In dieser Ausgabe:
I. Allgemeiner Überblick
II. John Kerrys „Obsession“: Verstimmung zwischen den USA und Israel
III. Iranischer Jubel über Kompromiss: völlig berechtigt
In der vergangenen Woche erschienen in den von MENA systematisch ausgewerteten österreichischen Tageszeitungen 266 Beiträge mit Nahost- bzw. Nordafrika-Bezügen:
Folgende Länder standen im Mittelpunkt der Berichterstattung:
In den insgesamt 114 Beiträgen der wichtigsten Radio- und Fernsehnachrichtensendungen des ORF wurden folgende Länder am häufigsten erwähnt:
II. John Kerrys „Obsession“: Verstimmung zwischen den USA und Israel
Normalerweise geben sich die Moderatoren des Ö1-Mittagsjournals, wie in Nachrichtensendungen üblich, betont zurückhaltend und ruhig. Nicht so jedoch am vergangenen Mittwoch, als Wolfgang Wittmann seine Empörung offen zum Ausdruck brachte. „Zehn Mal schon“ sei US-Außenminister John Kerry in den Nahen Osten gereist, um „Israel und die Palästinenser zumindest ein kleines Stück weit näher zueinander zu bringen… Und dann das!“ Kerry lege „unverständlichen Eifer an den Tag“, retten könne Israel nur, dass der Außenminister den Friedensnobelpreis gewinne und dann Ruhe gebe. Das sage „nicht irgendwer, sondern ausgerechnet der israelische Verteidigungsminister Moshe Yaalon, der sonst wahrscheinlich den halben Tag damit verbringt, die für sein Land existentiell wichtige Waffenbrüderschaft mit den USA zu pflegen und modernste Rüstungsgüter zu bekommen.“ Was die israelische Regierung daraufhin aus Washington zu hören bekam, könne man sich vorstellen. „Frage an Ben Segenreich in Tel Aviv: War das jetzt ein einmaliger Auszucker eines Einzelnen in der israelischen Regierung, oder ist da mehr aus dem Lot zwischen den USA und Israel?“ (Ö1-Mittagsjournal, 15. Jan. 2014)
Mag sein, dass „Kerry jetzt gar nicht erfreut sein wird über die Anschüttungen Yaalons“ (ebd.), doch warum es einen österreichischen Journalisten so hörbar in Empörung versetzte, wenn ein israelischer Politiker mit recht undiplomatischen Aussagen über einen amerikanischen Politiker zitiert wird, war nicht wirklich nachvollziehbar. Zumal der Anlass vergleichsweise harmlos war. Immerhin hatte Yaalon über den amerikanischen Außenminister nicht gesagt: „Ich kann ihn nicht mehr sehen, er ist ein Lügner“, wie einst Frankreichs Staatspräsident Sarkozy über Israels Premier Netanyahu. (Obamas im Übrigen auch nicht übertrieben höfliche Antwort lautete: „Du bist ihn leid, aber ich habe jeden Tag mit ihm zu tun.“) Von Empörung war damals bei österreichischen Journalisten genauso wenig zu spüren wie nach dem Interview, in dem Verteidigungsminister Norbert Darabos folgende Worte über den israelischen Außenminister fand: „Und wenn Sie mich so offen fragen: Ein Herr Lieberman ist für mich als Mitglied der israelischen Regierung unerträglich.“ (Presse, 20. Mai 2012) Ganz im Gegenteil: Die Kronen Zeitung lobte Darabos‘ Einmischung in die Angelegenheiten eines fremden Staates, die ihn überhaupt nichts angingen, gar als „Mut zur eigenen Meinung“; Innenpolitik-Chef Claus Pándi meinte sogar, der Minister habe sich „mit seiner Courage als möglicher Außenminister empfohlen“. (Kronen Zeitung, 22. Mai 2012. Sehen Sie dazu den MENA-Beitrag „Fragwürdige Empfehlung“.)
