Während der Konflikt zwischen Israel und der Hamas im weltweiten Fokus von Politik und Medien steht, erhalten die kriegerischen Auseinandersetzungen im Jemen, im Sudan oder in Syrien weit weniger Aufmerksamkeit.
Leserinnen und Leser von Tageszeitungen müssen dieser Tage den Eindruck gewinnen, dass es im Nahen Osten lediglich eine große kriegerische Katastrophe gibt, nämlich den Gazakrieg, und das Wohl und Wehe der gesamten Region damit falle, ob es dort bald zu einem Waffenstillstand kommt oder nicht.
Das scheint selbst einigen in der UNO aufgefallen zu sein, die sich immerhin dazu durchgerungen hat, für den islamischen Fastenmonat Ramadan noch einen zweiten Waffenstillstand zu fordern:
»Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat am Freitag eine Resolution verabschiedet, in der er zu einem Waffenstillstand während des Ramadans im Sudan aufruft. Der UN-Generalsekretär warnte diese Woche, dass die humanitäre Krise ›kolossale Ausmaße‹ erreicht habe. In der Resolution werden die Kriegsparteien aufgefordert, eine nachhaltige Lösung für den Krieg im Sudan auf dem Weg des Dialogs anzustreben und alle Hindernisse für die Verteilung der humanitären Hilfe zu beseitigen.
›Mit der Verabschiedung dieser Resolution hat der Rat eine starke und klare Botschaft an die sudanesischen Streitkräfte [SAF] und die Schnellen Eingreiftruppen [RSF] gesendet, damit sie sich auf eine sofortige Einstellung der Feindseligkeiten während des Ramadans einigen‹, sagte der stellvertretende britische Botschafter James Kariuki, dessen Delegation den Text verfasst hat.«
Nicht so ernst gemeint
Die Aussage des Briten war nicht so ernst gemeint, denn wie alle anderen weiß auch er ganz genau, dass sich die bekriegenden Fraktionen im Sudan recht wenig um solche Erklärungen scheren. Ganz im Gegenteil herrschen dort inzwischen schlicht unbeschreibliche Verhältnisse, die Woche für Woche katastrophaler werden. Nur erfährt man aus den Medien so gut wie nichts davon, eine fast schon löbliche Ausnahme macht die Tagesschau, die immerhin ab und zu über die Lage berichtet:
»Laut dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen sind derzeit im Sudan mehr als achtzehn Millionen Menschen in einer ›Spirale eskalierenden Hungers‹ gefangen. Das Problem: Der Großteil der Menschen befindet sich in Regionen, die für Hilfsorganisationen kaum oder gar nicht zugänglich sind. Grund dafür ist nach Angaben der UN-Organisation, dass die Konfliktparteien im seit nunmehr elf Monate andauernden Bürgerkrieg verhindern, dass Hilfe zu den Menschen kommt.
Für Hilfsorganisationen sei es nicht nur gefährlich, im aktuellen Krieg Nahrung zu verteilen. Zudem wurden in der Vergangenheit immer wieder Lager mit Hilfsgütern von bewaffneten Gruppen geplündert. Und Lastwagen-Konvois bekommen laut UN derzeit keine Genehmigung, vom benachbarten Tschad in die angrenzende Darfur-Region im Sudan zu fahren. (…)
Um vor Gewalt und Zerstörung zu fliehen, sind Hunderttausende mittlerweile in die Nachbarländer Ägypten, Tschad oder in den Südsudan geflüchtet. Cindy McCain vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen erklärte bei einem Besuch in einem der Flüchtlingslager im Südsudan: ›Der Krieg im Sudan könnte bald die weltgrößte Hungerkrise sein. Im angrenzenden Südsudan bin ich Frauen und Kindern begegnet, die Dutzende Male vor der Gewalt geflohen sind. Den Kämpfen sind sie zwar entkommen, aber dem Hunger entkommen sie nicht.‹«
Irgendwelche Initiativen, den Menschen, denen Hunger droht, zu helfen, gibt es nicht; Hilfeaufrufe sucht man vergeblich und es wäre müßig darauf zu verweisen, dass wegen des Sudans niemand auf die Straße geht.
