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Hamas-Terror gegen Israel: Wieder »Beide-Seiten-Unfug« von Eric Frey

Eric Frey behauptet im Standard, Israel und Palästinenser würden gleichermaßen die Opferrolle spielen
Eric Frey behauptet im Standard, Israel und Palästinenser würden gleichermaßen die Opferrolle spielen (Imago Images / teutopress)

Eric Freys in der österreichischen Tageszeitung Der Standard dargelegte These, Israel spiele bloß eine »Opferrolle«, führt in ein gedankliches und moralisches Chaos.

Mit einem Essay in der österreichischen Tageszeitung Der Standard hat Eric Frey uns ein neues Kunststück im Relativierungszirkus vorgeführt. Schon am 13. Oktober, als man eben erst das Ausmaß der von den palästinensischen Dschihadisten ein paar Tage zuvor angerichteten Ungeheuerlichkeiten zu erfassen begann, hatte Frey sich in einer Analyse kaum mit der Hamas beschäftigt, dafür aber ausgiebig mit Vorverurteilungen Israels. Freys damaliger Blitzferndiagnose zufolge »gehen in Israel gewisse moralische Hemmungen verloren« und musste man »vermuten, dass Israel eine Art ethnischer Säuberung anstrebt, um freie Hand für sein Militär zu erhalten«.

Die atemberaubende Formulierung »ethnische Säuberung« hat Frey danach »bedauert«. Das wurde mir in einem Antwortschreiben von einem der amtierenden Standard-Chefredakteure mitgeteilt, nachdem ich mich in einem offenen Brief an die Leitung der Zeitung über dessen Umgang mit Israel beschwert hatte; speziell über zwei Gastkommentare in Serie, die Israel und die Hamas auf dieselbe Stufe stellten.

Schwerer Fall von »Bothsidesism«

Jetzt hat Frey einen langen Text geschrieben, um eine These zu rechtfertigen, die sich in einem kurzen Satz zusammenfassen ließe: »Alle Opfer sind immer gleich und sollten daher am besten vergessen, dass sie Opfer sind.«

Zur Einstimmung wird uns die Position des »großen palästinensischen Intellektuellen« Edward Said präsentiert, die laut Frey »inhaltlich nachvollziehbar« sei: »Wir sind die wahren Opfer«, womit Said kurz nach der Unterzeichnung des Oslo-Abkommens natürlich die Palästinenser meinte. Nicht erwähnt wird in Freys Erzählung, dass Said, von Kritikern in den USA als »Professor of Terror» eingestuft, noch radikaler war als der Karriere-Terrorist Jassir Arafat und deshalb die Oslo-Abkommen ablehnte. Der »große Intellektuelle« hatte also offenbar nicht begriffen, dass die Palästinenser nie mehr ein besseres Angebot bekommen würden.

Doch das mit Said ist nur ein dekoratives Detail. In der Substanz haben wir es hier wieder mit einem schweren Fall von dem zu tun, was auf Englisch in den letzten Jahren manchmal »Bothsidesism« genannt wurde – ich übersetze es hier einmal salopp mit »Beide-Seiten-Unfug«.

Ja, klar, um eines von Freys Beispielen aufzugreifen: Deutsche haben sich als »Opfer« des Versailler Friedensvertrags gefühlt. Aber was soll das jetzt mit dem zu tun haben, was Deutsche den Juden angetan haben? Die Juden wiederum haben sich nicht nur als »Opfer« von Deutschen gefühlt, sondern sie waren es wirklich. Aber haben Juden (oder hat Israel) jemals daran gedacht, deswegen »den Deutschen» (oder sonst irgendjemandem) das anzutun, was Deutsche den Juden angetan haben? Und natürlich, in Dresden waren im Februar 1945 Zehntausende Deutsche die »Opfer« von Bombardements durch die Alliierten. Aber Dresden ist nicht Auschwitz.

Opfer ist nicht gleich Opfer

Nein, Opfer ist nicht gleich Opfer. Nicht jeder, der sich »als Opfer fühlt«, hat dazu die gleiche Berechtigung wie jeder andere, der sich als Opfer fühlt. Und Freys These von einer allgegenwärtigen »Opfer-Täter-Umkehrspirale«, die Opfer und Täter austauschbar macht und in der alle Recht haben, führt sofort in ein gedankliches (und moralisches) Chaos.

Das gilt auch für den israelisch-palästinensischen Konflikt. Ja, es ist nachvollziehbar, dass die arabischen Bewohner der Region Palästina (zunächst ein Sandschak, also eine Unterabteilung in der Provinzialverwaltung des Osmanischen Reichs und dann britisches Mandatsgebiet) sich als »Opfer« der zionistischen Einwanderungsbewegung fühlten. Aber irgendwann hätte sich auch auf der arabischen Seite die Einsicht durchsetzen müssen, dass ein Kompromiss nötig war. Tatsache ist, dass seit den 1930er Jahren unzählige Teilungs- und Kompromissvorschläge (als prominentester der UNO-Teilungsbeschluss vom 29. November 1947) von der jüdischen Seite angenommen, von der arabischen hingegen durch Krieg und Terror torpediert wurde.