Wittmanns Empörung über die Yaalon zugeschriebenen Aussagen war auch aus einem anderen Grund fehl am Platze. Zwar war die Sache, wie Ben Segenreich im Mittagsjournal-Gespräch ausführte, „vor allem extrem unangenehm und peinlich, weil es eine extreme Unhöflichkeit“ gegenüber Außenminister Kerry war, woran auch das Faktum wenig änderte, dass die Aussagen in einem Hintergrundgespräch mit Journalisten getätigt worden und somit nicht zur Veröffentlichung gedacht waren. Aber eigentlich habe Yaalon nur das gesagt, „was fast alle denken, auf der israelischen Seite und auf der palästinensischen Seite. Und sowohl oben, als auch unten, … was die Politiker denken und was jeder Taxifahrer denkt“. (Ö1-Mittagsjournal, 15. Jan 2014)
Diese einfache Beobachtung ging hierzulande in der Berichterstattung unter, die sich vielfach auf die pointierten Sager von der „unangebrachte(n) Besessenheit“ und dem „messianischen Eifer“ (Kurier, 15. Jan. 2014) Kerrys konzentrierte und damit Yaalons Kritik doch nur recht verkürzt wiedergab. Beiseite gelassen wurden beispielsweise seine Bemerkungen über PA-Präsidenten Mahmud Abbas: „Abu Mazen (Palestinian President Mahmoud Abbas) is alive and well thanks to us. The moment we leave Judea and Samaria (the West Bank) he is finished“. Von einer derartigen Einschätzung der Lage wollen selbstverständlich all jene nichts wissen, die gebetsmühlenartig von den ‚Grenzen‘ von 1967 sprechen und glauben, der israelisch-palästinensische Konflikt wäre beigelegt, wenn Israel sich nur endlich aus den ‚besetzten Gebieten‘ zurückzöge. Dies trifft nicht zuletzt auf US-Außenminister Kerry zu, dessen Vorschläge für eine zukünftige Sicherheitsarchitektur im Westjordanland von allen beteiligten Seiten zurückgewiesen wurden. Yaalons Analyse ließ an Kerrys Vorstellungen tatsächlich kein gutes Haar: Der von ihm vorgestellte Sicherheitsplan sei „das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben steht.“: „It contains no peace and no security. Only our continued presence in Judea and Samaria and the River Jordan will endure that Ben-Gurion Airport and Netanya don’t become targets for rockets from every direction.“
Nicht nur die von Kerry präsentierten Sicherheitsmaßnahmen seien eine Illusion, sondern auch die seit ein paar Monaten angeblich stattfindenden Friedensverhandlungen: „There are no actual negotiations with the Palestinians. The Americans are holding negotiations with us and in parallel with the Palestinians. So far, we are the only side to have given anything – the release of murderers – and the Palestinians have given nothing.“
So richtig diese Einschätzungen Yaalons auch waren, so unvollständig waren sie. Denn dass in Wahrheit keine Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern stattfinden, ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist, dass PLO-Chef Abbas, von einer in dieser Hinsicht völlig desinteressierten Weltöffentlichkeit weitgehend unbemerkt, gerade unlängst erst wieder klar gemacht hat, dass es im Grunde gar nichts zu verhandeln gebe und er ohnehin kein Mandat habe, im Namen der Palästinenser in wichtigen Fragen Zugeständnisse zu machen. In einer Rede, die von der Nachrichtenagentur AP als „ungewohnt feurig“ charakterisiert wurde, ging Abbas in so gut wie jedem Punkt im Hinblick auf den Friedensprozess auf Konfrontationskurs: von der Frage der Anerkennung Israels als jüdischer Staat, über die Grenzen eines zukünftigen palästinensischen Staates und den Status von Jerusalem, bis hin zum ‚Rückkehrrecht‘ nach Israel für Millionen von Palästinensern. (Sehen Sie als Zusammenfassung der unverändert kompromisslosen Haltung des PLO-Chefs die Analyse des Jerusalem Center for Public Affairs.)
Abbas ist freilich mit seiner ablehnenden Verweigerungshaltung nicht allein. In den letzten Wochen waren im Westjordanland Demonstrationen gegen John Kerry keine Seltenheit, während führende Vertreter der Palästinenser die Vermittlungsbemühungen des US-Außenministers öffentlich an den Pranger stellten. (Anders als im Falle von Yaalons undiplomatischen Äußerungen war von einem amerikanischen Protest in all diesen Fällen nichts zu hören – auch im Friedensprozess wird offenbar mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen.) Gerade weil David Horovitz in der Times of Israel auch einiges Kritisches über die Haltung des israelischen Verteidigungsministers Yaalon zu sagen hat, sollte sein nüchterner Blick auf die palästinensische Seite der Gleichung zu denken geben: „The Palestinian Authority was never remotely likely to agree to the dramatic policy changes, the reversal of decades of intransigence, required for a peace deal. It has not even begun the process of explaining to its people why it would compromise with the Israelis, whose very presence in the area PA media continues to brand as illegitimate.“
Da Kerry in souveränem Hinwegsehen über die Realität und entgegen allen Hinweisen daran festhält, wenn schon nicht einen endgültigen Friedensvertrag, so doch zumindest ein zwischenzeitliches Rahmenabkommen zwischen Israelis und Palästinensern erzielen zu können, fällt es schwer, jene Aussagen Yaalons nicht zu verstehen, die jetzt für so viel Aufsehen gesorgt haben: „American Secretary of State John Kerry, who turned up here determined and acting out of misplaced obsession and messianic fervor, cannot teach me anything about the conflict with the Palestinians.“ Wenn weite Teile des Nahen Ostens von Libyen bis in den Irak in blutiges Chaos stürzen, in Syrien über 140.000 Menschen getötet und Millionen in die Flucht getrieben wurden, und der Iran den Westen im Atomstreit nach allen Regeln der Kunst an der Nase herumführt, wie soll man unter solchen Umständen die aussichtslosen und auf Illusionen beruhenden Anstrengungen John Kerrys anders charakterisieren?
