tat“ getötet worden sei. Das war die Untertreibung des Jahres.

Zwar stimmt es, dass Fakhrizadeh als Leiter einer Unterabteilung des iranischen Verteidigungsministeriums auch Regierungsbeamter war. Er war zudem als Brigadegeneral der Revolutionären Garden führendes Mitglied der iranischen Elite-Streitkräfte, die die USA als Terrororganisation einstufen. Sein Tod aber markiert aus einem anderen Grund eine Zäsur: Mohsen Fakhrizadeh war DER Begründer und Inspirator des iranischen Atomwaffen- und Raketenprogramms.

„Der Atomphyiker galt Geheimdienstlern als ,most wanted man in Iran‘ und ,Vater der iranischen Bombe‘“, schreibt Paul-Anton Krüger in der Süddeutschen Zeitung. Er soll maßgeblich daran beteiligt gewesen sein, „dass Iran nach Ansicht westlicher Geheimdienste ein komplettes und funktionsfähiges Sprengstoff-Design entwickelt und zumindest Komponenten davon auch getestet hat.“ [1]

Geheimes Atomwaffenprogramm

Seit spätestens 1997 leitete Fakhrizadeh das iranische Atomwaffenprogramm. Unter dem Tarnnamen „AMAD“ (= Hoffnung) sollte es bis Ende März 2003 die Infrastruktur für den Bau von fünf Atomwaffen bereitstellen. 2003 wurde dieses Geheimprogramm enttarnt. Deshalb beendete das Regime nach außen hin das AMAD-Programm, setzte es aber tatsächlich in neuer Gestalt fort.

„Die Arbeit wird in zwei Teile gesplittet“, hieß es damals in der einschlägigen Anweisung des iranischen Verteidigungsministeriums von Ende 2003, und zwar in einen „verdeckten (geheime Strukturen und Ziele)“ und einen „offenen Teil (reguläre Struktur)“. [2]

70 Prozent der AMAD-Mitarbeiter fanden beim neuen versteckten Atomwaffenprogramm, als dessen Leiter erneut Fakhrizadeh fungierte, Verwendung. Seit 2011 ist dieses Programm unter der Bezeichnung „Abteilung für Forschung und technologische Erneuerung“ (oder „SPND“ nach dem persischen Akronym) beim iranischen Verteidigungsministerium angesiedelt.

Die Internationale Atomenergie-Agentur der Vereinten Nationen (IAEA) hatte Fakhrizadeh bereits 2011 als Schlüsselfigur der iranischen Atomwaffenentwicklung identifiziert: „Mohsen Fakhrizadeh war der Leiter des AMAD-Plans“, bestätigte sie in ihrem Bericht. Bei den AMAD-Nachfolgeprojekten habe er ebenfalls „die Rolle des Hauptorganisators übernommen“, wobei einige der nach 2003 begonnen Aktivitäten „hochbedeutsam für ein atomares Waffenprogramm gewesen seien.“ [3]

„Der Atombericht der Vereinten Nationen stellt Irans ,mysteriöse Figur‘ ins Rampenlicht“, hieß es 2011 in einer Schlagzeile der Nachrichtenagentur Reuters. [4]

Gejagt seit 2006

Seit 2006 waren CIA und Mossad ihm auf den Fersen. 2008 fand ein erster Anschlag auf ihn statt, den er überlebte. Im selben Jahr beschlossen die USA, ihn „wegen Aktivitäten, die zur Entwicklung des iranischen Atomprogramms beitragen“, zu sanktionieren. 2013 durfte er auf Einladung Pjöngjangs beim dritten nordkoreanischen Atomtest mit dabei sein.