Zu den vergifteten Debatten, die jeder israelisch-palästinensische Konflikt nach sich zieht, gehört nämlich auch die rhetorische Frage an all diejenigen, die sich nun so sehr um das Leben und Leiden der Palästinenser sorgen, warum sie so erstaunlich still sind, wenn anderswo in der arabischen Welt gehungert, getötet und gefoltert wird.
Das gehört seit Jahrzehnten zum öffentlichen Bild dazu. Erschreckend dabei ist weniger, dass sich an Universitäten und im Kunstbetrieb offenbar kaum jemand um das Leid all jener zu kümmern scheint, die das Pech haben, dass man für ihre Situation Israel nicht verantwortlich machen kann; sondern dass inzwischen generell die Lage in der größeren Region die europäische Politik nur noch dann zu interessieren scheint, wenn man irgendwie Grenzen gegen Flüchtlinge abschotten kann.
Die Liste ist lang
Dabei ist der Sudan eines der wichtigsten afrikanischen Länder und sein Zerfall hat enorme geopolitische Auswirkungen: Es handelt sich keineswegs »nur« um eine humanitäre Katastrophe schier unvorstellbaren Ausmaßes, vergleichbar mit jener in Syrien.
Apropos Syrien: Auch da bot die Gelegenheit sich, zu einem Waffenstillstand aufzurufen, den die UN sich nicht entgehen lassen wollte:
»Syrien wird laut einer UN-Kommission wegen des Bürgerkriegs und des Gaza-Konflikts von einer Welle der Gewalt überrollt. ›Seit Oktober ist es in Syrien zur größten Eskalation der Kämpfe seit vier Jahren gekommen‹, sagte Paulo Pinheiro, Vorsitzender der Syrien-Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrats in Genf, letzten Montag. ›Auch Syrien braucht dringend einen Waffenstillstand‹, forderte er vor dem Hintergrund der Verhandlungen über eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas. Die Lage in Syrien eskalierte nach einem Angriff auf eine Militärakademie mit Dutzenden Toten Anfang Oktober. Laut dem jüngsten Bericht der Syrienkommission bombardierten syrische und russische Streitkräfte daraufhin mindestens 2.300 Ziele in Gebieten, die von der syrischen Opposition kontrolliert werden. (…)
Gleichzeitig teilte die Hilfsorganisation Aktion Deutschland Hilft mit, dass die Spenden abnehmen. Die Not in Syrien sei so groß wie nie. Nicht nur der seit 2011 andauernde Krieg, sondern auch das schwere Erdbeben 2023 haben die Lage dramatisch verändert. ›Das UN-Nothilfebüro OCHA schätzt die Zahl der Menschen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, für 2024 auf 16,7 Millionen‹, hieß es in einem heutigen Schreiben der Organisation.«
Bliebe in der Liste noch der Jemen, auch wenn aktuell dort niemand einen Waffenstillstand fordert. Das Welternährungsprogramm (WFP), das im Dezember mangels internationaler Unterstützung seine Hilfen drastisch zurückfahren musste, beschreibt die Lage so:
»Der Hunger im Jemen ist so hoch wie nie zuvor und bringt Millionen von Menschen in große Not. Trotz humanitärer Hilfe stehen 17,4 Millionen Menschen jeden Tag hungrig auf. Der Anteil mangelernährter Kinder ist im weltweiten Vergleich besonders hoch und die Ernährungssituation verschlechtert sich fortlaufend. Laut einer aktuellen Studie hat fast ein Drittel aller Familien nicht genügend zu essen. Sie können sich fast nie Hülsenfrüchte, Gemüse, Obst, Milchprodukte oder Fleisch leisten.
Die Rate der Mangelernährung von Frauen und Kindern im Jemen gehört immer noch zu den schlimmsten weltweit. 1,3 Millionen schwangere und stillende Frauen und 2,2 Millionen Kinder unter fünf Jahren benötigen dringend eine Behandlung gegen akute Mangelernährung.«