Hier kommt der heikle Begriff der »Opferrolle« ins Spiel. Ja, die »Opferrolle« der Palästinenser wird, wie Frey richtig schreibt, bewusst prolongiert – von arabischen Staaten, die Palästinenser nicht integrieren wollen und sie als Druckmittel gegen Israel brauchen; vom Palästinenserhilfswerk UNRWA, das dank dieser Opferrolle weiterexistieren darf; von der palästinensischen Führung, für die diese Opferrolle politisch und wirtschaftlich bequem ist.

Aber Achtung: Es ist völlig falsch, ja, empörend, diesen Begriff der Opferrolle (im Geiste des »Beide-Seiten-Unfugs«) auf die Israelis anzuwenden. Niemand in Israel hat es sich ausgesucht, Opfer zu sein oder eine »Opferrolle« zu spielen. Die Familien, die am 7. Oktober gefesselt und bei lebendigem Leib verbrannt wurden, die Babys, die geköpft wurden, die Frauen, die zu Tode vergewaltigt wurden, die spielen doch, verdammt noch einmal, keine »Opferrolle«! Die sind Opfer!

»In der Psychotherapie gilt eine andauernde Opferrolle oft als Hindernis, um Traumata zu überwinden und zu einem normalen Leben zurückzukehren«, schreibt Frey. Wirklich, gerade jetzt fällt ihm das ein? Gerade jetzt sorgt sich nämlich ganz Israel um die seelische Gesundheit Dutzender Kinder, darunter vierjährige, die nach fünfzig Tagen Geiselhaft in den feuchten Kriegstunneln der Hamas heimgeholt werden konnten und vielleicht fürs ganze Leben traumatisiert sind. Sollen diese Kinder jetzt auch, wie Frey es den Israelis empfiehlt, um der Versöhnung mit der Hamas willen »das eigene Opfergefühl abmildern oder ganz zurücknehmen«?

Wessen Opfer?

Völlig zu Recht weist Frey darauf hin, dass die israelischen Militärschläge im Gazastreifen Tausende Menschen getötet haben. Doch hier kommt ein weiterer Gesichtspunkt ins Spiel, der in Freys Text fehlt: Wer von Opfern spricht, muss dazusagen, wessen Opfer sie sind.

Die Hamas hat vorsätzlich und planmäßig ihre Kommandostellungen, Waffenarsenale, Munitionslager, Raketenwerfer inner- und unterhalb der eigenen Bevölkerungszentren angelegt. Das ist schon seit Jahren mehr oder weniger bekannt und wurde jetzt durch die Funde der israelischen Armee eindeutig bewiesen. Das einzige Mittel, durch das die Hamas die israelische Bodenoffensive stoppen kann, sind möglichst viele tote palästinensische Zivilisten. Ja, jene im Gazastreifen getöteten Palästinenser, die keine Täter sind, sind Opfer – aber sie sind Opfer der Hamas, nicht Israels.

Ganz falsch liegt Frey, wenn er das, was er als »militärische Überreaktion« einstuft, allein der »Regierung Netanjahu« zuschreibt. Nein, fast die ganze israelische Gesellschaft hat aus jenem schwarzen Samstag den Schluss gezogen: »Neben so einem Nachbarn kann man nicht leben.« Das hörte und hört man vom Staatspräsidenten, von der Regierung und von der Opposition, vom Generalstabschef, von gegenwärtigen und früheren hohen Offizieren der Armee und leitenden Funktionären der Geheimdienste, von Experten und Kommentatoren (auch solchen, die bis dahin immer für Zurückhaltung waren), bei den Debatten im Fernsehstudio, am Familientisch und im Hundepark.

Besonders deutlich hört man es von den Überlebenden, den Bewohnern von Beeri und Nir Os und Nativ Haassara und all den anderen Dörfern in Südisrael, die von der Hamas verwüstet wurden. Diese Menschen sind zum Großteil »Linke« und haben immer an einen Frieden mit den Palästinensern geglaubt. Doch nun sagen sie: Wir werden die Kraft haben, in unsere Dörfer zurückzukehren, obwohl dort Hunderte unserer Verwandten und Freunde ermordet wurden und dort unser Leben, unsere Häuser, unsere Landwirtschaft wieder aufbauen, aber die Bedingung dafür ist, dass es jenseits des Grenzzauns keine Hamas mehr gibt.

Die Israelis sind nicht Akteure eines Films, in dem sie eine »Opferrolle« übernommen haben. Sie leben in der Realität. Der Konflikt kann, wenn überhaupt, nur gelöst werden, wird die Realität erkannt. Der »Beide-Seiten-Unfug« verkennt die Realität und steht daher einer Lösung im Weg.

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