Immer wieder beschied das Regime den Wunsch der IAEA, mit Fakhrizadeh zu sprechen, abschlägig. Zuletzt war dies 2015 im Vorfeld des Atomdeals der Fall. „Er dürfte über das iranische Atomprogramm mehr als jeder andere Mensch in der Welt gewusst haben“, zeigt sich der in den USA lehrende Iranforscher Karim Sadjadpour überzeugt. „Auf seine Führung, sein Wissen und sein institutionelles Gedächtnis verzichten zu müssen, ist ohne Zweifel ein schwerer Schlag für die Islamische Republik.“ [5]

Welche Gruppe auch immer das Attentat ausführte, ob Agenten der CIA oder – wahrscheinlicher – der Mossad in Zusammenarbeit mit den Volksmudjahedin: Sie hat damit nicht nur Israel, sondern der ganzen Region und der Welt einen Dienst erwiesen.

Schlag gegen das Atomwaffenprogramm

Israel will eine Atommacht in seiner Umgebung um jeden Preis verhindern. Deshalb zerstörten seine Piloten 1981 den gerade fertig gestellten Osirak-Reaktor im Irak Saddam Husseins. Dieser Reaktor lag in einem Gebiet, das vor wenigen Jahren noch der Islamische Staat kontrollierte. Wer sich die Kombination von Islamischer Staat und Atombombe vor Augen führt, kann ermessen, welch großen Dienst der jüdische Staat damit der Welt erwiesen hat – obwohl 1981 die internationale Staatengemeinschaft Israels Aktion als Verstoß gegen das Völkerrecht scharf kritisiert hatte.

2007 zerstörte ein israelischer Luftangriff den fertiggestellten syrischen Atomreaktor al-Kibar. Das Assad-Regime hatte diesen Reaktor, der für die Produktion von Plutonium vorgesehen war, mit Hilfe Nordkoreas bauen lassen. Erneut hatte die Welt Glück: Nur vier Jahre später begannen die Wirren des syrischen Bürgerkriegs.

Das Attentat auf Fakhrizadeh, sollte es tatsächlich israelischen Ursprungs sein, reiht sich in diese Abfolge ein. Mit ihm wurde die Zentralfigur des militärischen Nuklearprogramms ausgeschaltet und damit eine Quelle von Wissen, die sich nicht einfach ersetzen lässt.Hier ging es nicht, wie es einige Kommentare nahelegen, um die Schaffung von Hindernissen für Joe Bidens neue Iranpolitik. Hier ging es um das seit fast drei Jahrzehnten von Israel verfolgte Ziel, eine existenzielle Bedrohung abzuwehren und die iranische Bombe zu verhindern.

Hierbei hat Israel bislang den offenen Angriff vermieden und stattdessen – durchaus erfolgreich – auf eine Politik der Nadelstiche (Computermanipulationen, Sabotageakte, Attentate auf einzelne Atomwissenschaftler) gesetzt, um das von fast der gesamten Welt abgelehnte iranische Atomwaffenprogramm zu stören und zu verzögern.

Ein hoher israelischer Regierungsbeamter brachte diesen Zusammenhang im Gespräch mit der New York Times wie folgt auf den Punkt: „Die von Fakhrizadeh geförderten Bestrebungen des Iran nach Atomwaffen stellten eine solche Bedrohung dar, dass die Welt Israel danken sollte!“[6]

Entblößung des Regimes

Das Attentat brachte erstaunliche Lücken im iranischen Sicherheitsapparat an den Tag: Das Regime vermochte es nicht, einen seiner wichtigste Kader zu schützen. Dabei war dies bereits die fünfte gezielte Tötung eines Atomspezialisten. Der Atomforscher Majjid Shahriari, neben dessen Grab Fakhrizadeh nunmehr beigesetzt wurde, war im November 2010 getötet worden, der Atomspezialist Dariush Rezaeinejad im Juli 2011 sowie die Forscher Masoud Alimohammadi und Mostafa Ahmadi Roshan im Januar 2012. [7]

Im Januar 2018 erlebte das Regime eine weitere große Blamage, als es dem israelische Geheimdienst in einer spektakulären Nacht- und Nebelaktion gelang, 55.000 Seite Text und 55.000 Dateien auf 183 CDs mit hochbrisanten Details über das heimliche Atomwaffenprojekt aus einem Teheraner Nukleararchiv zu entwenden und nach Israel zu überführen.