III. Iranischer Jubel über Kompromiss: völlig berechtigt
Anfang letzter Woche meldeten die Medien (wieder einmal) einen Durchbruch in den Verhandlungen zwischen den P5+1 und dem Iran in Sachen Atomstreit: Man habe jetzt die noch offenen Fragen zur Umsetzung des Genfer Atomdeals vom vergangenen November geklärt, mit dem heutigen 20. Jänner solel das Abkommen umgesetzt werden. (Standard, 14. Jan. 2014) Mehr oder minder genau wurde in den verschiedenen Medien auf die Details der Implementierung des Deals eingegangen. Das Mittagsjournal berichtete: „Die Details des Übergangsabkommens sind nicht neu, schon im November sind sie ausgehandelt worden. Aber es hat bis zum vergangenen Sonntag gedauert, ehe die schwierigen technischen Kleinigkeiten gelöst wurden.“ (Ö1-Mittagsjournal, 13. Jan. 2014) Auch die Presse präsentierte „Details“ der Einigung. (Presse 14. Jan. 2014) Damit wurde elegant eine Kleinigkeit übergangen: Bis heute haben sich alle beteiligten Seiten geweigert, den Text der Vereinbarung zu veröffentlichen, die zwischen den P5+1 und dem Iran erzielt wurde. Die worteichen Schilderungen darüber, was nun geschehen werde, verdeckten das einfache Faktum, dass die Medien die genauen Inhalte der Vereinbarung schlicht nicht kennen konnten.
Statt sich von derlei Einwänden aufhalten zu lassen, wurde eifrig über die Hürden spekuliert, die die Einigung mit dem Iran doch noch in Gefahr bringen könnten. Unvermeidlich war wieder von den „Hardlinern auf beiden Seiten“ die Rede, die gegen das Abkommen mobil machten. Im Standard schrieb Gudrun Harrer: „Im US-Senat sammeln die Befürworter von neuen Sanktionen gegen den Iran – die dem Deal zuwiderlaufen würden – Stimmen … Gegen den Senatsbeschluss kann US-Präsident Barack Obama ein Veto einlegen“. (Standard, 14. Jan. 2014) Der Presse zufolge „zeigen sich sowohl Republikaner als auch Demokraten unzufrieden über den Deal; sie fordern die weitere Verschärfung der Sanktionen.“ (Presse, 14. Jan. 2014) Der Präsident habe „alle Hände voll zu tun, um notfalls per Veto zu verhindern, dass der vor Kurzem ausgehandelte Aktionsplan zur Lösung des Atomstreits durch weitere US-Sanktionen torpediert wird.“ (Presse, 20. Jan. 2014) Thomas Spang wies in den Salzburger Nachrichten auf „Unterstützer des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu im US-Kongress“ hin, die gegen das Nuklear-Abkommen und „für den Beschluss weiterer Sanktionen gegen Teheran“ mobilisierten. „Damit wären nicht nur die Verhandlungen gefährdet, es stünde auch die Interimsvereinbarung vor dem Scheitern.“ Spang selbst zitierte in weiterer Folge einen republikanischen Senator, der kritisierte, dass die US-Regierung „dem größten Sponsor von Terrorismus in der Welt Milliarden an Dollar“ zur Verfügung stelle und es „den Mullahs zur selben Zeit (erlaube), ihre nukleare Infrastruktur zu behalten.“ Warum Spang Vertreter derartiger Einwände sogleich als „Unterstützer des israelischen Ministerpräsidenten“ zu identifizieren vermochte, sei dahingestellt. Jedenfalls warnte er eindringlich: „Eine Verschärfung des Embargos torpediert nicht nur die Übergangsvereinbarung, sondern macht auch eine friedliche Lösung des Atomstreits unwahrscheinlich.“ (Salzburger Nachrichten, 14. Jan. 2014)
