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Was im CIA-Bericht über Khashoggis Tötung steht – und was nicht

Der jetzt veröffentlichte CIA-Bericht über die Tötung von Jamal Khashoggi enthält keine neuen Belege. (© imago images/ZUMA Wire)
Der jetzt veröffentlichte CIA-Bericht über die Tötung von Jamal Khashoggi enthält keine neuen Belege. (© imago images/ZUMA Wire)

Anders als vielfach kolportiert, enthält der CIA-Bericht keinerlei Beleg dafür, dass der Kronprinz die Ermordung Khashoggis angeordnet habe.

Eli Lake, Tablet Magazine

Am 26. Februar hat die Biden-Administration das vielleicht am schlechtesten gehütete Geheimnis in Washington gelüftet: Die US-Geheimdienste beschuldigen Saudi-Arabiens Kronprinzen Mohammed bin Salman, die Operation angeordnet zu haben, die mit der Tötung von Jamal Khashoggi endete. (…)

Diese öffentliche Einschätzung basiert fast vollständig auf einem geheimen Bericht, der kurz nach der Ermordung Khashoggis Anfang Oktober 2018 erstellt wurde. Damals wurde dieses Papier in der gesamten US-Regierung verbreitet und seine Schlussfolgerungen wurden freigiebig der Presse zugespielt. Der Nachtrag von letzter Woche nimmt keinen Bezug auf Abhörmaßnahmen, menschliche Quellen oder irgendeine andere Art von Spionage, die seiner Analyse beweiskräftiges Gewicht verleihen würde. Stattdessen basiert das Schlüsselurteil über den saudischen Kronprinzen auf Schlussfolgerungen und Vermutungen.

„Wir stützen diese Einschätzung auf die Kontrolle des Kronprinzen über die Entscheidungsfindung im Königreich seit 2017, die direkte Beteiligung eines wichtigen Beraters und von Mitgliedern des Personenschutzes von Mohammad bin Salman an der Operation sowie die Unterstützung des Kronprinzen von gewaltsamen Maßnahmen , um Dissidenten im Ausland zum Schweigen zu bringen, einschließlich Khashoggi.“

Dem geheimen Bericht von 2018 fehlten auch harte Beweise für die Rolle des Kronprinzen bei der Ermordung Khashoggis. Kirsten Fontenrose, die damals als Senior Director für Golf-Angelegenheiten im Nationalen Sicherheitsrat arbeitete, sagte mir diese Woche, dass sie glaubte, die Einschätzung von 2018, auf der diejenige von 2021 basiert, sein „ein Missbrauch der Macht der Geheimdienste“ gewesen. Sie sei damals so besorgt gewesen, dass sie die CIA gewarnt habe: Sollte dieser Bericht in das tägliche Geheimdienstbriefing des Präsidenten aufgenommen werden, würde sie ihn davor warnen, dass hier mithilfe von Vermutungen versucht werde, ihm eine bestimmte Richtung aufzuzwingen.“ (…)

Fontenrose war keine von der Politik ernannte Amtsträgerin, sondern eine Karriere-Beamtin, die für Präsidenten beider Parteien im Pentagon und im Außenministerium gearbeitet hatte. Sie verließ den Nationalen Sicherheitsrat Ende 2018, weil sie mit hochrangigen Beamten des Weißen Hauses unter Trump aneinandergeraten war. (…)

Fontenrose erzählte mir, dass das freigegebene Dokument, das letzten Monat veröffentlicht wurde, eine sehr ähnliche Sprache verwendet wie der geheime Bericht, der 2018 über ihren Schreibtisch ging. „Die einzige Passage, in der von ‚hoher Wahrscheinlichkeit‘ (‚high confidence‘) die Rede war, war der letzte Absatz“. Darin seien die Namen der saudischen Schergen aufgelistet gewesen, die damals vom türkischen Geheimdienst genannt worden waren. Der saudische Kronprinz sei darin nicht erwähnt worden.

Formulierungen wie „hohe Wahrscheinlichkeit“ sind für nachrichtendienstliche Beurteilungen wichtig, weil sie vermitteln, wie sicher sich der Analyst bei der Schlussfolgerung ist. Das Dokument aus dem Jahr 2021 gibt nicht an, welchen Grad an Vertrauen die Analysten in die Schlussfolgerungen über bin Salmans Schuld hatten. (…)

Die Wahrscheinlichkeit, dass Kronprinz bin Salmans engste Mitarbeiter ohne dessen Zustimmung eine Operation gegen einen seiner bekanntesten und lautstärksten Gegner in Angriff nehmen würden, ist in der Tat ziemlich gering. Aber anzunehmen, dass MbS in irgendeiner Form eine Aktion befürwortet hat, ist etwas sehr anderes als die Vorlage von Beweisen, dass er persönlich Khashoggis Ermordung angeordnet habe. Ebenso wenig muss man vernünftigerweise ausgehen, dass die Saudis beabsichtigt hatten, einen weithin bekannten Regimegegner in ihrem eigenen Konsulat in der Türkei zu ermorden – einem Land, zu dem das Königreich schwierige Beziehungen hatte. Vielmehr weist die Ermordung Khashoggis viele Merkmale einer versuchten Entführung auf, die schiefgegangen ist.

Dieser Unterschied ist für die amerikanische Außenpolitik von großer Bedeutung. Fontenrose sagte mir, dass die Einschätzung von 2018 keine „rauchende Pistole“ („smoking gun“) als Beweis für bin Salmans Rolle in einem Mordkomplott geliefert habe. „Ohne diesen schlagenden Beweis gibt es angesichts des Umstands, dass bin Salman dieses Land für Jahrzehnte führen könnte, keine ausreichende Rechtfertigung, die Beziehung zwischen den USA und Saudi-Arabien zu zerstören – es sei denn, die USA wollen wieder in das Business des Regimewechsels einsteigen.“

Warum aber würde die Biden-Administration die Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien schädigen wollen? Eine Antwort ist, dass die Regierung die Vereinigten Staaten von Saudi-Arabien distanzieren möchte. Strategisch gesehen bedeutet die angekündigte Absicht der Regierung, sich dem Iran anzunähern, indem sie dem Atomdeal von 2015 wieder beitritt, zwangsläufig eine Vergrößerung der Distanz zwischen Amerika und den Saudis, die das iranische Regime fürchten und verabscheuen, mit dem sie derzeit einen Stellvertreterkrieg im Jemen führen.

Die Veröffentlichung des Geheimdienstberichts erfolgte, nachdem die Biden-Regierung angekündigt hatte, die Waffenlieferungen an die saudischen Verbündeten im Jemen einzustellen und deren Huthi-Gegner nicht mehr als Terroristen einzustufen.

(Auszüge aus dem Artikel „New Report On Khashoggi Murder Is a Dud, Official Warns“, der von Tablet Magazine veröffentlicht wurde. Eli Lake ist ein angesehener Journalist, der sich vor allem mit Themen der nationalen Sicherheit beschäftigt. Übersetzung der Auszüge von Florian Markl.)

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