Es folgte Anfang dieses Jahres die Tötung des Chefs der Quds-Brigaden, Qasem Soleimani. Im Sommer ging aufgrund erfolgreicher Sabotageakte eine Uranzentrifugen-Fabrik in Natanz in Flammen auf. Kurz darauf gelang es ausländischen Agenten, den stellvertretenden Führer von Al-Qaida, Abu Muhammad al-Masri mitten in Teheran zu töten.

Und jetzt Fakhrizadeh. Man könnte denken, das Zentrum der iranischen Spionageabwehr sei mit israelischen Agenten durchsetzt. Nur in einem Punkt stellt derzeit der iranische Sicherheitsapparat seine Schlagkraft unter Beweis: Wenn es um die Tötung, Verfolgung und Folterung der eigenen Bevölkerung geht.

Kein Wunder also, dass „in den sozialen Medien Irans gar mehr Schadenfreude über den Tod Fakhrizadehs (herrscht), als Trauer“, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung durchaus irritiert berichtet. „Es wird darauf hingewiesen, dass er [Fakhrizadeh] auch für das ballistische Raketenprogramm verantwortlich gewesen sei – und eine solche Rakete habe am 8. Januar dieses Jahres ein ukrainisches Passagierflugzeug abgeschossen, ohne dass sich Teheran dafür entschuldigt habe. In einem Tweet wird gefragt, weshalb bei nur einem Toten nun derart getrauert werde, wenn vor einem Jahr bei Protesten mehr als 1500 Iraner getötet worden seien.“

Die sozialen Medien zeigten damit abermals, so die FAZ, „dass sich die Islamische Republik einem Zangengriff ausgesetzt“ sehe. „Sie hat Feinde im Ausland und verfügt auch im Inland über wenig Rückhalt.“ [8] Dass die Europäische Union zu jenen „Feinden im Ausland“ gehört, lässt sich allerdings nicht behaupten.

„Moralischer Bankrott und erbärmliche Feigheit“

Nur wenige Länder sahen sich veranlasst, den Anschlag offiziell zu verurteilen: Irak, Syrien, Aserbaidschan, Oman und die Türkei. Der iranische Außenminister aber hatte es besonders auf die Europäische Union abgesehen. Nur wenige Stunde nach dem Attentat rief er die Europäer dazu auf, „ihre beschämenden Doppelstandards aufzugeben und diesen Akt des Staatsterrorismus zu verurteilen.“

Beflissen kam Brüssel dieser Aufforderung nach: „Dies ist eine kriminelle Tat“, erklärte die EU im Namen Josep Borells, dem Beauftragten für Außen- und Sicherheitspolitik, „und widerspricht dem Grundsatz der Achtung der Menschenrechte, für den die EU steht. Der Hohe Vertreter spricht den Familienmitgliedern der getöteten Personen sein Beileid aus.“ [9]

Die Empathie, die hier dem Anführer des iranischen Atomwaffenprogramms entgegengebracht wird, ist bemerkenswert. Dem EU-Beauftragten gelten nicht die massiven iranischen Verstöße gegen den Atomwaffensperrvertrag als „kriminell“, sondern der Versuch, den iranischen Griff zur Bombe möglichst zielgenau zu stoppen.

Yair Lapid, der Oppositionsführer im israelischen Parlament, kritisierte diesen Kotau angemessen scharf: „Die Tatsache, dass die Europäische Union die berechtigte Tötung des iranischen Nuklearwissenschaftlers verurteilt, anstatt die Bemühungen des Iran, Massenvernichtungswaffen zu erwerben und Terrorismus in die ganze Welt zu exportieren, zu verurteilen, bedeutet moralischen Bankrott und erbärmliche Feigheit.“ [10]

Moralischer Bankrott, weil sich die EU mit dem mörderischen Regime gegen Israel solidarisiert. Erbärmliche Feigheit, weil man immer noch vor einem Regime, das mit Terroraktivitäten auch innerhalb der EU Angst und Schrecken verbreitet, kuscht und es zu beschwichtigen sucht.