So wenig die Medien ein Problem damit hatten, über die Details eines Abkommens zu berichten, die sie nicht kennen konnten, so wenig Bedenken hatten sie, in ihren Beiträgen über mögliche neue US-Sanktionen gegen den Iran ein Detail beiseite zu lassen, das sie sehr wohl kennen konnten. Im Kurier war über die wachsende Zustimmung für neue Sanktionen zu lesen: „Die allerdings treten erst in Kraft, wenn sich Teheran nicht an das Atom-Abkommen hält. Der Druck auf das Mullah-Regime, dem viele weiter misstrauen, soll so aufrechterhalten werden.“ (Kurier, 14. Jan. 2014) Damit war der wesentliche Punkt zumindest angesprochen: Bei der Debatte in den USA geht es überhaupt nicht darum, sofort neue Sanktionen gegen den Iran zu beschließen und in Kraft zu setzen, sondern darum, eine Art Sanktions-Vorratsbeschluss zu verabschieden, der die Verhandlungsposition gegenüber dem Mullah-Regime stärken soll. Der Politologe Matthias Küntzel erläutert: „Diese Sanktionen sollen … nicht sofort, sondern erst nach einem Ablauf von zwölf Monaten wirksam werden und auch nur dann, falls Teheran das Genfer Interimsabkommen verletzt oder sich um die geplante abschließende Lösung des Atomproblems drückt.“
Wie dringend erforderlich es wäre, Maßnahmen zu setzen, die den Druck auf den Iran aufrecht erhalten, zeigt sich an einer Entwicklung, vor der Kritiker des Genfer Deals stets gewarnt haben: Die Aussetzung auch nur einiger bisheriger Sanktionen hat binnen kürzester Zeit eine Dynamik in Gang gesetzt, die zu einem de-facto-Zusammenbruch des Sanktionsregimes geführt hat. „Wirtschaftsdelegationen aus aller Welt geben einander derzeit in Teheran die Klinke in die Hand“, berichtete der Kurier, dem gegenüber Richard Schenz, Vizepräsident der Wirtschaftskammer, deutlich machte, „dass man sich von Washington nicht mehr bremsen lassen will.“ Fast hilflos mutet der Versuch der Obama-Administration an, jetzt Boten um die Welt zu schicken, die vor der „Iran-Euphorie“ warnen sollen, die mit dem Genfer Deal ins Leben gerufen wurde. „Das Mullah-Regime, so betont man in Washington, sei weiterhin Sponsor von Terrororganisationen im Nahen Osten und würde Waffen zum Assad-Regime nach Syrien schicken. Auch sei im Atomstreit nach wie vor Skepsis angebracht. Schließlich habe der Iran die UN-Atombehörde IAEO jahrelang hintergangen.“ (Kurier, 18. Jan. 2014) Einen Richard Schenz hat das schon in der Vergangenheit nicht gekümmert, und es wird ihm auch in Zukunft herzlich egal sein.
Im Iran selbst hält man derweil mit einer Bewertung des Genfer Deals und seiner Folgen nicht hinter dem Berg. Während die Verantwortlichen in Europa und den USA der Welt noch immer weismachen wollen, dass man dem Iran „weitgehende Kompromisse“ (Kurier, 28. Dez. 2014) abgerungen habe, war auf einem Präsident Rohanis zugeschriebenen Twitter-Account folgende Kurznachricht zu lesen:
Im iranischen Fernsehen führte Rohani aus, was er damit meinte:
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Nun könnte man all das als den propagandistischen Versuch darstellen, die Iraner zu beschwichtigen und ihnen den Genfer Deal gewissermaßen schmackhaft zu machen, doch gibt es im Grunde keinen Grund, Rohanis Einschätzung zu widersprechen. Auf der einen Seite bricht das westliche Sanktionsregime in sich zusammen; die stets von Obama und anderen vorgebrachte Behauptung, die Sanktionen könnten einfach quasi per Knopfdruck wieder in Kraft gesetzt werden, sollte es in den nächsten sechs Monaten zu keiner endgültigen Lösung des Atomstreits kommen, entbehrt angesichts der Zeit, die nötig war, um die bisherigen Sanktionen in die Wege zu leiten, jeder Grundlage. Auf der anderen Seite stehen iranische ‚Zugeständnisse‘ wie die Beschränkung der Urananreicherung auf 5 Prozent – immer noch ein eklatanter Verstoß gegen UN-Sicherheitsratsresolutionen –, die im Gegensatz dazu tatsächlich jederzeit und mühelos wieder rückgängig gemacht werden können. Irans stellvertretender Außenminister Abbas Araghchi brachte in seiner Drohung gegen neue Sanktionen den Wert der iranischen ‚Zugeständnisse ungewollt auf den Punkt: „Die Verbindungen zwischen den Zentrifugen können in einem Tag gekappt und in einem Tag wiederhergestellt werden“. (Salzburger Nachrichten, 14. Jan. 2014)