Deutschland belügt sich und die Welt

Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Der iranische Außenminister konzentrierte seine Forderung auf die EU, weil er sich von ihr den entscheidenden Anstoß für eine Rückkehr der USA zum Atomdeal erhofft – ein Schritt, der das sanktionsgebeutelte Regime nicht nur von finanziellen Engpässen befreien, sondern ihm zugleich einen „geordneten“ Übergang zur Atomwaffenfähigkeit garantieren würde.

Mit Fakhrizadehs Tod geriet aber plötzlich die Realität des geheimen iranischen Atomwaffenprogramms wieder ins Rampenlicht: Die Lüge, es habe ein militärisches Atomprogramm nie gegeben, – eine Lüge, auf der der Atomdeal basiert – fängt wie eine Wunde wieder an zu bluten.

Dieser sichtbar gewordene Betrug macht es für den neuen amerikanischen Präsidenten unmöglich, zum ursprünglichen Atomdeal – als sei nichts geschehen – zurückzukehren. Die EU aber, die derzeit unter deutscher Ratspräsidentschaft agiert, möchte sich und andere weiter betrügen. Aus eben diesem Grund bezeichnet sie Mohsen Fakhrizadeh nicht als „Vater der iranischen Atombombe“, was der Wahrheit entspräche, sondern als „iranischen Regierungsbeamten“, was die Wirklichkeit auf lächerliche Weise entstellt.

Anmerkungen

[1] Paul-Anton Krüger, Mohsen Fakhrizadeh: Tödlicher Anschlag auf iranischen Nuklearwissenschaftler, in: Süddeutsche Zeitung, 27. November 2020.

[2] David Albright, Olli Heinonen, and Andrea Stricker, Breaking Up and Reorienting Iran’s Nuclear Weapons Program, in: ISIS-Report, October 29, 2018, S. 7.

[3] IAEA-Bericht GOV/2011/65 vom 08.11.2011, S. 5f. Aus diesem Bericht geht hervor, dass Fakhrizadeh nach 2003 zunächst das Waffenprojekt SADAT („Section for Advanced Development Applications and Technologies“) betreute, dann ab 2008 die Malek Ashtar Universität für Technologie in Teheran leitete und ab 2011 der „Abteilung für Forschung und technologische Erneuerung“ vorstand.

[4] Fredrik Dahl, U.N. nuclear report puts Iran ,mystery man‘ in spotlight, in: Reuters, 11. November 2011.

[5] Times of Israel Staff, Mohsen Fakhrizadeh: ,Father‘ of Iran nukes said to have long been Mossad target, in: Times of Israel (ToI), 28. November 2020.

[6] David D. Kirkpatrick, Ronen Bergman and Farnaz Fassihi, Brazen Killings Expose Iran’s Vulnerabilities as It Struggles to Respond, in: New York Times, 28.11.2020.

[7] Ardavan Khoshnood, The Assassination of Mohsen Fakhrizadeh: What Are the Iranian Regime’s Options?, in: BESA Center Perspectives Paper No. 1,834, November 30, 2020.

[8] Rainer Hermann, Majid Sattar und Jochen Stahnke, Ein Stich ins iranische Herz, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. November 2020.

[9] Iran: Statement by the Spokesperson on the killing of a government official in Absard, Brüssels, 28/22/2020.

[10] TOI Staff and Agencies, Nuke chief’s death said to be ,pinnacle‘ of Israeli strategy to thwart Iran bomb, ToI, 28. November 2020. 

Bleiben Sie informiert!
Mit unserem wöchentlichen Newsletter erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren sowie ein Editorial des Herausgebers.

Zeigen Sie bitte Ihre Wertschätzung. Spenden Sie jetzt mit Bank oder Kreditkarte oder direkt über Ihren PayPal Account. 

Mehr zu den Themen

Das könnte Sie auch interessieren

Wir sprechen Tachles!

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie einen unabhängigen Blickzu den Geschehnissen im Nahen Osten.
Bonus: Wöchentliches Editorial unseres Herausgebers!

Nur einmal wöchentlich. Versprochen!